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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; [!] = sic! Die Not der Arbeitslosen. [] Motto: Aus dem Munde einer Mutter hörte ich einst das schöne Wort: "Ich bin wohl arm; aber wenn meine Kinder krank oder in Not sind, dann bin ich reich." Wohl der Stadt, bei der es - recht verstanden - allezeit heißt: "Wenn meine Kinder in Not sind, so bin ich reich." [] (Seite 151 der Festschrift zur Einweihung des Rathauses zu Hannover.) [] Mit diesen Worten schließt der Schreiber der Festschrift einen Abschnitt, der von den sozialpolitischen Leistungen der Stadt Hannover handelt. Er hat damit zum Ausdruck bringen wollen, daß eine sozial denkende und fühlende Stadtverwaltung dann, wenn Einwohner der Stadt Not leiden, auf alle Fälle und in erster Linie Mittel und Wege finden muß, um die Not zu beseitigen. Sehen wir nun in der Betrachtung der Notlage der [] Taufende von Arbeitslosen, [] ob die Stadt Hannover und mit ihr Linden nach diesem schönen Grundsatz auch handeln. [] Die kapitalistische Wirtschaftsweise, die für den Arbeiter rosige Seiten überhaupt nicht kennt, zeigt sich zurzeit von der denkbar ungünstigsten Seite. [] Die Wirtschaftskrise ist da! [] Und mit ihr einher schreitet die Arbeitslosigkeit, wodurch unzählige wahre Arbeitswillige zum Nichtstun verdammt sind. Bei Arbeitern aber, die von ihrer Hände Arbeit leben müssen, bedeutet dieses Nichtstun [] Not und Elend für sich sowie für Weib und Kind. [] Schleichend ist dieser Zustand diesmal an uns herangetreten, lawinenartig wälzt er sich nunmehr vorwärts, alles zerdrückend, was von ihm berührt wird. [] Die Wunden sind schon groß, [] die die jetzige Krise schlug, aber alle Anzeichen deuten darauf hin, daß der Höhepunkt noch längst nicht da ist. [] In Werkstätten und Fabriken, wo sonst fleißige Hände ihr Tagewerk vollbrachten, ist es still und leer geworden, der Schraubstock, der Amboß, die Hobelbank und alles andre Werkzeug, mit deren Hilfe sonst Werte erzeugt wurden, sind jetzt von Staub und Rost bedeckt. Der Arbeiter aber, der diese Werte schuf, sitzt jetzt mittellos zu Hause oder liegt auf der Landstraße und hat nun Muße, über die Einrichtungen dieser Welt, die auf einer "göttlichen Ordnung" beruhen sollen, nachzudenken. [] Neben dem Arbeiter [] leiden auch Krämer und Handwerker. [] Für manchen aus dieser Bevölkerungsschicht bedeutet die Krise den wirtschaftlichen Untergang. Tausonde selbständige Existenzen werden vernichtet und die Betroffenen zum Proletariat hinabgestoßen. [] Das ist die wirtschaftliche Situation der Jetztzeit! [] Soeben ist ein Jahr vergangen, das man [] das Jubeljahr [] nannte. In Hunderten von Festreden, die zum großen Teil bei lukullischen Festeren gehalten wurden, wurde uns erzählt, daß uns vor hundert Jahren ein "Vaterland" entstanden sei. Klingt dies nicht wie Hohn, angesichts des eben geschilderten Zustandes? Angesichts der Tatsache, daß ein großer Teil der "Landeskinder" ohne Verschulden in finanzielle Notlage geraten ist? Dadurch mit Weib und Kind gesundheitlicher Schädigung ausgesetzt ist? Ja selbst sittlichen Gefahren unterliegen kann? Und gar aus Not zum Verbrecher wird? [] In solchen Zeiten hat der denkende Mensch keine Veranlassung, Jubelhymnen anzustimmen, es hat für ihn keinen Zweck, sich an der Vergangenheit zu berauschen, sondern er muß für die Gegenwart sorgen und für die Zukunft schaffen. Fein säuberlich registriert und untersucht der Staat die Zustände in seinem Bereiche, nur unterläßt er es, die Nutzanwendung daraus