Summary: | Bemerkungen: handschriftlicher Vermerk: DW 5-4d7 Eingangsstempel: 25.02.1960<NZ><NZ>vgl. auch (Krankenversicherung-Neuregelungsgesetz, Bundestagsdrucksache III/1540 vom 14.1.1960) ; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals
WER KEIN GELD HAT - darf nicht krank werden! Die Tür zum Arzt wird zugeschlagen; so will es der Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Neuregelung der gesetzlichen Krankenversicherung. Der Gesetzentwurf sieht eine Kostenbeteiligung des Kranken an allen ärztlichen Leistungen vor. (Je ärztliche Leistung werden DM 1,50 erhoben.) Auch Medikamente sollen nur gegen finanzielle Selbstbeteiligung abgegeben werden (Arzneien je Verordnung zwischen DM 1,- und DM 3,-). Noch schlimmer wird es, wenn ein Krankenhausaufenthalt nötig ist. Jeder Tag wird zusätzlich Geld kosten (Krankenhausaufenthalt nach Einkommen gestaffelt von DM 1,- bis DM 3,30 täglich, Ehefrau und Kinder 1/2 Gebühr). Wem wird hier geholfen? - Dem Kranken bestimmt nicht! Die Krankenkassen sagen: Die Verwaltungskosten für die Selbstbeteiligung sind höher als die zu erwartenden Einnahmen. Die Ärzte sagen: Selbstbeteiligung belastet das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient. Bürokratie im Sprechzimmer stiehlt dem Arzt sowie dem Kranken Zeit und Nerven. Die ärztlichen Vereinigungen sagen: Selbstbeteiligung ist eine Gefahr für die Volksgesundheit. Sie zwingt den Kranken finanzielle Überlegungen auf, die viele Kranke an einem rechtzeitigen Arztbesuch hindern werden. Gerade das frühe Erkennen und sofortige Behandlung bieten aber bei ernsthaften Erkrankungen die einzige Gewähr für einen Heilerfolg. Sie alle sind dagegen! Und was sagt die DAG für die Angestellten? Die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft hat seit geraumer Zeit nicht nur diese Argumente ins Feld geführt, sondern darüber hinaus erklärt: 1. Das System der deutschen Krankenversicherung war Vorbild für viele Länder der Erde. 2. Während bisher Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Beitrag je zur Hälfte zahlten, wird jetzt dem kranken Angestellten durch die Kostenbeteiligung eine getarnte, aber sehr fühlbare Beitragserhöhung aufgebürdet. 3. Bisher war der Kranke weitgehend frei von finanzieller Sorge. Jetzt aber entsteht durch die Sorge um den eigenen Kostenanteil eine zusätzliche seelische Belastung, die dem Heilprozeß zuwiderläuft. Darum sagt die DAG NEIN zur Selbstbeteiligung! UNTER DER LUPE: Wo sind die sogenannten Leistungsverbesserungen? Nahezu alles, was der Gesetzentwurf als Leistungsverbesserungen preist, ist durch entsprechende Beschlüsse der ehrenamtlichen Selbstverwaltung in den Ersatzkassen der Angestellten seit vielen Jahren Selbstverständlichkeit. Die Selbstverwaltung würde künftig nicht mehr in der Lage sein, Leistungsverbesserungen vorzunehmen, die über das gesetzlich vorgeschriebene Mindestmaß hinausgehen. Damit wird die seit vielen Jahren bewährte Selbstverwaltung zur absoluten Farce. Das demokratische Mitbestimmungsrecht der Angestellten in ihren Ersatzkassen wird praktisch beseitigt. ACHTUNG KONTROLLPOSTEN: Das Attest des Hausarztes genügt nicht mehr! Der Gesetzentwurf schafft eine neue Form sogenannter beratungsärztlicher Dienste, und zwar als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Ihm werden zusätzliche Aufgaben zugewiesen, die bislang im direkten Verkehr des Arztes zur Krankenkasse geregelt waren. Jede Arbeitsunfähigkeit muß diesem beratungsärztlichen Dienst gemeldet werden. Er hat die Bescheinigung des Hausarztes nachzuprüfen, er kann über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit befinden und weitere Behandlungsmethoden vorschreiben. Damit wird das Vertrauensverhältnis des Patienten zum Hausarzt empfindlich gestört. Beim beratungsärztlichen Dienst, wie ihn der Gesetzentwurf vorsieht, kann man schon heute die Kranken Schlangestehen sehen. Verärgerte Patienten, staatlich dirigierte Beratungsärzte als Prüfer und die Hausärzte reiben sich aneinander. Ein neuer Virus ist entdeckt: MISSTRAUEN Selbst die Mütter bleiben nicht verschont! Der Gesetzentwurf glaubt, alle bevölkerungspolitischen Gesichtspunkte berücksichtigt zu haben, wenn für die Mutterschaftshilfe eine Pauschale von DM 100,- gewährt wird. Die DAG verlangt eine Leistung, die mindestens einem Viertel der monatlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Krankenkasse entspricht, das sind gegenwärtig DM 165,-. Der Selbstverwaltung muß darüber hinaus noch die Möglichkeit gegeben sein, durch Satzungsbestimmung aus Mitteln der Krankenkasse einen höheren Betrag zu gewähren. Versicherungspflichtgrenze nicht engstirnig regeln! Die DAG verlangt eine Heraufsetzung der Versicherungspflichtgrenze in Anpassung an die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse. Sie erwartet, daß diese Abgrenzung aud, für die Zukunft nicht starr und dogmatisch sein darf, sondern daß eine ständige Anpassung an die sich verändernden sozialen Erfordernisse auch gesetzlich geregelt sein sollte. Darüber hinaus verlangt die DAG, daß durch Gesetzesbestimmung den freiwillig weiterversicherten Angestellten die Hälfte des Beitrages entsprechend der jeweils geltenden Bemessungsgrenze vom Arbeitgeber erstattet wird. Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan ... Wer krank ist, ist selber schuld und wird bestraft! Nach 15 Jahren härtester Aufbauarbeit, nach Jahren der Entbehrung, der unbezahlten Überstunden und leeren Versprechungen - in einer Zeit, in der die Preise weit vor den Gehältern herlaufen, wagt man es, den Angestellten diese Rechnung zu präsentieren. NEIN, SO GEHT ES NICHT! Helfen Sie der DAG, damit sie Ihnen helfen kann, dieses Gesetz abzuwehren. Angestellte aller Berufe, erkennt den Ernst der Stunde! Gestaltet Euer eigenes soziales Schicksal. Einer allein schafft es nicht, alle zusammen sichern das Lebensrecht der Angestellten. Hand in Hand mit der DEUTSCHEN ANGESTELLTEN-GEWERKSCHAFT Herausgeber: Deutsche Angestellten-Gewerkschaft, Hauptvorstand, - Orga 5/60 - Hamburg 36
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