Politik und Religion

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; vgl. auch Signaturen 6/FLBL001546 und 6/FLBL002172, Flugschriften nahezu gleichen Inhalts Politik und Religion [] Du gehörst zu denen, die in unserer Zeit, die so furchtbar ist wie seit Jahrhunderten keine, in der Religion Trost und Kraftq...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Zentralausschuss, Condordruck, Berlin-Mitte
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1946
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/1407A970-A9F5-4000-AFE6-E2B8A9FB11AD
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; vgl. auch Signaturen 6/FLBL001546 und 6/FLBL002172, Flugschriften nahezu gleichen Inhalts Politik und Religion [] Du gehörst zu denen, die in unserer Zeit, die so furchtbar ist wie seit Jahrhunderten keine, in der Religion Trost und Kraftquelle gefunden haben? Aber, nicht wahr, du bist dir klar darüber, daß die Flucht aus der Welt eine falsche religiöse Auffassung früherer Zeiten war! Du fühlst dich deiner Umwelt und deinem Volke verbunden. Weißt du doch, daß nach der Auffassung des Christentums Gottes Wille endlich auch auf der Erde geschehen soll und daß das nur möglich ist, wenn die Menschen selbst das Ihre dazu tun. Ebenso wie wir das Korn pflanzen, ernten, mahlen und backen müssen, wenn wir das tägliche Brot haben wollen, so ist es ja auch mit der Verwirklichung von Gottes Willen auf der Erde. Wenn wir uns nicht selbst bemühen, wird auch diese Bitte des Vaterunsers nicht erfüllt. Wie Gott keine Schlaraffen will, denen das Brot von selbst in den Mund fällt, so geht es ihm um Menschen, die seinen Willen verwirklichen helfen, an deren Früchten man erkennen kann, daß sie ihm verbunden sind. Das alles fühlst du und möchtest daher an der Gestaltung der politischen Geschicke deines Volkes mitarbeiten, damit es nie wieder zu einer solchen furchtbaren gottfeindlichen Verirrung kommen kann, wie wir sie in der Hitlerzeit erleben mußten. [] So willst du daran mitwirken, daß das Zusammenleben der Menschen auf der Erde nicht so bleibt, wie es bisher immer war. Dazu gehört vor allem, daß sie nicht mehr übereinander herfallen, um sich auszuplündern und auszurotten, sondern endlich eine überstaatliche Rechtsordnung schaffen, wie sie schon früher eine innerstaatliche geschaffen haben. Hast du wohl einmal darüber nachgedacht, daß die Sozialdemokratische Partei dieses Ziel immer und unbeirrt seit ihrer Gründung verfolgt hat? Zu diesem besseren Zusammenleben der Menschen gehört weiter, daß nicht mehr einer vom anderen unterdrückt und ausgebeutet, ja zum bloßen Mittel zum Zweck herabgewürdigt wird. Weißt du, daß die Sozialdemokratische Partei stets und ohne Schwanken seit ihrem ersten Auftreten für ein System gekämpft hat, wo niemand mehr um das betrogen werden darf, was er erarbeitet, wo planmäßig alle Kräfte der Allgemeinheit für eine angemessene Versorgung aller eingesetzt werden sollen? [] Die großen Ideale der Zusammenarbeit aller Völker, der klassenlosen Gesellschaft, der auf Recht und Freiheit gegründeten Ordnung des Staatswesens sind wirklich nicht gegen Religion und Christentum gerichtet. Solltest du da nicht zu der Partei gehen, die diese Ideale von ihrer Gründung an bis zum heutigen Tage vertreten hat, die während der zwölf Jahre der Sozialistenverfolgung unter Bismarck und noch viel mehr während der zwölf Jahre des blutigen Terrors unter Hitler Hunderttausende von Märtyrern für diese Hochgedanken gestellt hat? Willst du nicht zur Sozialdemokratie kommen? [] Vielleicht wirst du sagen, die Sozialdemokratie sei dir als kirchenfeindlich geschildert worden. Nun, du mußt bedenken, daß bis zum Jahre 1918 die Kirchen in Deutschland Staatskirchen waren, unlösbar verfilzt mit einer autokratischen, imperialistischen Monarchie. Thron und Altar gehörten zusammen, der Inhaber des Thrones aber liebte die "schimmernde Wehr", die ihm die Großkapitalisten schmiedeten, und sein "blankes Schwert" war ihm lieber als alle Versuche, zu einer Rechtsordnung zwischen den Völkern zu kommen. Die Kirche aber schwieg, sie schwieg auch zu Ausbeutung und Massenelend. [] Ja, sie wußte nichts Besseres zu tun, als zum Gehorsam gegen die Obrigkeit - gegen diese Obrigkeit! - zu ermahnen. Dabei hatte Luther in seiner Schrift "Ob die Kriegsleute im seligen Stande sind" von einem christlichen Soldaten mit klaren und unzweideutigen Worten gefordert, er müsse im Falle eines Angriffskrieges trotz seines Fahneneides dem Fürsten die Heeresfolge verweigern, auch wenn ihn das die Freiheit, ja die Ehre oder das Leben kosten solle. Die