Flüsterpropaganda: "Wirtschaftskrise?"

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD Flüsterpropaganda: "WIRTSCHAFTSKRISE?" [] Zur Zeit geht eine Flüsterpropaganda durch Deutschland: Ein sozialdemokratischer Sieg würde zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen; die Untern...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Bonn-Druck, Bonn
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 15.09.1957
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/1103CFB4-D75F-41C9-A964-32AE6434D91D
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD Flüsterpropaganda: "WIRTSCHAFTSKRISE?" [] Zur Zeit geht eine Flüsterpropaganda durch Deutschland: Ein sozialdemokratischer Sieg würde zu einer wirtschaftlichen Katastrophe führen; die Unternehmer würden mit Betriebsstillegungen und Entlassungen antworten. [] Diese Propaganda ist so dumm und unwahrhaftig, daß sie das Licht der Öffentlichkeit scheuen muß; darum Flüsterpropaganda. [] Diese Propaganda ist aber auch gefährlich. Sie stellt eine Herausforderung dar an alle, die an eine freiheitliche Entwicklung Deutschlands glauben und für sie arbeiten. Sie untergräbt das Vertrauen breitester Schichten des Volkes in die Demokratie. Diese Propaganda fällt in sich zusammen, wenn man sie auf ihren sachlichen Gehalt prüft. [] Gegen diese Flüsterpropaganda stehen die Tatsachen: [] 1 Die moderne Wirtschaft braucht nichts mehr als Stabilität. Die Grundlage einer solchen Wirtschaft bilden große Unternehmungen mit langfristigen Investitionsprogrammen und mit einer Erzeugung, die nur mit umfangreichen, teuren maschinellen Anlagen und mit einer hochqualifizierten Arbeiterschaft bewältigt werden kann. Die Anlagen arbeiten nur rentabel, wenn sie vollbeschäftigt sind, und jedes Unternehmen achtet sehr darauf, seine Fachkräfte nicht zu verlieren. Darum ist gerade die moderne Wirtschaft auf eine stetige hohe Konjunktur angewiesen, die ihren Erzeugnissen allein ausreichenden Absatz sichert. Jeder Konjunkturrückschlag ist für sie eine große Gefahr. Darum fürchten die Unternehmer heute nichts mehr als einen Konjunkturrückgang. Und darum wird es auch überall als eine der wichtigsten Aufgaben des modernen Staates betrachtet, mit allen wirtschaftspolitischen Mitteln für eine stetige Ausweitung der Wirtschaft und die Verhinderung krisenhafter Entwicklungen zu sorgen. Die Wirtschaft selbst hat daher alles Interesse, daran Rückschläge zu vermeiden. Sie wird sich hüten, leichtfertig einen Produktionsrückgang herbeizuführen. [] 2 Die internationale Verflechtung der Wirtschaft hat einen hohen Grad erreicht. Besonders Deutschland ist durch Aus- und Einfuhr aufs engste mit anderen Ländern verbunden. Insbesondere z. Zt. stützt sich unsere gute Konjunktur in erster Linie auf die hohen Ausfuhrzahlen der deutschen Wirtschaft; die jährliche Ausfuhr beträgt mehr als 30 Milliarden DM! Kein Unternehmer kann riskieren, seine Stellung auf den Auslandsmärkten durch willkürliche politische Maßnahmen zu gefährden, denn jede Einstellung von Ausfuhrlieferungen würde sofort dazu führen, daß andere Konkurrenzländer den deutschen Platz einnehmen. Auf dem Gebiet der Montanunion gibt es darüber hinaus in den 6 Staaten der Montanunions-Länder nur einen einheitlichen Markt. Wenn in Deutschland Werke der Stahlindustrie stillgelegt würden, könnten sehr bald Stahllieferungen aus anderen Ländern der Montanunion erfolgen. Die Einstellung von Kohlelieferungen in die Montanunions-Länder auf Grund willkürlicher Maßnahmen des deutschen Kohlebergbaus würde zu ernsten Auseinandersetzungen mit diesen Ländern führen. [] 3 Die wichtigsten und geschlossensten Industriezweige, in denen am ehesten Aussperrungen und ähnliche Kampfmaßnahmen denkbar wären, sind die Grundstoffindustrien Kohle und Stahl. In ihnen sind willkürliche Maßnahmen aus politischen Gründen schon im Hinblick auf die Mitbestimmung nicht möglich. Es ist - von einigen Ausnahmen vielleicht abgesehen - kaum denkbar, daß die Unternehmensleitungen die im allgemeinen fruchtbare Zusammenarbeit und das