zu ziehen. Auch bezüglich der Arbeitslosigkeit sind die Staatsinstanzen gut unterrichtet. [] So zum Beispiel meldet das Kaiserliche Statistische Amt im "Reichs- und Staatsanzeiger": Auf Grund der Berichte für das "Reichsarbeitsblatt" zeigt die Lage des gewerblichen Arbeitsmarktes im Dezember gegenüber dem Vormonat und dem gleichen Monat des Vorjahres eine weitere Verschlechterung. [] Nach den Berichten von 15 größeren Arbeiterfachverbänden mit Zusammen 1,72 Millionen Mitgliedern waren Ende Dezember 1913 79 345 oder 4,7 v. H. der Mitglieder arbeitslos, gegenüber 3.1 v. H. Ende November 1913. Die alljährlich von Ende November auf Ende Dezember steigende Arbeitslosigkeit erreichte in diesem Jahre einen besonders hohen Stand und übertraf sogar die des Dezember in dem Krisenjahre 1908 (4,4 v. H.). Von November bis Dezember 1912 war die Verhältniszahl der Arbeitslosen von 1,8 auf 2,9 v. H. gestiegen. [] Bei 338 öffentlichen Arbeitsnachweisen mit 104 684 Vermittlungen kamen im Dezember auf 100 offene Stellen bei den männlichen Personen 214, bei den weiblichen 120 Arbeitsgesuche. Die mit dem Baugewerbe, das auch im Berichtsmonat vollständig daniederlag, zusammenhängenden Gewerbe, wie Holz-, Glasindustrie usw., klagen über ungenügende Beschäftigung. Verschlechterung gegen das Vorjahr berichten nahezu sämtliche Industrien, namentlich der Ruhrkohlenbergbau, die Eisen- und Stahlindustrie, die Textil-, die Holzindustrie und das Baugewerbe. [] Hier haben wir also eine amtliche Bestätigung des starken Umfanges der Arbeitslosigkeit. [] In einzelnen Städten erreicht die Zahl der Arbeitslosen eine erschreckende Höhe. In Berlin sind z. B. über [] 80 000 Arbeitslose. [] Leider ist auch die Zahl der Arbeitslosen in Hannover erschreckend groß. Im 4. Quartal 1913 wurden von den Mitgliedern der Gewerkschaften, die Arbeitslosenunterstützung zahlen, 10,8 Prozent von der Arbeitslosigkeit betroffen. Es wurden in der Zeit 3125 Arbeitslose gezählt, die insgesamt 57 022 Tage arbeitslos waren; das sind im Durchschnitt 18,2 Tage pro Person, alsoüber drei Wochen. [] Besonders stark von der Arbeitslosigkeit betroffen waren die Bildhauer, Buchdrucker, Holzarbeiter, Tapezierer, Töpfer und Zimmerer. Bei den Holzarbeitern betrug die Arbeitslosigkeit 25,2 Prozent. [] Die angeführten Zahlen können aber auf Vollständigkeit keinen Anspruch machen, da die Bauarbeiter, Maler, Schneider usw. sowie sämtliche Unorganisierte nicht mitgezählt sind, und gerade bei diesen ist die Arbeitslosigkeit groß. [] Was wird nur aus den Arbeitslosen? [] Nach einem Kaiserwort hat der deutsche Arbeiter [] eine gesicherte Existenz bis ins hohe Alter, [] und angeblich sollen seine Kompottschüsseln gefüllt sein. [] Ihr Satten, ihr, die ihr den Hunger und kalte Wohnräume nicht kennt, sinnt einmal darüber nach, welche Gefühle solche Worte bei einem Arbeitslosen ausüben müssen, der nach einer sechs-, zehn-, fünfzehn- und mehrwöchigen Arbeitslosigkeit [] nicht mehr das trockene Brot [] zu Hause hat. [] Und keiner hilft ihm! [] Und in der Tat, Reich, Staat und Gemeinde, sie überlassen den Arbeitslosen seinem Schicksal. Nurch [!] durch die Selbsthilfe, durch das solidarische Wirken seiner Klassengenossen, findet er für einige Zeit [] durch die Unterstützung seiner Gewerkschaft eine Hilfe. [] Was würde aus den Arbeitslosen und ihren Familien, wenn die Gewerkschaften nicht wären? Diese Frage muß sich jedem aufdrängen, der die Leistungen der Gewerkschaften auf diesem Gebiete betrachtet. [] In den Jahren von 1907 bis 1912 zahlten die freien