Das Explosionsunglück im städtischen Wasserwerk

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; siehe auch 6/FLBL005308 Das Explosionsunglück im städtischen Wasserwerk [] am Freitag, den 28. August 1914. [] Im städtischen Wasserwerk zu Insterburg fand am Freitag, den 28. August, eine furchtbare Explosion statt, bei der die I...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: N.N.
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 28.08.1914
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/4A8F5580-2EF6-4F72-BE99-9883AB4156BA
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic!; siehe auch 6/FLBL005308 Das Explosionsunglück im städtischen Wasserwerk [] am Freitag, den 28. August 1914. [] Im städtischen Wasserwerk zu Insterburg fand am Freitag, den 28. August, eine furchtbare Explosion statt, bei der die Insterburger Bürger Koßmann, Kuhn (Vater und Sohn), Kugler, Pluskat, Tobehn und Wallat einen schrecklichen Tod erlitten. Nach den Aufzeichnungen des damaligen Gouverneurs Dr. Max Bierfreund, die in der vierten Sonderausgabe der "Ostdeutschen Volkszeitung" vom Sonntag, den 20. September und in der Nr. 197 vom Dienstag, den 22. September, veröffentlicht worden sind, geben wir hier eine Schilderung des Unglücks und seiner Folgen: [] In nachstehendem will ich trotz der ungeheuerlichen dienstlichen Inanspruchnahme durch mein Amt als stellvertretender Bürgermeister und zugleich als der befohlene russische Verwalter, der seit dem 24. August 1914, vormittags 11 Uhr, von den Russen besetzten Stadt Insterburg versuchen, aus der Fülle meiner Erlebnisse alles das wenigstens schriftlich zu fixieren, was in unmittelbarem Zusammenhange steht mit der Explosion und dem Brand auf dem Wasserwerk. [] Freitag, den 28. August, 10 Uhr vorm. (ich muß nur diese Zeit nehmen) weil mich sonst sowohl mein Gedächtnis im Stich läßt, als auch die in flüchtiger Weise von mir während des im ganzen von 8 bis 10 Uhr vorm. währenden Aufenthalts im Wasserwerk in flüchtigster Weise mit Bleistift auf lose Zettel geschriebenen Notizen, später auch mir unleserlich sind, ich auch nicht weiß, ob nicht schon während der Anfertigung meiner Notizen oder späterhin einzelne Blätter verstreut worden sind. Meine Hauptsorge war wenigstens, diese Notizen, sobald als möglich an meine Frau gelangen zu lassen, die sich auch in meine flüchtigste Handschrift hineingelesen hat und erfahren soll, wie mich Se. Exzellenz von Rennenkampf bei meiner Vorführung vom Wasserwerk nach seiner Wohnung (Dessauer Hof) - Fahrt im sausenden Auto ohne Hut - anbrüllte: [] "Die verfluchten Deutschen [] haben uns überall ihre Anlagen absichtlich zerstört, damit wir sie nicht benutzen können, sie haben auch hier absichtlich die Maschinen zum Stillstehen gebracht und Dynamit angelegt", das die Maschinen zur Explosion brachte, während tatsächlich sich unsere Leute aus Angst vor dem ihnen angedrohten Tode die Maschine wieder in Gang zu bringen suchten, wobei sie bei ihrer mangelnden Sachkenntnis irgend einen technischen Fehler begangen haben müssen, der die [] Explosion des Dieselmotors [] zur Folge hatte. [] Ich habe einstweilen, resp. von Hause aus, die Ueberzeugung gehabt, daß der überwiegende Teil der Schuld an diesem Unglück (wenn ich von der Hauptschuld, die feige Flucht der zuständigen Beamten absehe, die mir gegenüber in schamlosester Weise offen erklärten: "Sie müßten sich doch ihren Familien erhalten") darauf zurückzuführen ist, daß trotz all meiner Bitten und Vorstellungen über die zu erwartenden Folgen es mir tagelang während der fortgesetzten Versuche der zu Rate gezogenen sogenannten Sachverständigen, den Dieselmotor des Elektrizitätswerks in Gang zu bringen, [] nicht gelang, eine Flasche Sauerstoff aufzutreiben, [] während auf die Requisition des Rittmeisters Sergyeff in verblüffend kurzer Zeit eine so große Zahl von