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ÖTV-Presse Sonderausgabe 5.August 1954 Zentralorgan der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr Herausgegeben vom Hauptvorstand Stuttgart N, Rote Strasse 2A Die ÖTV im Lohnkampf In Hamburg wird gestreikt Wie unseren Mitgliedern bekannt, hat die Große Tarifkommission der ÖTV am 2. Juni 1954 die Forderung an die Bundesregierung, die Tarifgemeinschaft deutscher Länder und die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände gerichtet, die Stundenlöhne um 10 Pfennig und die Grundvergütungen der Angestellten um 10 Prozent zu erhöhen. Unsere Anträge auf Verhandlungen beantwortete die Bundesregierung überhaupt nicht, die VKA gab nach ihrer Mitgliederversammlung eine ablehnende Antwort, und die Tarifgemeinschaft deutscher, Länder erklärte, ihre Stellungnahme erst nach dem 16. Juli abgeben zu können. Durch das Verhalten der Arbeitgeber sah sich der geschäftsführende Hauptvorstand veranlaßt, die Große Tarifkommission erneut zum 13. Juli einzuberufen. Die Art, wie die Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes die Anträge der ÖTV behandelten, wurde mit Recht von unseren Mitgliedern als eine Brüskierung unserer Organisation angesehen. Die seit Monaten eingetretenen Verfeuerungen vieler für den täglichen Bedarf notwendigen Lebensmittel und die Erhöhungen der Preise für den Hausbrand berechtigten uns neben den anderen lohnpolitischen Gründen, eine Erhöhung der Löhne und Gehälter für die im öffentlichen Dienst Stehenden zu fordern. Die Große Tarifkommission nahm zur tarifpolitischen Situation eine Entschließung an, in der von den drei Arbeitgebern des öffentlichen Dienstes bis zum 26. Juli eine Erklärung gefordert wurde, daß sie bereit seien, mit uns in gemeinsame Verhandlungen einzutreten. Bei einer Ablehnung wurde der geschäftsführende Hauptvorstand beauftragt, die ihm geeignet erscheinenden Kampfmaßnahmen einzuleiten. Bereits am 20. Juli konnten wir berichten, daß die TdL und VKA bereit waren, am 2.August 1954 mit uns in Stuttgart in Verhandlungen einzutreten. Die Bundesregierung weigerte sich, echte Verhandlungen mit uns zu führen. Sie war lediglich bereit, einen Beobachter zu entsenden. Die am 2. August in Stuttgart geführten Verhandlungen waren aber keine Verhandlungen, sondern lediglich Besprechungen, die nach mehr als 12stündigier Dauer ergebnislos abgebrochen werden mußten, da die Arbeitgeber keinerlei Bereitschaft zeigten, in echte Tarifverhandlungen mit uns einzutreten. Ein Angebot, solche Verhandlungen auf den 30. August zu vertagen und in der Zwischenzeit nur unverbindliche Besprechungen in einer Kommission stattfinden zu lassen, hat die Tarifkommission der ÖTV abgelehnt, weil sie eine solche Verschleppung ihren Mitgliedern nicht zumuten konnte. Die Vertreter der TdL lehnten eine Erhöhung der Arbeiterlöhne ab, die Vertreter der VKA erklärten, mit uns später darüber verhandeln zu wollen. Die DAG fiel unserer Verhandlungskommission in den Rücken, indem sie den Arbeitgebern erklärte, daß sie bereit sei, an den vorgeschlagenen unverbindlichen Kommissionsbesprechungen über eine Änderung der Vergütungsgrundlage für die Angestellten teilzunehmen. Sie hat sich damit - wie wir es von ihr nicht anders kennen - in Widerspruch zu unserer klaren und konsequenten Haltung gesetzt und verzichtete auf ihre eigene Forderung einer zehnprozentigen Gehaltserhöhung für die Angestellten. Die Arbeitgeber hatten es in den vielstündigen Besprechungen ohne Zweifel darauf abgesehen, die Arbeiter und Angestellten voneinander zu trennen. Das aber kann nicht im Interesse der im öffentlichen Dienst Beschäftigten liegen. Wir haben immer den Standpunkt vertreten, daß Arbeiter und Angestellte im öffentlichen Dienst gegenüber den Arbeitgebern eine Einheit darstellen. Die Entscheidung unserer Verhandlungskommission hat, diesen Grundsatz bestätigt. Wir wissen, daß wir damit den Angestellten den besten Dienst erweisen. Am 6. Aug. wird nunmehr der Hauptvorstand der ÖTV in Frankfurt/M. zusammentreten sind die infolge des Scheiterns der Tarifverhandlungen notwendigen Beschlüsse fassen. Diese werden sehr ernst und schwerwiegend sein. Die in Hamburg eingeleiteten Kampfmaßnahmen, die durch die unnachgiebige Haltung auch des Hamburger Senats hervorgerufen wurden, zeigen, daß die ÖTV nicht gewillt ist, auf ihre Forderungen zu verzichten. Wir rufen unsere Mitglieder auf, den Ernst der Lage zu erkennen und noch mehr als bisher zusammenzustehen. Nur wenn wir einig sind, werden wir unsere berechtigten Lohn- und Gehaltsorderungen durchsetzen! Hamburg Versorgungsbetriebe stillgelegt Seit 4. August, 6.00 Uhr früh, streiken fast 15 000 Arbeiter und Angestellte der Hamburger Gas- und Wasserwerke und der Hamburger Hochbahn AG. Jahrzehnte hat diese