Kommunisten schiessen auf Arbeiter

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Stempelaufdruck: Sozialdemokratische Partei Deutschlands Parteivorstand Bibliothek Kommunisten schiessen auf Arbeiter [] KP-Polizei schießt auf streikende Arbeiter. [] Soweit ist es also gekommen: In der Ostzone gibt es kein Streikrecht mehr....

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Brandt, Willy
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 05.1949 - 06.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/163300FF-C0F0-4595-88CD-01026BFF0DCE
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Stempelaufdruck: Sozialdemokratische Partei Deutschlands Parteivorstand Bibliothek Kommunisten schiessen auf Arbeiter [] KP-Polizei schießt auf streikende Arbeiter. [] Soweit ist es also gekommen: In der Ostzone gibt es kein Streikrecht mehr. In Berlin ist die kommunistische Führung der SEP und des FDGB den für gerechten Lohn kämpfenden Eisenbahnern in den Rücken gefallen. Die Kommunisten sind als Streikbrecher aufgetreten. Sie haben auch bewaffnete Polizeistreitkräfte gegen die Streikenden eingesetzt. Infolge des kommunistischen Schießbefehls floß Blut in Berlin. Die Opfer klagen an. Sie klagen diejenigen an, die sich als "radikale" Vertreter der Arbeiterinteressen aufspielen und dort, wo sie an der Macht sind, mit den Mitteln brutalster Gewaltanwendung gegen die Arbeiterschaft vorgehen. Aber auch diejenigen, die in anderen Teilen Deutschlands die Stirn haben, solche verruchten Methoden entschuldigen zu wollen. [] Hier gibt es keine Entschuldigung und auch kein spitzfindiges Wegerklären. Hier gilt es Farbe zu bekennen: Für die Streikenden Arbeiter, oder für schießwütige Streikbrecher? [] Beim Eisenbahnerstreik geht es um folgenden Sachverhalt: [] Die 15000 Eisenbahner der Berliner Westsektoren waren die Stiefkinder der Währungsumstellung vom März dieses Jahres. Alle anderen Arbeiter und Angestellten wurden seitdem in Westmark entlohnt. Die Eisenbahner aber mußten weiterhin mit Ostmark vorlieb nehmen. Ihr Betrieb, zu dem auch die Berliner S-Bahn gehört, untersteht nämlich der ostzonalen Generaldirektion. Diese ist wiederum von der Sowjetischen Militär-Administration in Karlshorst abhängig. Und dort will man die Westmark nicht "zur Kenntnis" nehmen. [] Die Frauen der Berliner Eisenbahner mußten beim Kaufmann mit Westmark bezahlen. Sie mußten ihre Mieten in Westmark entrichten. Ihr Gehalt aber schrumpfte beim Umtausch von Ost- in Westgeld auf ein Viertel zusammen. Sie konnten ganz einfach nicht von 10 oder 12 Mark in der Woche existieren. Die ostzonale Generaldirektion ließ nicht mit sich reden. Dabei lag die Lösung auf der Hand. Man brauchte lediglich die S-Bahngebühren in den Westsektoren in Westmark zu erheben, um über die für die Entlohnung der in den Westsektoren lebenden Eisenbahner erforderlichen Gehaltsmittel zu verfügen. [] Da dieser Ausweg trotz wiederholter Aufforderungen nicht beschritten wurde, entschloß sich die Eisenbahnergewerkschaft der UGO zum Streik. Seit Wochen bereits hatte eine erdrückende Mehrheit (94,5 %) der Eisenbahner die Anwendung dieses Mittels im Arbeitskampf verlangt, falls auf dem Verhandlungswege keine Lösung erzielt werden konnte. In der Nacht zum 21. Mai wurde der gesamte Verkehr in den Westsektoren stillgelegt. Es wurde aber ausdrücklich erklärt, daß keine Beeinträchtigung des Interzonenverkehrs stattfinden sollte. [] Neben der Lohnforderung waren es noch zwei weitere Forderungen, mit denen die Eisenbahner in den Streik gingen. Sie forderten uneingeschränktes Koalitionsrecht. Und sie verlangten, daß ihre aus politischen Gründen schon vorher entlassenen 1200 Kollegen wieder eingestellt würden. Es ist bezeichnend, daß das gewerkschaftliche Koalitionsrecht in Berlin im Jahre 1949 gegenüber einer kommunistischen Generaldirektion