katholische Kirche hatte immer am Naturrecht festgehalten, womit gegen den Tyrannen im Notfall selbst der Mord gestattet war. Von alledem merkte man damals in den Kirchen nichts. Das Christentum jener Zeit war wirklich zum "Opium fürs Volk" geworden. [] Etwas anderes kam hinzu. Die ganze Zeitepoche zwischen 1871 und 1914 hatte kaum ein Bedürfnis nach Religion. Glaubten doch damals weite Kreise, die Naturwissenschaft habe nun bewiesen, daß es einen Gott nicht gäbe und nicht geben könne. Es wäre ein Wunder gewesen, wenn diese Zeitströmung nicht auch die Sozialdemokratie erfaßt hätte. Trotzdem nahm sie zum Glauben auch damals keine feindliche Stellung ein, sondern proklamierte stets volle Duldsamkeit für jede religiöse Überzeugung, indem sie es durch die manchmal mißverstandene Erklärung der Religion zur Privatsache jedem einzelnen ihrer Mitglieder freistellte, wie es sich auf diesem innerlichsten Gebiet entscheiden wollte. [] Inzwischen ist nun der Obrigkeitsstaat zerbrochen und mit ihm auch die Staatskirchen. Die Sozialdemokratie will die freie Kirche im freien Staat. Eine solche Kirche wird Zwangsmittel ablehnen. Sie wird daher auch ihrerseits eine völlige Trennung zwischen Kirche und Staat begrüßen. Dazu gehört auch, daß sie den Religionsunterricht der Kinder in ihre eigene Hand nimmt und nicht nach Konfessionen und Weltanschauungen getrennte Schulen verlangt. Eine solche Zerreißung unseres Volkes schon in seiner Jugend wie überhaupt alles Hineinzerren des Christentums in den Tageskampf ist völlig abwegig in einer Zeit, wo die Gegner des Nationalsozialismus aus allen Konfessionen und Weltanschauungen es bereits in den Konzentrationslagern gelernt haben, das Verbindende über das Trennende zu stellen. Der Geist der gemeinsamen Aufbauarbeit und der alle Knaben und Mädchen des ganzen Volkes umfassenden Einheitsschule wird der einer Feindschaft gegen Nationalsozialismus und Militarismus, nicht aber der einer Gegnerschaft gegen Religion und Christentum sein. Einer Kirche, die zur Zusammenarbeit in diesem Sinne bereit ist, kann und wird die Sozialdemokratie nie feindlich entgegentreten. [] Wenn die Kirche versucht, den vielen, die nicht wissen, was Religion und Christentum wirklich ist, diese Dinge in der Sprache unserer Zeit nahezubringen, so hat die Sozialdemokratie in keiner Weise etwas dagegen. Auch dagegen nicht, daß die Kirche zum Beispiel darüber aufklärt, daß man Gott nicht wie einem irdischen Vaterwesen zürnen kann, wenn er einem das Leben nicht nach Wunsch einrichtet. Die Kirche wird dabei nämlich immer die Menschen zur eigenen Tat aufrufen müssen, und diese Tat wird die gleiche sein wie die, zu der die Sozialdemokratie aufruft - der Kampf für ein besseres Zusammenleben der Menschen auf der Welt! [] Besseres Zusammenleben der Menschen untereinander und in der Gemeinde, im Staat, auf der ganzen Welt, das ist das große Ziel, um das es geht, im kleinen und im großen. Nur so wird das Leben menschenwürdig und - für den Religiösen - gotteswürdig. Die Sozialdemokratie stößt sich nicht an dieser Bezeichnung. Sie ist die Partei des wissenschaftlichen Sozialismus. Sie ist stets die Partei der Wissenschaft gewesen. Daher hält sie auch Schritt mit ihrer Entwicklung. Sie weiß also, daß die Naturwissenschaft jetzt andere Auffassungen hat als zu der Zeit, in der Haeckel seine "Welträtsel" schrieb. Die Partei ist sich klar darüber, daß die Frage nach der Existenz Gottes, nach dem Fortleben des Geistigen im Menschen nach dem Tode mit Mitteln der Wissenschaft überhaupt nicht, weder bejahend noch verneinend, beantwortet werden kann. Sie überläßt es infolgedessen jedem, für diese tiefsten Fragen des Menschendaseins selbst die Antwort zu finden. Wer aber diese Antwort für sich gefunden hat, sei sie so oder so, der soll wissen, daß er in den Reihen der Sozialdemokratie Achtung und Verständnis findet, auch bei denen, die sich vielleicht eine andere Überzeugung erarbeitet haben. Das und nur das ist sozialdemokratisch. [] Nicht wahr, gerade weil du ein religiöser Mensch bist, willst du, daß es besser werde auf der Welt, daß die Erde aufhört, eine Hölle zu sein, wo einer des anderen Teufel ist. Du weißt, daß das nur durch Kampf erreicht werden kann, durch harten, unermüdlichen Kampf. Dieser Kampf ist notwendig. Auch der religiöse Mensch, ja gerade der religiöse Mensch kann und wird sich ihm nicht entziehen. Kämpfe ihn zusammen mit uns! [] Sozialdemokratische Partei Deutschlands [] Bitte lesen und weitergeben! [] G - 17329. Herausgeber: Zentralausschuß der SPD [] Reg.-Nr. 3 Condordruck, Berlin-Mitte
Published:ca. 1946