In der Strassenbahn fing es an

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; In der Straßenbahn fing es an ... [] Es war, wie immer am Feierabend, brechend voll im Wagen. Alle fühlten sich unbehaglich, doch sie ertrugen schweigend, was sie nicht ändern konnten. Einer aber schimpfte. [] Der Eine: Verdammte Drängerei je...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Winkler, Max, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1946 - 1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/A95AE0BC-2CF8-4AF5-9C2B-D71164455902
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; In der Straßenbahn fing es an ... [] Es war, wie immer am Feierabend, brechend voll im Wagen. Alle fühlten sich unbehaglich, doch sie ertrugen schweigend, was sie nicht ändern konnten. Einer aber schimpfte. [] Der Eine: Verdammte Drängerei jeden Tag! Wenn die Herren "da oben" immer mitfahren müßten, wäre es längst anders. [] Der Andre: Glaubst du, daß sie dann mehr Straßenbahnwagen bauen könnten als jetzt? [] Der Eine: Das nun gerade nicht, aber das mußt du doch zugeben, daß es früher besser war. [] Der Andre: Wann denn - im Krieg, bei den Nazis? Da hätten sie dich bald beim Kragen gehabt, wenn du das Maul so weit aufgerissen hättest. Aber da wirst du dich wohl gehütet haben. [] Der Eine: Aber man konnte sich damals wenigstens noch sattessen. [] Der Andere: Daran denkst du aber nicht mehr, wie wie draußen im Dreck lagen, während den Frauen und Kindern zu Hause die Bomben um die Ohren flogen. Das und unser heutiges Elend dazu hätte alles nicht zu sein brauchen. [] Der Eine: Wer hätte es denn ändern können? [] Der Andre: Das deutsche Volk selber, wenn es auf uns gehört hätte und nicht dieser Verbrecherbande nachgelaufen wäre. Wir Sozialdemokraten haben laut genug gerufen: "Wer Hitler wählt, wählt den Krieg!" [] Der Eine: Ach geh mir ab, die ganze SPD hat auch versagt! [] Der Andre: Das sagst du so - hast du denn mitgeholfen, als wir gegen die Nazis kämpften? [] Der Eine: Ach was, ich habe mich niemals um Politik gekümmert. [] Der Andere: Und dann schimpfst du und machst andre verantwortlich, wenn es dir heute schlecht geht. Du selber bist schuld, nicht andre; und selber mußt du verantworten, wenn sie uns auch weiterhin das Fell über die Ohren ziehen. [] Der Eine: Wie meinst du das? [] Der Andre: Das überlege dir nur selber. Ich muß aussteigen, aber wir treffen uns schon wieder mal, dann können wir uns ja weiter unterhalten. [] Ja ... nach ein paar Tagen treffen sich die beiden wieder. [] Der Eine: Weist du, ich habe über unsere Unterhaltung von neulich nachgedacht. Alles Reden nützt ja doch nichts, das hat sich gerade genug gezeigt. Du siehst ja, wie's uns heute geht. Die andre Seite, die Unternehmer, sind eben doch stärker als wir armen Schlucker. [] Der Andre: Stimmt nicht! Was nützt den andern das Geld, wenn wir nicht arbeiten und die Dinge herstellen, an denen sie ihre Reichtümer verdienen. [] Der Eine: Und wenn wir nicht arbeiten, kriegen wir keinen Lohn und müssen verhungern. Die Reichen halten's länger aus als wir. [] Der Andre: Du hast von der Arbeiterbewegung keine Ahnung. Vielleicht hast du aber von deinem Vater oder deinem Großvater mal gehört, wie es den Arbeitern vor 70, 80 Jahren ging? [] Der Eine: Damals mußten sie 14 Stunden und länger am Tage schuften, ich weiß es. [] Der Andre: Und was für Hungerlöhne wurden damals gezahlt! Wer dem Unternehmer nicht paßte oder krank war, flog raus. Kein Mensch gab ihm was andres als höchstens ein Almosen, um das er betteln mußte. Und wenn er gar mal 'ne Lippe riskiert hatte, kam er auf die Schwarze Liste und konnte dann gleich den Strick nehmen. [] Der Eine: Ja, schlechte Zeiten waren's damals für den Arbeiter, das stimmt schon. [] Der Andre: Aber das waren auch die Jahre, in denen die Arbeiter anfingen, sich auf ihre Macht zu besinnen. Das war die Zeit, in der ihnen Lassalle, Marx und Engels die Waffen für ihren