gute soziale Klima zugunsten politischer Heißsporne aufs Spiel setzen. Darüber hinaus würden etwaige Maßnahmen an dem Widerstand der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und der Arbeitsdirektoren scheitern. [] 4 Tatsächlich ist die Haltung der deutschen Unternehmerschaft gegenüber politischen Veränderungen nicht einheitlich. Ein großer Teil wird sicherlich eine sozialdemokratische Regierung nicht gern sehen. Von dieser Haltung zur politischen Aktion ist aber ein weiter Schritt. Heute herrschen in weiten Unternehmerkreisen reaktionäre Einflüsse vor. Das ist zum großen Teil darauf zurückzuführen, daß diese Kreise der Unternehmerschaft acht Jahre hindurch von einer restaurativen Politik, die sie weitgehend selbst bestimmt haben, gestützt und ermuntert wurden. Es ist aber ebenso sicher, daß viele moderne und fortschrittliche Unternehmer diese einseitige politische Entwicklung bedauern, weil sie sich davon nur Unheil für die Zukunft Deutschlands versprechen können. Ein sozialdemokratischer Wahlsieg würde gerade jene Kräfte des Unternehmertums stärken und ihnen einen größeren Rückhalt geben, die - bei aller Aufrechterhaltung ihrer abweichenden politischen Standpunkte - wissen, daß ein moderner Industriestaat ohne eine gesunde soziale Entwicklung auf demokratischer Grundlage nicht denkbar ist. Wenn die Flüsterpropagandisten wüßten, in welchem Umfange gerade in den letzten Monaten führende Männer der Wirtschaft Fühlung mit der Sozialdemokratie genommen haben, würden sie sicher auf eine Fortführung ihrer Propaganda verzichten. [] 5 Willkürliche Maßnahmen rückständiger Unternehmerkreise, die sich gegen eine legitime demokratische Wahlentscheidung richten, würden in dem geteilten Deutschland ungeheure politische Gefahren heraufbeschwören. Wenn die deutschen Unternehmer - was nicht anzunehmen ist -, dies in Verblendung mißachten sollten, so wäre sicher, daß die freien Länder des Westens einer solchen Entwicklung mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln entgegenwirken würden. [] 6 Schließlich ist die deutsche Arbeiterschaft stark genug, politischen Gewaltmaßnahmen entgegenzutreten. Sie würde sich dabei, wie gerade die Entwicklung der letzten Monate gezeigt hat, auf breite Schichten außerhalb der Arbeitnehmerschaft stützen. Heute befinden wir uns in einer hohen Konjunktur. In einer solchen Zeit ist die Macht der Arbeiterschaft und der sonstigen freiheitlichen Kräfte des Landes stark genug, um jede Untergrabung der demokratischen Ordnung zu verhindern. Das hat das Schicksal des Kapp-Putsches in der Weimarer Republik deutlich bewiesen. Die Flüsterpropagandisten und ihre Hintermänner sollen wissen, daß sie mit dem Feuer spielen. [] Die deutsche Wirtschaft weiß, daß manche wirtschafts-, steuer-, handels- und finanzpolitische Entscheidung wesentlich anders aussehen wird als in den letzten acht Jahren. Trotzdem kann man aber voraussetzen, daß die deutsche Wirtschaft - als Ganzes gesehen - bereit ist, die politische Entscheidung des deutschen Volkes loyal anzuerkennen, auch wenn sie ihren Wünschen nicht entspricht. Auf der anderen Seite weiß die Sozialdemokratie, daß die Wirtschaft kein geeignetes Feld für Experimente ist. Sie hat daher ein entscheidendes Interesse an einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung und an einer loyalen Zusammenarbeit mit allen aufbauenden Kräften der Wirtschaft. [] Aber es verbleibt eine Frage an die deutsche Wirtschaft! Empfindet sie nicht das Bedürfnis, von einer solchen Flüsterpropaganda in aller Deutlichkeit abzurücken? Müßten nicht der Bundesverband der Industrie, der Deutsche Industrie- und Handelstag, die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände und die übrigen Spitzenorganisationen der deutschen Wirtschaft in allerÖffentlichkeit erklären, daß niemand das Recht hat, an ihrer demokratischen Haltung und an ihrer Loyalität gegenüber Wahlentscheidungen des deutschen Volkes zu zweifeln? [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn - Druck: Bonn-Druck; Bonn
Published:15.09.1957