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HANNSHEINZ BAUER [] Mitglied des Deutschen Bundestages [] Würzburg, im September 1969 [] Sehr verehrte Arbeitnehmer-Kolleginnen und -Kollegen! [] Am Vorabend einer so bedeutsamen Parlaments-Wahl muß sich der SPD-Abgeordnete und neuerliche Kandidat an Ihren Personenkreis wenden, für den in den Jahren 1970-1973 sehr viel auf dem Spiel steht! Zwar ist es dank Prof. Schiller gelungen, überraschend schnell aus der wirtschaftlichen Talsohle der Rezession von 1966 herauszukommen und sowohl die Arbeitsplätze zu sichern wie auch die weitere Entwicklung günstig zu beurteilen - gleichwohl harren auf dem gesellschafts- wie sozialpolitischen Sektor viele und bedeutsame Aufgaben der Lösung. [] Wegen der von einer abgetretenen Regierung hinterlassenen zerrütteten Staatsfinanzen brachte die "Mittelfristige Finanzplanung" 1966 u. a. die Verschlechterungen: Senkung der Kilometer-Pauschale von -,50 DM auf -,36 DM und die Heranziehung der Rentner mit 2% zur Krankenversicherung. [] Ich weiß, daß es dabei weder Trost bedeutet noch sonderlich gewertet wird, daß eine 4%ige Rentner-Belastung ebenso verhindert werden konnte wie die Beseitigung der "Renten-Dynamisierung", d.h. der alljährlichen Anpassung an ein steigendes Sozialprodukt - beides war ernstlich erwogen! [] Immerhin wird die Schlußbilanz der "Großen Koalition" gerade jetzt in der zentralen DGB-Zeitschrift "Soziale Sicherheit" recht positiv gewürdigt: über ein Dutzend wichtigster Gesetze großer sozialpolitischer Tragweite wurden verabschiedet. Wer kann leugnen, daß über das System der Gesetze zur Berufsbildung, Ausbildungs- und Arbeitsförderung durchaus fortschrittlich die Weichen für die Zukunft gestellt wurden - so sehr sie im einzelnen noch moderner gestaltet und finanziell besser dotiert werden müßten? [] Ist es nicht ein wesentlicher Schritt nach vorne, daß im "sozialen Gegenüber" Arbeiter/Angestellter krasse Unterschiede aus der Vergangenheit über die "Lohnfortzahlung im Krankheitsfall" eingeebnet werden konnten, daß im einzelnen 1,63 Mill. Angestellte durch die begonnene Anhebung der Versicherungspflicht- und Beitragsbemessungsgrenze zukünftig günstiger gestellt werden - wobei die Folge einer zeitlich begrenzten höheren Beitragszahlung durch die verspätete Terminierung des Gesetzes allein auf die Bremswirkung der CDU/CSU und FDP zurückgeht? Die durch die Zusammensetzung des Bundestags bedingten unerfreulichen Beschlüsse betr. Rezeptblattgebühr und "Beitragsrückerstattung" in der Krankenversicherung treten zurück hinter der Herabsetzung des Höchstbeitragssatzes ab 1.7.1970 auf 8%, dem Wegfall der Karenztage und der "Massen-Ladungen" zum Vertrauensarzt. Nicht unterschätzt werden darf schließlich die Sicherung der Rentenzahlungen bis 1985 unter Brechung eines Tabus im Sinn einer Ermöglichung von Ausgleichs-Maßnahmen beim Vermögen der Sozialversicherungs-Träger. [] Unbeschadet dieser hinter uns liegenden Regelungen muß für unsere sozialpolitische Zukunft zielbewußt und klar vorausgedacht werden - wir Sozialdemokraten wollen zugunsten des Arbeitnehmers erreichen: [] Verdoppelung des Arbeitnehmer-Freibetrages bei der Lohnsteuer; [] Erweiterung der Steuer-Abzugsmöglichkeiten bei Sonderausgaben und Werbungskosten; [] Überprüfung der Spitzensätze bei der Einkommensteuer; [] Verbesserung des Familien-Lastenausgleichs in der Steuergesetzgebung (Kindergeld, Ausbildungsbeihilfen) - unter Zusammenfassung in ein einheitliches System; [] zügige Fortführung des sozialen Wohnungsbaues mit wirksamen Maßnahmen zur Drosselung und unter Abschöpfung der Boden-Spekulationen; [] erheblich verbesserte Gesundheitsvorsorge, gute Regelung des Krankenhaus-Problems, verstärkte Gesetzgebung für Verbraucher-Schutz und -Aufklärung; [] Beseitigung der Versicherungs-Pflichtgrenze für Angestellte; [] Fortschritte auf dem Sektor Mitbestimmung sowohl durch Ausgestaltung der Betriebsräte- und Personallvertretungsgesetze wie vor allem der Einführung der "qualifizierten Mitbestimmung" über die Montan-Industrie hinaus in den wirklichen Groß-Unternehmen. Und: Verwirklichung des Bildungs-Urlaubs. [] All dies kann mit anderen Koalitionspartnern gar nicht oder kaum erreicht werden - nur eine wesentlich verstärkte Sozialdemokratie kann hier bahnbrechend und entscheidend einwirken! (Jede nach links außen abgegebene "Protest-Stimme"' ist als in den Kamin geschrieben anzusehen, da für eine ultralinke Ecke nicht einmal eine leise Chance für einen Parlamentssitz besteht!) Denken Sie bitte auch daran, daß wir in unserem Lande mehr Frauen- als Männer-Stimmen haben: reden Sie nicht nur mit Mutter, Groß- und Schwiegermutter, der Schwester, Tochter, Ehefrau und Tante, sondern ebenso mit der Braut, der Freundin, den Kolleginnen am Arbeitsplatz - mit allen weiblichen Wählern, die ansprechbar sind! [] Helfen Sie bitte mit, daß am 28. 9. 1969 für eine gute Lösung all dieser angedeuteten sozialen Probleme keine Stimme verloren geht und eine starke SPD Einfluß nehmen kann! [] Mit bestem Dank für alle Unterstützung freundlich grüßend Ihr [] Hannsheinz Bauer - MdB
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