"Nee, ohne Steuermarke nehm ich den nicht an!"

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; "Nee, ohne Steuermarke nehm ich den nicht an!" [] Brechung der Zinsknechtschaft [] Von H. C. Goldscheider [] Wir sind seit dem Erlebnis mit Hitlers Rassenlehre, die sich auf die primitive Formel gründete, Blut sei ein ganz besondere...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Buchdruckwerkstätten Hannover GmbH
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1948 - 1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/EC8F8DF0-1C40-4FCD-B291-11BEDD3DE199
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; "Nee, ohne Steuermarke nehm ich den nicht an!" [] Brechung der Zinsknechtschaft [] Von H. C. Goldscheider [] Wir sind seit dem Erlebnis mit Hitlers Rassenlehre, die sich auf die primitive Formel gründete, Blut sei ein ganz besonderer Saft, recht skeptisch gegenüber politischen Patentmedizinen geworden, zumal wenn sie von Wanderpredigern mit unüberbietbarer Intoleranz gepredigt werden. Wir meinen hier im ganz speziellen die Lehren der Freiwirtschaftler und Radikalsozialisten, deren Allheilmittel für alle politischen und gesellschaftlichen Schwierigkeiten - kulturelle, also auf höherer als auf der grob materiellen Ebene, scheint es keinerlei zu geben - ein ganz bestimmtes Geldsystem ist. [] Für sie ist Geld ein ganz besonderer Saft. Man nehme ihm die Speicherfähigkeit und man beseitige den Zins und neues Leben blüht aus den kapitalistischen Ruinen. Geld muß rollen und darf niemals für eine unbestimmte Zeit aufhebbar sein, d. h. man muß die Möglichkeit der Kapitalbildung und arbeitslosen Kapitalvermehrung ausschließen, um die bekannten Krisen des Kapitalismus, die zyklische Ueberproduktion und Arbeitslosigkeit grundsätzlich zu vermeiden. Das erreicht man nach den Ideen der Freiwirtschaftler - es sind Gedanken des inzwischen verstorbenen Silvio Gesell - durch das Verbot des Zinses und eine Art Besteuerung des Notgeldes, das etwa im Laufe eines Jahres, sagen wir zehn Prozent seines Wertes verliert. Diese Besteuerung soll den Geldbesitzer zwingen, das Geld laufend umzusetzen. [] Die ungeheuren technischen Schwierigkeiten eines Verfahrens kontinuierlicher Geldentwertung - gedacht wird an das Aufkleben von Steuermarken, die beispielsweise binnen einem Jahr aus einem Eine-Mark-Schein 90 Pfennige machen, - sind von den Erfindern des Verfahrens in keiner Weise durchdacht. Man stelle sich den verwaltungstechnischen Aufwand vor, der notwendig wäre, so etwas mit Millionen von Geldscheinen durchzuführen, man stelle sich die Prüfungsarbeit vor, die bei jeder Zahlung von jedem durchzuführen ist - selbst in der Straßenbahn - ob der Geldschein richtig versteuert ist, das heißt, welchen Wert er zu irgendeinem Zeitpunkt besitzt. Aber ganz abgesehen davon, was Silvio Gesell zu seiner Zeit vielleicht nicht wissen konnte, wir aber heute aus der Erfahrung der Jahre zwischen 1945 und Juni 1948, also zwischen Zusammenbruch und Währungsreform ganz genau wissen: in der bestehenden Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung gibt es kein Mittel, den Produzenten zur Annahme eines Geldes zu zwingen, das er nicht mag. Und "Schwundgeld" - wie die Freiwirtschaftler dieses Geld nennen - mag er bestimmt nicht. [] Wir haben es erleben müssen, daß es zwei Wirtschaftskreisläufe gab. Den einen zwischen Produzent und Produzent, in dem die Kompensation, das heißt aber das Natural-Tauschverfahren galt - er funktionierte immerhin für den Produzenten nicht gar so schlecht - den anderen für den Normalverbraucher, der nichts zu kompensieren hatte, über die Wirtschaftsämter, in dem nur das umlief, was unter erheblichem Aufwand an Gesetzesmitteln aus diesem direkten Produzentenkreislauf abgezweigt werden konnte - und das war nun wirklich kaum das Existenzminimum. [] Der Fehler liegt in der Betrachtungsweise wirtschaftlicher Vorgänge vom Gelde her. Hier liegt auch der Fehler der Währungsreform, die nicht bedachte, daß die Grundursache der deutschen Wirtschaftskatastrophe, die noch durchaus nicht beseitigt ist, auf der Ebene der Produktionsvorgänge zu suchen ist. Geld ist und bleibt nur ein Hilfsmittel der Wirtschaft, ein wichtiges zwar, das ganz zweifellos gewissen Gesetzen unterworfen ist, aber dennoch nur eben ein Hilfsmittel, nicht ein Grundstoff. Die bewiesene Möglichkeit der Wirtschaft ohne Geld zeigt das mit aller Deutlichkeit. Auch die Frage des Zinses ist nicht so einfach, wie es die Freiwirtschaftler gerne