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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Sofort weitergeben! [] Genossen und Genossinnen! [] Mit überwältigender Mehrheit hat die Großberliner Funktionär-Versammlung der SPD vom 1. 3. 1946 die Urabstimmung der Berliner Mitgliedschaft in der Frage der Vereinigung der beiden sozialistischen Arbeiterparteien beschlossen und damit die vom Zentralausschuß und dem geschäftsführenden Bezirksvorstand beiseite geschobene Demokratie in der Partei wieder hergestellt. Dieser Beschluß ist durch die Annahme der vom Genossen Neumann, Reinickendorf, vorgelegten Entschließung herbeigeführt und durch die Ablehnung der Entschließung des Bezirksvorstands noch unterstrichen worden. [] Die Reinickendorfer Entschließung lautet: [] "Aufruf zur Stimmabgabe [] aller Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in der sowjetisch besetzten Zone und in Berlin [] zur Einheit der Arbeiterschaft. [] Während der Naziherrschaft [] gewannen alle Sozialdemokraten und Kommunisten Deutschlands die Erkenntnis, daß es nie wieder einen gegenseitigen Kampf zwischen ihnen geben darf. [] Nach Kriegsende [] machte daher die SPD-Führung der illegalen Kampfzeit der KPD den Vorschlag, sobald Parteien von der Besatzungsmacht gestattet würden, nur eine Partei zu gründen. Es kam trotzdem zu zwei Parteien, weil die KPD erst eine ideologische Klärung für erforderlich hielt. [] Im Dezember 1945 [] haben dann je 30 Vertreter beider Parteien und ihre Zentralinstanzen die bekannte Entschließung gefaßt, die eine entscheidende Phase in der Frage der Einheit der Arbeiterschaft darstellt und seit ihrer Veröffentlichung überall lebhaft diskutiert wird. [] In der Gegenwart [] sind aus dieser Diskussion im wesentlichen zwei Haltungen erkennbar. [] Die einen fordern den sofortigen Zusammenschluß der beiden Arbeiterparteien. Sie versprechen sich davon eine starke Anziehungskraft auf alle Werktätigen und sehen darin einen entscheidenden Faktor für den demokratischen Aufbau sowie für die wirtschaftliche und politische Einheit Deutschlands. Sie sagen: Sind erst beide Parteien organisatorisch vereinigt, werden sie auch ihre endgültige gemeinsame ideologische Basis finden. Sie wollen, wenn der Zusammenschluß im Reichsmaßstab noch nicht möglich ist, ihn in der Ostzone vollziehen und rechnen mit seiner positiven Ausstrahlung auf die drei anderen besetzten Zonen. [] Die anderen warnen vor übereilten Entschlüssen und wünschen vorerst ein Bündnis zwischen beiden Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert und den Bruderkampf verpönt. Sie wollen die sozialdemokratischen wie die kommunistischen Grundsätze erst ihr Echo im Volke finden lassen, um daraus die für die demokratische Erneuerung Deutschlands einzuschlagende Richtung zu erkennen. Sie wollen den Zusammenschluß nur, wenn er in allen Zonen möglich ist, da sonst die Spaltung der Arbeiterschaft in Ostdeutschland einerseits und in West-, Nord- und Süddeutschland andererseits zu befürchten sei und damit auch die Schaffung einer politischen Einheit Deutschlands fragwürdig werde. [] Aus diesem Für und Wider muß eine einheitliche Willensbildung erfolgen. Getreu der demokratischen Übung unserer Bewegung geschieht dies durch Befragen aller Mitglieder in geheimer Abstimmung. [] Mit Deinem Ja oder Deinem Nein auf dem nachstehenden Stimmzettel sollst Du, Genossin und Du, Genosse, diese Willensbildung finden helfen. [] Bist Du für den sofortigen Zusammenschluß beider Arbeiterparteien? [] Ja/Nein [] oder [] Bist Du für ein Bündnis beider Parteien, welches gemeinsame Arbeit sichert Bruderkampf ausschließt? [] Ja/Nein" [] Das Parteiorgan "Das Volk" hat diese Entschließung bisher nicht veröffentlicht! [] Man hätte auch annehmen müssen, daß der Berliner Bezirksvorstand die eindeutige Willenskundgebung der Berliner Funktionäre respektiert und alles tut, die geforderte Urabstimmung im Sinne des Beschlusses der Funktionär-Konferenz schnellstens durchzuführen. Statt dessen hat der Bezirksvorstand den Termin der Urabstimmung bis zum 31. 3. 1946 hinausgeschoben und in der Sitzung vom 7. 3. 1946 mit 13 gegen 12 Stimmen - den Ausschlag gaben die besoldeten Sekretäre - beschlossen, nur über die Frage 1 der Reinickendorfer Entschließung abstimmen zu lassen. Die Frage 2, mit der die Mitglieder die Zusammenarbeit mit der KPD und die Ausschließung des Bruderkampfes festlegen konnten, ist also gestrichen. [] Wir bestreiten dem Bezirksvorstand das Recht, die von der Mehrheit der Funktionär-Konferenz durch Annahme der Entschließung Neumann festgelegte Fragestellung abzuändern, und wir haben ebenso wie andere Berliner Kreise nachdrücklichst gegen die Verfälschung des Willens der Mehrheit der Funktionäre protestiert. [] Dieses Verfahren des Bezirksvorstandes liegt auf der gleichen Linie wie seine bisherige Stellungnahme für die sofortige Vereinigung. Daß man in der Behrenstraße nicht daran denkt, diese Linie zu verlassen und die durch die Funktionäre ausgedrückte Stellungnahme der Mitgliedschaft zu respektieren, zeigt der in Nr. 56 des "Volk" vom 8. 