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Würgendorf, September 1953 [] [] Liebe Wählerin, lieber Wähler! [] Wollen Sie einen besseren Bundestag, oder sind Sie der gleichen Meinung, wie Herr Oberbürgermeister Bach von der CDU, der vor wenigen Tagen in einem Flugblatt schrieb: "Wir brauchen keinen besseren Bundestag". Hat der vergangene Bundestag die dringlichen Anliegen des Mittelstandes in ausreichendem Maße berücksichtigt? [] Sie werden mit mir einiggehen, daß viele berechtigte Wünsche offengeblieben sind. Wie wir, als Sozialdemokraten, so wünschen auch Sie sicher eine vernünftige Steuerpolitik, die Ihnen neben einem bescheidenen Verdienst auch eine Kapitalbildung ermöglicht. Die Gesetzgebung der Mehrheit des alten Bundestages hat Ihnen den letzten Pfennig besteuert, während sie einer kleinen Schicht hochverdienenden Großunternehmern alle Steuervorteile schenkte. [] Sie als Mittelständler sind beim Einkauf Ihrer Waren darauf angewiesen, die Ihnen diktierten Preise zu bezahlen. Sie aber haben die Klagen und Beschuldigungen Ihrer Kunden über eine ungerechte Preisgestaltung entgegennehmen müssen. Wäre es Ihnen nicht viel lieber gewesen, billiger und damit mehr zu verkaufen? Die Bundesregierung hat ohne Rücksicht auf Sie im Rahmen ihrer sozialen Marktwirtschaft die Preise zum Nutzen eines kleinen Kreises von Großunternehmern davonlaufen lassen. [] Mein Bruder ist Dachdeckermeister. Ich beobachte es täglich, in welch' unerträglicher Weise alle Bauhandwerker als Kreditgeber für den Staat herangezogen werden. Die Baudarlehn [!][Baudarlehen] von Land und Bund brauchen trotz Genehmigung Monate, bis sie ausgeschüttet werden. Die Häuser sind zumeist längst fertig, wenn endlich dann der Staat zahlt. [] In der Zwischenzeit muß aber der Handwerker Löhne und Material vorfinanzieren, zum größten Teil über Sparkassenkredite, die nur mit teurem Zinssatz zu erhalten sind. [] Was hat die Bundesregierung in der vergangenen Zeit getan, um hier Abhilfe zu schaffen? Zu einem hat sie immer Zeit gefunden: Die Steuern termingemäß beizutreiben. [] In Bonn wird jetzt vor der Bundestagswahl von einer Steuerreform gesprochen. Gleichzeitig wird aber von einer Erhöhung der Umsatzsteuer geflüstert. [] Will man nicht begreifen, daß eine Erhöhung der Umsatzsteuer die Vernichtung des Mittelstandes nach sich zieht! [] Hohe Umsatzsteuer reizt die Großunternehmer an, sich noch mehr zusammenzuschließen und als Trust vom Eisenerz über die verschiedenen Stufen der Weiterverarbeitung dann die verkaufsreifen Waren auf den Markt zubringen. Dadurch würde zwar die Umsatzsteuer gespart, Mittelstandsinteressen aber tödlich getroffen werden. [] Wir wünschen keine Gleichmacherei. Wir brauchen die private Initiative des Mittelstandes mehr als die heutigen Koalitionsparteien, denn wir sind davon überzeugt, dass diese ein Trumpf im Kampf gegen den Bolschewismus ist. Wir wollen aber unter allen Umständen verhindern, daß große, anonyme Kapitalgesellschaften, die Geschicke einzelner Teile oder unseres ganzen Volkes so stark beeinflussen können, dass ihre Entscheidung Krieg oder Frieden, Wohlstand oder Armut bedeutet. [] Ich bin Siegerländer. Sollte ich das Vertrauen der Wähler unseres Wahlkreises erhalten, so kann ich Ihnen versprechen, dass ich auch Ihre Interessen als besonderes Anliegen meiner Parlamentstätigkeit ansehen werde. [] Mit einem herzlichen "Glückauf" [] Ihr Hermann Schmidt [] [] Lesen Sie bitte auf der Rückseite die alle Angehörigen des Mittelstandes interessierenden Richtlinien einer zukünftigen SPD-Regierungspolitik. [] [] Die Millionen kleiner und mittlerer selbständiger Existenzen des Handwerks, im Handel, im übrigen Gewerbe und in den freien Berufen sind von außerordentlicher gesellschaftspolitischer und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die in ihnen liegenden Kräfte müssen neben und in Verbindung mit denen der Arbeitnehmerschaft zur Sicherung der Existenz unseres Volkes dienen. Das kann nur durch die Sicherung der freien Entfaltung dieser Kräfte erreicht werden. [] Deshalb erklärt die SPD: [] 1. Die SPD bekennt sich zum Privateigentum. Das kleine und mittlere Privateigentum werden den besonderen Schutz und entsprechende Förderungsmaßnahmen einer sozialdemokratischen Bundesregierung erfahren. [] 2. Die SPD hat niemals daran gedacht, Klein- und Mittelbetriebe zu sozialisieren. Die SPD beschränkt ihre Sozialisierungsbestrebungen auf die Grundstoffwirtschaft. [] Sie wird den Einzelhandel mit allen Mitteln unterstützen, weil sie von seiner großen volkswirtschaftlichen Bedeutung überzeugt ist. [] 3. Die SPD will keine Zwangswirtschaft. Die Behauptung, die SPD erstrebe eine solche, ist bewußt falsch. Die Zwangswirtschaft ergab sich im Zuge kriegswirtschaftlicher Maßnahmen in den beiden Weltkriegen, für welche die SPD nicht verantwortlich ist. [] 4. Die SPD erkennt die private Unternehmerinitiative an. Diese steht nicht im Gegensatz zu der von der SPD angestrebten Planung in der Wirtschaft. Die Planung vollzieht sich auf der Grundlage der Marktwirtschaft (Käufermarkt). [] 5. Die SPD will das bisher stark vernachlässigte klein- und mittelgewerbliche Kreditsystem mit Hilfe der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute neu aufbauen. Die SPD fördert deshalb den Personalkredit, für den persönliche Leistung und Zuverlässigkeit des selbständig Schaffenden die wichtigste Voraussetzung bilden. [] 6. Die SPD fordert rationell arbeitende Klein- und Mittelbetriebe. Deshalb wird eine sozialdemokratische Regierung Mittel zur Gewerbeförderung bereitstellen. [] 7. Die SPD fordert eine verständliche, vereinfachte Steuergesetzgebung und eine entsprechend vereinfachte Steuererklärung für die Veranlagten, verbunden mit einer gesetzlich anzuerkennenden Mindestbuchführung. Die Zusammenveranlagung der arbeitenden Ehefrau mit dem Ehemann wird beseitigt. [] 9. Die SPD will die Selbständigen für Alter und Invalidität so sichern, daß kein Selbständiger der öffentlichen Fürsorge anheimfallen kann. Die soziale Sicherung ist unter solidarischer Mitwirkung der Selbständigen im Rahmen der Selbstverwaltung auf gesetzlicher Grundlage so zu gestalten, daß die Möglichkeit einer individuellen Sicherung über die Lebensversicherung offen bleibt. [] [] Druck: R. Dornseiffer, Weidenau
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