Für ein neues, besseres Deutschland

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Die Sozialdemokratische Partei ruft: Für ein neues, besseres Deutschland! Der zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die Umgestaltung der Welt geht weiter. Bleibt Deutschland das brodelnde Chaos im Herzen Europas, ein Herd der Unruhe, ein Gegenstand de...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Schumacher, Kurt, Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), R. Krawehl, Dortmund
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: ca. 1947
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/9FD199AE-756A-4BA1-8D4B-F53C01E777B4
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Die Sozialdemokratische Partei ruft: Für ein neues, besseres Deutschland! Der zweite Weltkrieg ist zu Ende. Die Umgestaltung der Welt geht weiter. Bleibt Deutschland das brodelnde Chaos im Herzen Europas, ein Herd der Unruhe, ein Gegenstand des Hasses und des Mißtrauens, oder hat es die Kraft, die unheilvollen Bindungen zu zerreißen und sich zu den großen Ideen der Menschheit durchzuringen? Das ist für uns die Frage auf Leben oder Untergang! Die Nazi haben wie alle Diktatoren das Schicksal der Nation mit ihrem eigenen Abenteuerdasein unlösbar zu verknüpfen versucht. Darum mußten alle, die politisch einmal ihr Erbe hätten antreten können, vernichtet, das Volk in Dunkel und Ahnungslosigkeit gehalten werden. Es fehlen zwölf Jahre Erziehung zum politischen Denken, es fehlen die Kenntnis der sittlichen und materiellen Kräfte der Welt, das geistige und organisatorische Rüstzeug für die politische Auseinandersetzung der großen Mehrzahl aller Deutschen. Trotz aller Verfolgungen haben die wirklichen Feinde des Nazismus ihre Ideale rein gehalten, haben versucht, die Welt auch im Nebel der Nazilügen zu erkennen, haben die Fühlung untereinander und damit die Grundlagen für neues politisches Leben bewahrt. Die Sozialdemokraten haben in der Illegalität schwerste Opfer nicht gescheut, um nach dem unvermeidlichen Zusammenbruch des Dritten Reiches als stärkste politische Partei da zu sein. Sie haben gewußt: Hitler ist der Krieg, jeder Krieg ist ein verlorener Krieg, der verlorene Krieg ist die Katastrophe Deutschlands. Den Mut haben sie dennoch nicht verloren. Sie haben weitergekämpft für die Kultur, gegen die Barbarei des Driften Reiches. Der erste Tag politischer Freiheit dämmert herauf! Die Sozia1demokratische Partei steht im Bewußtsein, die einzige Partei in Deutschland zu sein, deren Politik der Demokratie und des Friedens die Probe vor dem Richterstuhl der Geschichte bestanden hat, vor ihrer größten Aufgabe: Aus den Trümmern Deutschlands ein neues, besseres Reich aufzubauen. Unübersehbar ist das Trümmerfeld, unvorstellbar das Eend [!] [Elend], unteilbar das Leid. Der deutsche Name ist besudelt durch die Konzentrationslager, die Judenverfolgungen, die Barbarei der Kriegsführung, die Plünderungen und Sklavenjagden in den besetzten Gebieten, Das eigene Volk ist ausgeblutet. Die Wirtschaft ist zerstört, ihre Substanz geschwunden. Das Land ist krank bis ins Mark. Die einfachsten und selbstverständlichsten Anforderungen des täglichen Lebens sind schier unlösbare Probleme geworden. Die Stunde der großen Umkehr ist da! Aber an den Trümmern des von ihnen selbst zerstörten Vaterlandes stehen die vielen Unbelehrbaren und klagen an. Wie nach 1918 sehen sie nicht die Größe ihrer eigenen Schuld, belügen sich selbst und vergiften das Volk und vor allem die Jugend mit neuen Dolchstoßlügen. Die Bankrotteure