An die Kriegsopfer der Kreisverbände Kehl und Offenburg

Bemerkungen: ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Freiburg i. Br., im Mai 1960 [] Friedrich Stephan [] Mitglied des Landtags [] An die Kriegsopfer der Kreisverbände Kehl und Offenburg [] Wenn ich mir erlaube, mit diesem Brief persönlich an Sie heranzutreten, so nur deshalb, weil ich glaube,...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Stephan, Friedrich
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 15.05.1960
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/3D730703-D18B-4500-818A-9AC333D3AA6E
Description
Summary:Bemerkungen: ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Freiburg i. Br., im Mai 1960 [] Friedrich Stephan [] Mitglied des Landtags [] An die Kriegsopfer der Kreisverbände Kehl und Offenburg [] Wenn ich mir erlaube, mit diesem Brief persönlich an Sie heranzutreten, so nur deshalb, weil ich glaube, als einer der Ihren eine moralische Berechtigung dazu zu haben. Nicht nur weil ich Mitglied des VdK bin, sondern ich bin selbst als Kriegswaise in bescheidenen Verhältnissen aufgewachsen und im letzten Krieg zweimal verwundet worden. Aus diesem eigenen Erleben heraus fühle ich mich mit den übrigen Kriegsopfern unseres Landes besonders verbunden. [] Am 15. Mai dieses Jahres findet in Baden-Württemberg die Neuwahl des Landtags statt. Meine Parteifreunde haben mich wiederum zum Kandidaten der SPD im Wahlkreis Offenburg-Kehl aufgestellt, nachdem ich bereits 12 Jahre lang im Landtag tätig gewesen bin. [] Ich habe in meiner bisherigen parlamentarischen Tätigkeit stets versucht, im Bereich der Sozialpolitik mich besonders der Anliegen der Kriegsopfer und Sozialrentner anzunehmen. Zwar werden das Bundesversorgungsgesetz und die Rentengesetze im Bundestag in Bonn beschlossen, aber die Länder wirken über den Bundesrat an diesen Gesetzen mit und können ihre Meinung dazu sagen. [] Wiederholt haben meine Freunde und ich im Landtag die Landesregierung ersucht, im Bundesrat im Sinne einer durchgreifenden Verbesserung der Kriegsopferversorgung und der allgemeinen Rentenversicherung vorzustoßen. Darüberhinaus habe ich in den letzten lahren wiederholt Anträge eingebracht auf Verbesserung der Sozialgerichtsbarkeit im Lande, damit die Versorgungsklagen rascher bearbeitet werden. [] Kurz vor dem Ende der Amtsperiode des bisherigen Landtags hat die SPD-Fraktion durch eine Große Anfrage und mit einem Antrag die Regierung erneut aufgefordert, im Bundesrat für die Forderungen der Kriegsopfer einzutreten und bei der Beratung des Gesetzes über die Neuregelung der Krankenversicherung gegen eine Selbstbeteiligung an den Arzt-, Arznei- und Krankenhauskosten zu stimmen. [] Daß die SPD-Fraktion im Bundestag stets der Fürsprecher der Kriegsopfer und Rentner gewesen ist, dürfte allgemein bekannt sein. [] Ich darf aus dem Geschehen der letzten zwei Jahre einige deutliche Beweise hierfür anführen. [] Am 11. Juni 1958: Große Anfrage der SPD-Fraktion (Drucksache Nr. 434) "Wann gedenkt die Bundesregierung den Gesetzentwurf zur Reform der Kriegsopferversorgung vorzulegen ? Welche Vorstellungen hat die Bundesregierung über die Gestaltung der Reform?" [] Am 5. November 1958: Antrag der SPD-Fraktion (Drucksache Nr. 621) [] "1. Die Bundesregierung wird ersucht, dem Bundestag unverzüglich, jedoch spätestens bis 1.1.1959, den Entwurf eines Gesetzes zur Gewährung vonÜberbrückungszahlungen an die Kriegsopfer vorzulegen und [] 2. dem Bundestag bis zum 1.4.1959 den Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung der Kriegsopferversorgung zuzuleiten." [] Am 27. August 1959 legte die Bundesregierung den Entwurf (Drucksache Nr. 1239) endlich vor. [] Als die SPD feststellen mußte, daß die Leistungsverbesserungen des Gesetzes weit hinter der Notwendigkeit zurück blieben, reichte sie am 7. Oktober 1959 einen eigenen Gesetzentwurf ein (Drucksache 1262) mit erheblich verbesserten Leistungen, wie sie etwa den Forderungen der Kriegsopfer entsprachen. Als wenige Beispiele seien hier auszugsweise angeführt: [] Erhöhung der Grundrenten für Geschädigte bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 30 % auf DM 40.