Gewerkschaften in ganz Deutschland: [] [Tabelle] [] In Hannover und Linden allein 1907 bis 1913: [] [Tabelle] [] Die Gewerkschaften Hannover-Lindens zahlten also aus eigener Kraft in den letzten sieben Jahren über [] 1 350 000 Mark Arbeitslosenunterstützung. [] Die Stadt aber mit ihren [] Millionenbauten [] hatte für die Arbeitslosen [] keinen Pfennig!! [] Aber die Selbsthilfe hat nicht ausgereicht und kann nie ausreichen, um alle Not zu bannen, hier müssen die öffentlichen Körperschaften eingreifen durch Errichtung einer [] Arbeitslosenversicherung. [] Hierfür zuständig ist in erster Linie das Reich: solange aber die Reichsarbeitslosenversicherung nicht da ist, haben die Gemeinden dafür zu sorgen, um die Arbeitslosen in geeigneter Weise zu unterstützen. [] Das Reich aber, von dem es sonst immer heißt, daß es in der Welt vorangeht, [] lehnt eine staatliche Arbeitslosenversicherung ab. [] Der Staatssekretär Dr. Delbrück sagte bei der Beantwortung der sozialdemokratischen Arbeitsloseninterpellation am 5. Dezember 1913, daß dieser Gedanke noch nicht spruchreif sei. Und das angesichts der Tatsache, daß wir in Deutschland dauernd weit über 100 000 arbeitslose Arbeiter haben. [] Aber in Deutschland werden eben nicht die Gesetze gemacht, die notwendig sind, sondern nur die, die den Junkern und Schlotbaronen genehm sind, alle andern Gesetze erfordern einen harten Kampf, besonders aber die sozialen Versicherungsgesetze. [] Haben wir es in Deutschland aus den Reihen von Industrie, Landwirtschaft und Mittelstand doch sogar zu einem "Allgemeinen Versicherungs-Schutzverband" gebracht, der gegen die [] "Versicherungsseuche" in Deutschland [] zu Felde ziehen will. Also quasi die Umstürzler der sozialen Gesetze. [] Zur Arbeitslosenversicherung hat der Allgemeine Versicherungs-Schutzverband nach einer in Köln stattgehabten Sitzung folgenden Beschluß gefaßt: [] Angesichts der immer stärker hervortretenden Agitation für eine staatliche Arbeitslosenversicherung weist der Allgemeine Versicherungs-Schutzverband darauf hin, daß noch heute sichere Unterlagen über den Umfang der Arbeitslosigkeit, vor allem aber über das Bedürfnis nach emer Fürsorge durch Versicherung fehlen.... Der Versicherungs-Schutzverband warnt außerdem vor einer Überspannung der öffentlich-rechtlichen Zwangsversicherung, die zu einer Beeinträchtigung des Selbstverantwortlichkeitsgefühls der Arbeiter und einer Schwächung der Volkskraft führen muß. (!?!?!) [] Die großindustriellen Scharfmacher dürfen bei dem Kampf gegen die Arbeitslosenversicherung nicht fehlen. Auf einer Versammlung der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, die im November 1913 in Hannover stattfand, heißt es im Beschlußantrag folgendermaßen: [] Die zur Arbeitsnachweiskonferenz in Hannover versammelten Mitglieder der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände erheben unter Zustimmung zu den Leitsätzen des Berichterstatters, nach welchen das Bedürfnis zur Einführung einer Arbeitslosenversicherung und die Voraussetzungen für ihre praktische Durchführbarkeit zu verneinen sind, gegen die Regelung der Arbeitslosenversicherung auf öffentlich-rechtlicher Grundlage und gegen ihre Förderung aus Mitteln der Allgemeinheit entschiedenen Widerspruch. [] Eine ähnliche Stellung nahmen die Gesamtvorstände der Deutschen Bauarbeitgeberverbände an. [] Dies sind also die Flötentöne, nach denen die Regierung tanzt. [] Ja ist es denn nun wahr, daß die staatliche Einführung der Arbeitslosenunterstützung unmöglich ist? [] Nein!! [] Das beweist, daß