Dr. Schumacher an die Wähler und Wählerinnen Hamburgs!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Dublette (1) Dr. Schumacher [] an die [] Wähler und Wählerinnen Hamburgs! [] Schon im April und Mai des Jahres 1945 begann die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wieder zu erstehen. Von vornherein war sie sich der Schwere der Aufgaben be...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Hamburg, Auerdruck GmbH, Hamburg
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.08.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/4469C39F-7504-4760-ACDA-875D8ADFB8EE
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Dublette (1) Dr. Schumacher [] an die [] Wähler und Wählerinnen Hamburgs! [] Schon im April und Mai des Jahres 1945 begann die Sozialdemokratische Partei Deutschlands wieder zu erstehen. Von vornherein war sie sich der Schwere der Aufgaben bewußt. Aber das Werk mußte angegriffen werden. Es galt, dem deutschen Volk ein neues Selbstbewußtsein und Staatsbewußtsein zu geben. Die Probleme, die aus der Zerstörung und den Sünden des Dritten Reiches in ganz Europa entstanden waren, mußten in langer schwerer politischer, wirtschaftlicher und kultureller Arbeit gelöst werden. Eine neue Gesinnung allein kann die neuen Schwierigkeiten meistern. [] Nur ein Volk, dem ein nationales Selbstbewußtsein innewohnt und das sich seine Hilfsmittel für die Friedensproduktion bewahren kann, ist zur internationalen Zusammenarbeit tauglich. Es galt also, die noch so erklärlichen Exzesse der Siegerpolitik mit deutschen Kräften der Vernunft und des guten Willens zurückzudrängen. Eine einseitige Politik gegen Deutschland mußte eine gute Politik gegen Europa werden. Ein neuer Nationalismus in allen seinen Variationen vom Nationalkommunismus bis zum Neofaschismus war die Gefahr, die aus der Einseitigkeit und Kurzsichtigkeit einer Nichts-als-Siegerpolitik in Deutschland entstehen konnte. [] Aus eigenem Begreifen und eigenem Willen zur Selbständigkeit hat die Sozialdemokratische Partei dem enormen Druck der russischen Staatsmacht auf Zwangsvereinigung der Sozialisten und Kommunisten widerstanden. Wäre in den Jahren 1945/46 die Sozialdemokratie in den Westzonen und Berlin schwach geworden, dann wäre der politische Sieg der Sowjets in Europa nicht mehr abzuwenden gewesen. [] Der zweite Schritt zur Selbständigkeit wurde von der Sozialdemokratie in Bonn getan. Während die anderen Parteien dem Druck der Aliierten [!] [Alliierten] wichen und ihn zum Teil sogar als wohltuend empfanden, weil er ihren heimlichen Wünschen entsprach, hat die Sozialdemokratische Partei am 20. April 1949 zu den alliierten Pressionen eindeutig nein gesagt. Dadurch allein ist es möglich geworden, in Bonn ein provisorisches Grundgesetz zu schaffen, das zwar noch längst nicht den sozialdemokratischen Wünschen und Vorstellungen von einer Verfassung entspricht, das aber bei gutem Willen des deutschen Volkes ein Fundament für die Entwicklung zum besseren sein kann. [] Die sozialdemokratische Haltung in Bonn ist die erste wirklich entscheidende Handlung zur nationalen Selbständigkeit der Deutschen. [] Den dritten Schritt will die Sozialdemokratie tun, indem sie durch ein politisch freiheitliches und sozial gesundes Deutschland die Anziehungskraft auf den deutschen Osten ausübt. Das ist der einzige Weg zur deutschen Einheit. Ohne die persönliche, politische und staatsbürgerliche Freiheit und Gleichheit in allen Zonen gibt es keine