-, [] von 40 % auf DM 50.- von 50 % auf DM 70.- von 60 % auf DM 90.- [] von 70 % auf DM 120.- von 80 % auf DM 160.- von 90 % auf DM 190.- [] bei Erwerbsunfähigkeit auf DM 210.-. [] Schwerbeschädigte, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außerordentlich betroffen sind, sollen außerdem eine monatliche Schwerbeschädigtenzulage erhalten: [] in Stufe I DM 20.- in Stufe II DM 40.- in Stufe III DM 60.-. [] Erhöhung der Grundrenten für Witwen auf DM 100.- im Monat, [] für Halbwaisen auf DM 45.- für Vollwaisen auf DM 70.-, [] Erhöhung der Ausgleichsrenten für Halbwaisen auf DM 50.- für Vollwaisen auf DM 80.-. [] Erhöhung der Elternrenten für ein Elternpaar auf DM 190.-, für einen Elternteil auf DM 130.-, [] Erhöhung der Einkommensgrenze bei Elternpaaren auf DM 240.-, bei einem Elternteil auf DM 170.-. [] Der SPD-Entwurf legte also in erster Linie Wert auf eine Erhöhung der Grundrenten. Erst am 20. Oktober 1959 folgte eine Gruppe von Abgeordneten der Regierungskoalition CDU/DP mit einem eigenen Gesetzentwurf, der aber mit seinen Leistungsverbesserungen erheblich hinter dem SPD-Entwurf zurückblieb. [] § 2 des SPD-Gesetzentwurfs bestimmte, daß die Erhöhungen mit Wirkung vom 1. Juni 1959 in Kraft treten sollen. [] Heute schreiben wir Mai 1960 und die Kriegsopferreform ist noch nicht in Kraft getreten, weil Bundesregierung und Bundestagsmehrheit keine Eile haben. Je länger die Reform hinausgezögert wird, umso mehr Geld spart der Finanzminister. [] Ich halte eine solche Politik für nicht vertretbar. [] Auf der anderen Seite bezahlt man, laut Meldungen aus dem Bundestag, seitens der Bundesregierung 4 Milliarden für Rüstungslieferungen im voraus. Wenn es also um die neue Wehrmacht geht, fehlt es augenscheinlich nicht am Geld. Auch ich bekenne mich zum Prinzip der Landesverteidigung, bin aber der Meinung, daß im geteilten Deutschland, das den letzten Krieg noch nicht durch einen Friedensvertrag beendet sieht, eine militärische Aufrüstung nur in dem Ausmaße vertretbar und sinnvoll ist, als durch sie das innerdeutsche Kräftegleichgewicht gegenüber der Sowjetzone hergestellt wird. Eine Eingliederung des gespaltenen Deutschlands in das Wettrüsten der Großmächte - letztlich sogar mit atomaren Waffen - halte ich für unsinnig. Die Stärke des russischen Militärpotentials muß durch das Gegengewicht der westlichen Großmächte ausgeglichen werden, das kann nicht geschehen durch 12 oder 15 deutsche Divisionen. Imübrigen sollte der Abrüstung zwischen den Völkern das Hauptaugenmerk zugewendet werden. Wir, die wir seit 1945 militärisch abgerüstet waren, können unseren eigenen Beitrag zur Abrüstung leisten, indem wir statt 11 Milliarden DM im Jahr nur 6 oder 7 Milliarden für die Bundeswehr ausgeben. Dann bleibt uns das nötige Geld zur Verfügung, um für eine bessere Rentenversorgung, den Wohnungsbau und manch anderen Zweck mehr tun zu können. [] Ich weiß nicht wie Sie über diese Fragen denken. Ich kann mir jedoch vorstellen, daß Sie als Kriegsopfer meine Auflassung teilen. Sie haben am 15. Mai die Möglichkeit, einen der Ihren wieder in den Landtag zu wählen, und ich würde mich freuen, wenn Sie mir Ihr geschätztes Vertrauen schenken würden. [] Mit freundlichen Grüßen [] Ihr Friedrich Stephan
Published:15.05.1960