Kampf schmiedeten. Liebknecht und Bebel wurden damals ihre Vorkämpfer. [] Der Eine: Was uns das alles geholfen hat, siehst du heute. [] Der Andre: Dafür kannst du nicht die anklagen, die gekämpft haben. Die haben immer wieder ihr eignes Wohl und das ihrer Familien eingesetzt, sie sind in die Gefängnisse gegangen und verfolgt worden, weil sie den Arbeitern helfen wollten. Vom Sozialistengesetz hast du vielleicht mal gehört, mit dem Bismarck die "Roten" vernichten wollte, weil die Reichen Angst vor ihnen hatten. Als dieses Schandgesetz nach 12 Jahren fiel, war die Sozialdemokratie stärker als je zuvor. [] Der Eine: Ganz interessant, wenn du das so erzählst. Schade, daß du schon aussteigen mußt. [] Der Andere: Du wohnst doch wohl auch hier in der Nähe. Besuche mich doch mal in meinem Schrebergarten drüben. Dort können wir uns in Ruhe unterhalten. Du brauchst nur nach Hans Rank zu fragen - mich kennt dort jedes Kind. [] Der Eine: Vielleicht komme ich am Sonnabend mal hin. [] Ja ... Am nächsten Sonnabend erscheint tatsächlich der "Eine" beim "Andern", unserm Hans Rank, im Garten. [] Der Eine: Zunächst mal, damit du weißt, mit wem du's zu tun hast: Ich bin Karl Schmidt. [] Der Andre: Is gut, Karl. Nun stopf dir erst mal 'ne Pfeife von meinem Schreberschreck, mit Dampf geht's besser. So lange ist das noch gar nicht her, daß sich ein paar Arbeiter am frühen Sonnabendnachmittag gemütlich im Garten hinsetzen können. [] Der Eine: Sicher nicht. Ich weiß es noch von meinem Vater her, wie der ausgebeutet wurde. [] Der Andere: Ausgebeutet - das ist das richtige Wort. Und weil sich die Arbeiter das nicht widerstandslos gefallen ließen, waren sie "vaterlandslose Gesellen". Aber sie machten sich nichts draus. Schritt für Schritt und unter großen Opfern erkämpften sie sich Verbesserungen. Zunächst errangen sie sich des Recht des gewerkschaftlichen Zusammenschlusses, das Koalitionsrecht. Sie gründeten ihre Gewerkschaften. Von da an wirkten beide zusammen, die Partei in den Parlamenten, die Gewerkschaften in den Betrieben. Je mehr Arbeiter sich anschlossen, desto größer wurden die Erfolge, desto öfter wurden Streiks geführt und gewonnen, und desto mehr konnte die Sozialdemokratie in den Parlamenten die Gesetzgebung zugunsten der Arbeiter beeinflussen. [] Der Eine: Ja, damals sah man eben noch ein Vorwärtskommen, wenn's auch langsam ging. [] Der Andre: Dann kam der erste Weltkrieg und wurde verloren. Zunächst schien es, als ob die Arbeiterschaft jetzt zum Zuge käme. Aber sie zerfleischte sich im Bruderkampfe. Inzwischen hatte die Reaktion Zeit, sich wieder zu sammeln. Trotzdem wurden in den Jahren nach 1918 große Fortschritte erzielt. Lange war um den Achtstundentag gekämpft worden - jetzt wurde er gesetzlich festgelegt. Die Sozialversicherung wurde ausgebaut und das Betriebsrätegesetz geschaffen. Von da an war es den Arbeitern möglich, zusammen mit den Gewerkschaften bei der Festsetzung der Lohn- und Arbeitsbedingungen ein gewichtiges Wort mitzureden. [] Der Eine: Richtig - es wurden Tarife abgeschlossen, und ich weiß noch wie heute, wie sich mein Vater freute, als er zum ersten Male in seinem langen Arbeiterleben Urlaub bekam. Er hat ihn immerhin noch einige Male genießen können und war immer stolz darauf. Aber so schön das ist, es sind doch alles nur Teilerfolge. An der Sache selber habt ihr nichts ändern können, obgleich ihr die Macht dazu hattet. [] Der Andre: Wann denn? Die SPD hat im Reichstag niemals die Mehrheit gehabt, auch nicht in den Jahren nach 18. Ja, meistens wären wir nicht einmal an der Regierung beteiligt. Das war nicht unsere Schuld, sondern die Schuld der Wähler, die uns ihre Stimme nicht gaben. Sie wählten lieber bürgerlich oder gingen überhaupt nicht zur Wahl, weil sie genau wie du sagten: "Ich kümm're mich nicht um Politik." Aber das ist verkehrt. Niemand kann außerhalb der Politik stehen. Es sind ja stets politische Vorgänge, die das Wohl und Wehe jedes