Sauerstoff- und Kohlensäureflaschen herbeigeschafft wurden, daß [] jetzt des Guten zu viel [] war, sodaß in dem Moment, als sich der Motor in Bewegung setzte, die Explosion desselben infolge zu starken Drucks erfolgen mußte. Hätten die Besitzer der Sauerstofflaschen sich rechtzeitig von ihrem Eigentum trennen können, so ist wohl anzunehmen, daß sich in aller Ruhe die Spannungsverhältnisse so hätten regulieren lassen, daß man den Motor in Gang setzen konnte, ohne ihn durch Ueberdruck zur Explosion zu bringen, womit alles Spätere und das entsetzliche Unglück vermieden worden wäre. Möge den Besitzern der mir [] vorenthaltenen Sauerstofflaschen [] dafür für ewig das Gewissen schlagen! [] Am 31. August mittags, als ich nach Inbetriebsetzung der Gasmotore des Werkes durch die russischen Ingenieure mit diesen in einer längeren und ausführlichen Unterredung über die Art und Weise wie sich der weitere Betrieb des Werkes ermöglichen lasse, verhandelte, erwähnte der sehr geläufig Deutsch sprechende Ingenieur beiläufig, daß Sauerstoff dabei überhaupt garnicht hätte angewandt werden dürfen (!!), es sich danach lediglich um einen, bei der [] mangelnden Sachkenntnis unserer Leute [] durchaus erklärlichen technischen Fehler gehandelt hätte. Als ich trotz der Ungeheuerlichkeit der Beschuldigung Rennenkampfs (siehe oben) auch nur den Mund öffnete, um ein Wort der Aufklärung zu sprechen, brüllte er mich an: "Schweigen Sie, sonst werden Sie sofort erschossen, [] Sie haben sofort 18 Bürgen (bisher 3) zu stellen [] und weiterhin jede Stunde weitere 18, die erschossen werden, alle Einwohner werden erschossen und die Stadt in Brand gesteckt. Während ich den Auftrag, 18 Bürgen zu stellen, niederschrieb, um ihn sofort zur Ausführung an einen meiner treuen Mitberater (Forche in diesem Falle) senden zu können, traf [] der schwer verwundete Rittmeister Sergyeff [] (ich hatte beim Herausschaffen des S. aus dem brennenden Werk durch zwei Mann der russischen Wache den Eindruck, daß er im Sterben sei) auf einem Leiterwagen vor dem Hotel Dessauer Hof ein. Ich empfahl einem der umherstehenden Offiziere, den schwer Verwundeten nach dem Kreiskrankenhause zu schaffen, um ihn dem dortigen Arzt, Kollegen Arlart, zur Behandlung zu übergeben. Da S. jedoch den Wunsch geäußert hatte, ins Hotel gebracht zu werden, wurde mir befohlen, Dr. Arlart mit Auto herbeizuholen. Da dieser die Verbringung ins Krankenhaus ebenfalls für unbedingt notwendig hielt, wurde der Transport vorgenommen und mir durch Rennenkampf befohlen, Dr. Arlart bei der chirurgischen Behandlung zu assistieren mit der Drohung: [] "Wenn der Kranke stirbt, werden Sie erschossen!" [] (Erst viele Stunden später, bei erneuter Vorführung vor Rennenkampf, milderte dieser seine Drohung dahin, wenn der Kranke stirbt, werden Sie erschossen, wenn er am Leben bleibt, soll alles gut sein.) [] Da ich bis zum Eintreffen im Krankenhause (und auch noch viele Stunden nachher bis zu dem Moment, da ich Kollegen Keßler aus der Haft befreite (ca. 3 Uhr nachm.) und dabei durch Keßler zum größten Erstaunen erfuhr, daß Koßmann noch lebend aus dem Werk herausgeschafft sei, der Ueberzeugung war, daß ich [] der einzige überlebende Zeuge [] auf unserer Seite sei, war meine größte Sorge, es zu ermöglichen, daß ich überzeugende Beweise über die Vorgänge im Wasserwerk an meine Stammesgenossen zur Aufklärung der tatsächlichen Vorkommnisse hinterlassen könne, für den Fall, daß R. seine Drohung ausführen sollte. Sofort beim Betreten des Krankenhauses rief ich alle anwesenden Schwestern und sonstige Anwesenden zu Zeugen dafür auf, daß ich in überzeugender Weise als einziger überlebender Augenzeuge den Beweis erbringen werde, daß die Behauptung Rennenkampfs, die Deutschen hätten absichtlich Dynamit unter die Maschinen gelegt, eine ganz [] ungeheuerliche und infame Beschuldigung [] sei, und bat eine