Großbritannien, Norwegen und Dänemark die gesetzliche Regelung eingeführt haben, und Luxemburg, Frankreich, Niederlande, Belgien, Schweiz und Italien mit öffentlichen Subventionen aufwarten, allerdings ohne gesetzliche Regelung. [] Also Deutschland in der Welt hintenan! [] Was aber tun die kommunalen Verwaltungen der beiden Städte Hannover und Linden auf dem Gebiete der Arbeitslosenfürsorge, besonders jene Stadt, auf der nach dem eingangs erwähnten Motto es zutreffen soll, daß sie sich stets reich fühlt, wenn ihre Kinder in Not sind? Um die Antwort vorweg zu geben: [] Sie tun nichts! [] Am 1. Dezember 1913 überreichten der Vorstand des Gewerkschaftskartells und der Vorstand des Sozialdemokratischen Wahlvereins, als von drei öffentlichen Volksversammlungen Beauftragte, den Stadtverwaltungen von Hannover und Linden je eine Eingabe, in denen Maßnahmen zur Linderung der Arbeitslosigkeit gefordert wurden, und zwar auf folgender Grundlage: [] Tor Magistrat und das Bürgervorsteherkollegium wollen beschließen: [] 1. bei der Reichs- und Staatsregierung die baldige Einführung einer obligatorischen Arbeitslosenversicherung zu beantragen, [] 2. die Vorarbeiten für die in Aussicht genommenen städtischen Arbeiten zu beschleunigen, für die in Angriff genommenen Bauten Vorkehrungen zu treffen, die eine Weiterführung der Innenarbeiten auch während der Wintermonate sichern, Vorbereitungen für außerordentliche Notstandsarbeiten zu treffen, [] 3. die Schaffung geeigneter Unterkunftsräume für Obdachlose für die Nacht und Einrichtung von Wärmestuben für Arbeitsuchende in mehreren Stadtteilen, [] 4. die Einführung der Arbeitslosenversicherung nach den in der Anlage A vorgesehenen Grundsätzen aus Mitteln der Stadtgemeinden Hannover und Linden, entweder für beide Städte ge-gemeinsam [!] oder für jede Stadt einzeln, [] 5. in den Bürgerschulen den Kindern arbeitsloser oder armer Eltern Frühstück zu gewähren. [] Diesen Eingaben war eine ausführliche Begründung sowie ein Entwurf einer Arbeitslosen-Versicherungsordnung beigefügt. Wer nun glaubt, daß die Stadtverwaltungen wenigstens versuchten, den Wünschen der Arbeitslosen gerecht zu werden, der irrt sich. [] Nicht einmal eine Antwort sind den Stadtverwaltungen bis Arbeitslosen wert. [] Heute nach acht Wochen ist nicht einmal eine Antwort eingegangen, weder vom Magistrat noch vom Bürgervorsteherkollegium. [] Man findet es im bürgerlichen Leben nicht mehr wie anständig, auf ein höfliches Schreiben wenigstens eine Antwort zu geben. [] Wir unterstellen diese Unterlassung der Magistrate dem Urteil der Qeffentlichkeit! [] Es waren ja auch nur Arbeiter, noch dazu Arbeitslose, die hier ein Gesuch zu unterbreiten hatten, keine Schützen, kein Rennverein oder Pferdezüchterverein. Und die Obdachlosen, die hier Unterkunftsräume verlangten, waren nicht Stadtdirektoren. Was, braucht auch die Stadtverwaltung von Hannover oder Linden Rücksicht auf den Arbeiter zu nehmen, denn kommunalpolitisch fängt hier der Mensch ja erst beim Hausbesitzer an. [] Nicht einmal zur Schaffung eines Obdachlosenasyls kann man sich aufschwingen, und das nicht einmal in jener Stadt, wo ein [] Rathaus zu 12 000 000 Mark, [] eine Stadthalle zu 3 000 000 Mark, [] ein Palais für den Stadtdirektor für über 300 000 Mark [] und in dem letzten Jahrzehnt dreizehn neue Kirchen gebaut werden konnten. Und wie bitter not ein solches Asyl hier für Hannover ist, zeigt folgende Lokalnotiz: [] Hannover, 28. Dezember. Nähend der Weihnachtsfeiertage, vom 24. bis 26. d. M., sind 238 Personen, darunter 