einzelnen bestimmen. [] Der Eine: Das mag meinetwegen alles stimmen, aber was nützt uns das heute, wo wir doch nichts zu melden haben. [] Der Andre: Stimmt wieder nicht ganz. Nichts zu melden hatten wir in der Nazizeit. Und daß es dazu kommen konnte, war auch mit die Schuld der vielen, die sich nicht um Politik nicht kümmerten. Als dann vor 33 die große Arbeitslosigkeit kam, ließen sie sich von den Nazi-Schlagworten einwickeln und gingen auf den Leim. Dabei war es für jeden nur einigermaßen politisch Geschulten gar nicht schwer, die Verlogenheit der Nazipropaganda zu durchschauen. [] Der Eine: Da hast du recht, wenn sie die Sache besser durchschaut hätten, wären viele auf den Schwindel nicht reingefallen. [] Der Andre: Na also. Aber du sagst, wir hätten auch heute noch nichts zu melden. Nun, wir sind ja dabei, unsern demokratischen Staat aufzubauen. Wir haben den Landtag, unsere Gemeinde- und Kreisvertretung gewählt, und die stellen die Minister, den Landrat, den Bürgermeister. [] Der Eine: Die alle nichts zu sagen haben. [] Der Andre: Das ist ja nicht wahr! Wichtige Gebiete der Verwaltung gehören zum unbestrittenen Aufgabenbereich der Gemeinden, etwa die Wohnraumbeschaffung, der Straßenbau, das Schulwesen, die Krankenpflege, die Fürsorge und viele andere. Und der Landtag hat mit Dutzenden neuer Gesetze und Verordnungen erst wieder die Grundlage geschaffen, auf der unser Dasein in einigermaßen geordneten Bahnen abläuft, so daß nicht jeder tun kann, was er will. [] Der Eine: Davon habe ich natürlich auch in der Zeitung gelesen, aber gerade auf den wichtigsten Gebieten hat eben doch die Besatzungsmacht zu entscheiden. [] Der Andre: Das können wir nicht ändern. Aber es werden doch nach und nach immer mehr Aufgaben in deutsche Hände gelegt - denke nur an den Wirtschaftsrat, in Frankfurt. Wenn auch dabei noch manches nicht so ist, wie wir wünschen, so ist doch trotzdem klar, daß wir mitarbeiten müssen, wo wir nur können. [] Der Eine: Dagegen sage ich auch nichts. [] Der Andre: Dann kannst du aber auch nicht sagen: "Ich kümm're mich nicht drum." Wer soll denn die Leute bestimmen, die in allen diesen Körperschaften arbeiten? Sollen sie von der Besatzungsbehörde einfach ernannt werden, wie das am Anfang war? Das hat uns wohl allen nicht behagt. Also müssen wir sie wählen, wie das in demokratischen Staaten üblich ist. Dazu gehören dann aber auch Parteien, die die Kandidaten für die Wahl aufstellen. [] Der Eine: Das war ja auch vor 33 schon so. [] Der Andre: Vor der Wahl versprechen nun die Kandidaten aller Parteien, jederzeit für das Wohl des ganzen Volkes einzutreten. [] Der Eine: Sind aber alles nur Flausen. [] Der Andre: Na - wollen mal sehen. Da sind die bürgerlichen Parteien. Die sind die Vertreter jener Kreise, die die alten Besitzverhältnisse erhalten oder wiederherstellen wollen. Reiche, Leute, Fabrikherren, Großlandwirte, - aber auch Geschäftsleute aller Art gehören dazu, die in erster Linie ihre Sonderinteressen gefördert sehen möchten. Du kennst ja die Herrschaften auch. [] Der Eine: Und ob - die wollen doch alle nur im trüben, fischen. [] Der Andre: Dann gibt es noch eine Anzahl Splitterparteien ohne größere Bedeutung - dazu rechne ich auch die Kommunisten. Die starren unentwegt nach Osten. Alles, was dort geschieht, ist herrlich, und was ihnen von dort befohlen wird, tun sie widerspruchslos. Aber wir hören von dort drüben ja auch mancherlei und haben darüber unsere eigene Meinung. [] Der Eine: Schließlich wollen wir unser Leben so einrichten, wie's uns behagt und nicht, wie es Außenstehende haben wollen. [] Der Andre: Das meine ich auch. - Abseits von allen diesen Parteien steht die SPD. Sie verspricht nicht, für die Allgemeinheit einzutreten - sie tut es, denn sie kann gar nicht anders! Ihr ganzes Streben ist ja, darauf gerichtet, an die Stelle unserer höchst mangelhaften Wirtschaftsordnung eine neue, bessere zu setzen, damit es nicht nur einigen wenigen