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Ein Problem macht Schlagzeilen [] Die hohe Arbeitslosenquote ist das Problem, das heute alle anderen wirtschaftspolitischen Fragen in den Schatten stellt. [] Die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung durch Schaffung neuer Arbeitsplätze ist das Ziel, das Vorrang vor allen anderen wirtschaftspolitischen Zielen haben muß. [] Der Deutsche Gewerkschaftsbund hat vor einem halben Jahr ein umfassendes beschäftigungspolitisches Programm veröffentlicht. Das entsprach einer Notwendigkeit, aber manche stört es sehr. Die Arbeitgeber verkünden immer wieder ihr Rezept zur Überwindung der Arbeitslosigkeit. Dabei hat sich ihr Rezept seit Jahrzehnten nicht geändert. Es gibt Anlaß zu Zweifeln, ob es den heutigen Verhältnissen überhaupt noch entspricht. Deshalb soll das Arbeitgeberrezept an den Erfahrungen aus der Wirklichkeit und am Maßstab des DGB-Beschäftigungsprogramms gemessen werden. [] Die Arbeitgeber behaupten: [] Niedrigere Löhne bedeuten mehr Gewinne. - Mehr Gewinne bedeuten höhere Investitionen. - Höhere Investitionen bedeuten mehr Arbeitsplätze. [] Stimmt dieses Patentrezept? Oder müssen nicht noch einige zusätzliche Faktoren berücksichtigt werden, wie z. B. Lohn, Gewinn und Kaufkraft, Sachinvestitionen und Geldanlage? [] Wir können uns die Frage nicht verkneifen: [] Bedeuten niedrigere Löhne wirklich höhere Gewinne? - Auf den ersten Blick möchte man spontan mit "ja" antworten; denn je weniger im Portemonnaie der Arbeitnehmer landet, um so mehr bleibt ja wohl in den Kassen der Unternehmer hängen. Aber der erste Blick kann - wie so oft - trügen. Schauen wir deshalb einmal etwas genauer hin: [] Niedrigere Löhne bedeuten natürlich auch geringere Kaufkraft. Eine geringere Kaufkraft bedeutet aber schwindende Absatzchancen und schrumpfenden Umsatz. Sind nun schwindende Absatzchancen und schrumpfender Umsatz gute Voraussetzungen für steigende Gewinne und ein Anreiz zu mehr Investitionen? - Natürlich nicht. Niedrigere Löhne mit höheren Gewinnen gleichzusetzen, ist also falsch. [] Aber nehmen wir einmal an, die Gewinne würden aus irgend einem Grund stark steigen. Dann müssen wir die nächste Frage stellen: [] Bedeuten mehr Gewinne tatsächlich höhere Investitionen? [] Schon heute sind viele Produktionskapazitäten, die mit hohem Investitionsaufwand gebaut wurden, nicht voll ausgelastet. Bei schwindenden Absatzchancen und schrumpfendem Umsatz würden noch mehr Produktionskapazitäten brachgelegt. Wer würde wohl vor dem Hintergrund von bereits vorhandenen Investitionsruinen neu investieren? [] Ein Großteil der Gewinne würde statt dessen in Schein-Investitionen fließen, deren Rendite entweder überhaupt nicht von Absatzchancen abhängig ist oder zumindest nicht von inländischen. Das lehrt die Erfahrung der letzten Jahre: Immer größere Teile des Gewinns werden nicht in produktiven Investitionen angelegt. Immer größere Teile der Unternehmergewinne werden aus den Betrieben herausgezogen und wandern auf Sparkonten, in Wertpapierdepots oder sonstige Geldanlagemöglichkeiten. [] So sind die Gewinnentnahmen in den Jahren 1975-1977 viel stärker gestiegen als die Löhne. Das beweist die folgende Tabelle: [] Entnommene Gewinne u. Vermögenseinkommen [] Bruttolohn- und Gehaltssumme [] 1975 [] + 8,4 [] + 3,5 [] 1976 [] + 10,9 [] + 6,5 [] 1977 [] (l. Hj.) [] + 6,6 [] + 7,6 [] Diese hohen Gewinnentnahmen führten zu einem Anstieg der Geldvermögensbildung bei den selbständigen Haushalten um jahresdurchschnittlich 145 % in den Jahren 1970-1976; allein in Wertpapieren wurden in demselben Zeitraum sogar jahresdurchschnittlich 169 % mehr Gelder angelegt als in dem Fünfjahresdurchschnitt davor. [] Immer größere Teile von bei uns entstehenden Gewinnen wandern zudem ins Ausland und