Wie ich Sozialdemokrat wurde

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Wie ich Sozialdemokrat wurde: [] VON PROF. DR. ERICH OBST [] Der bedeutende Geopolitiker Prof. Dr. Erich Obst, der seit vielen Jahren in Hannover wirkt, war vor 1933 Mitglied der Deutsch-Demokratischen Partei, für die er auch in den Reichstag...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/57494671-C732-4129-8D8B-6074F0302083
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Wie ich Sozialdemokrat wurde: [] VON PROF. DR. ERICH OBST [] Der bedeutende Geopolitiker Prof. Dr. Erich Obst, der seit vielen Jahren in Hannover wirkt, war vor 1933 Mitglied der Deutsch-Demokratischen Partei, für die er auch in den Reichstagswahlen kandidierte. [] Nach meinem Dafürhalten hat heute jeder deutsche Mensch, Mann wie Frau, das Recht und die Pflicht, eine klare und eindeutige politische Stellung zu beziehen. Daß in Erinnerung an die Nazi-Zeit die Lust hierzu in weiten Kreisen nicht sonderlich groß ist, mag begreiflich erscheinen. Damals rieten auch wir dringend davon ab, sich der NSDAP selbst bloß in der Hoffnung zu nähern, eine aktive Mitarbeit weiter Volkskreise würde die verbrecherische Politik des herrschenden Klüngels verhindern und vieles noch zum Guten wenden können. Heute jedoch sind wir überzeugt davon, daß jeder einzelne für die politische Entwicklung der Zukunft mitverantwortlich ist, weil er die Möglichkeit hat, sich in seiner politischen Gemeinschaft seiner Ueberzeugung gemäß zu betätigen und mit begründeter Aussicht auf Erfolg für den Sieg seiner politischen Ideale zu kämpfen. [] Alle politischen Parteien warten gegenwärtig mit Programmen auf, die viel guten Willen bezeugen und gewichtige Versprechungen enthalten. Viele Menschen geraten dadurch in die Qual der Wahl und meinen klug zu handeln, wenn sie zunächst erst einmal abseits bleiben und abwarten, wohin letzten Endes die Entwicklung führt. Eine solche Stellungnahme erscheint mir unmännlich und kleingläubig. Wenn unser Deutschland überhaupt noch eine Zukunft hat, so nur dann, sofern wir uns trotz aller Einengungen und oft sehr bitter empfundener Bevormundung zu der Ueberzeugung hindurchringen: Deutschland sind wir selbst, jeder einzelne als mitverantwortliches Glied der völkischen Gemeinschaft und Diener am Volksganzen; Achtung und Gleichberechtigung im Kreise der menschlich empfindenden und friedliebenden Nationen können nur wir selbst uns wiedererringen durch klare und zielbewußte politische Haltung. [] Anerkennen wir die Tatsache, daß der Versuch, einer alsbaldigen politischen Entscheidung auszuweichen, uns nicht nur nichts nutzt, sondern ausgesprochen schadet, so gilt es im Grunde bloß noch, diejenige politische Gemeinschaft auszuwählen, in der ein Wirken für die politische Genesung unseres Volkes den größtmöglichen Erfolg verspricht. Daß die Wahl einer Großpartei gelten muß, nicht einer der schon von unserer Jugend mit Recht abgelehnten Splitterparteien, bedeutet uns eine Selbstverständlichkeit. Im übrigen handelt es sich bei dieser Auswahl der Partei um eine einzelpersönliche Entscheidung, die einem niemand abnehmen kann und für die man selbst die alleinige Verantwortung trägt. Keine Partei dürfte hundertprozentig allen Wünschen entsprechen, die jedes einzelne Mitglied geltend machen möchte; Teilnahme an einer Gemeinschaft bedeutet eben auch im politischen Falle Inkaufnahme gewisser Eigentümlichkeiten, die der einzelne sich womöglich anders und besser wünscht. Nicht darauf kommt es entscheidend an, sondern auf den Glauben, daß in dieser Gemeinschaft Leben und gesunde Entwicklung herrscht, auf den Willen zugleich, sich mit ganzer Hingabe für ein unermüdliches Streben nach Vervollkommnung einzusetzen. [] Nach gewissenhafter Prüfung habe ich mich für die SPD entschieden, weil sie und sie allein unter der Führung Dr. Schumachers mit ganzem Ernst für einen europäischen Sozialismus kämpft und nach meinem Dafürhalten ohne solchen europäischen Sozialismus das Wort vom Untergang des Abendlandes grausige Wirklichkeit zu werden droht. [] - zugleich Christentum der Tat [] Dieser These in allen Einzelheiten nachzugehen, würde hier zu weit führen. Für heute nur einige grundlegende Bemerkungen: Das Wort "Sozialismus" ist leider zum Schlagwort geworden und wird nun in mannigfachern Sinn gebraucht. In manchen Kreisen unseres Volkes wirkt erstaunlicherweise das bloße Wort "Sozialismus" bereits wie ein rotes Tuch und "Sozialdemokratie" vollends gilt noch immer als eine Art Kinderschreck. Man dringt nicht in das Wesen der Dinge ein, man beachtet erst recht nicht, daß alles wahrhaft Lebendige in ständiger Entwicklung