Hafenstadt eine solche Stillegung seiner Versorgungsbetriebe nicht mehr zu verzeichnen. Der Ausfall der Verkehrsmittel lähmt das Wirtschaftsleben emfindlich, doch haben sich die dem DGB angeschlossenen Industriegewerkschaften mit den Streikenden der ÖTV solidarisch erklärt. Wie konnte es so weit kommen? Die Dienst- und Arbeitsverhältnisse der Arbeiter und Angestellten bei den genannten Betrieben sind durch rechtlich und materiell selbständige Firmenverträge geregelt. Die Betriebe gehören weder der Tarifgemeinschaft deutscher Länder noch der Vereinigung kommunaler Arbeitgeberverbände an. Zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen wurden die Lohn- und Gehaltstarifverträge durch die Bezirksverwaltung Hamburg zum 31. März 1954 gekündigt. Das geschah im Auftrage unserer Mitglieder auch unter Bezugnahme auf die allgemeinen lohnpolitischen Grundsätze des DGB. Unsere Forderung: 10 Pfg. Erhöhung der Stundenlöhne für die Arbeiter, 6 Prozent Erhöhung der Gehälter für die Angestellten. In den Verhandlungen Mitte Juni weigerten sich die Arbeitgeber, die von uns gestellten Forderungen anzuerkennen. In einer Verhandlung am30. Juni unter Vorsitz des Landesschlichters, Dr. Stenzel, machte dieser eine Vermittlungsvorschlag, der 5 Ng. Stundenlohnerhöhung und 3 Prozent Gehaltserhöhung ab 1. Mai 1954 vorsah. Dieser Vorschlag wurde durch die Arbeiter und Angestellten und die Bezirksverwaltung Hamburg angenommen. Die Gas- und Wasserwerke wie die Hochbahn jedoch lehnten den Vermittlungsvorschlag ab. Die Betriebsleitungen wurden in ihrer Ablehnung ganz wesentlich durch eine Entscheidung des Hamburger Senats bestimmt. Die sture Haltung der Arbeitgeber konnte auch nicht durch weitere Verhandlungen, an denen Vertreter des Deutschen Gewerkschaftsbundes teilnahmen, gebrochen werden. Ganz offenbar wollte man von einer Wahrung des Arbeitsfriedens nichts wissen. Die Hamburger Bevölkerung aber nahm mit Beunruhigung von dieser bedrohlichen Entwicklung des Lohnkonflikts Kenntnis. Nachdem alle Verhandlungsmöglichkeiten erschöpft waren, beauftragte der Hauptvorstand der ÖTV die Bezirksverwaltung Hamburg, in den betroffenen Betrieben eine Urabstimmung durchzuführen über die Frage, ob die Arbeiter und Angestellten bereit seien, im Wege des Lohnkampfes ihre Forderungen durchzusetzen. Über 90 Prozent aller befragten Arbeiter und Angestellten sprachen sich für entsprechende gewerkschaftliche Maßnahmen aus zur Durchsetzung der geforderten neuen Lohn- und Gehaltstarifverträge. Trotz dieser ernsten Situation zeigten die Arbeitgebervertreter keine Neigung zur Beilegung des Konflikts. Bürgermeister Dr. Sieveking wies auf die Verhandlungen der VKA und der TdL mit der ÖTV am 2. August in Stuttgart hin, obwohl er genau wußte, daß diese Verhandlungen den Hamburger Konflikt nicht beseitigen konnten, da weder VKA noch TdL zuständig waren. Da damit alle Möglichkeiten zur Beilegung des Streiks erschöpft waren, hat der Hauptvorstand der ÖTV der Arbeitsniederlegung in den genannten Betrieben mit Wirkung vom, 4. August, vormittags 6.00 Uhr, zugestimmt. Die ÖTV hat von sich aus einen Notdienst in den Gas- und Wasserwerken eingerichtet, auch um Schädigungen an den Anlagen zu vermeiden. Die Versorgung der Krankenanstallen war von vornherein nicht gefährdet. Wiederholte Verhandlungen im Laufe der Nacht vom 3. zum 4. August brachten zunächst einen Vorschlag der Arbeitgeber von 2 Pfg. Lohnerhöhung und 3 Prozent Gelialtserhöhung. Selbstverständlich mußte diese Zumutung abgelehnt werden. Ein weiteres Angebot hätte 4 Pfg. Lohnerhöhung und 3 Prozent Gehaltserhöhung gebracht. Auch dieser Vorschlag wurde von seiten der ÖTV-Verhandlungskommission, abgelehnt. Zum Zeitpunkt des Abschlusses dieses Berichtes - am, 5. August vormittags - stehen erneute Verhandlungen der Parteien bevor, an denen auch der 1. Vorsitzende der ÖTV, Kollege Kummernuss, Bürgermeister Dr. Sieveking und der Landesschlichter Dr. Stenzel teilnehmen. In der Zwischenzeit hat sich die Streiksituation ganz wesentlich verschärft. Wenn dadurch die Hamburger Bevölkerung und die Hamburger Wirtschaft noch mehr in, Mitleidenschaft gezogen werden, ist dafür allein die unnachgiebige Haltung der Betriebsleitungen und des Hamburger Senats verantwortlich. Die Arbeiter und Angestellten der ÖTV haben dem ersten Vermittlungsvorschlag des Schlichters zugestimmt, die Arbeitgeber lehnten ihn ab. Man darf die Geduld der Arbeiter und Angestellten nicht auf eine zu harte Probe stellen! Herausgeber: Hauptvorstand der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Stuttgart N, Rote Straße 2 A. Tel. 9 44 41. 1. Vorsitzender-. Adolph Kummernuss. Schriftleitung: Emil Fritz, beide Stuttgart. Rotationsdruck. Union Druckerei GmbH Stuttgart.
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