suchen dort die im Inland fehlenden Absatzchancen. So haben in den Jahren 1975 und 1976 deutsche Unternehmer im Ausland 4 Milliarden DM mehr investiert als das Ausland bei uns investiert hat. Allein in dem gewinnstarken Jahr 1976 waren es sogar über 2,3 Milliarden mehr. Das zeigt: [] An zu niedrigen Gewinnen liegt es nicht. [] Was übrigens auch jüngste Zahlen der Deutschen Bundesbank beweisen: jeweils 100 DM Eigenkapital wurden im Zeitraum der letzten drei Jahre mit jahresdurchschnittlich mehr als 16 DM Gewinn verzinst. Wo kriegt man sonst solche Zinsen! [] Und weiter geht aus diesen Zahlen hervor: Wer in den letzten drei Jahren 100 DM investiert hat, der brauchte dazu im Jahresdurchschnitt allenfalls einen Kredit von 5 DM aufzunehmen. Denn 95 DM konnte er aus Gewinnen und sonstigen Kapitalzuflüssen nehmen. [] Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes beweisen, daß den Unternehmern in den letzten Jahren erheblich mehr Kapital zugeflossen ist, als sie tatsächlich für ihre Investitionen benötigten. [] Fazit: [] Das Patentrezept der Unternehmer ist falsch; zumindest in seinem ersten Teil. Es ist keine Strategie zur Überwindung der Arbeitslosigkeit, sondern eine Strategie zur Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten der Unternehmer. [] Unterstellen wir auch hier einmal, es würde mehr investiert, dann müssen wir die Frage stellen: [] Bedeuten mehr Investitionen wirklich mehr Arbeitsplätze? [] Es war einmal, könnte man auf diese Frage antworten. Vor 15 Jahren noch konnte man davon ausgehen, daß mehr Investitionen auch mehr Arbeitsplätze bedeuteten. [] Aber dieser Zusammenhang von Investition, Produktion und Arbeitsplätzen gilt heute nicht mehr. Wer das Patentrezept der 50er Jahre in den 70er Jahren anwenden will, um die bestehende Arbeitslosigkeit zu überwinden, der versucht, mit Opas Rezepten aktuelle Probleme zu lösen. Der verschließt die Augen vor technischem Wandel und Rationalisierung; der ist blind für Arbeitsplatzvernichtung und Entlassungen. [] Die Zahlen sprechen für sich: Im Jahre 1976 stieg die gesamtwirtschaftliche Produktion in der Bundesrepublik real um 5,7 %. In demselben Jahr nahm die Zahl der Erwerbstätigen bei uns um 1 % ab. Und wenn man den Bereich der Industrie allein betrachtet, sieht dieses Verhältnis noch schlechter aus: Investitionen und Produktion stiegen jeweils real um mehr als 7 %. Die Zahl der Beschäftigten aber nahm um 2,5 %. ab. [] Die Zahlen beweisen: [] Wir schaffen es, bei gleichbleibender Arbeitszeit mit immer weniger Beschäftigten immer mehr zu produzieren. [] Der schnelle technische Wandel und die modernen Produktionsanlagen machen es möglich. Das also ist die Folge der Investitionen. [] Natürlich sind Investitionen nötig. Natürlich gilt auch heute noch der Satz - zumindest weitgehend noch, daß Investitionen von heute den Wohlstand von morgen darstellen. Aber Investitionen sind mit Sicherheit nicht mehr der einzig richtige Hebel, wenn es um die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung geht. Sie bringen die falschen Erfolge. Mit einer wichtigen Ausnahme: Investitionen der öffentlichen Hand können einen echten und spürbaren Zuwachs an Arbeitsplätzen bringen. Zu denken ist dabei an denöffentlich geförderten Wohnungsbau und die Wohnungsausstattung, an Sonderkrankenhäuser und Kindergärten, an Altenwohnheime und Schulen, an Bibliotheken, Sportplätze und Badeanstalten, an Abfallbeseitigung und Kläranlagen. [] Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hat errechnet: [] Mit einer zusätzlichen Milliarde DM an öffentlichen Investitionen können neue Arbeitsplätze für über 24 000 Menschen geschaffen werden. Es gibt in der Bundesrepublik einen Nachholbedarf an öffentlichen Investitionen von fast 250 Milliarden DM. [] Es gibt also genügend