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Erklärung Hermann Materns über die Aussprache mit britischen Labourabgeordneten [] [] Aus Anlaß der Anwesenheit einer britischen Parlamentsgruppe, die aus 13 Abgeordneten der Labourpartei bestand und die sich die Aufgabe stellte, das Leben und den Aufbau in der DDR kennenzulernen, fand eine mehrstündige sachliche und freundschaftliche Aussprache statt. An dieser Aussprache beteiligten sich neben den britischen Abgeordneten der Stellvertreter des Ministerpräsidenten der DDR und das Mitglied des Politbüros Heinrich Rau und der Unterzeichner dieser Erklärung, das Mitglied des Politbüros und stellvertretender Präsident der Volkskammer, Hermann Matern. Die Gespräche dienten sowohl der gegenseitigen Information wie dem freimütigen Gedankenaustausch über aktuelle politische und wirtschaftliche Fragen, wie die Erhaltung des Friedens und die demokratische Wiedervereinigung Deutschlands. [] Im Verlaufe dieser Aussprache stellten die britischen Parlamentskollegen die Frage nach den "politischen Gefangenen, insbesondere den inhaftierten Sozialdemokraten in der DDR". Dabei erklärten die Labourabgeordneten, daß der Parteivorstand der SPD der Labourparty wie der gesamten Oeffentlichkeit in England Materialien unterbreitet hat, in denen behauptet wird, daß in der DDR "Zehntausende politische Gefangene, darunter Tausende Sozialdemokraten in den Gefängnissen säßen". [] Hierzu erklärte ich den britischen Abgeordneten, daß die Behauptung des Parteivorstandes der SPD im schroffsten Widerspruch mit der Wahrheit steht. Um den wirklichen Sachverhalt klarzustellen, machte ich den Labourabgeordneten davon Mitteilung, daß wir uns bereits einige Male an den Parteivorstand der SPD gewandt haben mit der Bitte, uns eine Namenliste dieser angeblich "politischen Gefangenen, insbesondere der Sozialdemokraten" zu übersenden. Wir sind jedoch niemals in den Besitz einer solchen Namenliste gekommen, offenbar darum nicht, weil der Parteivorstand der SPD eine solche Liste überhaupt nicht besitzt und an der Darlegung der Wahrheit nicht interessiert ist. [] Die Labourabgeordneten, die sich bemühten, eine volle Klarstellung in dieser Frage zu erlangen, begaben sich nach unserer Aussprache nach Westberlin, um mit den dortigen führenden Sozialdemokraten die Angelegenheit zu besprechen. Am nächsten Morgen erschien der Leiter der britischen Labourdelegation, Genosse Parkin - es war am Sonntag -, in meiner Wohnung und teilte mir mit, daß die von mir gegebene Darstellung den Tatsachen entspräche. Parkin erklärte mir, daß ihm die westberliner sozialdemokratischen Funktionäre, darunter der Präsident des westberliner Abgeordnetenhauses, Willy Brandt, eingestehen mußten, daß die SPD niemals eine Liste der "politischen Gefangenen" irgendeiner Stelle in der DDR übergeben hätte. Genosse Parkin berichtete mir weiter, daß es ihm gelang, wenn auch nach längeren Ausflüchten, von westberliner führenden Sozialdemokraten eine solche Liste zu erhalten. [] Diese Liste, die datiert ist vom 13. August 1956, enthält die Namen von insgesamt 206 "politischen Gefangenen", darunter rot angestrichen die Namen von 32 angeblichen Sozialdemokraten. Von den 206 sind 3 Namen durchgestrichen. Der Labourabgeordnete Genosse Parkin betonte mir gegenüber, daß er sein Erstaunen über diese Liste unmittelbar zum Ausdruck brachte, da offensichtlich ein großer