Denkschrift zur Verfassungsmäßigkeit der Volksbefragung

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; DENKSCHRIFT zur Verfassungsmäßigkeit der Volksbefragung überreicht am 12. Mai 1951 an Seine Exzellenz Bundespräsident Theodor Heuss [] [] Hauptausschuß für Volksbefragung [] Düsseldorf, 12. Mai 1951 [] [] An seine Exzellenz den Herrn Bunde...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Hauptausschuss für Volksbefragung
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 12.05.1951
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/D070E7D5-F8C5-4C3B-9790-51F315DFE498
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; DENKSCHRIFT zur Verfassungsmäßigkeit der Volksbefragung überreicht am 12. Mai 1951 an Seine Exzellenz Bundespräsident Theodor Heuss [] [] Hauptausschuß für Volksbefragung [] Düsseldorf, 12. Mai 1951 [] [] An seine Exzellenz den Herrn Bundespräsidenten Dr.Theodor Heuss Bonn [] [] Euer Exzellenz! [] Der Hauptausschuß für Volksbefragung gestattet sich, Euer Exzellenz anbei eine Denkschrift zu überreichen, in der er seine Auffassung über die gesetzlichen und verfassungsmäßigen Grundlagen darlegt, auf die sich die von ihm angestrebte unmittelbare Entscheidung des deutschen Volkes über die Frage der Remilitarisierung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951 stützt. [] Wir bitten Euer Exzellenz, diese unsere Auffassung, die von maßgebenden Gelehrten des deutschen und internationalen Rechts geteilt wird, einer geneigten Prüfung zu unterziehen. und uns in unseren Bemühungen nach staatsbürgerlicher Sicherheit und demokratischem Recht, noch Friede und Völkerverständigung mit Ihrer hohen Autorität zu unterstützen. [] Mit vorzüglicher Hochachtung! [] DIE VORSITZENDEN [] gez. Hellmuth von Mücke gez. E. Hoereth-Menge gez. Karl Hentschel gez. Johannes Oberhof [] [] Denkschrift zur Verfassungsmäßigkeit der Volksbefragung [] [] Die Regierung der Bundesrepublik hat durch Beschluß vom 24. April 1951 die Volksbefragung über die Remilitarisierung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951 verboten und Anweisung gegeben, die Ausschüsse für Volksbefragung aufzulösen. Zur Begründung des Verbotes hat Innenminister Dr. Lehr erklärt, die Volksbefragung verstoße gegen die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik, sei verfassungswidrig und unterhöhle den demokratischen Staatsaufbau. Der Kanzler und der Innenminister gründen das Verbot auf Artikel 9, Absatz 2, des Grundgesetzes. [] Dazu ist zunächst festzustellen, daß der Inhalt und der Zweck der angestrebten Volksbefragung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland in keinerlei Gegensatz zu den politischen Grundsätzen des Grundgesetzes sieht. Dies wird vor allem deutlich aus folgenden Bestimmungen: [] [] 1. Die Präambel des Grundgesetzes nennt als eines seiner Ziele ausdrücklich, "dem Frieden der Welt zu dienen". [] 2. Nach Artikel 1, Absatz 2, des Grundgesetzes bekennt sich das deutsche Volk "zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt". [] 3. Artikel 4, Absatz 3, des Grundgesetzes garantiert ausdrücklich jedem Bürger das Recht, den Kriegsdienst mit der Waffe zu verweigern. [] 4. Artikel 24, Absatz 2, des Grundgesetzes verpflichtet die Bundesrepublik ausdrücklich zu einer Außenpolitik der Friedenssicherung. [] 5. Artikel 26, Absatz 1, erklärt alle Handlungen für verfassungswidrig und strafbar, "die geeignet sind und in der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges vorzubereiten". Der Kommentar von Giese (2. Auflage, Frankfurt/Main 1951) sagt ausdrücklich, daß jeder Verstoß gegen diesen Rechtsatz "auf allen Rechtsgebieten verpönt, insbesondere als Rechtsgeschäft und als Verwaltungsakt ungültig und unverbindlich, von allen Organen des Bundes und der Länder zu verhindern und zu verfolgen" sei. [] [] In ihrer Zielsetzung, die Remilitarisierung Deutschlands zu verhindern und einen Friedensvertrag mit Deutschland zu erreichen, steht die Volksbefragung also nicht nur in keinerlei Widerspruch zum Grundgesetz, sie unterstützt und fördert vielmehr die dort dargelegten Ziele. [] Sie betrifft ferner nicht irgendeine untergeordnete Frage, sie zielt vielmehr ab auf die Entscheidung über Krieg oder Frieden, Untergang oder Existenz des deutschen Volkes. Sie behandelt die Grundfragen des staatlichen und nationalen Bestandes Deutschlands, denn es besteht kein Zweifel, daß die Remilitarisierung Deutschlands in den Krieg und damit die Gefährdung des Bestandes unseres Volkes führen müßte. Damit bezweckt