deutsche Einheit, sondern nur eine russische Provinz. Um aber gegenüber dem Osten sich erfolgreich durchzusetzen, ist es nötig, nicht ein Instrument der westlichen Siegerpolitik zu werden, sondern deutsche und damit internationale Politik zu machen. [] Jede Staatsform braucht eine materielle soziale Basis. Nur ein Westdeutschland sozialer Gerechtigkeit kann die unwiderstehliche Anziehungskraft auf den deutschen Osten ausüben. [] Die Wirtschaftspolitik von Frankfurt, die die Armen ärmer und die Reichen reicher gemacht hat, ist der falsche Weg und wirkt sich stimmungsmäßig genau wie bestellte Maßarbeit für die Sowjetrussen aus. [] Die Kreditnot und die Arbeitslosigkeit sind durch diese Frankfurter Wirtschaftspolitik selbst verschuldet. Der Mangel an volkswirtschaftlicher Planung und Kontrolle, die das Gegenteil der Kriegszwangswirtschaft des Dritten Reiches sind, hat dazu geführt, die deutsche Wirtschaft zu schwächen. [] Ohne Marshall-Plan und den guten Willen der körperlich und geistig Arbeitenden wäre Deutschland mit dieser Politik der hohen Preise und der niedrigen Löhne in neue schwerste Gefahren gekommen. [] Jetzt gilt es, positiv zu handeln. Wir brauchen insoweit eine geplante Wirtschaft, als die Reihenfolge der Kapitalanlagen und der Rohstoffversorgung nach der Notwendigkeit der zu erzeugenden Güter bestimmt wird. Ein- und Ausfuhr müssen nach denselben Grundsätzen behandelt werden. [] Die Kaufkraft der breiten Massen allein kann die Prosperität der deutschen Wirtschaft sichern. Ein soziales Wohnungsbauprogramm soll in wenigen Jahren einer Million Menschen ein neues Dach über dem Kopf schaffen. Zentral gelenkte wirtschaftlich und gesellschaftliche Einsiedlung der Flüchtlinge ist nötig. Das sozialpolitische Durcheinander muß überwunden, Hilfe für die Armen, Kranken und Schwachen und die Opfer des Krieges gebracht werden. Die schweren Industrien des Ruhrgebietes müssen der willkürlichen Handhabung der Mitschuldigen am Dritten Reich entzogen und sozialisiert werden. Die inneren und äußeren Kriegsfolgelasten müssen nach der Tragfähigkeit der Schultern verteilt werden. [] Das deutsche Volk kann diesen Weg nur gehen, wenn es auch seine geistige Freiheit behauptet und entwickelt. Die Sozialdemokraten stehen positiv zu allen Religionen und Weltanschauungen. Sie lehnen es aber ab, sich klerikalen Machtansprüchen zu unterwerfen. [] Die Wählerinnen und Wähler sollen sich am 14. August darüber klar sein, daß dieser erste Wahltag in einem neuen deutschen Staatswesen mehr ist als einer der vielen Tage, an denen sie sonst schon gewählt haben. [] Die Entwicklung kann durch den 14. August in eine Bahn gelenkt werden die im Guten und im Bösen nur sehr schwer wieder korrigiert werden kann. Dessen sollen sich alle Wählenden bewußt sein und wählen sollen alle! [] Hamburg war stets eine Stimme realpolitischer Vernunft. Seine internationalen Bindungen haben ihm bewiesen, wie tolerant und weitherzig man sein muß, wie notwendig es aber auch ist, sich selbst zu behaupten. [] Daran bitte ich Sie am 14. August zu denken. Sie werden dann erkennen, daß [] die Sozialdemokratie für Deutschland, und in Deutschland gerade für eine Stadt wie Hamburg, nötig ist. [] Kurt Schumacher [] Dr. Kurt Schumacher [] spricht zur [] Hamburger Bevölkerung [] am Sonnabend, dem 30. Juli 1949, um 18 Uhr in [] "Planten un Blomen" [] am Dammtorbahnhof [] Herausgeber: SPD Hamburg. - Druck: Auerdruck GmbH, Hamburg 1, Speersort 1.
Published:14.08.1949