ist und daß sich selbstverständlich in eben dieser Entwicklung manches gewandelt hat auch in der deutschen Sozialdemokratie, in jedem von uns und in den weltpolitischen Gegebenheiten. Bei all dieser Entwicklung aber ist eins nicht bloß erhalten geblieben, sondern hat sich von Jahrzehnt zu Jahrzehnt immer machtvoller verstärkt: die Sehnsucht nach wahrhaftem Sozialismus, der Glaube, daß viele schmerzende Wunden nur durch eine sozialistische Dauerbehandlung zu heilen sind. Dabei bedeutet uns Sozialismus viel mehr als etwa ein äußerliches Organisationsschema für Wirtschaft und Gesellschaft. [] Wir verstehen unter Sozialismus eine Lebenshaltung, in der warmherzige Menschlichkeit und Brüderlichkeit, Liebe und Güte, innige Bereitwilligkeit zum Verstehen und Helfenwollen nicht nur Lippenbekenntnis, sondern Norm des täglichen Lebens ist, soweit dies bei Menschen irgend zu erreichen ist. [] Diese sozialistische Lebenshaltung, die wir mit ganzem sittlichem Ernst für uns und für das deutsche Volk erstreben, regelt durch ihren normativen Charakter gleichsam von selbst alle auftauchenden politischen Probleme, ohne daß es deswegen einer stur dogmatischen Festlegung des Weges zu dem unverrückbar feststehenden Ziel bedürfte. - Eine sozialistische Lebenshaltung dieser Art bedeutet uns zugleich praktisches Christentum, das für die sozialistische Gemeinschaft von tragender Kraft sein wird. Dabei aber soll dem Staat nicht irgendwie das Recht zustehen, sich in religiöse Dinge einzumischen, wie demgemäß umgekehrt den Glaubensgemeinschaften und ihren Dienern nicht gestattet werden kann, den Staat in irgendeiner Weise zu bevormunden. - Die sozialistische Lebenshaltung bestimmt das Verhältnis des einzelnen zum Volksganzen. Sie gewährleistet der Einzelpersönlichkeit auch auf wirtschaftlichem Gebiet dasjenige Maß von Freiheit und Selbstverantwortung, wie es zur vollen Entfaltung der Persönlichkeit und damit zum Fortbestand abendländischer Kultur unabweisbar notwendig ist. Andererseits schafft sie notfalls durch radikale Operationen die unerträglich großgewordene und unsere gesamte völkische Gemeinschaft aufs äußerste gefährdende Spannung zwischen Besitzenden und Besitzlosen aus der Welt und ebnet auch in diesem Sektor einer brüderlichen Neuordnung den Weg. Das alles wird schwerwiegende Eingriffe mit sich bringen. Sie sollten ohne die mindesten Haßgefühle und ohne öde [] Prinzipienreiterei so durchgeführt werden, daß der Sache damit wahrhaft gedient und das Volksganze von den furchtbaren Geißeln befreit wird, die sich mit schicksalhafter Gewalt seit dem Sieg der Maschine und der Ausgestaltung der Industrie über Deutschland wie über alle übrigen Staaten kapitalistischer Prägung gelegt haben. - Die sozialistische Lebenshaltung endlich schafft eine harmonische Ueberbrückung des scheinbaren Gegensatz national - international. So wie wir in Deutschland selbst unser Leben nach besten Kräften auf der Grundlage ehrlicher Brüderlichkeit einzurichten bestrebt sind, so gilt für uns auch auf der höheren Ebene des zwischenstaatlichen Lebens der Grundsatz aufrichtiger Zusammenarbeit. Daß dabei das Prinzip einer Gleichberechtigung aller und einer gegenseitigen Achtung der einzelvölkischen Eigenart zu gelten hat, versteht sich von selbst. Wir bejahen also die europäische Schicksalsgemeinschaft aus ganzem Herzen und werden bei jeder Gelegenheit für ehrliche internationale Zusammenarbeit eintreten. Unser Beitrag zu Europa und zur Menschheit kann aber nur wertvoll werden, wenn er nicht einem durch Hunger und Kälte, Not und Elend zermürbten Haufen von Fronleuten abgepreßt, sondern freiwillig und freudig von einem gesunden und geeinten Deutschland geleistet wird. Unsere ganze Kraft gilt daher zunächst dem Kampf gegen die Deutschland gegenwärtig mit so furchtbarem Ernst bedrohenden Gefahren, dem Kampf für das Wiedererstehen und die Gesundung eines geeinten [] Deutschen Reiches. Diese unsere Sehnsucht wird sich um so schneller und um so sicherer erfüllen, je mehr sich das deutsche Volk zu der Kraft bekennt, die in einer brüderlichen Verbundenheit, einer sozialistischen Solidarität ruht. - Reichen sich bei uns die Schaffenden aller Art in bedingungslosem Vertrauen die Hand zu einem sozialistischen Tatbund, so steht zu hoffen, daß sich Deutschland in dem Ansturm westlicher und östlicher Denkart als etwas Eigenes behaupten und in Zukunft zu seinem und Europas Besten die ihm raumgegebene Funktion als Herzgebiet der zu erhoffenden Vereinigten Staaten von Europa und als ehrlicher Mittler zwischen West und Ost, Amerika und Rußland, ausüben kann. [] Prof. Dr. Obst [] MACH'S WIE ER: WÄHLE SOZIALDEMOKRATEN