Dennoch!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Dennoch! [] Von Staatsrat Prof. Dr. Karl Schmid (Tübingen) [] Als im ersten Weltkrieg das Kaiserreich zusammenbrach und die Säulen, die es trugen - Junkertum und industrielle und akademische Bourgeoisie - geborsten schienen, da erfüllte uns a...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Schmid, Carlo (Karl), Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 1947 - 1948
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/DC8F1BA3-762D-4FFD-A0FC-C66798715030
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Dennoch! [] Von Staatsrat Prof. Dr. Karl Schmid (Tübingen) [] Als im ersten Weltkrieg das Kaiserreich zusammenbrach und die Säulen, die es trugen - Junkertum und industrielle und akademische Bourgeoisie - geborsten schienen, da erfüllte uns aus der Jugendbewegung, die der Krieg verschont hatte, eine kraftvolle Hoffnung. Wir glaubten, daß dieser Krieg nur den Sinn gehabt habe, die Sperrmauern wegzufegen, die den idealistischen und menschheitlichen Antrieben, von denen wir das deutsche Volk voll glaubten, den Weg zur Selbstverwirklichung in einer vom heiligen Herzen der Völker zu durchblutenden neuen Welt versperrten. Mochte dafür der Preis einer militärischen Niederlage zu bezahlen sein - den künftigen Bewohnern eines echteren Deutschlands des Friedens und der Gerechtigkeit würde dieser Preis einmal niedrig erscheinen. "Brüder zur Sonne zur Freiheit" sangen wir, und wir sangen das Lied wie einen Choral, fast wie ein Tedeum. So gründeten wir unsere sozialistischen Studentengruppen und fürchteten fast, wir könnten beim großen Werke zu spät kommen. Gewonnen haben dann jene, die wir abgetreten glaubten, und Hitler. Doch das ist eine andere Geschichte ... [] Nachdem zweiten Weltkriege aber war im deutschen Volke nichts zu spüren als Zusammenbruch und Lähmung. Kaum irgendwo war einer zu sehen, den eine Hoffnung belebt oder der unter den Trümmern des Einsturzes dieses bösen Gestern nach einer Schwelle gesucht hätte, die jene, die guten Willens sind, zum Wagnis einer besseren Zukunft locken könnte. Kaum einer, der nicht Deutschland für endgültig verloren, ausgelöscht und sinnlos geworden betrachtet hätte; kaum einer, der in ihm etwas anderes sehen wollte als eine Stätte immerwährender Armut und Not, aus der selbst die Hoffnung geflohen sei. Was sollte den Menschen dieses Landes anderes beschieden sein, als sich um die ärmlichste Notdurft zu mühen? Wann je würde es ihnen wieder möglich sein, sich als Menschen zu fühlen, die das Haupt hoch tragen dürfen? Es ist darum kein Wunder, daß gerade die der Tätigkeit Bedürftigsten in Lethargie versanken, und viele Junge kein anderer Gedanke mehr bewegte als der an die Auswanderung. Wen könnte es erstaunen, daß die Gleichgültigen sich darin erschöpften, sich in der Trostlosigkeit des deutschen Daseins so wohnlich wie möglich einzurichten? [] Als man mich fragte, ob ich bereit sei, die Regierung meines kleinen Heimatlandes zu übernehmen, schwankte ich lange, denn ich konnte keinen rechten Sinn in einer solchen Tätigkeit sehen; und durfte man sich von den Vertretern einer fremden Macht Gewalt über seine Landsleute geben lassen? Schließlich nahm ich an: auch in einem Deutschland der Hoffnungslosigkeit würde es ja nötig sein ordentlich zu verwalten, und sei es auch nur die Armut. Und vielleicht könnte es doch einigen Männern durch mutige Erfüllung der Forderung des Tages und ehrenhafte Loyalität gelingen, den Besatzungsmächten den Schritt vom doktrinären Siegertum zur politischen Vernunft zu erleichtern. Ich hatte damit eine schwere Last übernommen, und es mußten jeden Tag einige Kröten geschluckt werden, aber es wurde doch mehr und mehr offenbar, daß es sinnvoll gewesen sein könnte, solches auf sich zu nehmen. Denn nach einiger Zeit war zu spüren, daß Bewegung in die Dinge kam, Bewegung, deren Urheber Deutsche waren. Das war schon etwas; wichtiger aber war für mich, daß mir das tägliche Ringen um den guten Willen der Menschen dieses Landes zeigte, daß unter mancherlei Krusten und Trümmerschutt die Tugenden noch lebten, die einmal der Ruhm unseres Volkes gewesen sind, und daß sie nur darauf warteten, für neue Aufgaben entbunden zu werden. Diese Erkenntnis brachte mich ein Stück weiter; ich wußte nun, daß es die eigentliche Aufgabe sei, die Voraussetzungen für den Durchbruch zu schaffen, und weil jede große Aufgabe [] in der Dynamik des Politischen steht oder selber solche Dynamik weckt, begann ich zu glauben, daß es geboten sei, unser Volk zur Sammlung seiner politischen Aktivitäten in politischen Parteien aufzurufen und selbst Partei zu ergreifen. [] Freilich