die Volksbefragung, ohne das Problem der verfassungsmäßigen Ordnung in der Bundesrepublik überhaupt aufzuwerfen, die Abwendung einer drohenden Zerstörung der Grundlagen des gesellschaftlichen und staatlichen Aufbaus Deutschlands schlechthin, gleich, welchen Charakter er trage. Deshalb ist die Volksbefragung nicht die Unterwühlung der verfassungsmäßigen Ordnung, sondern im Gegenteil die Abwendung der durch die Remilitarisierung drohenden Vernichtung jeglicher staatlichen Ordnung in Deutschland. [] Sie entspricht damit dem Vorspruch des Grundgesetzes, denn dort sind als Beweggründe und Zielsetzung der Verfassungsgebung nicht der Untergang des deutschen Volkes in einem neuen Krieg, sondern seine Wahrung als Nation und Staat proklamiert. [] Des weiteren ist festzustellen, daß das Ziel der Volksbefragung, eine Entscheidung gegen die Remilitarisierung herbeizuführen, ein völkerrechtlich und verfassungsmäßig garantiertes Recht ist. In einer Reihe von internationalen Abkommen, insbesondere im Potsdamer Abkommen, wurde die Entmilitarisierung Deutschlands und das Verbot jeglicher Remilitarisierung festgelegt. Das Potsdamer Abkommen ist von der Sowjetunion, den Vereinigten Staaten von Nordamerika und England unterzeichnet und später auch von Frankreich bestätigt. Es stellt fest, daß auf Grund der bitteren Erfahrung, die die Völker Europas und nicht zuletzt das deutsche Volk selbst mit einem militaristischen Deutschland gemacht haben, die Entmilitarisierung Deutschlands eine unerläßliche Vorbedingung für das friedliche Zusammenleben der Völker Europas und der Welt ist. Es bringt ferner zum Ausdruck, daß der Abschluß eines Friedensvertrages mit einem entmilitarisierten, demokratischen Deutschland gleichfalls dem allgemeinen Frieden und der Völkerverständigung dient. [] Die in dem völkerrechtlichen Vertrag von Potsdam niedergelegten Grundsätze aber sind nach Artikel 25 des Grundgesetzes Bestandteil des Bundesrechts. Sie gehen den deutschen Gesetzen vor und erzeugen unmittelbare Rechte und Pflichten für die Bewohner des Bundesgebietes. Daraus geht hervor, daß die Fragestellung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland nicht nur inhaltlich sinnvoll ist, weil die Remilitarisierung den Frieden gefährdet und friedliche Zustände erst durch den Friedensvertrag gesichert werden können, sondern zugleich auf unangreifbaren verfassungsmäßigen und völkerrechtlichen Grundlagen beruht. [] Wenn also nachgewiesenermaßen der Inhalt der erstrebten Volksbefragung nicht im Widerspruch zu den im Grundgesetz festgelegten Zielen der Bundesrepublik steht, bleibt zu prüfen, ob eine Volksbefragung an sich in irgendeiner Weise gegen die Prinzipien des Grundgesetzes verstößt: [] [] 1. Nach Artikel 20, Absatz 2, des Grundgesetzes geht alle Staatsgewalt vom Volke aus und wird von diesem in Wahlen und Abstimmungen sowie durch besondere Organe ausgeübt. Dieser Satz legt, wie Giese in den Erläuterungen zu Artikel 20 mit Recht feststellt, das demokratische Prinzip für die innere Staatsform in der Bundesrepublik fest. Hier ist das Grundprinzip für die Ausübung aller Staatsgewalt niedergelegt. Alle weiteren Einzelbestimmungen können diesen Grundsatz zwar näher ausführen und ergänzen, aber nie einschränken. Das Volk bedarf zur Ausübung der von ihm ausgehenden höchsten Autorität keiner ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung. Eine Volksbefragung mit dem Ziel der Herbeiführung einer unmittelbaren Entscheidung des Volkes ist daher zweifellos rechtlich zulässig, auch wenn das Verfahren dafür bisher nicht gesetzlich geregelt ist. [] Auch nach dem Grundgesetz kann die Volksbefragung nicht im Widerspruch zu seinen Prinzipien stehen, denn in den Fällen der Artikel 29 und 118 werden Volksbefragungen ausdrücklich vorgeschrieben. Daraus den Schluß zu ziehen, daß etwa in allen anderen Fällen eine Volksbefragung nicht möglich sei, wäre offenbar falsch; denn aus der zwingenden Vorschrift der Volksbefragung in einem bestimmten Fall kann nicht geschlossen werden, daß sie in anderen Fällen nicht zulässig sei. [] [] 2. Auch aus der Tatsache, daß es sich bei der Volksbefragung um eine Initiative in organisierter Form und um eine planmäßige Aktion handelt, kann keinerlei Widerspruch zum Grundgesetz hergeleitet werden. Artikel 17 des Grundgesetzes gibt ausdrücklich allen Bürgern das Recht, sich "einzeln oder in Gemeinschaft anderer schriftlich mit Bitten oder Beschwerden an die zuständigen Stellen und an die Volksvertretung zu wenden". Giese stellt in den