224 Obdachlose, festgenommen und ins Polizeigefängnis eingeliefert worden. [] Lokalnotizen in den bürgerlichen Blättern deuteten nun an, daß nunmehr bald ein Obdachlosenasyl errichtet werden solle. Und in der Tat, schon glaubte man an Zeichen und Wunder, verhandelte das Hannoversche Bürgervorsteherkollegium über die Errichtung eines Asyls, zwar hinter verschlossenen Türen, aber es wird der Welt doch verkündet, daß ein Beschluß gefaßt ist, und der lautet: [] Alle Tatsachen, die die Notwendigkeit einer solchen Anstalt erweisen, in einer Denkschrift zusammenzutragen und über die Erfahrungen in den andern deutschen Großstädten, wo derartige Asyle bereits bestehen, Erkundigungen einzuziehen. [] Dunnerschlag! Jetzt sage noch einer, unser Stadtparlament sei sozialpolitisch nicht auf der Höhe. Wer das trotzdem noch zu behaupten wagt, kann als unverbesserlicher Nörgler nicht mehr ernst genommen werden. Ja, ja, in Hannover bekommt jeder das Seine: [] Heinrich Tramm ein Palais, die Obdachlosen eine - - Denkschrift. [] Wenn nun auch der Magistrat seine Stellungnahme zur Arbeitslosen-Versicherung in einer Antwort nicht niedergelegt hat, so ist doch schon durchgesickert, daß er [] die kommunale Arbeitslosenversicherung abgelehnt [] hat. Wozu auch das. Hat doch Herr Stadtdirektor Tramm vor einiger Zeit erklärt, daß es hier einen Notstand nicht gibt, sondern der Notstand weiter nichts sei als das Produkt bestimmter politischer Strömungen. [] Wenn auch die Ergebnisse des Statistischen Amts der Stadt Hannover das gerade Gegenteil beweisen, können (natürlich nur in Hannover) solche objektive Zahlen die rein persönliche Meinung eines Stadtdirektors nicht entkräften. Und da nun auch die Herren Bürgervorsteher nur das tun, was Tramm will, so haben sie auch hier nur konsequent gehandelt. [] Doch genug der Ironie. Legen wir uns ernstlich einmal die Frage vor: [] Ist die Einführung der kommunalen Arbeitslosenversicherung eine Unmöglichkeit? [] Nein! Weil es in Deutschland heute schon zirka 25 Städte gibt, die sie eingeführt haben. [] Es bleibt also für die hiesigen Städte lediglich die finanzielle Seite offen. Sollte aber eine Stadt wie Hanover [!] mit ihren Millionenbauten, die [] für den Rennverein 78 7000 Mk., für die Errichtung eines Golfspielplatzes 30 000 Mark zur Verfügung stellen und dem Militärfiskus 2 Millionen opfern [] kann, die bei der Einweihung des Rathauses zirka 40 000 Mark für Festessen ausgab und der Tochter des Kaisers zur Hochzeit ein Perlenhalsband für 30 000 Mark schenkte, nicht auch Mittel für ihre arbeitslosen Mitbürger haben? [] Selbst im laufenden Etat stehen der Stadtverwaltung immer Mittel aus besonderen Fonds zur Verfügung; so finden wir im Hannoverschen Etat für: [] Sonstige unbestimmte Ausgaben 41 273 Mk. [] Zuschüsse für verschiedene Veranstaltungen 51478 [] An Vereine 38 500 [] Für welche Zwecke im einzelnen u. a. diese Summen nun ausgegeben werden, zeigt folgende Aufstellung: [] Ausstellung des Imkervereins 500 Mk. [] Ausstellung des Liebhaber-Photographen-Vereins 500 [] Provinzialverbandstag der Perückenmacher 300 [] Jahresfest des Gustav-Adolf-Vereins 400 [] Für Preise für die Reitkonkurrenz beim Militär-Reitinstitut 1000 [] Für eine Forschungsreise in Venezuela 500 [] Für Bewirtung der Milwaukeer Sänger 1000 [] Stiftung von Ehrenpreisen für Schwimmverein "Neptun" und Fußballklub "Sport" 310 [] Beihilfe zum Akademischen Ruderverein 500 [] Zuschuß für das Kriegerheim zu Hannover (!) 