leben wir noch unter Fremdherrschaft, und das schließt die freie Entfaltung der politischen Energien unseres Volkes aus. Manche glauben, darum, man müsse heute ganz auf politisches Leben verzichten. Für ein Volk, das sich nicht freiwillig mit der Rolle des Objektes, des Unterworfenen also, abfinden will, gibt es aber kein politisches Vakuum. Kann es nicht politisch wirksam werden wie ein Volk, das Herr in seinem Hause ist, dann muß es - getreu dem Satze, daß man die Politik seiner Mittel treiben müsse - die schwere Aufgabe auf sich nehmen, die seinen Verhältnissen entsprechenden politischen Ziele zu finden und in angemessener Form geradlinig zu verfolgen. Das erste Ziel jedes politischen Tuns aber ist die Selbstbehauptung. [] Das größte Glück für mich ist die Entwicklung, die unsere so viel verkannte Jugend genommen hat. Ich habe viel mit Jungen gesprochen und gefunden, daß diese Jugend sich längst wiedergefangen hat. Was viele ihr heute noch als Lethargie auslegen, ist in Wirklichkeit nichts anderes mehr als die Verdrossenheit dessen, der Kräfte in sich spürt, denen keiner die Richtung weist. Diese Jugend mißtraut freilich hurtig angebotenen Patentlösungen; sie mißtraut schnellen Rezepten und den hohltönenden Parolen von einst - darum glaubt sie manchmal selbst, daß Politisches sie nicht interessiere. Aber sie greift mutig und freudig zu, wo ihr neue Ufer gewiesen werden - freilich nicht die des Landes Utopia, sondern die, an denen die echten Aufgaben dieses so gegenständlichen Hier und Jetzt gelegen sind. Sie will, daß man ihr diese Aufgaben deutlich mache und nimmt den Auftrag der Zeit an, wo immer es uns gelingt, ihr deren wahren Geist zu enthüllen. [] Dieser Geist der Zeit ist sozialistisch - jenseits aller ökonomischer Doktrinen - weil die Menschen es nicht mehr ertragen wollen, zu Objekten eines ökonomischen Prozesses erniedrigt zu sein, dessen Motor die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen ist. Die Jugend wird aber unter die Fahnen der politischen Bewegung treten, die um die Befreiung des Menschen aus ökonomischer Sklaverei am umfassendsten und lautersten ringt. [] Dieses Ziel jedoch ist untrennbar verbunden mit dein Schicksal der Demokratie. Die Jugend wird denen folgen, für die Demokratie nicht Klüngelherrschaft, Taktik parlamentarischer Geschäftemacherei und Tarnung von Besitzinteressen ist, sondern der lebendige Atem einer Brüderlichkeit, die den einzelnen nicht der Gemeinschaft unterwirft, sondern selbstverantwortlich und mit unverzichtbaren Rechten einordnet und ihm so die Freiheit schenkt, ganz er selbst und doch ein tätiges Glied des Ganzen zu sein. [] Der Ungeist des Gestern war der Nationalismus; der Geist unserer Zeit verlangt gebieterisch die Austreibung dieses giftigen Surrogates der echten Liebe zum Volke, dem man angehört. Es sind gerade die Jungen, die von den Nutznießern des Nationalismus und Militarismus am schmählichsten mißbraucht werden konnten, weil sie am opferbereitesten waren, die aber aufmerksam zuhören, wenn man ihnen sagt, daß nur der ein wahrer Patriot sei, der alle anderen Völker in ihrem Rechte und ihrer Würde anerkennt. Und diese sind es auch, die am willigsten folgen, wenn man ihnen sagt, daß die Zeit der Selbstherrlichkeiten und das Pathos der Grenzen vorüber sei und daß Deutschland nur dann bestehen kann, wenn zumindest die Völker Europas sich zu einer politischen Einheit verschmelzen, in der die einzelnen ihr eigenes kulturelles Leben werden führen können wie die Alemannen und die Welschen in der Schweiz. Und ich habe immer gefunden, daß gerade die Jungen begriffen, wenn ihnen mit allem Ernst gesagt wurde, daß gerade in der Vollständigkeit und scheinbaren Ausweglosigkeit unserer Niederlage unsere eigentliche Chance liege. Nämlich die, uns auf den Weg machen zu können - unbeschwerter als die Sieger, die sich im Festhalten ihres bröckelnden Sieges erschöpfen müssen - und frei von dem im Kreise führenden Zwange der gestern und vorgestern in so verkehrter Richtung gelegten Gleise. Sie denken darum nicht mehr ans Auswandern - die Besten wenigstens - denn sie mögen auf die Ehre, in Deutschland leben [] zu dürfen, nicht verzichten. Sie sind es auch, die am besten verstehen, daß die Gewaltlosigkeit am Ende doch die beste Waffe ist, wenn man sich zu ihr bekennt aus Einsicht und aus Glauben an die wahren Kräfteströme unserer Zeit. Sie werden dafür sorgen, daß diesmal die Revolution nicht verloren wird ... [] Aber mit diesem allem habe ich im Grunde nichts anderes dargelegt als die Ziele und Wege der SPD. [] Herausgeber: Vorstand der SPD. Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover
Published:1947 - 1948