3. 1946 veröffentlichte Aufruf des Bezirksvorstandes. Wir haben bereits festgestellt, daß die die Grundlage der Urabstimmung bildende Reinickendorfer Entschließung bis heute noch nicht veröffentlicht worden ist. Angesichts dieser bezeichnenden Tatsache besitzt der Bezirksvorstand die Kühnheit, in dem erwähnten Aufruf der Urabstimmung einen ganz falschen Sinn zu unterschieben. Die vorgeschlagene Urabstimmung hat mit den Grundsätzen und Zielen der Sozialistischen Einheitspartei und dem Parteistatut nicht das mindeste zu tun, sie soll nur entscheiden, ob die Berliner Sozialdemokraten für sofortige Vereinigung sind oder nicht. Alles andere, so auch die Fragestellung des Bezirksvorstandes, ob wieder Reaktion und Faschismus über die Arbeiter triumphieren sollen, ist Stimmungsmache, die darauf abzielt, die Mitglieder und Funktionäre, die sich für die Erhaltung der vom Bezirksvorstand mißachteten Demokratie in der Partei einsetzen, zu diffamieren. Der Berliner Bezirksvorstand hat damit erneut unter Beweis gestellt, daß er mit der Mehrheit der Berliner Partei nicht mehr übereinstimmt und entfernt werden muß. Diese neuerliche Entwicklung unterstreicht [] die Berechtigung des bereits am 2. 3. 1946 auf der Delegierten-Konferenz des Kreises Wilmersdorf einstimmig angenommenen Antrages an den Bezirksparteitag, dem Bezirksvorstand das Mißtrauen auszusprechen. [] Die gleiche Delegierten-Konferenz hat die Haltung des Vorstandes des Kreises Wilmersdorf der SPD in der Frage der Vereinigung gebilligt und ihm das Vertrauen ausgesprochen. Wenn es noch eines Beweises dafür bedurft hätte, daß der Kreisvorstand die Auffassung der überwiegenden Mehrheit der Mitglieder vertritt, so liegt er in dem Ergebnis einer in den Abteilungen durchgeführten Abstimmung über die Frage, ob unter Ausschaltung eines Reichsparteitages eine sofortige Vereinigung der beiden Arbeiterparteien in der Sowjetzone erfolgen soll. Von den Abstimmenden haben 86% gegen und nur 13% für eine Vereinigung gestimmt. Dieses Ergebnis der Abstimmung der politisch aktiven Parteimitglieder bestärkt den Kreisvorstand in der Auffassung, weiterhin für die Aufrechterhaltung der Demokratie in der Partei und für die Entscheidung der Vereinigungsfrage auf einem Reichsparteitage einzutreten und im Sinne der Frage 12 der Reinickendorfer Entschließung (Zusammenarbeit mit der KPD unter Ausschaltung des Bruderkampfes) tätig zu sein hat. [] Diese Auffassung muß auch bei der für den 31. 3. 1946 vorgesehenen Urabstimmung zum Ausdruck kommen. Der Kreisvorstand erwartet, daß alle Wahlberechtigten, d.h. die Mitglieder, die bis zum 28. 2. 1946 der Partei beigetreten und im Besitz einer Mitgliedskarte sind, an der Urabstimmung teilnehmen. Wer der Urabstimmung fernbleibt, verletzt seine Pflicht als Sozialdemokrat und begibt sich eines der wichtigsten demokratischen Rechte. Man vergewissere sich also, daß die Mitgliedskarten vorhanden und in Ordnung sind. Mitglieder, die mehr als 3 Monate mit ihren Mitgliedsbeiträgen im Rückstand sind, dürfen an der Abstimmung nicht teilnehmen. Wahlzeit und Wahl-Lokale werden rechtzeitig von den zuständigen Abteilungen bekannt gegeben. [] Genossinnen und Genossen! Bis zum 31. 3. 1946 wird es nicht an mehr oder minder massiven Beeinflussungsversuchen der Gegenseite fehlen. Mit welchen Mitteln Z.A. und Bezirksvorstand arbeiten, läßt die durch die Presse gegangene Meldung erkennen, daß diese Körperschaften eine mit einem riesigen Aufwand von Material und Geld aufgezogene Propagandawalze gegen den Mehrheitswillen der Berliner Funktionäre anlaufen lassen. Das Tollste ist jedoch, daß man sich in der Behrenstraße dazu hinreißen läßt, sogenannte "Zuverlässige" in die Kreise und die Mitgliederversammlungen zu entsenden mit dem Auftrage, die Genossen zu überwachen. Solche Methoden zur Beeinflussung des Willens der Mitglieder hat es in der Geschichte der Sozialdemokratie noch nicht gegeben. Gegenüber solchen Methoden gibt es nur eine Parole: Bleibt fest und laßt Euch nicht durch irgendwelche Manöver, von welcher Seite sie auch kommen mögen, von der klaren Linie abdrängen, die ihr bisher eingenommen habt. [] Wir stimmen gegen den sofortigen Zusammenschluß beider Arbeiterparteien, weil wir nicht für eine Zerreißung, sondern für die Einheit der politischen Arbeiterbewegung Deutschlands sind, die nur durch die Entscheidung eines Reichsparteitages nach dem Fortfall der Zonengrenzen geschaffen werden kann. Gebt also Euren Willen kund und stimmt gegen eine sofortige Vereinigung. [] Kreisvorstand Wilmersdorf der SPD [] Andritzki-Druck, Wilmersdorf [] 10.000. 1170. 3.46. Klasse "C"
Published:03.1946