möchten jetzt wieder die Verwalter des Konkurses haftbar machen. Viel zu viele haben in dem großen Räuberstaat, in dem das Recht zu plündern, zu stehlen und ungestraft Verbrechen zu begehen streng nach Rang und Geltung abgestuft war, ihr gewissenloses Schmarotzerdasein geführt. Darauf können und wollen sie nicht verzichten. Mit beispielloser Feigheit und Gesinnungslosigkeit beteuern sie, niemals Nazi gewesen zu sein. Aber jeder Wille zur Einkehr und zu einer neuen Ordnung fehlt ihnen. Sie hoffen nur für ihre Person auf die Toleranz und Menschlichkeit derjenigen, denen sie selbst in den letzten zwölf Jahren niemals Menschlichkeit gezeigt haben. Nun, wir wissen zu unterscheiden zwischen den Schwachen und Verführten und den Schuldigen von gestern, die die Saboteure von heute sind. Wir kennen auch ihre Gönner in den staatlichen Verwaltungen und in der Wirtschaft. Es sind dieselben Leute, die vor zwölf Jahren den Nazi in den Sattel geholfen haben, und die sich heute, da sie keine Rechtspartei mehr haben, als "Sachverständige" in Verwaltung und Wirtschaft tarnen. Aber Duldsamkeit wollen wir nur den Duldsamen erweisen! Zur moralischen Gesundung unseres Volkes ist es nötig, ihm zu beweisen, daß jedem Frevel die Sühne folgt. Darum müssen die Verderber Deutschlands vor allen anderen die Folgen des großen Weltvernichtungskrieges tragen. Niemand von ihnen darf in Staat und Wirtschaft, in Kultur- und Geistesleben eine Stellung von Einfluß und Bedeutung einnehmen. Niemand soll aus dem Nazi-Deutschland reicher herauskommen als er hineingegangen ist. Die aktiven Nazi samt ihren Hintermännern aus den Kreisen des großen Besitzes haben nur noch das eine Recht, schwer arbeiten zu dürfen, um ihre Verbrechen wenigstens andeutungsweise zu sühnen. Niemals wieder darf in Deutschland das Großkapital zu politischem Einfluß gelangen, das damals seinen Klassenkampf gegen die arbeitenden Massen dadurch führte, daß es alle Taugenichtse und Lebensuntüchtigen, den Abfall des ersten Weltkrieges und der großen Wirtschaftskrisen in die politische Arena schickte. Es hat damit seine Unfähigkeit zur politischen Führung bewiesen. Wir wollen die deutsche Jugend nicht noch einmal durch schamlosen Mißbrauch der nationalen Idee verführen und sinnlos auf den Schlachtfeldern eines neuen Weltkrieges dahinmorden lassen. Ehe das Leben des Volkes und der Friede der Welt bedroht werden, sollen diejenigen zugrunde gehen, die ein neues Deutschland nicht wollen! Wir wollen mit allen Unbelasteten und Aufbauwilligen zusammenarbeiten! Wir stoßen auch diejenigen nicht zurück, die aus Angst und Ahnungslosigkeit ihren Teil zu dem großen Unglück beigetragen haben, sondern wollen an ihrer politischen Erziehung arbeiten. Nur mißtrauen wir dem Umstand, daß es plötzlich nur noch Demokraten geben soll im Lande der Fanatiker für alle Arten der Diktatur. Wir haben auch kein rechtes Zutrauen zu den bürgerlichen Parteien. Das deutsche Bürgertum hat seit langem echte politische Parteien nicht mehr gekannt. Jedes Ideal war ihm nur ein Mittel für seine ungehemmte Interessenpolitik. Alles, was an wertvollen politischen und moralischen Ideen in den Zeiten seines Aufstieges in ihm lebendig gewesen ist, hat längst nur noch in der Sozialdemokratie seinen Platz. Die geistigen Menschen und alle, die mehr als eine Politik aus wirtschaftlichem Eigennutz suchen, werden sich in den bürgerlichen Parteien vergeblich nach einer Heimstätte umsehen. Das ganze deutsche Volk steht jetzt vor der entscheidenden Frage seiner geistigen und politischen Neuorientierung. Viele