Krankenschwester, sofort die ihr übergebenen Notizen meiner Frau mit der Bitte zuüberbringen, die Notizen sofort zu entziffern und niederzuschreiben, da sie der einzige Beweis für die Hergänge seien für den Fall, daß ich daran behindert sein sollte, späterhin selbst Zeugnis ablegen zu können. [] Nachdem ich bei der Wundversorgung eine Zeitlang geholfen und mich mit Kollegen Arlart - es assistierte auch noch der russische Kollege Dr. Losser - dahin verständigt hatte, daß er meine weitere Assistenz entbehren könne, schickte ich eine Schwester zu meiner Frau voraus. Meine Frau teilte mir mit, daß sie die flüchtigen Notizen nicht entziffern könne, worauf ich nach dem Dienstzimmer eilte. Bald darauf wurde ich wieder und späterhin mehrmals in sausendem Auto zu v. Rennenkampf geholt; ich erklärte, daß der Zustand des Rittmeisters sehr bedenklich sei, und meine Unterredungen mit R. endeten jedesmal mit der Drohuug, mich und alle totschießen, Insterburg einäschern und [] ganz Deutschland in einen Trümmerhaufen verwandeln zu lassen, [] wenn der Rittmeister sterben sollte. Als ich zwischen zwei und drei Uhr nachmittags gerade den versammelten Bürgen und anderen Mitbürgern meine Erlebnisse schildere, erhielt ich wiederum die Aufforderung, sofort zu v. Rennenkampf zu kommen. Der mir den Befehl überbringende russische Kollege, welcher bei der ärztlichen Versorgung des Rittmeisters sich beteiligt hatte, teilte mir vertraulich mit, daß alles gut sei und Exzellenz mir dieses sagen wolle. Er fragte mich diesmal auch, weshalb ich keinen Hut aufhabe; ich sagte ihm, der wäre im Wasserwerk bei der Explosion geblieben, und erklärte ihm auf seine Aufforderung, einen Hut aufzusetzen, daß ich nicht eher einen Hut wieder aufsetzen werde, bis die Vorgänge im Wasserwerk vollständig aufgeklärt und [] die völlige Unschuld der Deutschen erwiesen [] sei. Auf der Fahrt zum Dessauer Hof fragte mich der neben mir sitzende Offizier: "Sagen Sie mir, bitte, mein Herr, haben Sie wirklich keine unterirdischen Drähte gehabt, mit welchen sie Dynamit zur Explosion brachten, als an den Maschinen gearbeitet wurde? [!] Diese Frage konnte ich natürlich mit gutem Gewissen verneinen. Diesmal wurde ich der Ehre gewürdigt, direkt in die Privatgemächer Sr. Exzellenz geführt zu werden, welcher mir in erheblich milderem Tone erklärte, wenn der Rittmeister am Leben bleibt, soll alles gut sein, stirbt er, so wird alles erschossen. Bald nach meiner Rückkehr nach dem Rathause wurde ich herunter gerufen, weil in einem Auto sitzende Offiziere mich sprechen wollten. Ich fand zu meiner größten Ueberraschung unter militärischer Überwachung Herrn Kollegen Keßler im Auto sitzend, der mir erzählte, er sei beim Erteilen von Befehlen an die mit dem Löschen des brennenden Wasserwerks beschäftigte Feuerwehr von russischen Ossizieren in recht unsanfter Weise ergriffen, es sei ihm die Armbinde genommen und er verhaftet worden, um erschossen zu werden. Da alle Bemühungen des Kollegen Keßler, seine völlige Unschuld zu beweisen, scheiterten, habe er schließlich gebeten, zum Gouverneur gebracht zu werden, welcher seine Angaben bestätigen werde. Ich erklärte natürlich, daß Kollege Keßler von mir den Befehl erhalten habe und dazu ein für alle Male bestellt sei, die Feuerwehr zu kommandieren. Den Einwand der russischen Offiziere, daß er dann, ebenso wie alle Feuerwehrleute, eine Uniform anhaben müsse, entkräftigte ich damit, daß ich erklärte, daß gerade die obersten Befehlshaber, wie z. B. ich als Gouverneur, das Recht hatten, auch im Dienst Zivil zu tragen. Ich mußte schließlich noch eine entsprechende schriftliche Erklärung, mit Dienstsiegel versehen, aufsetzen, worauf Herr Kollege Keßler seine Binde zurückerhielt und entlassen wurde, während ich Befehl erhielt, Herrn Keßler weiter in Haft zu behalten, was ich natürlich nicht getan habe.
Published:28.08.1914