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Was ist eine Partei und was soll sie nicht sein? [] VON ARNO HENNIG [] Es ist auffallend und wird in allen politischen Lagern beklagt, daß die junge Generation den Parteien gegenüber sehr zurückhaltend, ja mißtrauisch ist. Diese jugendlichen Menschen haben noch den Klang des Wortes Partei im Ohr aus einer Zeit, wo dieser Begriff festzuliegen schien und sich den Oberbefehl über alle Lebensäußerungen anmaßte. Solange der Erfolg auf seiner Seite war, ließ man ihn gelten oder beschränkte sich auf Witze und kleine "Meckereien" als kritische Ventile, als aber der Weg über "die Partei" in den Abgrund führte, schwor man Enthaltsamkeit von aller Parteipolitik. Man will nicht zum zweiten Male mißbraucht werden. [] Diese Haltung ist, wenn sie auf demokratische Nachkriegsparteien angewandt wird, ungerecht und bedauerlich, aber durchaus begreiflich. Nur eine klare Abgrenzung und Inhaltsbezeichnung des Begriffes Partei kann hier eine Wandlung anbahnen, im vollen Umfange natürlich erst der Anschauungsunterricht guter demokratischer Politik durch die Parteien. [] Eine Partei ist ein Zweckverband. Sie kümmert sich nicht um alles und jedes, sondern erstrebt Machtentfaltung. Sie erstrebt die Macht zur Durchsetzung ihrer Ziele, ihres Programmes. So erblickt die Sozialdemokratie in der Ueberführung der sozialisierungsreifen Produktionsmittel in die Hände der Allgemeinheit die Voraussetzung für die zweckmäßigste Form des Zusammenlebens von Menschen. Da dieser Schritt nur durch Menschen herbeigeführt werden kann, will die Sozialdemokratie den Menschen keine Haltung anerziehen, die ihr Verantwortungsgefühl über die private Sphäre hinaus ausdehnt auf das gesamte öffentliche Leben in Staat, Wirtschaft, Geistesleben. [] Daß von der Verwirklichung des Parteizieles tiefe Wirkungen ausgeben müssen auf das Ganze des gesellschaftlichen Lebens bedeutet keinesfalls einen "Totalitätsanspruch". Der "Totalitätsanspruch" einer Partei ist gefährlich für die Gesellschaft ja, für die Welt. Die grauenhafte Hinterlassenschaft der Nazis und der Faschisten bezeugt es. Es ist aber auch gefährlich für die Partei selbst. Denn er führt zwangsläufig zur Entartung. Er entwertet jede Kritik oder schaltet sie aus; er duldet keinen ehrlichen Wettbewerb, er maßt sich weltanschauliche Vorschriften an; er vergottet den eigenen Apparat, erklärt ihn für unfehlbar und militarisiert ihn direkt oder indirekt durch "Schutz"-Abteilungen oder "Schutz"-Staffeln. Jede Partei, die sich zum Selbstzwecke erklärt und sich den Teil an Stelle des Ganzen setzt, geht diesen Weg. Darum ist die Entartung einer Partei zur Totalität mit Demokratie nicht vereinbar. Darum ist auch schon eine Partei bedenklich, die mit der Behauptung auftritt, die richtige und verbindliche "Weltanschauung" zu besitzen, denn in diesem Anspruch liegt immer der Keim des "Totalitären". [] Natürlich haben auch die Angehörigen einer Partei das Bestreben, sich ein Bild von der Welt zu machen, sie müssen das sogar tun. Aber es ist ein Unterschied, ob sie das Ganze der Welt durch eine parteiamtliche Brille zu betrachten haben wie unter den Nazis, oder mit ihren eigenen Augen. So ermutigt die Sozialdemokratie ihre Anhänger ausdrücklich zu dieser selbständigen Betrachtung der Welt und empfiehlt ihnen sogar eine sehr fruchtbare und zum Eigengebrauch vorzüglich geeignete Methode, die Goethe als Polarität, Hegel als Dialektik bezeichnet und die immer den möglichen Gegensatz mitzubegreifen bemüht ist, um zum richtigen Bilde des Ganzen zu gelangen. Damit wird heute noch die richtige Urahnung der Menschheit ausgewertet, daß das Weltganze nur zu begreifen sei aus der Spannung zwischen Gott und Satan. [] Aber eine Methode ist kein Dogma, ein Weg zu Erkenntnissen keine Verpflichtung zu weltanschaulichen Bekenntnissen. [] Machtentfaltung ist nicht ungefährlich: Macht kann mißverstanden, sie kann mißbraucht werden. [] Macht ist nicht Gewalt. Gewalt ist für den Mächtigen nur ein Mittel unter vielen. Als konstruktives Mittel in der Politik ist sie widerlegt, sollte sie widerlegt sein, mindestens seit den beiden letzten Kriegskatastrophen. Sie als Mittel der Politik auszuschalten, ist das Bestreben aller Friedensfreunde und ein Grund- und Eckpfeiler der politischen Praxis des demokratischen Sozialismus. Gewalt ist völlig dort am Platze, wo Gewalttätige nach ihrem eigenen Rezept behandelt werden: in der Strafjustiz. Aus der Politik hat sie zu verschwinden, es sei denn, daß sie gegen Friedensbrecher eingesetzt wird. So alt wie die Verwechslung der Macht mit der Gewalt ist auch der Mißbrauch der Macht