Wer möchte gern betrogen sein?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Wer möchte gern betrogen sein? Sonderbare Frage! Gibt es Menschen, die gern betrogen sein möchten, die sich also bei vollem Bewußtsein hereinlegen lassen, und die dann obendrein noch stolz sind auf ihren Reinfall? Gibt es solche Menschen? [] A...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Meitmann, Karl, Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer & Co., Hamburg
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 23.02.1933 - 05.03.1933
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/471EFAAB-9952-4FC8-ABDF-1809F6F3CBFD
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Wer möchte gern betrogen sein? Sonderbare Frage! Gibt es Menschen, die gern betrogen sein möchten, die sich also bei vollem Bewußtsein hereinlegen lassen, und die dann obendrein noch stolz sind auf ihren Reinfall? Gibt es solche Menschen? [] Am 31. Mai 1932 wurde die erste Regierung der sogenannten "nationalen Konzentration" unter dem Reichskanzler Franz von Papen gebildet. Hitler hatte insgeheim dem Kabinett der Grafen und Barone die Unterstützung und Tolerierung versprochen. [] Kaum wurde das berichtet, setzten wütende Proteste der Nationalsozialisten ein. [] Was sagten damals die Nazis zu Herrn von Papen und seiner Regierung? [] Dr. Goebbels, der Reichspropagandaleiter der NSDAP., erklärte am 5. September 1932 vor den Berliner Amtswaltern und SA.-Führern wörtlich: [] "Heute sieht man auch, wie abgrundtief verlogen der Schwindel von den Nazi-Baronen war. Wir wollen einmal abwarten, wer diese Barone eher toleriert, die SPD. oder wir. Wenn wir wirklich eine reaktionäre Partei des Arbeiterverrats wären, dann wären wir heute in der Regierung." [] Diese Kritik an Herrn von Papen war nicht von Pappe. Aber es kommt noch besser. Am 6. September 1932 schreibt das Berliner Naziorgan, "Der Angriff", über Herrn von Papen, seine Kabinettskollegen und den hinter ihnen stehenden Herrenklub: [] "Sie (die Grafen und Barone) hatten sich dies so einfach vorgestellt. Wir sollten die Arbeit tun, und sie wollten regieren. Wir sollten den Dreck wegfegen, und sie traten dann geschniegelt und gebügelt als vornehme Kavaliere und etwas [] breitstelzig und leicht angedooft [] in die gute deutsche Stube, um endlich Schwung in die Politik des Landes hineinzubringen." [] Herr von Papen stürzte mit seinem Kabinett. Er folgte der Empfehlung des "Völkischen Beobachters" vom 6. Dezember 1932, der über Herrn von Papen erklärte: [] "Das deutsche Volk selbst hat lediglich das Bedürfnis, von diesem Herrn nichts mehr zu hören und zu sehen." [] Jetzt nahm auch [] Adolf Hitler gegen von Papen [] Stellung. Er erklärte nach dein Sturz Papens in seinem Leiborgan: [] "Noch nie hat in Deutschland ein Kabinett mehr Macht gehabt, noch nie aber auch mehr versagt, als diese Regierung einer kleinen exklusiven Schicht. Heute werden mir Millionen der Anhänger unserer Bewegung innerlich dankbar sein, daß ich die Partei nicht mit diesem unseligen politischen Dilettantismus des Herrn Franz von Papen verbunden habe." [] So war es also endgültig klar, daß alle Behauptungen über Verbindungen zwischen den Nationalsozialisten und den Grafen und Baronen freche Verleumdungen waren! [] War es klar? [] Nun, Anfang Januar 1933 wurde plötzlich aus Köln berichtet: [] Adolf Hitler verhandelt mit Herrn von Papen. [] Adolf Hitler verhandelt mit dem "Anwalt des Finanzkapitals, der Trusts und Konzerne", wie ihn das Hamburger Naziblatt be- und kennzeichnete. [] Verhandelte Hitler wirklich? Es wurde zunächst bestritten. Und nicht nur bestritten. "Unmöglich, mit Papen zusammenzugehen" - so schallte es wider aus dem nationalsozialistischen Blätterwald. Warum es unmöglich sei, das begründete vor allem einer der Führer der NSDAP., Graf Reventlow. Der schrieb wörtlich: [] "Heute dürfte es wohl wenige geben, die nicht gerade im damaligen Kabinett Papen und seinen Kreisen von Natur gehässigsten Feinde des Nationalsozialismus erblicken und wissen, daß dieser Haß sachlich unversöhnlich und unabänderlich begründet ist... [] Mit diesen bewußt rückständigen Vertretern eines volksfeindlichen Staates könnte die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei nur unter der Voraussetzung zusammengehen, daß sie sich selbst untreu würde, vielmehr bereits untreu geworden sei; [] denn jene andere Seite wird ihrem Dünkel, ihrem Macht- und Geldegoismus nie und unter keinen Umständen untreu... [] Handelte es sich auch um nichts, als um dieses, so würde es eine Beleidigung der nationalsozialistischen Bewegung und in erster Linie ihres Führers Adolf Hitler