Widerspruch besteht zwischen den von der SPD in der Oeffentlichkeit - auch in England - verbreiteten Zahlen und der Wirklichkeit. Der britische Labourabgeordnete Parkin fragte die westberliner Vertreter der SPD, ob es vielleicht nicht noch weitere Namen oder noch eine andere Namenliste gäbe und erhielt die Antwort: "Nein, das ist alles." [] Ich versprach der britischen Delegation daraufhin, die mir übergebene Liste mit den angeblich noch bei uns inhaftierten 32 Sozialdemokraten einer Prüfung unterziehen zu lassen. Bereits die erste Ueberprüfung ergab, daß von den angeblich 32 inhaftierten Sozialdemokraten in der DDR sich zehn in Freiheit befinden und ihrer gesellschaftlichen und erwerbsmäßigen Tätigkeit nachgehen. Die anderen Namen werden noch geprüft und die Ergebnisse der SPD übermittelt. [] Der Leiter der britischen Labourabgeordnetengruppe drückte seine Dankbarkeit dafür aus, auf solche Weise die Wahrheit erfahren zu haben, was vom Standpunkt der weiteren Beziehungen zwischen den Arbeiterparteien von großem Nutzen sei. [] So sehr ich bedauere, daß erst auf dem Umwege einer britischen Parlamentsdelegation die Liste der SPD in unsere Hände gekommen ist - deren Einzelheiten wir überprüfen werden -, so spreche ich doch die Erwartung aus, daß sich nunmehr die SPD der Sprache der Tatsachen und der Wahrheit bedienen möge im Interesse der so notwendigen Herstellung normaler Beziehungen zwischen den Arbeitern und den Arbeiterparteien. [] Berlin, den 3. Oktober 1956 [] Hermann Matern [] [] Eine notwendige Richtigstellung [] In seiner Ausgabe vom 28. September 1956 brachte das Zentralorgan der SPD "Vorwärts" einen Beitrag von Prof. Dr. Fritz Baade. [] Darin wendet sich Genosse Prof. Dr. Baade gegen ein im Verlag der Nation erschienenes Buch von Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz, in dem dieser die falsche Behauptung aufstellt, die SPD-Fraktion hätte am 23. März 1933 für das Ermächtigungsgesetz Hitlers gestimmt. [] Wir bringen nachfolgend eine Stellungnahme des Genossen Otto Buchwitz, Mitglied des ZK der SED aus dem Zentralorgan der SED "Neues Deutschland" vom 6. Oktober 1956. [] Im Verlag der Nation erschien ein Buch "Unterwegs nach Deutschland". Der Verfasser ist ein Wolfgang Gans Edler Herr zu Putlitz. Seit einer Woche war ich im Begriff, zu einem Abschnitt dieses Buches einen Artikel zu schreiben. Denn dieser Abschnitt ist geschichtlich unwahr und für ehemalige sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete diffamierend, die bei der Abstimmung über das Hitlersche Ermächtigungsgesetz in der Krolloper anwesend waren. Ich bin auf Grund vieler Arbeit, in der ich zur Zeit stecke, zur Abfassung des Artikels nicht gekommen, nun aber ist dies für mich eine dringliche Notwendigkeit geworden. [] Im Zentralorgan der SPD "Vorwärts" vom 28. September nimmt zu diesem Buch und dem erwähnten Kapitel der Bundestagsabgeordnete Prof. Dr. Fritz Baade, Kiel, Stellung. Auch er empört sich über die Schilderung des Herrn zu Putlitz in jener Reichstagssitzung, die er von der Diplomatenloge aus beobachtet haben will. [] Zuerst möchte ich Professor Dr. Fritz Baade entgegnen, der Verlag der Nation ist kein SED-Verlag, meine Partei hat mit diesem Verlag nicht das geringste zu tun. [] Zweitens kann aus diesem Vorfall sowohl Prof. Baade als auch der Parteivorstand der SPD ersehen, daß es nicht so ist, wie sie es immer darstellen, als