sinnvolle Möglichkeiten, neue Arbeitsplätze durch Staatsinvestitionen zu schaffen. [] Und dieser Weg ist vernünftiger als die Methode, immer mehr Gelder aus Steuermitteln den Unternehmern in den Rachen zu werfen. [] Besonders starker Tobak ist es, wenn die Unternehmer immer weitere Steuersenkungen zur Förderung der Investitionen und der Beschäftigung fordern. Man braucht nur einige Zahlen zu betrachten, um diesen Weg als Irrweg zu entlarven: [] Auf über 10 Milliarden DM jährlich lassen sich die Steuergeschenke für Unternehmer allein seit 1975 beziffern. Hinzu kommt noch die fette Investitionszulage von 7 Milliarden DM. Ganz zu schweigen von den steuerlichen Gestaltungsprivilegien, die uns viel Geld kosten. [] Die Folge ist: Von je 100 DM Bruttoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen wurden im Jahre 1960 noch gut 23 DM ertragsabhängige Steuern gezahlt, im Jahre 1976 waren es schon weniger als 20 DM. Die Lohnsteuer auf je 100 DM Bruttolohn hat sich dagegen in derselben Zeit mehr als verdoppelt. [] Die Arbeitgeber behaupten außerdem: Die hohen Lohnkosten zerstören unsere Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt und gefährden Exporte und Arbeitsplätze. [] Wenn das wahr wäre, dann [] - müßten wir vom Ausland mehr Waren importieren als wir ins Ausland exportieren; - müßte die Bundesrepublik auf Dauer zu wenig Devisen haben, um ihre Importe bezahlen zu können; - müßte der Wechselkurs der DM andauernd sinken. [] Die Wirklichkeit sieht anders aus: [] - Kein Land der Erde hat Jahr für Jahr so hohe Exportüberschüsse wie die Bundesrepublik. [] - Kein Land der Erde besitzt so viele Devisen, wie die Deutsche Bundesbank in ihren Tresoren lagert. [] - Von allen Währungen der Welt ist nur der Wechselkurs des Schweizer Franken in den letzten Jahren noch stärker gestiegen als der Kurs der DM. [] Das Fazit lautet: [] Exportüberschüsse, Devisenhort und Kurssteigerungen der DM beweisen ebenso wie die nachfolgende Tabelle, daß Lohnkosten und Preise in der Bundesrepublik wesentlich langsamer steigen als im internationalen Durchschnitt. [] Lohnkosten je Produkteinheit in ausgewählten Ländern - Veränderungen gegenüber dem Vorjahr in v. H. - [] Also geht es nur noch um eine Frage: [] Wenn die Wirtschaftsanalyse der Arbeitgeber, wie gezeigt, so daneben geht und ihr Rezept von gestern sich nicht zur Lösung der Beschäftigungsprobleme von heute eignet, welche Analyse der Wirklichkeit ist dann richtig, und nach welchem Rezept ist zu verfahren? [] Die Vorschläge des DGB zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung: [] Die heutige Arbeitslosigkeit ist - wie Fachleute zu sagen pflegen - "strukturell" verursacht. Die hauptsächlichen "strukturellen", d. h. die tiefgreifenden Ursachen der Arbeitslosigkeit sind: [] - Technischer Wandel, Rationalisierungsinvestitionen und Vernichtung von Arbeitsplätzen; immer mehr wird mit immer weniger Leuten produziert. [] - Von Mitte der 70er Jahre bis Ende der 80er Jahre werden als Folge geburtenstarker Jahrgänge Jahr für Jahr rund 100 000 Menschen mehr in das Erwerbsleben eintreten und einen Arbeitsplatz suchen als aus dem Arbeitsprozeß ausscheiden. [] - Der Nachholbedarf der 50er und z. T. der 60er Jahre, der die Nachfrage nach wichtigen Konsumgütern wie Radios, Kühlschränke, Staubsauger, Waschmaschinen usw. Jahr für Jahr rasant steigerte, ist weitgehend gesättigt, d. h. eine früher sehr starke Stütze für Wachstum und Beschäftigung ist schwächer geworden. [] - Immer mehr Rohstoffländer wollen heute aus ihren Rohstoffen selbst die Fertigprodukte herstellen, die sonst bei uns oder in anderen Industrieländern produziert wurden. Sie wollen uns beispielsweise nicht mehr Rohbaumwolle sondern Fertigkleidung, nicht mehr Tierfelle sondern fertige Lederprodukte