Erläuterungen zu Artikel 17 ausdrücklich fest, daß als Adressaten solcher Eingaben alle Regierungsorgane in Betracht kommen. Die Volksbefragung ist daher unter dem Gesichtspunkt einer derartigen Gemeinschaftspetition im Sinne des Artikels 17 nicht nur nicht verfassungswidrig, sondern sogar ausdrücklich verfassungsrechtlich vorgesehen. Sie ist darüber hinaus ganz allgemein ein Ausdruck der freien Meinungsäußerung, wie sie in Artikel 5 des Grundgesetzes für jeden Deutschen als Grundrecht festgelegt ist. [] [] 3. Außerdem muß darauf hingewiesen werden, daß die weitaus überwiegende Mehrzahl der westdeutschen Länderverfassungen Volksbegehren und Volksentscheid vorsehen. Dies gilt z. B für Artikel 74 der Bayrischen Verfassung, Artikel 116 und 12,1 der Hessischen Verfassung, Artikel 23 und 71 der Verfassung von Württemberg-Hohenzollern, Artikel 93 der Badischen Verfassung, Artikel 107 und 109 der Verfassung von Rheinland-Pfalz sowie Artikel 70 der Verfassung von Nordrhein-Westfalen. [] Diese Bestimmungen sind nach Artikel 20, Absatz 2, in ihrer Wirksamkeit durch das Grundgesetz zweifellos nicht beeinträchtigt. Auch aus den Artikeln 29 und 118 des Grundgesetzes folgt, daß die unmittelbare Entscheidung des Volkes, gestützt auf die Länderverfassungen, dem Grundgesetz nicht widerspricht. Der Hamburger Staatsrechtler Dennewitz vertritt in der Zeitschrift "Die öffentliche Verwaltung", Heft 18/1949, ausdrücklich diese Auffassung. Daraus geht unbestreitbar hervor, daß die Volksbefragung über die Remilitarisierung Deutschland und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland weder nach Form noch nach Inhalt gegen das Grundgesetz verstößt, sondern demokratisches Recht aller Staatsbürger ist. Da sie sich aus Artikel 5 des Grundgesetzes herleitet und die Regierung mit ihrem Verbot die Freiheit der Meinungsäußerung einschränkt, verstößt die Regierung in jedem Falle gegen das Grundgesetz. Denn nach Artikel 1 des Grundgesetzes kann nur das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung des Grundrechtes der Freiheit der Meinungsäußerung aussprechen. Die Regierung besitzt keine Ausnahmestellung, sie ist vielmehr nach Artikel 1 des Grundgesetzes an die Grundrechte als unmittelbar geltendes Recht gebunden. [] [] Die Regierung begründet ihr Vorgehen damit, daß die Fragestellung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für einen Friedensvertrag mit Deutschland eine verleumderische Tendenz gegen die Bundesregierung enthalte. Weder die Annahme noch die Tatsache einer solchen Tendenz gibt jedoch der Regierung das Recht, eine derartige, ihr nicht genehme Meinungsäußerung zu unterdrücken. Falls sie sich dadurch verleumdet fühlt, mag sie, wie jeder andere, die Gerichte anrufen. Polizeimaßnahmen und selbst gesetzliche Maßnahmen gegen die freie Meinungsäußerung aber verletzen die Verfassung; denn nach Artikel 19, Absatz 2, vermag selbst ein verfassungsänderndes Gesetz das Grundrecht der freien Meinungsäußerung nicht aufzuheben. [] Aus all dem folgt, daß die Maßnahmen der Bundesregierung, die auf ein Verbot der Volksbefragung über die Remilitarisierung Deutschlands und den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951 abzielen, verfassungswidrig sind. [] Die Volksbefragung steht nach Inhalt und Form in Einklang mit der rechtlichen Grundordnung der Bundesrepublik. Ihre Störung und Verhinderung stellt einen Eingriff in die verfassungsmäßigen Rechte der Staatsbürger dar, gegen den der Schutz der Grundrechte nach Artikel 19, Absatz 4, des Grundgesetzes gegeben ist. Das Verbot der Volksbefragung vermag die verfassungsmäßigen Zwecke der Volksbefragung nicht zu verändern. Es ist ein Beweis dafür, daß die Regierung die eigene Verfassung nicht ernst nimmt. Es verstärkt die Befürchtung, daß die Regierung bereit ist, auf dem Wege der Remilitarisierung gegen den Willen des Volkes fortzuschreiten und unter Bruch der Verfassung gegen die demokratischen und nationalen Bewegungen des Volkes vorzugehen. [] Deshalb muß die Bevölkerung der Bundesrepublik die Verteidigung der Grundrechte und den Schutz der Verfassung gegen die Regierung in die eigenen Hände nehmen. Deshalb muß sie in der unmittelbaren Entscheidung gegen die Remilitarisierung Deutschlands und für den Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland im Jahre 1951 ihren geschichtlichen Beitrag leisten für die Erhaltung des nationalen und staatlichen Lebens des deutschen Volkes und für das friedliche Zusammenleben der Völker Europas und der Welt.
Published:12.05.1951