haben wollen. Wenn man im Mittelalter von der Kirche her den Zins verbot, - ohne daß man das Einzelnen je hat unterbinden können - so lag das an wirtschaftlichen Vorstellungen und Wirtschaftsformen, die schon damals falsch, heute unmöglich sind. Man kannte in der damaligen Wirtschaftsform noch kaum den Begriff des Investitionskredites, also des Geldbedarfs zum Zweck der Vermehrung der Produktionseinrichtungen, weil es Produktionseinrichtungen größerer Art noch gar nicht gab. Diese begannen notwendig zu werden in dem Moment, als man das Erz in so großen Tiefen suchen mußte, daß man mit den bis dahin üblichen Wasserhaltungsmaschinen, die nur bis etwa 10 m Tiefe brauchbar waren, nicht mehr zu Rande kam. Die Weiterführung dieser abgesoffenen Gruben erforderte maschinelle Einrichtungen von bislang unbekannter Größe, die Kosten [] konnte der im Anfang handwerksmäßig arbeitende Bergmann nicht mehr selber tragen, er brauchte Geld und dieses Geld erzeugte Gewinne, an denen der Geldgeber naturgemäß beteiligt sein wollte. [] Der private Geldgeber wird an solchen durch seine Kredite gegebenen Gewinne stets beteiligt sein wollen. Man kann nicht sagen, daß dieser Wunsch unsittlich sei, vor allem aber wird es unmöglich sein, Kredite zu erhalten, ohne sie zu entgelten. Wenn solche Kredite, wie es vor der Zeit des Kapitalismus, das heißt der Zeit der Investitionskredite nun einmal üblich war, nur zur Beschaffung von Verbrauchsgütern oder zum Bau von Schlössern und dergleichen verwendet werden, also als Konsumtionskredite, ist es allerdings praktisch unmöglich, Zins zu zahlen, weil neue Werte, die Gewinn abwerfen, nicht geschaffen werden. In diesen damaligen Regelfällen war die Zinslast nur durch verschärfte wirtschaftliche Ausbeutung zu tragen, man kann das aber von einem Investitionskredit von vornherein nicht behaupten. [] Eine ganz andere Frage jedoch ist die Frage, inwieweit der Kapitalbesitz zur politischen Macht wird, das heißt eben die gesellschaftliche Schichtung in Produktionsmittelbesitzer und Menschen, die nicht mehr besitzen als ihre Arbeitsfähigkeit. Dieses Verhältnis wird durch die Frage des Zinses nicht berührt. Während der Zinsertrag dem Sparer aus der Sphäre des Proletariats sogar die Möglichkeit gibt, auch von der Wertbeschaffung zu profitieren, würde das zinslose Darlehen dem, der es erhält, also dem Produktionsmittelbesitzer, nur noch höheren Nutzen bringen. Denn tatsächlich ist in der Zeit des Kapitalismus, oder besser gesagt des rapiden Anwachsens der produktiven Kräfte durch die Technik, der gesamte Wohlstand auf dieser Erde ebenso rapide gestiegen, und der Zins ist doch zu einem großen Teil nichts wie der Ausdruck dieses Wertzuwachses, der ein echter ist. Wenn dennoch das Wohlstandsverhältnis zwischen den einzelnen Gesellschaftsklassen im wesentlichen das gleiche blieb, so ist das nicht eine Folge der sogenannten Zinsknechtschaft, sondern der gesellschaftlichen Verhältnisse, welche mit dem Mittel der Sozialisierung, und offensichtlich nur durch dies, geändert werden können und müssen, das heißt grob gesprochen, mit dem Mittel der Entprivatisierung des Großkapitals. Wird dieses Großkapital zum Besitz der Allgemeinheit, so wird auch diese nicht auf den Zins verzichten können nur daß das Kind nun einen anderen Namen erhält. Denn aus dem, was bisher als Zins an den [] Kapitalisten ging, wird nun die Zahlung der Sozialbeiträge aller Art geschehen, ob es sich dabei nun um kostenlose ärztliche Versorgung, Wohnungsbauprogramme oder sonst etwas handeln mag, Immer aber wird der Sparer, den es auch im Sozialstaat gibt, in irgendeiner Form belohnt sein wollen - und wie es scheint, mit Recht. [] Nein, das sind keine Geldprobleme, das sind ausschließlich Probleme der gesellschaftlichen Struktur, das sind viel tiefer gehende Fragen als die der Abschaffung des Zinses und des Erhebens einer Geldscheinsteuer. Am Gelde hängt, am Gelde klebt doch alles, heißt es zwar, doch stimmt das im Grunde genau so wenig wie die Behauptung, Blut sei ein ganz besonderer Saft. Der Mensch steht im Mittelpunkt des politischen und wirtschaftlichen Geschehens, von ihm allein muß man ausgehen, denn er macht die Geschichte. Und um Marx zu widerlegen, muß man mindestens ein ebenso umfassendes Weltbild aufstellen, wie er es tat und nicht nur von Zins und Schwundgeld reden. [] Herausgegeben: Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands. Druck: Buchdruckwerkstätten Hannover GmbH., CDH 524, 834, 5. 49. Kl. C.
Published:1948 - 1949