verkaufen. [] - An vielen Stellen unserer Wirtschaft entpuppen sich früher vorgenommene Investitionen heute als zu umfangreich und damit als Fehlinvestitionen, für deren Produkte kein ausreichender Bedarf besteht. Als Beispiele sind zu nennen: [] Schiffbau und Teile der Stahlindustrie, Lokomotivbau und bestimmte Zweige der Chemie. [] Der DGB begreift die Arbeitslosigkeit und ihre Ursachen als die Herausforderung unserer Zeit. Er begegnet dieser Herausforderung mit einem [] Programm zur Wiederherstellung der Vollbeschäftigung, das auf drei Säulen steht: [] Die erste Säule heißt: [] Beschleunigung des qualitativen Wachstums. [] Gefordert werden schneller steigende Investitionen zur Befriedigung des entstandenen Nachholbedarfs, z. B. beim sozialen Wohnungsbau und beim Städtebau, bei Einrichtungen des Bildungs- und Gesundheitswesens, beim öffentlichen Nahverkehr und im Umweltschutz. [] Die zweite Säule heißt: [] Soziale Beherrschung von technischem Wandel und Rationalisierungsinvestitionen. [] Bei der Förderung des technischen Wandels muß das Schwergewicht auf arbeitsplatzschaffende sowie rohstoff- und energiesparende Technologien gelegt werden. öffentliche Subventionen dürfen nicht mehr einfach für Investitionen gegeben werden, sondern nur für neu geschaffene Arbeitsplätze. Die Arbeitnehmer müssen vor einer Steigerung des Arbeitsstreß, vor Herabstufung und Lohneinbußen sowie vor anderen unsozialen Folgen des technischen Wandels umfassend geschützt werden. [] Die dritte Säule heißt: [] Verkürzung der Arbeitszeit. [] Technischer Wandel und Rationalisierung versetzen uns in die Lage, bei gleichbleibender Arbeitszeit mit immer weniger Menschen immer mehr zu produzieren. Diese Kernursache der Arbeitslosigkeit stellt uns vor folgende Alternative: [] Entweder wir produzieren unter Beibehaltung der heute üblichen Arbeitszeiten mit immer weniger Beschäftigten immer mehr Güter - die Folge wäre: Immer mehr Menschen würden arbeitslos, und immer weniger Beschäftigte müßten für immer mehr Arbeitslose Steuern und Versicherungsbeiträge zahlen - [] oder [] die Arbeitszeit des einzelnen wird verkürzt, das Mehr an Freizeit wird gleichmäßig auf alle Kollegen verteilt, die Produktion wird nicht von immer weniger Menschen, sondern von allen arbeitswilligen und arbeitsfähigen Menschen geleistet. [] Das ist der sinnvollere Weg. Denn kürzere Arbeitszeit bedeutet mehr Lebensqualität und weniger Arbeitslose. Voraussetzung ist dabei ein voller Lohnausgleich, d. h. die Produktionssteigerung wird z. T. durch Barlohnsteigerung, zum anderen Teil durch mehr Freizeit "kassiert". [] An Möglichkeiten zur Arbeitszeitverkürzung gibt es keinen Mangel. Sie reichen von der Einführung eines 10. Hauptschuljahres und eines Berufsgrundbildungsjahres über die Verlängerung des Jahresurlaubs und die Herabsetzung der flexiblen Altersgrenze bis zur Verkürzung der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit. [] Ein Problem macht Schlagzeilen: [] Die Arbeitslosigkeit. [] Der DGB hat zu den Schlagzeilen den passenden Text geliefert: [] Das Programm für die Wiederherstellung der Vollbeschäftigung. [] Gegen die Scheinlogik der Unternehmer, die aus der Not der Zeit einen Extraprofit ziehen möchten. [] Für ein vernünftiges Wachstum unserer Wirtschaft und ein gesichertes Einkommen für alle. [] Wer sich über dieses Programm genauer informieren möchte, kann den ausführlichen Text anfordern bei: [] Deutscher Gewerkschaftsbund [] Bundesvorstand [] Abt. Wirtschaftspolitik [] Postfach 26 01 [] 4000 Düsseldorf 1 [] Herausgeber: Deutscher Gewerkschaftsbund, [] Bundesvorstand, Abt. Wirtschaftspolitik [] Gestaltung: acon, Köln [] Druck: satz+druck gmbh, Düsseldorf [] 1/1978 [] DGB [] Gemeinsam erreichen wir mehr.
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