zugunsten von Personen oder Gruppen von Personen, die sogenannte Korruption. Sie braucht nicht immer in unzulässiger Zuwendung von Geld oder Geldeswert bestehen. Darum wird eine demokratische Partei Möglichkeiten einbauen müssen, um den Mißbrauch der Macht zu verhüten Das sicherste Mittel dazu ist die innere Demokratie im Aufbau der Partei selbst. In der Sozialdemokratie gibt es daher keine Ernennungen, sondern nur Wahlen. Und jeder Gewählte, ob in der Partei als Funktionär oder auf Vorschlag der Partei als Abgeordneter oder Minister, ist an das Vertrauen seiner Auftraggeber gebunden und muß die Funktion niederlegen, wenn ihm dieses Vertrauen entzogen oder nicht erneut ausgesprochen wird. [] Eine Partei wäre denkbar als ein Verband von Menschen, die bestehende Verhältnisse beibehalten wollen. In der Tat war das auch immer das einigende Band konservativer Parteien. Eine Partei konnte auch bloß eine Vermassung von Menschen sein, die eigenes Urteil scheuen, eigene Verantwortung vermeiden wollen. Alle Diktaturparteien haben ihren Massenanhang aus solchen Schichten bezogen. Eine echte Partei unter den Spielregeln der Demokratie setzt bei ihren Anhängern gemeinsame Grundlagen voraus: Einsicht in das Mögliche und Unmögliche, vernünftige Zielsetzung, charakterliche Haltung, Anerkennung verbindlicher "Spielregeln", Zustimmung zu der im Programm verkündeten Umgestaltung der Verhältnisse und zwar aus Ueberzeugung. [] Die Sozialdemokratie legt die Ebene ihres politischen Wollens und Handelns noch eine Stute höher und gründet ihr Planen und Verwirklichen auf wissenschaftliche Forschung, auf den wissenschaftlichen Sozialismus als die Biologie des Gemeinschaftslebens. [] Einer großen Vermassungspartei werden solche Eigenschaften bei ihren Anhängern unerwünscht sein, weil unbequem. Diktatur ist immer bequemer für die Diktatoren als die Demokratie. [] Es ist sachlich unrichtig und für die Zukunft gefährlich, wenn wichtige Altersgruppen heute die zwei grundverschiedenen Typen der Parteien durcheinanderwerfen und die Demokratie entgelten lassen, was die Diktatur verschuldet hat. Die grausam verfahrenen wirtschaftlichen, politischen und geistigen Verhältnisse dieses irregegangenen Volkes, können auf die Mitarbeit jener Kritisch-Mißtrauischen auf die Dauer nicht verzichten. Und diese selbst werden ihre Zurückhaltung aufgeben, wenn sie von der Sorge befreit sind, sie könnten von einer demokratischen Partei genau so entpersönlicht werden wie von einer diktatorischen. Wer sich der Sozialdemokratie anschließt, verzichtet freilich auf Willkür in den Fragen der Neuordnung des Gemeinschaftslebens auf sozialistischer Grundlage. Aber er erweitert seine Persönlichkeit durch die freiwillige Mitübernahme der Verantwortung für die lebendige Zukunftsgestaltung des Volkes und der Welt. Er gibt damit seinem Leben einenüberpersönlichen Sinn und Wert. Sozialismus und Demokratie schmälern nicht nur keineswegs die Würde und Selbstverantwortung der Persönlichkeit, sondern setzen sie geradezu voraus. Wie ein guter Chorleiter nicht so töricht sein würde, nur Gesangvereinsmitglieder zu organisieren oder zu besteuern, sondern gute Einzelstimmen sorgfältig ausbilden muß, um einen guten Chor zu haben, so schätzt der Sozialdemokrat die Persönlichkeit um so höher, als er nur durch die Fülle der Persönlichkeiten die Kräfte gewährleistet sieht, die die [] politische Welt umzugestalten vermögen. Dem Sozialisten ist der höchste Wert der Mensch. In der Selbstentfremdung des Menschen sah schon der junge Marx die Todsünde des Kapitalismus. Durch die Selbstwiederfindung des Menschen allein kann die verrottete Welt wiedergeboren werden. Wenn die Deutschen sich erst von der Narkose und dem Katzenjammer ihrer verflossenen "totalitären" Partei erholt haben werden, dann werden die Besten in der jungen Generation sehr bald erkennen, daß Partei und Partei durchaus nicht dasselbe ist, und werden ihre Ehre daransetzen, in der Partei mitzuarbeiten, die auch unter den verzweifeltsten Umständen nicht ermattet, weil sie sich im Einklang weiß mit den Gesetzen der Entwicklung Sozialdemokrat sein, ist heute nicht nur eine entscheidende Aufgabe, sondern auch eine Ehre; es bedeutet, als guter Deutscher der Patriot des Weltbürgertums zu sein und damit die ideale Forderung zu erfüllen, die Kant, Goethe, Beethoven an ihr Volk gestellt haben. [] Wir brauchen eine Grundlage, um selbst leben zu können. Auf der Grundlage von heute wird man das deutsche Volk auf diesem übervölkerten Raum nicht am Leben erhalten können. Darum [] Zusammenschluß, [] darum SPD
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