5000 [] Zuschuß für ein Denkmal der königlich deutschen Legion 10 000 [] Für die Schmalkaldener Gedächtnishalle 500 [] Zuschuß zu einem Begrüßungskommers des Gabelsberger Stenographenvereins 1000 [] Für den Esperanto-Kongreß 500 [] Verbandstag der Zimmermeister 1000 [] Ausstellung des Vereins für Geflügelzucht 1000 [] Für Bewirtung der deutschen Gastwirte anlässlich des Bundestages in Hannover 2000 [] Gärtnerische Anlagen auf der Rennbahn 1000 [] Verein zur Förderung der Landespferdezucht als Rennpreis 5000 [] Für einen Radfahrer-Rennpreis 1000 [] Für das städtische Schützenfest 2400 [] Jung-Schützenkorps 6000 [] Hierzu kommt noch eine Reihe der verschiedenartigsten Vereine, selbst Abteilungen des Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen-Verbandes fehlen nicht; vor allen Dingen wird die Jugendwehr gut bedacht. [] Für alles hat die Stadt Hannover Geld, nur nicht für die Arbeiter! [] Und Linden? Linden kann und darf nichts machen, weil Hannover nichts machen will. Zwar wird man sich hier um eine Beantwortung der Frage nicht drücken können, weil hier im Stadtparlament 3 Sozialdemokraten als Hechte im Karpfenteich sitzen. Dreimal hat man aus deren Antrag die Angelegenheit auf die Tagesordnung gesetzt, aber immer wieder verschoben. [] Linden, das sonst von der Schwesterstadt Hannover nicht immer schwesterlich behandelt wird, versucht aber immer Hannover alles nachzumachen, sowohl im Ignorieren der Arbeiter wie auch in der Geldausgabe. Für die Arbeitslosen hat auch Linden nichts übrig. Für andre Zwecke ist auch in Linden Geld da, so Zur Errichtung eines Instituts zur Entfremdung der Kinder von ihren Eltern 18 000 Mark. Stiftung aus Anlaß der silbernen Hochzeit Ihrer Majestäten 600 Mark. Bethlehemskirche 1800 Mark. [] Das also ist das wahre soziale Gesicht der Stadtverwaltungen! [] So wird mit den Steuern der Einwohner gewirtschaftet, dank der alten hannoverschen Städteordnung. [] Ihr Arbeiter, für die die Städte nichts übrig haben. Ihr Handwerker, die Ihr durch die Vergebung der hiesigen Arbeit nach auswärts geschädigt werdet, Ihr Künstler, die Ihr bei der heimischen Arbeit kaltgestellt werdet, macht Euren Einfluß geltend zur [] Aenderung der hannoverschen Städteordnung! [] Für alle außer Euch hat die Stadtverwaltung etwas über! [] Als das Infanterie-Regiment 74 sein Jubiläum feierte, wurden die Prunksäle des Rathauses für ein [] Offiziersessen [] zur Verfügung gestellt. [] Und wer bezahlte das Essen? [] In dem Augenblick, wo dieses Flugblatt verbreitet wird, haben unsre Stadtväter und Stadtweisen sich kaum erholt von den Strapazen eines Festessens, das Heinrich Tramm seinen Getreuen in seinem neuen Palais gab zum Dank eben dafür, daß sie ihm dieses Palais aus den Steuergroschen der Einwohner erbauen ließen. [] Sie leiden also keine Not! [] Die Arbeitslosen müssen weiter hungern und die Obdachlosen weiter obdachlos bleiben oder sich von der Polizei einsperren lassen. [] Kultur des 20. Jahrhunderts! []Arbeitslose! [] Am Mittwoch, dem 28. Januar 1914, vormittags 10 Uhr: [] 2 Arbeitslosen-Versammlungen [] in den Sälen des "Ballhofs", Burgstr. 9, und im "Nordstädter<NZ>Gesellschaftshaus", Oberstraße 8. [] Tagesordnung: [] "Die Behandlung der Arbeitslosenfrage durch die beiden Stadtverwaltungen Hannover und Linden." [] Referenten: A. Harms und J. Hartleib. Zu diesen Versammlungen laden wir hiermit die Bürgervorsteher öffentlich ein. [] Sozialdemokratischer Wahlverein, 8. hannov. Wahlkreis. Gewerkschaftskartell Hannover-Linden. [] Verlag von Adolf Harms, Hannover. - Druck von E. A. H. Meister & Ko., Hannover.
Published:28.01.1914