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Summary:Sonderausgabe VIII/69 [] Tatsachen und Argumente [] Henri Nannen, [] Chefredakteur des "STERN"-Magazins, stellt und beantwortet in der Ausgabe Nr. 30 vom 27. 7. 1969 sieben Fragen zur Wahl, die wir nachstehend im vollen Wortlaut und ohne Kommentar veröffentlichen: [] Sieben Fragen zur Wahl [] Wenn Ihnen in diesen Wahlkampftagen die Politiker das Blaue vom Himmel versprechen, dann tun Sie gut daran, immer ein paar Fragen zur, Hand zu haben. [] Erstens: handelt es sich bei diesen Wahlen wirklich um eine Schönheitskonkurrenz oder einen Sympathiewettbewerb? Daß Kurt Georg Kiesinger ein schöner Herr ist - wer wollte es bezweifeln. Daß sein silbernes Haar und seine glatte Zunge manchem gut eingehen, ist unbestritten. Aber Sie müssen es wissen, ob Sie zu den Leuten gehören, die, wenn sie einen Anzug kaufen, auf den Verkäufer sehen oder auf Stoff und Schnitt. Nehmen Sie die Ware prüfend in die Hand? Dann machen Sie's bei politischen Angeboten nicht anders. ]} Zweite Frage: Wenn einer jetzt etwas zu tun verspricht, warum verspricht er es gerade jetzt und hat es nicht längst getan? [] Kürzlich hat der Bundeskanzler vor den Bildlesern einen generösen Plan für die Alten ausgebreitet. So nach dem Motto: "Keiner soll im Alter hungern, keiner soll frieren, keiner soll einsam sein." [] Ein schöner Plan fürwahr. Aber warum bietet er ihn gerade jetzt vor den Wahlen an? Warum hat er ihn nicht längst in Angriff genommen? Er war doch an der Macht. Er ist bald drei Jahre Kanzler, und seine Partei hat gut zwanzig Jahre lang das Feld beherrscht. Ist Großmütterchen dem Kanzler erst zur Wahl ans Herz gewachsen? [] Drittens: Wenn einer was verspricht, so lohnt sich's immer zu fragen, was er bei früheren Wahlen versprochen und ob er es auch gehalten hat. [] Die Devise der CDU unter Adenauer und Erhard hieß, wenn ich mich recht erinnere: "Wohlstand für alle". Nun, wir hatten ihn erreicht. Durch den Fleiß unserer Bürger und - zugegeben - durch Erhards kluge Wirtschaftspolitik. Aber der Kanzler Erhard hielt nicht, was der Wirtschaftsminister Erhard versprochen hatte, und so trieben wir unaufhaltsam in die Krise von 1966/67. Eine halbe Million Bundesbürger verlor ihren Arbeitsplatz. [] Diese Wirtschaftskrise hat - daran gibt es wiederum keinen Zweifel - Professor Karl Schiller aufgefangen und zum Besseren gewendet. [] Daß die CDU/CSU es nicht schätzt, wenn im Wahljahr von dieser Leistung eines undogmatischen Sozialdemokraten zu laut gesprochen wird, ist verständlich. Wenn aber Herr Schmücker, der letzte CDU-Wirtschaftsminister im Kabinett Erhard, heute meint, man habe diese Wirtschaftskrise ja eigentlich gewollt, um die faul gewordenen Deutschen an die Arbeit zu kriegen, so ergibt sich daraus gleich die [] vierte Frage: "Werden bei uns solche Unverschämtheiten einem Politiker am Wahltag nicht heimgezahlt?" [] Es könnte ja sein, daß die CDU/ CSU, die nach der absoluten Mehrheit strebt, uns diesen Herrn Schmücker wiederum als Wirtschaftsminister präsentieren möchte. Im Vertrauen gesagt: Sie hat keinen anderen. Und vielleicht sind wir Herrn Schmücker dann wieder zu faul geworden, und er läßt uns aus pädagogischen Gründen wieder in eine Krise gleiten, in der Hunderttausende von Bundesbürgern um ihre Stellung fürchten müssen, um ihren