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Lesen und weitergeben! [] Die Strömungen im Sozialismus [] "Vorwärts" Mitte November 1918. [] Bernhard Bülow, der nicht in allen Dingen ein guter Prophet war, sagte einmal, keine Regierung könne den Krieg wollen, da alle wüssten, daß letzten Endes die Sozialdemokratie Siegerin bleiben würde. Diese Prophezeiung war richtig, und jetzt wenden sich alle Blicke auf die siegreiche deutsche Sozialdemokratie, das ganze Volk fühlt, daß die Entwicklung innerhalb der Arbeiterbewegung für seine Zukunft von ungeheurer Bedeutung ist. [] Die vor dem Krieg einige deutsche Sozialdemokratie ist durch den Krieg in drei Gruppen gespalten worden, deren stärkste unsere Partei ist, der die Partei der Unabhängigen in gemessenem Abstand folgt, während die dritte, die Spartakus-Gruppe, einen geringen Bruchteil der Unabhängigen darstellt. [] Vor dem Krieg gab es zwei Strömungen in der Partei: Die radikale und die reformistische. Die erste rechnete mit einem plötzlichen Umschwung aller Verhältnisse und sah alles, was zuvor geschah, als nur vorläufig an, die zweite betrachtete die Umwandlung der kapitalistischen Gesellschaft in die sozialistische als einen langwierigen, stufenweise sich vollziehenden Entwicklungsprozeß. Infolgedessen war die zweite Richtung der Mitarbeit innerhalb der bestehenden Gesellschaftsordnung geneigt, während die andere sie ablehnte und die Partei nur als ein Staubecken revolutionärer Energien betrachtete. [] Die Spaltung vollzog sich aber dann unter ganz anderen Gesichtspunkten. Es ging um Bewilligung oder Verweigerung der Kriegskredite, und da zeigte sich, daß eine ganze Reihe radikaler Marxisten zu den Bewilligern einschwenkte, während zahlreiche Reformisten mit den Verweigerern gemeinsame Sache machten. Für die ersteren war jene Auffassung der marxistischen Theorie ausschlaggebend, wonach dem für den Sozialismus wertvollen [?] Staat auch im Kriege die Palme des Sieges gebührt, und als solchen betrachteten sie Deutschland. Die letzteren glaubten, wegen der schweren Schuld der deutschen Politik am Kriege die Kredite ablehnen zu müssen. Das Auftreten mancher Parteigenossen, deren sozialistisch-internationales Denken durch die Kriegspsychose getrübt schien, bestärkte sie in ihrer Haltung. Die Masse der Sozialdemokraten stand dagegen auf dem Standpunkt, daß auch der sozialdemokratische Volksteil in jeder Beziehung mitwirken müsse, wo es galt, die Deutschland drohende Gefahr einer Niederlage abzuwenden. [] Das ist nun vorbei. Die Stellung zu den Kriegskrediten kann keine dauernde Spaltung der Sozialdemokratie bewirken, weil es nicht immer Kriegskredite zu bewilligen gibt. An Stelle dieses versunkenen Problems treten jetzt ganz andere an uns heran, und dementsprechend muß sich auch die Konstellation innerhalb des Sozialismus verändern. [] Wenn es nicht schon zu einer organisatorischen Einigung mit den Unabhängigen gekommen ist, so liegt das daran, daß die Wunden, die ein Bruderkrieg geschlagen hat, nicht so leicht vernarben. Alte Freunde standen während des Krieges so zueinander, daß sie ihr gegenseitiges Handeln nicht mehr verstanden. Die Unabhängigen waren zugleich in der Notlage, ihre Sondereristenz [!] dadurch rechtfertigen zu müssen, daß sie die alte Partei als einen wahren Abgrund der Verworfenheit darstellten. Kein Wunder, daß noch immer die alten Gefühle nachgrollen, und daß manche Anhänger der Unabhängigen eine "Charakterlosigkeit" ihrer Führer darin erblicken wollen, daß sie sich in der Stunde höchster Not mit den früheren Kampfgenossen zur Rettung des deutschen Volkes zusammenfanden. [] Neben diese mehr gefühlsmäßige Opposition gegen das Wiederzusammengehen tritt eine grundsätzliche. Ein kleiner Teil der Radikalen von einst hat den Boden des sozialdemokratischen Programms verlassen und führt einen