möchten sich verdrossen von aller Politik abwenden. Aber jeder Atemzug, jede Handreichung beim einfachsten sachlichen Wiederaufbauwerk sind politisch, sind von dem Geiste und von den Absichten der Politik bestimmt. Die Sozialdemokratie ist die Partei der politischen, geistigen und wirtschaftlichen Befreiung des Volkes! Für uns demokratische Sozialisten ist die Demokratie ein unverrückbares und unverzichtbares Prinzip. Sie ist uns nicht und kann uns nicht sein eine Frage der taktischen Schlauheit oder der opportunistischen Angleichung. Weil die Gegner der Demokratie die Volkssouveränität mißachteten, weil sie eine Regierung zuließen, die sie nicht kontrolliert haben, wird Deutschland jetzt von anderen Mächten kontrolliert. Die Demokratie im neuen Deutschland darf sich nicht auf das Politische beschränken, sie muß das ganze gesellschaftliche und kulturelle Leben durchdringen, muß bis zur letzten Konsequenz die große Selbstverständlichkeit im Lebein unseres Volkes werden. Das Deutsche Reich muß als staatliches und nationales Ganzes erhalten bleiben! Wir können und wollen nicht verzichten auf das fundamentale Grundrecht, das die Welt jedem Volke zubilligt. Wir Sozialdemokraten sind die Todfeinde aller Ablösungsbestrebungen, die um angeblicher Tagesvorteile willen und wegen des Eigennutzes und der Ehrsucht bankrotter Reaktionäre betrieben werden. Das demokratische Reich kann nur eine Republik sein. Die deutschen Fürsten und ihre Hausmachtpolitik sind vor der Geschichte die Schuldigen an all dem Unheil, das ein zu spät geeintes Deutsches Reich durch Militarismus, Angriffslust und Imperialismus über die Welt gebracht hat. Mit den Fürsten können in Deutschland weder Demokratie noch Reichseinheit erhalten werden. Das neue Deutschland soll ein Hort des Friedens sein. Es will beitragen zu jeder Milderung der Gegensätze zwischen den Völkern, zu der friedlichen Lösung internationaler Konflikte und zu jeder Form internationaler Versöhnungspolitik. Es soll seine erste und oberste Aufgabe darin sehen, das eigene Volk mit der Idee des Friedens zu erfüllen und jede Politik des Militarismus und der Gewalt unmöglich zu machen. Dieses neue Deutschland soll einst seinen Platz einnehmen im Rate der Vereinten Nationen. Die Sozialdemokratie hält unverrückbar an den Grundsätzen des Sozialismus fest! Sie kämpft für die Vergesellschaftung der sozialisierungsreifen Zweige des Wirtschaftslebens, für die Abschaffung der Monopolrenten, für die Unterstellung der Kartelle und Truste unter die Herrschaft der Allgemeinheit. Sie weiß, daß das große Ziel einer völligen inneren Umwandlung der Deutschen nur erreicht werden kann, wenn nicht neue gewaltige Kapitalmassen in der Hand unverantwortlicher Großkapitalisten entstehen, die ihr Geld wieder in politische Macht umsetzen würden, um sie gegen die Arbeitenden, gegen Demokratie und Frieden anzuwenden. In der Landwirtschaft sind Grund und Boden der kapitalistischen Ausbeutung zu entziehen, die Begrenzung des Großgrundbesitzes und ein großzügiges bäuerliches Siedlungsprogramm durchzuführen. Wir sind uns dabei der erhöhten Bedeutung der Landwirtschaft im neuen Staate bewußt und schützen den bäuerlichen Betrieb, ebenso wie den Bestand eines selbständigen Handwerks und Handels. Aber das neue Deutschland kann kein bloßer Agrarstaat sein. Mögen die industriellen Produktionsmittel zum großen Teil zerstört sein, zu einem weiteren Teil noch vermindert werden, die Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, alle Kraft daran zu setzen, um neue industrielle