könnten in der DDR nur Druckerzeugnisse erscheinen, die von der SED begutachtet sind. Gäbe es eine Zensur, dann wäre diese unrichtige Darstellung niemals erschienen. [] Nun zur Sache selbst, zu jenem Kapitel über die Reichstagssitzung vom 23. März 1933 in der Krolloper. Ich selbst habe an dieser Sitzung teilgenommen und möchte schildern, wie der Vorgang war. [] Wie immer fand vor der Plenarsitzung eine Sitzung der Fraktion der SPD statt. In der betreffenden Sitzung wurde ein leidenschaftlicher Kampf darum geführt, ob die Fraktion der SPD überhaupt an dieser Sitzung teilnehmen solle. Ich selbst sprach in der Fraktion dreimal. Ich plädierte für die Nichtbeteiligung der sozialdemokratischen Abgeordneten, indem ich darauf hinwies, daß die Kommunistische Partei bereits verboten sei, und die SPD würde ein gleiches Verbot treffen. Ich erklärte, die Tagung, in der Krolloper sei kein Parlament mehr, sondern ein Marionettentheater. Mehrere Stunden wurde in der sozialdemokratischen Fraktion gerungen. Fast schien es so, als ob die Mehrheit der Fraktion für Nichtbeteiligung an der Sitzung sei; doch nach Stunden heftiger Diskussion fand sich eine schwache Mehrheit für die Beteiligung. Die Mehrheit fügte sich dem Beschluß und nahm an der Sitzung teil. [] Die Darstellung des Herrn zu Putlitz ist unwahr und muß jedes der ehemaligen Mitglieder der SPD-Fraktion, die an dieser Tagung teilgenommen haben, beleidigen, allzumal 24 SPD-Abgeordnete in der Folgezeit durch die gleichen Henker ihr Leben verloren wie die KPD-Genossen, andere viele Jahre in Konzentrationslagern und Zuchthäusern für ihre Ueberzeugung litten. [] Da es sich bei dem Ermächtigungsgesetz um ein verfassungsänderndes Gesetz handelte, wurde nicht wie Herr zu Putlitz es schildert, durch Erheben von den Plätzen abgestimmt, sondern namentlich. [] Daß die SPD-Fraktion gewillt war, gegen das Ermächtigungsgesetz zu stimmen, wurde auch in einer Rede ihres damaligen Vorsitzenden Otto Wels erklärt, aus welcher ich nur wenige Sätze entnehme: [] "Noch niemals, seit es einen deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll." Wels fügte weiter hinzu: [] "Wir grüßen die Verfolgten und Bedrängten. Wir grüßen unsere Freunde im Reich. Ihre Standhaftigkeit und Treue verdienen Bewunderung. Ihr Bekennermut, ihre ungebrochene Zuversicht verbürgen eine hellere Zukunft." [] Die Ausschaltung des Volkes aus den öffentlichen Angelegenheiten war jedoch nur möglich, weil damals die SPD-Führung unter Otto Wels nicht bereit war, die mächtige Aktionseinheit der Arbeiterklasse gegen Reaktion und Faschismus herzustellen. [] Uebrigens nahmen an der betreffenden Sitzung unser Ministerpräsident Genosse Otto Grotewohl sowie Fritz Ebert und noch einige andere heute lebende Abgeordnete teil, die meine Darstellung bestätigen können. [] Von dieser Richtigstellung der "Beobachtungen" des Herrn zu Putlitz bleibt die bittere Tatsache unberührt, daß die SPD-Fraktion dem verlogenen außenpolitischen Programm Hitlers zustimmte. [] Von unserer Partei ist mit dem Verlag gesprochen worden. Dieses Kapitel muß und wird der Wahrheit entsprechend geändert werden. [] Dem Genossen Prof. Dr. Baade aber möge diese Richtigstellung sagen, daß wir immer der Wahrheit die Ehre geben. Ich hoffe, er wird zu seinem Teil dazu beitragen, daß dieses auch von seiner Partei uns gegenüber geschieht.
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