Ich sehe keine Krise!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Ich sehe keine Krise! [] Professor Erhard sieht durch eine rosarote Brille - und ein Mittelständler schreibt dazu einen Brief: [] Dr. oec. [] Technische Erzeugnisse [] Bank Nordwestbank [] Postscheck: Hannover [] Telegramme: [] Ruf: [] ,de...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Hannoversche Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.08.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/68CFF07E-1B93-4E47-A3A4-9833F2371935
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Ich sehe keine Krise! [] Professor Erhard sieht durch eine rosarote Brille - und ein Mittelständler schreibt dazu einen Brief: [] Dr. oec. [] Technische Erzeugnisse [] Bank Nordwestbank [] Postscheck: Hannover [] Telegramme: [] Ruf: [] ,den [] Straße [] An die [] Sozialdemokratische Partei Deutschlands [] Parteivorstand [] Hannover [] Sehr geehrte Herren! [] Als Angehöriger der Schicht, die mit Mittelstand bezeichnet wird, als Wirtschaftswissenschaftler und Wirtschaftler der Praxis wende ich mich an Sie: Ich weiß, daß Sie im scharfen Gegensatz zu Professor Erhard stehen und eine Wirtschaftspolitik vertreten, die das kommende Deutschland so gestalten soll, wie es das deutsche Volk nach den langen Jahren des Leidens, der Sorgen und der Entbehrung verdient. [] Professor Erhard erklärte nach seiner Rückkehr aus den USA: "Ich sehe keine Krise!" Liest der Mann keine Zeitung oder sieht er nur durch eine rosarote Brille? Geht es Ihm wie jener "rechten Hand" des Wirtschaftsministers eines deutschen Bundeslandes, der ganz erstaunt fragt, als ihm die Nöte des heutigen Wirtschaftslebens geschildert werden: "Ist es denn wirklich so schlimm?" Erhard müßte doch wissen - mir ist es bekannt -, daß er mit seinen Wirtschaftsideen völligen Schiffbruch erlitten hat. Er behauptet, das "Ohr an der Wirtschaft" zu haben; doch ist er einer der gefährlichen Theoretiker, die durch ihre sturen und unbeeinflußbaren Grundsätze Wirtschaftskatastrophen unvorstellbaren Ausmaßes herbeiführen können. [] Was Professor Erhard als "mittlere Linie" bezeichnet, ist in Wirklichkeit eine Politik, die zwangsläufig den großen und kapitalstarken Unternehmen alles Wasser in die Mühlen treibt, den gesamten Mittelstand aber, also alle kleinen und mittleren Betriebe des Handwerks, der Industrie und des Handels, zugrunde richtet. Eine gesunde Wirtschaftsstruktur kann nur erreicht werden, wenn sich diese aus lebensfähigen und krisenfesten Klein- und Mittelbetrieben neben den großen Unternehmen aufbaut. Erhard steuert auf das Gegenteil zu. [] Die deutsche Wirtschaft ist heute weder lebensfähig noch krisenfest. Sie gleicht einem Schwerkranken, der nach einer schwierigen Operation - der Währungsreform - nur auf Gesundung hoffen darf, wenn dieser Genesungsprozeß behutsam durchgeführt wird. Erhard hat aber den Kranken aus dem Operationssaal auf die Straße geworfen. Wie soll nun der geschwächte Kranke ohne ärztliche Hilfe und fachgemäße Betreuung einen Lebens- und Existenzkampf bestehen, dem er noch nicht wieder gewachsen sein kann? [] Geld und Kredit sind Blut und Stoffwechsel der Wirtschaft. Die Geldneuordnung entzog der Wirtschaft flüssige Mittel und Kapital, und die wenigen und kurzfristigen Kredite drehte Erhard wieder ab, weil er eine Gefährdung der Währung zu sehen glaubte. Er erkannte die Symptome nicht klar und war nicht Psychologe genug, um Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten. Er verursachte eine gefährliche Kreislaufstörung in der Wirtschaft, deren Ergebnisse wir heute mit erschreckender Deutlichkeit sehen. [] Die Erwerbslosigkeit wächst bedrohlich - nur Professor Erhard betrachtet sie nach wie vor als "normal" und erklärte dazu frevelhaft optimistisch, eine große Zahl Arbeitsloser könne von Handwerk und Gewerbe aufgenommen werden, weil die hereinfließenden ausländischen Kredite diesen Berufsgruppen zugute kämen. Das war ein böser Irrtum! Erhard war selbst in den USA - und seine Reise war ein Mißerfolg. Er