scharfen Kampf gegen alle, die noch auf diesem Boden stehen, nämlich gegen die Sozialdemokraten und den größten Teil der Unabhängigen. [] Das Programm der Sozialdemokratie fordert die Erkämpfung der demokratischen Staatsverfassung mit allen zweckdienlichen Mitteln. So traten vor dem Kriege nicht nur Radikale, sondern auch Reformisten dafür ein, das gleiche Wahlrecht in Preußen durch einen Generalstreik und auf der Straße, also mit revolutionären Machtmitteln, zu erkämpfen. War aber dem Volk sein Selbstbestimmungsrecht errungen, so sollte dieses selbst durch seine Mehrheit entscheiden, wie es in wirtschaftliches und sonstiger Beziehung regiert zu werden, richtiger, sich selbst zu regieren wünsche. Die Sozialisierung der Gesellschaft hat nach dieser Ausfassung zur Voraussetzung, daß erstens einmal der Mehrheitswille des Volkes die Möglichkeit habe, sich durchzusetzen, und daß zweitens dieser Mehrheitswille der sozialistischen Reorganisationsarbeit eine unzerbrechliche Stütze gebe. [] In schroffstem Gegensatz zu dieser sozialdemokratischen Auffassung steht die putschistische Machttheorie der sog. Spartakusgruppe. Diese sagt, daß in Klassenkämpfen die siegreiche Klasse zu entscheiden habe, die siegreiche Klasse sei aber das Proletariat, somit habe dieses die Alleinherrschaft zu übernehmen und könne die Gesellschaft nach ihren Wünschen gestalten. Wir haben schon in anderem Zusammenhang gesagt, daß dies nichts anderes als eine Uebersetzung des Generals Hoffmann aus dem Nationalen ins Soziale ist: "Wir sind die Sieger! [!] [] Der Irrtum der Spartakusleute besteht darin, daß sie gar nicht die Sieger sind und daß sie sich mit der ganzem Arbeiterklasse verwechseln. Sie glauben jetzt, die Revolution "gemacht" zu haben, obwohl man Revolutionen nach marxistischer Auffassung überhaupt nicht machen kann. Nicht ihre Stärke, sondern seine eigene im Krieg zutage getretene Schwäche hat den Niederbruch des alten Systems verursacht. Und die Arbeiterklasse steht auch nicht aus dem Boden von Spartakus, sondern sie weiß, daß sie ihren letzten entscheidenden Sieg nicht auf der Straße, sondern nur bei den allgemeinen Volkswahlen erringen kann, für die es jetzt mit aller Kraft zu arbeiten gilt. [] Ob wir bei diesen Wahlen mit den bisherigen Unabhängigen in einer Kampfreihe stehen werden, oder ob es nach den verschiedenen Ersatzwahlen noch einmal zu einer allgemeinen Kraftprobe zwischen den beiden Richtungen kommen wird, wissen wir nicht. Wir wünschen das erste und setzen als selbstverständlich voraus, daß sich auch im zweiten Falle eine gemeinsame Kampffront gegen die Gegner des Sozialismus ergeben wird. Als Sozialisten sind wir daran interessiert, daß in erster Reihe von uns selbst, in zweiter Reihe aber auch von den Unabhängigen eine möglichst große Anzahl in die konstituierende Nationalversammlung und die ihr folgenden Volksvertretungen gelangt. [] Darum muß uns die unklare Haltung, die ein Teil der Unabhängigen gegenüber der Spartakusgruppe einnimmt, Sorge machen. Anhänger der Einigung nicht erst von gestern, haben wir schon wiederholt, noch vor der entscheidenden Wendung nach einer Klarstellung dieses Verhältnisses gedrängt. In einer Frage von so ungeheurer Bedeutung muß eine Partei einheitlich und fest Stellung nehmen, sonst laufen ihre Anhänger verwirrt auseinander. [] Nachdem sich sämtliche sozialistische Regierungen, die des Reichs und aller Bundesstaaten, für die konstituierende Nationalversammlung und damit für die Lösung der schwebenden Probleme im Sinne des sozialdemokratischen Programms ausgesprochen haben, dürfte oder sollte jede Unklarheit auch bei den Unabhängigen verschwunden sein. Für uns gibt es nur einen Weg: Durch Demokratie zum Sozialismus! [] Druck: Linden-Druckerei u. Verlags-Ges. m. b. H. Berlin NW. 6.
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