John T. Becher an seinen Vater Johannes R. Becher

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; John T. BECHER an seinen Vater Johannes R. BECHER [] [] Johannes R. BECHER, Präsident des kommunistischen "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands", Verfasser der sowjetzonalen "Hymne an Deutschland" und e...

Full description

Bibliographic Details
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 01.1951
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/48D8F188-555A-4E8A-93DD-E021E5D33539
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; John T. BECHER an seinen Vater Johannes R. BECHER [] [] Johannes R. BECHER, Präsident des kommunistischen "Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands", Verfasser der sowjetzonalen "Hymne an Deutschland" und ergebener Gedichte auf Stalin und die SEP, erhielt im Januar 1951 Besuch von seinem in England lebenden Sohn John T. BECHER. Der Sohn hatte bei dem Besuch Gelegenheit, das Leben und die Umwelt seines Vaters kennen zu lernen. Er sah, wie sein Vater in scheinbarem Wohlstand lebte, ein großes Haus bewohnte und in einem Auto fuhr. Aber das Haus war mit Stacheldraht umzäunt, sein Vater wurde bewacht, bespitzelt, er war unfrei, ein Sklave unter vielen. Nach diesem Besuch stand es für John T. BECHER fest, daß er niemals in der Welt der Unfreiheit, der Lüge und des Terrors leben könne, der sein Vater als gefügiges Werkzeug dient. In einem Brief legt er seinem Vater die Gründe dar, die es ihm unmöglich machen, in der Sowjetzone zu bleiben und sich ebenfalls zu einem Werkzeug der Kommunisten zu erniedrigen: [] [] John T. BECHER schrieb ... [] [] Januar 1951 [] Lieber Vater! [] [] Wie Du siehst, ich bin zurück in England. Ich bedaure nicht, Dich besucht zu haben, ich bedaure auch nicht, nach England heimgekehrt zu sein. Es war erfreulich, Dich, Vater, wiederzusehen - nach zwölfjähriger Trennung. Die wenigen Augenblicke mit Dir zusammen, der Anblick des Zustandes, in dem Du lebst, war für mich ein weit stärkerer Lehrmeister, als alle meine Jahre in England. [] [] Du wirst Dich erinnern, ich rief Dich per Telephon von der Berliner Westzone an. Es war ein Sonntag, und Du warst gerade vom PEN-Kongreß zurückgekehrt. Mein Verlangen, Dich zu sehen, war der Zweck meiner Reise nach Berlin. Doch Du mußtest mir sagen: Ich kann dich nicht empfangen in meinem Haus. Ich mußte bis zum nächsten Tage warten, um Dich in Deinem Bureau zu sehen, - wie ein Arbeitskollege oder Businessman. Es ist mir nie gelungen, Dich in Deinem Haus hinter Stacheldraht zu besuchen. Niemals werde ich Antwort geben können auf die Frage so vieler Freunde: Warum lebt dein Vater hinter Stacheldraht ? - Ist das der Schutz vor der Liebe Deines Volkes? Vater, ich weiß, wie große Ideale und Zukunftshoffnungen Du in das deutsche Volk gesetzt hattest, das Dir immer am Herzen gelegen hat. Fürchtest Du Dich jetzt vor Deinem Volk? [] [] Dein freudiger Blick, als wir uns endlich wiedersahen, wird mir in ewiger Erinnerung bleiben. Trotz der langen Trennung fühlte ich, daß die Liebe nicht gemindert war. Du hattest sofort Pläne für mich - für die Zukunft. War es möglich, daß Du den Verhältnissen um Dich so blind gegenüberstandest? - Denn als ich daran ging, den ersten Schritt zu Deinen Plänen zu verwirklichen, da fühlte ich bereits, daß Unmögliches von mir verlangt werde. [] [] Ich mußte Erlaubnis haben von der Partei, vom Innenministerium, in der Deutschen Demokratischen Republik bleiben zu dürfen. Du warst überzeugt von Deiner Macht - schließlich bist Du ja eine Persönlichkeit - und so ging ich zur Partei mit der Bitte, mir den Aufenthalt zu gewähren, den Aufenthalt in meiner Heimat bei meinem Vater. [] [] Man gab mir einen langen Fragebogen. Man verlangte von mir Auskunft über Dich, meinen Vater, und über meine Mutter. Warum von mir? Ich habe Blut geschwitzt, um dieses Dokument zu beantworten, zumal mein Deutsch ja nach den vielen Jahren, wie Du weißt, mangelhaft ist. [] [] Wer ist dieser Anton Joos, zu dem man mich geschickt hat? Da saß er hinter seinem Schreibtisch, - ein kleiner grauhaariger Mann, mit harten kalten Augen im Gesicht, das in den langen Stunden meiner Vernehmung niemals ein Lächeln hervorbrachte. [] [] Warum alle diese Fragen? Warum die Stenotypistin hinter mir? Er hatte den von mir ausgefüllten Fragebogen in der Hand, und nochmals mußte ich dieselben Fragen beantworten. Sollte es für ihn unbegreifbar sein, daß meine Mutter es vorzieht, im Frieden Englands zu leben, als in ihrem Alter sich nochmals in den Wirbel des verrückten Berlins zu werfen? Machte er mich für meine Mutter verantwortlich? Und warum konnte er das natürliche Gefühl nicht begreifen, daß alles, was ich wollte, war, mit Dir zu sein, und in meiner Heimat wieder leben zu dürfen. Ich gefiel ihm nicht, und er war mir von Herzen unsympathisch. Und das entschied meine Zukunft. [] [] Dieser kleine Mann, dieser Wicht im Vergleich zu Dir, schrieb Dir vor - Dir, einem Führer des neuen Deutschlands - wie Du Deinen Sohn zu behandeln hast. Und Du folgtest ohne Widerspruch. Vielleicht hattest Du Dich etwas geschämt, denn Du hast solang wie möglich gezögert, mir die Entscheidung bekanntzugeben. [] [] Ist Dir in dieser Situation die Realität der Verhältnisse, unter denen Du lebst, nicht zum Bewußtsein gekommen? Erkennst Du nicht, daß Deine Macht nur eine Illusion ist? - Daß das Deutschland, von dessen Aufbau Du jahrelang geträumt hast, in den Händen von solchen Personen zum Selbstzweck mißbraucht wird? - Und alles das geschieht mit Deinem Namen, einem Namen, den jeder Deutsche kennt und dem viele vertrauen. [] [] Muß ich Dir sagen, daß man Dich verwendet wie ein Werkzeug? Daß man nur Deinen Namen und Deine Unterschrift als Aushängeschild dem deutschen Volke hinhält? Daß Deine Liebe, das deutsche Volk, mit Deiner Hilfe vernichtet wird? Schau mit offenen Augen - und Du mußt wahrnehmen, daß die ganze Propaganda, die Plakate und Aufrufe für Frieden umkreist werden von Uniformen, und daß die deutsche Jugend in Deiner demokratischen Republik vorbereitet und trainiert wird für ein noch größeres und vollkommeneres Blutbad. Wenn Du in Deinem Auto durch die Straßen fährst, versuch die Menschen zu erfassen, so wie sie sind, hungrig und in Angst vor dem Morgen. Sie wünschen nur eins: in friedlicher Sicherheit zu leben! Blick auf die wieder marschierende Jugend in Uniform und Militärstiefeln: hast Du das nicht schon einmal gesehen? [] [] Wir hatten wenig zu sagen, als wir uns verabschiedeten. Ich fühlte, Du ahntest, was in mir vorging, nämlich daß ich mich bereits entschieden hatte, niemals an dem Traum von Deinem Deutschland teilzunehmen, der sich zusehends in einen Alpdruck verwandelt. [] [] Als mein Vater besitzt Du meine Liebe, wenn ich Deine Arbeiten lese, so glaube ich zu begreifen, was Du pflanzen und pflegen wolltest, aber wenn ich sehe, was aus Deinem Werk emporschießt, - eine Finsternis, die aufs neue Europa bedroht, dann bin ich froh, daß sich unsere Wege getrennt haben. [] [] Dein Sohn John T. Becher
Published:01.1951