brachte keine Kredite mit und sagte nur kleinlaut, wir müßten uns selbst helfen. Glaubte Herr Erhard wirklich, das USA-Kapital würde der deutschen Wirtschaft mehr Vertrauen schenken als die deutsche Bankwelt selbst? Deutsche Banken durften auf Erhards Geheiß keine Kredite geben. Sie würden es auch nicht mehr wollen, selbst wenn sie dürften; denn sie sind gewarnt durch die vielen Wechselproteste und Konkurse, deren Ursache einzig und allein in der Erhardschen Politik liegen. Professor Erhard und seine Freunde stellen die Tatsache und die Zahl der Erwerbslosen statistisch fest - das genügt ihnen. Was Arbeitslosigkeit aber wirklich bedeutet, das scheinen sie nicht zu wissen. Am furchtbarsten wirkt sie sich auf den Erwerbslosen selbst und seine Familie aus. Sie wirkte sich aber auch verheerend auf die Wirtschaft aus, die ja die breite Masse als zahlungskräftigen Auftraggeber und Käufer braucht. Ist die Erhardsche Politik, die in dem Trümmerfeld Deutschland ungezählte Bauarbeiter zum Stempeln zwang, nicht ein Wahnsinn? Dabei sind die Lagerplätze mit Baumaterialien vollgestopft, und [] aus jedem Winkel grinst die furchtbarste Wohnraumnot. Die völlig verfahrene und sich noch immer weiter nach unten entwickelnde Wirtschaftssituation wird jetzt auch von Kreisen zugegeben, die vorher alle Warnungen in den Wind schlugen. Sie ist der beste, wenn auch harte Anschauungsunterricht für alle Kreise des Wirtschaftslebens, was die von Erhard propagierte Politik der sogenannten "freien Wirtschaft" bedeutet. Nämlich: rücksichtslose Unterdrückung und Vernichtung aller wirtschaftlich Schwächeren. [] Deutschland kann aber nur wieder hochgebracht werden durch eine sorgfältig durchdachte Planung und Lenkung der Wirtschaft und nicht durch die "Industriereserve" der Arbeitslosigkeit, die letzten Endes ein Bumerang ist. Die gelenkte Planwirtschaft wird der Maßlosigkeit aller monopolistischen Großverdiener ein energisches Halt bieten, dafür aber den breitesten Schichten - und damit auch dem Mittelstand - Lebensbedingungen schaffen, die nach den vielen schweren Jahren das Leben wieder lebenswert machen. [] Ich weiß nicht, ob meine Anschauungen Ihren Grundsätzen entsprechen; denn ich habe infolge der wirtschaftlichen Schwierigkeiten und des schweren Existenzkampfes als Flüchtling und Schwerkörperbehinderter bisher nicht die Zeit erübrigen können, mich mit den speziellen Fragen der Politik zu befassen, [] Mit vorzüglicher Hochachtung [] (gez.) Dr. oec. [] Das, was der Verfasser in seinem Brief sagt, sind die Sorgen und Probleme, die täglich, stündlich auf den gesamten Mittelstand einstürmen. [] Die Sozialdemokraten stimmen voll und ganz den Ausführungen des Briefschreibers zu. [] Ist eine Aenderung der Verhältnisse noch möglich? [] Ja - und sie ist in die Hand des deutschen Volkes gelegt! Die Bürger der deutschen Bundesrepublik wählen am 14. August 1949 in freier und geheimer Wahl ihr erstes Bundesparlament. In die Hände des Bundestages werden alle Entscheidungen für den Weg der kommenden Jahre gelegt. [] Ein Sieg der SPD wird eine neue Wirtschaftsordnung bedeuten, wird das wahr machen, was der Vertreter des Mittelstandes in seinem Brief treffend schreibt: [] Die gelenkte Planwirtschaft wird der Maßlosigkeit aller monopolistischen Großverdiener ein energisches Halt bieten, dafür aber den breitesten Schichten - und damit auch dem Mittelstand - Lebensbedingungen schaffen, die nach den vielen schweren Jahren das Leben wieder lebenswert machen! [] Planwirtschaft bedeutet nicht Wirtschaftsämter und Markensystem! Planwirtschaft ist vernunftgemäße und sinnvolle Wirtschaftsführung für das gesamte deutsche Volk. [] Und das gilt ganz besonders für den Mittelstand! [] Der Mittelständler entscheidet sich deshalb für Freiheit, Aufbau und Existenzsicherung durch planvoll gelenktes Wirtschaftssystem. [] Der Mittelstand wählt deshalb SPD [] Mit der SPD für Deutschland und Europa! [] Herausgeber: Vorstand der SPD [] Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover
Published:14.08.1949