durchgefochten werden muß und daß sich dieselbe Direktion in rücksichtslosester Weise des Mittels der Maßregelung bedient. [] Der gewerkschaftliche Kampf für die erwähnten drei Forderungen, der schon seit Wochen auf der Tagesordnung stand, kam am 21. Mai in selten geschlossener und wirkungsvoller Weise zum Durchbruch. Es meldeten sich über 14000 der in Frage kommenden 15000 Eisenbahner bei den Streikbüros, auch jene Eisenbahner, die sich noch nicht vom kommunistischen FDGB getrennt hatten. [] Nachdem der Arbeitskampf begonnen hatte, stellte sich die gesamte UGO hinter ihre Kollegen. Es war ebenso verständlich, daß die Berliner Sozialdemokratie für die gerechten Forderungen der streikenden Eisenbahner in die Bresche sprang. [] Nachdem nun der Streik begonnen hatte, kam es zum Einsatz der ostzonalen Polizei. Formell bediente man sich der Bahnpolizei, da das gesamte Eisenbahngelände Berlins der ostzonalen "Reichsbahn" und der ihr übergeordneten SMA untersteht. Tatsächlich holte man aber aus der ganzen Ostzone tausende mit Karabinern, Maschinenpistolen und Maschinengewehren bewaffnete Landespolizisten nach Berlin, um sie zur Niederschlagung des Streiks einzusetzen. [] Die Polizisten des Berliner Ostsektors benutzten vielfach die erste sich bietende Gelegenheit, dem verruchten Dienst zu entrinnen. Und die Polizisten aus der Ostzone waren nach Strich und Faden beschwindelt worden, bevor man sie nach Berlin transportiert hatte. Als sie den wahren Sachverhalt erfuhren, ging das Bestreben der meisten dahin, möglichst bald wieder nach Haus zu kommen. [] Wir klagen nicht die Ostpolizisten an, jedenfalls nicht in ihrer Gesamtheit. Wir klagen jene an, die ihnen den verbrecherischen Befehl gaben, gegen Streikende und Zivilisten mit der Waffe vorzugehen. [] Unsere Anklage richtet sich auch gegen diejenigen, die die Mitglieder der als FDJ getarnten kommunistischen Jugend gegen die Eisenbahner hetzten. Vor allem aber auch gegen jene FDGB-Führer, die Gruppen ihrer eigenen Leute mit Knüppeln, Totschlägern und sogar mit Schußwaffen ausrüsten ließen, um sie gegen die Streikenden einzusetzen. Daß die Arbeiterschaft der Ostzone mit solchen Machenschaften nicht das Geringste zu tun hat, ergibt sich aus den zahlreichen Bekundungen der Solidarität, die - gerade auch aus Eisenbahnerkreisen - nach Berlin durchgedrungen sind. [] Die Kommunisten sprachen heuchlerisch von "Sabotage", als die streikenden Eisenbahner Vorkehrungen trafen, um den Streikbruch technisch zu erschweren. Die Patent-Revolutionäre verkündeten plötzlich, daß Streiks in "volkseigenen" Betrieben "unzulässig" seien. Der berüchtigte "Polizeipräsident" Markgraf drohte den Eisenbahnern mit Todes- und Zuchthausstrafen. [] Man glaubt sich in die Frühzeit der Arbeiterbewegung zurückversetzt. Oder es drängen sich Vergleiche mit der Hitlerzeit auf! Die Berliner ließen sich aber durch den Terror nicht einschüchtern. Sie bekundeten auf vielfältige Art ihre Sympathie mit den Eisenbahnern. Dadurch scheiterte der Versuch der kommunistischen SEP-Führung, zu Beginn der Pariser Verhandlungen putschistische Abenteuer vom Zaun zu brechen. Die rechtmäßige Berliner Polizei schaffte nach drei wilden Tagen Ordnung auf den Bahnhöfen und zwang die Vortrupps der kommunistischen Bürgerkriegsarmee zum Rückzug. Damit sind aber noch nicht alle Fragen beantwortet, die sich über die gewerkschaftlichen Probleme hinaus aus dieser Lage ergeben haben. [] Es blieb jedenfalls der SEP-KP vorbehalten, eine Lage herbeizuführen, in der über den in der ganzen Geschichte der Arbeiterbewegung verfemten Streikbruch hinaus Deutsche gegen Deutsche, Arbeiter gegen Arbeiter eingesetzt wurden - mit der Schußwaffe eingesetzt wurden! [] Das kann, das darf, das wird nicht vergessen werden! [] Willy Brandt [] Herausgeber: Vorstand der SPD [] CDH 62
Published:05.1949 - 06.1949