Auserwählten, sondern allen Menschen möglichst gutgehen kann. [] Der Eine: Leider ist es aber bisher beim Wollen geblieben. [] Der Andre: Ja. Wir konnten zwar mancherlei Verbesserungen erkämpfen, aber das Uebel an der Wurzel ausrotten, das konnten wir noch nicht. [] Der Eine: Dazu seid ihr zu schwach. [] Der Andre: Richtig - und warum sind wir zu schwach? Weil uns so viele von denen nicht unterstützen, denen wir helfen wollen und helfen könnten. Das ist das Tragische bei unserm Kampf. Der Unverstand der Massen, den müssen wir zuerst besiegen. Das wissen wir, und deshalb kämpfen Sozialdemokraten seit vielen Jahrzehnten zäh und verbissen. Mögen auch Rückschläge, ja schwere Niederlagen kommen - wir lassen den Mut nicht sinken und heben unsere Fahnen immer wieder in den Wind. Wir kommen doch voran, und wenn's auch langsam - Schritt vor Schritt - geht. [] Der Eine: Du hast recht, Hans. Wenn wir wieder mal wählen, kriegt ihr auch meine Stimme, das verspreche ich dir! [] Der Andere: Das ist schön, Karl - aber es genügt nicht. Du mußt dann auch ganz mitmachen. Wir kämpfen ja nicht nur zu Wahlzeiten, wir sind immer aktiv. In unsern Versammlungen hören wir Vorträge über politische Begebenheiten und diskutieren darüber. So können wir uns über die Geschehnisse ein eigenes Urteil bilden und lassen uns von den andern Parteien kein X für ein U vormachen. Unsere Parteiorganisationen sind für uns aber auch die Grundlage für unsere Mitarbeit im demokratischen Staat. Nicht nur in den Parlamenten, auch bei jeder andern Gelegenheit sind Sozialdemokraten die Sachwalter der schaffenden Menschen. Und das kannst du mir glauben: Wir suchen sehr sorgsam aus, bevor wir jemand für eine Wahl vorschlagen. [] Der Eine: Aber wie ist das, wenn eure Leute erst gewählt sind - können sie sich dann einstellen, wie sie wollen? [] Der Andre: Da kennst du uns schlecht! Wir verfolgen sehr aufmerksam, was unsere Vertreter tun. Unsere Parlamentsfraktionen geben uns regelmäßig Bericht über ihre Tätigkeit, und es fehlt wahrhaftig nicht an Kritik, wo sie uns nötig erscheint. [] Der Eine: Also kann es auch nicht vorkommen, daß einer eurer Leute vergißt, was er war? [] Der Andre: Vorkommen kann das schon, aber wir lassen's uns nicht lange gefallen. - Unsere Parteiorganisationen haben aber noch eine andere wichtige Aufgabe: sie sind der Mittelpunkt für alle Aufklärungsarbeit, die wir leisten. Wir haben uns ja darüber unterhalten, wie im Laufe der Jahre immer mehr von denen zu uns kamen, die auf der Schattenseite des Lebens wohnen. Und je mehr wir wurden, desto größer wurde unser Einfluß auf die Gestaltung der Lebensbedingungen, desto besser konnten wir Profitgier, und Unternehmerwillkür eindämmen. [] Der Eine: Da werdet ihr auch jetzt allerhand zu tun haben, wo wir schließlich doch wieder mal aufbauen können. [] Der Andre: Du hast recht, und gerade deshalb müssen wir sehen, unsere Reihen zu stärken. Wir müssen verhindern, daß die Lasten des verlorenen Krieges vorwiegend den Armen aufgebürdet werden. Es darf nicht vorkommen, daß die großkapitalistischen Kreise, die an unserm Elend so sehr mit schuld sind, die Wirtschaft wieder in die Hände bekommen. Die sollen uns den Wiederaufbau nicht dadurch erschweren, daß sie sich dabei riesige Profite in die Taschen stecken. Das wollen und müssen wir verhindern - doch dazu müssen wir stark sein. Es soll in einem neuen Deutschland nicht mehr ganz Arme und unermeßlich Reiche geben - wir erstreben einen bescheidenen Wohlstand für alle unsere Mitbürger. [] Der Eine: Das ist richtig - damit bin ich einverstanden, und dabei werde ich auch mithelfen. Ich trete in die SPD ein. [] Der Andre: Das freut mich sehr - du bist uns als Genosse willkommen, denn in unserm Kampf um eine bessere Zukunft unseres Volkes brauchen wir jeden Mann und jede Frau! [] Max Winkler [] Herausgeber: Vorstand der SPD [] Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H. Hannover
Published:1946 - 1949