Produktionsmittel zu schaffen und in Gang zu bringen. Den arbeitenden Massen in Deutschland muß die Lebensgrundlage erhalten bleiben. Sie dürfen nicht in Arbeitslosigkeit sinken, nicht sozial verelenden und politisch entmachtet werden. Denn die Ideale ihres Klassenkampfes sind heute die Ideale der Nation und der gesamten Menschheit. Der Wiederaufbau kann nur planmäßig gelenkt vor sich gehen. Der Eigennutz einzelner Gruppen und Personen ist dem Allgemeininteresse unterzuordnen. Für private Wiederaufbauprofite auf Kosten des Volkes kann in diesem verarmten Lande kein Platz mehr sein. Die Demokratie in der Wirtschaft ist durch das Mitbestimmungsrecht in den Betrieben und Wirtschaftskörperschaften zu verwirklichen. Wir fordern die gerechte Verteilung der Lasten auf die Schultern aller, stärkste Heranziehung des unversehrten Besitzes, verbunden mit einer grundlegenden Finanzreform, positive Reparationspolitik, zu der die Schuldigen verstärkt heranzuziehen sind. All die Schwachen und Elenden brauchen unsere Hilfe! Zum Schutze der Arbeitenden ist der Ausbau der Sozialpolitik in allen ihren Zweigen notwendig. Wir wollen den Opfern des Dritten Reiches Hilfe bringen, den Erwerbslosen, den Ausgebombten, den Evaluierten, den Flüchtlingen, den Kriegsbeschädigten und Kriegshinterbliebenen. An der Spite aller Maßnahmen steht der Wohnungsbau, vor allem auf gemeinnütziger und genossenschaftlicher Grundlage, und die gerechte Wohnraumverteilung. Das deutsche Volk muß aus der Periode der Verdummung und Verwilderung zu den großen Grundlagen des Kulturlebens geführt werden. Gerade in einer Zeit äußerer Verarmung soll aus der Pflege des Geistes innerer Reichtum erwachsen. Die Jugend ist im Geiste des Friedens und der Freiheit, der Achtung vor der menschlichen Persönlichkeit, der Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit zu erziehen. In bewußter Anlehnung an das Gedankengut des deutschen Humanismus und in Achtung aller Religionen und Weltanschauungen bekennen wir uns zum Gedanken der religiösen Toleranz. Wir fordern daher die Trennung von Kirche und Staat. Die geistige und kulturelle Leistung der Deutschen soll ihnen wieder die Achtung der Welt erobern! Mag der von uns aufgezeigte Weg noch so schwer sein, es ist der einzige Weg. Nur auf ihm können wir uns die Achtung der Welt wieder erringen. Wir müssen uns stets dessen bewußt sein, daß es in der Politik ebensowenig eine Wunderlösung gibt, wie es im Kriege eine Wunderwalle gegeben hat. Wir wollen von Verwalten zum Regieren kommen. Es wird freilich auf absehbare Zeit nur ein kontrolliertes Regieren sein. Das liegt nicht nur darin begründet, daß Deutschland den gewaltigsten Krieg der Geschichte leichtfertig begonnen und bis zur letzten Konsequenz verloren hat, auch nicht nur darin, daß sich materiell auch die Parteien der Nazifeinde dem Schicksal der Gesamtheit nicht entziehen können, sondern vor allem darin, dass ohne die tatkräftige Hilfe der Vereinten Nationen ein Wiederaufbau nicht möglich ist. Dafür brauchen wir vor allein eins: Das Vertrauen der Vereinten Nationen! Das ist nur zu erreichen durch hingebende Arbeit, durch sachliche Leistung und vor allem durch bedingungslose Ehrlichkeit. In diesem Sinne ruft die Sozialdemokratische Partei das ganze Volk zur Mitarbeit! Kämpft mit uns für Frieden, Freiheit, Sozialismus! Genehmigt durch die Militärregierung [] Verantwortlich: Dr. Kurt Schumacher Hannover [] Sozialdemokratische Partei - Bezirk Westliches Westfalen, Büro: Dortmund, Schliepstraße 3 [] Druck: R. Krawehl, Dortmund
Published:ca. 1947