sein, diesem Verhandlungen mit Papen oder auch nur die Absicht dazu zuzutrauen." [] Das war deutlich, sehr deutlich sogar! [] Und was folgte danach? [] Am 30. Januar 1933 bildete Adolf Hitler gemeinsam mit Franz v. Papen, mit Hugenberg und Seldte, also mit den Herren eine Regierung, in denen der Nationalsozialismus angeblich "seine gehässigsten Feinde" sieht von denen er weiß, "daß dieser Haß sachlich unversöhnlich und unabänderlich begründet ist". [] Trotzdem: [] Adolf Hitler regiert mit Franz von Papen. [] Noch einmal die Frage: Gibt es Menschen, die gern betrogen sein möchten, die sich bei vollem Bewußtsein das Fell über die Ohren ziehen lassen? [] Jetzt regieren also die "Sozialisten" Hitler, Frick und Göring mit den "Vertretern des Finanzkapitals, der Trusts und Konzerne", mit dem "Reaktionär" Hugenberg, mit den "feinen Leuten". [] Hiller hat die Rettung versprochen. [] Als er noch nicht Reichskanzler war, da wetterten die Nazis gegen das Finanzkapital, gegen Trusts und Konzerne. Da verkündeten sie, daß sie lebenswichtige Wirtschaftszweige verstaatlichen würden. Da hieß es: Wir haben einen Rettungsplan, den wir bekanntgeben werden, wenn wir an der Macht sind! [] Hitler ist jetzt an der Macht! [] Wo aber ist der Rettungsplan? [] Nach der Ankündigung des Reichskanzlers Adolf Hitler soll ein "Vier-Jahres-Plan" den deutschen Bauern und den deutschen Arbeiter retten. [] Vier Jahre also soll das deutsche Volk noch hungern und darben. [] So will es das neue System! So wollen es die Nazis, die vor der Machtübernahme den Mund so voll nahmen. [] Kann das deutsche Volk noch vier Jahre warten? Worauf soll es warten? [] Wohl hat die Regierung Hitler-Papen-Hugenberg einen "Vier-Jahres-Plan" angekündigt, aber mit keinem Wort sagt sie dem Deutschen, was sie tun will zur Rettung des Volkes. [] Auch die Nazis wissen also keine Rettung! Sie verkünden sie zwar, aber was tun sie tatsächlich? [] Einige Wochen Hitler-Herrschaft sind mehr als aufschlußreich. [] Keine einzige Maßnahme zur Beschaffung von Arbeit und Brot. [] Dagegen hat der Vierfach-Minister [] Hugenberg sein erstes "Erlösungswort" gesprochen: [] Hungernotverordnung gegen die Armen. [] Das Rindfleisch soll um 25 Pf. [] Das Schweinefleisch soll um 15 Pf. [] Das Schaffleisch soll um 20 Pf. [] Der Speck soll um 15 Pf. [] Das Schmalz soll um 25 Pf. [] Das Frischfleisch soll um 40 Pf. [] teurer werden. [] So beginnt das Dritte Reich! [] Das ist die erste wirkliche Tat der Regierung: Die Zölle sind erhöht und Fett und Fleisch werden teurer. [] Dafür aber neue Notverordnungen zur Knebelung der Versammlungs- und Presse-Freiheit! [] Dafür Zeitungsverbote über Zeitungsverbote! [] Dafür Rundfunkreden und Fackelzüge! [] Das deutsche Volk ist nicht sattzumachen mit Notverordnungen, mit Verboten, mit Rundfunkreden und Fackelzügen. [] So zeigt sich: [] Die Nazis können so wenig helfen, wie Herr von Papen oder Herr von Schleicher geholfen haben. Die Ursachen des Elends liegen begründet im Kapitalismus, in der plan- und sinnlosen Wirtschaft, deren vornehmste Vertreter selbst nach früheren Bekenntnissen der Nazi-Partei die Reaktionäre von Papen, Hugenberg und Seldte sind. [] Mit diesen Anwälten des Kapitalismus aber regieren heute die Nationalsozialisten. [] Nach dieser Selbstentlarvung der Nazis ist die Stunde gekommen, in der das deutsche Volk sich aufraffen muß. [] Das deutsche Volk will nicht betrogen sein! Das deutsche Volk will Rettung aus Not und Elend! Das deutsche Volk will die sozialistische Nation! [] Helft darum mit eine krisenfreie Wirtschaft, eine planvolle Wirtschaft aufzubauen. [] Helft mit, daß der Arbeiter wieder Arbeit und Brot, der Angestellte wieder Beschäftigung findet. [] Weg mit allem Volksbetrug! Vorwärts für wahre Freiheit und wahren Sozialismus! [] Wählt Sozialdemokraten, Liste 2 [] Kommt den großen Saalkundgebungen der Eisernen Front [] am Montag, dem 20. Februar, 20 Uhr, in allen Sälen [!] bei Sagebiel und im Zoo [] Es sprechen: Minister KARL SEVERING, P. HERTZ, M. d. R., Dr. HANS STAUDINGER, M. d. R., ADOLF BIEDERMANN, M. d. R., G. DAHRENDORF, M. d. R., ERNA TUM SUDEN. [] Demonstriert mit der Eisernen Front! [] Aufstellungsplätze der Demonstrationen: [] Kolonne 1: Kaiser-Friedrich-Ufer, Spitze Bundesstr., [] Kolonne 2. Bei der Gnadenkirche, Am Holstenplatz, [] Kolonne 3: Weidenstraße, Spitze Am Markt. [] Kolonne 4: Eilbecker Weg, Spitze Wagnerstraße, [] Kolonne 5: Grüner Deich, Spitze Hammerbrookstraße. [] Abmarsch 18.30 Uhr. [] Verantwortlich für Inhalt und Verlag - Karl Meitmann, Hamburg. - Druck: Hamburger Buchdruckerei und Verlagsanstalt Auer &Co., Hamburg 36.
Published:23.02.1933 - 05.03.1933