verdienten Wohlstand und um die Sicherheit im Alter. [] Übrigens, wir sind schon auf dem Wege dazu. Die Aufwertung der D-Mark, vom SPD-Professor Schiller gefordert, ließ sich gegen Franz Josef Strauß und Kurt Georg Kiesinger im Kabinett nicht durchsetzen. Kiesinger hatte aus Bevölkerungsumfragen erfahren, daß die meisten Deutschen eine Aufwertung der D-Mark als Manipulation mit dem Geld und daher als Gefahr für unsere Währung ansehen. Der Fachmann weiß: Das Umgekehrte ist der Fall. Die Aufwertung der D-Mark hätte unser Geld wertvoller gemacht (daher der Name Aufwertung!), sie hätte die Überhitzung unserer Konjunktur und damit das bevorstehende Ansteigen der Preise verhindert. [] Nun pflegt doch ein Arzt seine Kranken nicht zu befragen, welche Arzneien er ihnen verordnen soll. Der Doktor ist es, der die Medizin studiert hat, er wird da wohl besser Bescheid wissen als Onkel Hans und Tante Lenchen. So ergibt sich denn gleich [] Frage Nummer fünf: Sollte man nicht skeptischer sein gegen Politiker, die durch Umfragen ermitteln, welche Vorstellungen die von wirtschaftlicher Sachkenntnis nicht belasteten Wähler haben, und die diesen Wählern dann einfach nach dem Mund reden? [] Schiller hat durch die Ankurbelung der stagnierenden Wirtschaft eindeutig bewiesen, daß er sein Handwerk versteht. Er ist - da stimmen Industrielle und Gewerkschaftler miteinander überein - im Augenblick der beste aller denkbaren Wirtschaftsminister in der Bundesrepublik. Will man ihn behalten, wird man wohl SPD wählen müssen, auch wenn einem mancher und manches an dieser Partei nicht gefallen mag. [] Die sechste Frage schließlich lautet: Wird auch der Mißerfolg einem Politiker bei uns am Wahltag nicht in Rechnung gestellt? [] Da hat die CDU/CSU nun seit mehr als zwanzig Jahren erzählt, man müsse nur heftig genug an die deutsche Wiedervereinigung glauben, dann werde sie schon kommen. Da hat man Jugoslawien erst mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen bestraft, weil Tito die DDR anerkannte, später hat Bonn gemerkt, daß dies ein Schnitt in den eigenen Finger war, und einen neuen Botschafter nach Belgrad geschickt. Da hat man Kambodscha mit "Einfrieren" der diplomatischen Beziehungen gedroht, bis wir dort kurzerhand hinausgeworfen wurden, und eben passiert uns in Kairo ein ähnliches Mißgeschick. [] Das von der CDU/CSU propagierte Alleinvertretungsrecht der Bundesregierung verkehrt sich so in sein Gegenteil: bald sind in einem großen Teil der Welt die Deutschen allein durch einen DDR-Botschafter vertreten. Alles nach dem Motto: Es geschieht meinem Vater ganz recht, wenn ich mir die Hände erfriere, warum kauft er mir keine Handschuhe. [] Da wäre dann nur noch siebtens zu fragen: Warum SPD-Bundesaußenminister Willy Brandt seine bessere Einsicht im Kabinett nicht durchsetzen konnte. Im Osten wie im Westen verfügt er schließlich über mehr außenpolitischen Kredit als irgendein CDU-Bundesaußenminister vor ihm. [] Worauf es eine Antwort gibt: Weil Sie und ich bei der letzten Bundestagswahl nicht SPD gewählt haben. Aber das ließe sich ja am 28. September korrigieren. [] Herausgeber: Vorstand der SPD, SOPADE-Rednerdienst, Redaktion: [] Wolf Koch, Bonn, Ollenhauerstraße 1, Druck: Vorwärts-Druck, Bad Godesberg, Kölner Straße 108-112 - 7 - 69 - A 1 - 500 - Bestell-Nr. 2455
Published:27.07.1969