Querschnitt durch die deutsche Politik der Gegenwart

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Querschnitt durch die deutsche Politik der Gegenwart [] Gespräch mit Dr. Kurt Schumacher [] Dargestellt von Georg Alexander [] Mit der verhinderten Revolution fing es an [] Bei der Prüfung und Durchleuchtung der politischen Situation, in der...

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Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Parteivorstand, Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m.b.H., Hannover
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Published: ca. 1948
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Online Access:http://hdl.handle.net/11088/665DE48D-4D2B-4FC5-BBDA-403684B24B32
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Querschnitt durch die deutsche Politik der Gegenwart [] Gespräch mit Dr. Kurt Schumacher [] Dargestellt von Georg Alexander [] Mit der verhinderten Revolution fing es an [] Bei der Prüfung und Durchleuchtung der politischen Situation, in der sich das deutsche Volk heute befindet, bietet sich der Begriff von der "verhinderten Revolution" als Schlüssel zum tieferen Verständnis an. Fast alle Erscheinungen des öffentlichen Lebens tragen den Stempel der Verkrampfung und des Unechten, und die Meinungsbildung wird weitgehend von dem Eindruck bestimmt, daß im Augenblick der bedingungslosen Kapitulation eine unwiederbringliche historische Gelegenheit für eine revolutionäre Aktion von deutscher Seite verpaßt wurde. Welche Gründe führten zu dieser Entwicklung? [] Die Tatsache, daß die, Deutschen militärischen Widerstand bis zum letzten auf deutschem Boden leisteten, hat die unvermeidbare Konsequenz gehabt, daß jede Besatzungsmacht auf das von ihr okkupierte Gebiet die Bedingungen ihrer Heimat übertrug. In keiner der vier Zonen ist bis jetzt der soziale, politische und kulturelle Stil der Deutschen zur Entfaltung gekommen. Insbesondere hat die große Auseinandersetzung zwischen Betrügern und Betrogenen, zwischen Nutznießern und Ausgebeuteten, zwischen "Führern und Verführten" [] gefehlt. In der Stimmung des deutschen Volkes war diese Auseinandersetzung fällig und von der Sache aus eine Notwendigkeit. [] Die Besatzungsmächte konnten indessen nichts anderes tun, als Verhältnisse der Ordnung zu schaffen und vor allem den Versuch zur Sicherung der Ernährung zu unternehmen, - Erfordernisse, die sich aus ihrem eigenen Interesse ergaben. Sie mußten die für sie beguemsten Methoden der Beherrschung und Verwaltung finden. Dabei gerieten die westlichen Besatzungsmächte gegenüber Sowjetrußland ins Hintertreffen; denn sie wußten nicht genau, wie sie die Deutschen behandeln sollten. Der Morgenthau-Plan der Amerikaner, der die restlose Zerstörung der deutschen Industrie, einschließlich der Bergwerke vorsah, konnte nicht verwirklicht werden, weil die Notwendigkeiten einer geordneten Besatzungsführung mit der Haß- und Rache-Ideologie in einem unversöhnbaren Widerspruch standen. So verlief die Entwicklung vom Morgenthau- zum Marshall-Plan unter großen Schwankungen, und auch heute kann man noch nicht sagen, daß der Geist des Morgenthau-Planes überall ganz erloschen wäre. [] Lächelnd fügt Dr. Schumacher hinzu, daß das politische Klima in Deutschland immerhin den "Morgenthau" auf mancher Glatze getrocknet habe, und geht dann auf die häufig diskutierte Frage ein, von welchen Erwägungen die sowjetrussische Besatzungspolitik bestimmt war. [] Man muß nicht meinen, daß die Russen von vornherein ein Sowjetdeutschland schaffen wollten. Sie schwankten in ihrer Politik zwischen dem Traum von der Errichtung einer sowjetischen Musterzone und dem Wunsch, aus Deutschland so, viel wie nur irgend möglich herauszunehmen, um die großen Kriegsschäden ihres Landes zu heilen. Daß die ausgesprochen kommunistische Politik nur eine leere Geste blieb, zeigt die Tatsache der Errichtung sowjetischer Aktiengesellschaften, die zwar die Enteignung der Großbesitzer brachte, aber neues Eigentum nicht für das deutsche Volk, sondern für die Sowjetunion schuf. So ist Sowjetrußland der größte Kapitalist auf deutschem Boden geworden und wird von den deutschen Arbeitern aller Zonen als solcher betrachtet. [] Rolle der Kommunisten [] Wieweit, so muß man, um der politischen Vernebelung der gutgläubigen Arbeiter entgegenzuwirken, wohl fragen, - wieweit hat sich die Kommunistische Partei hier als willfähriges Werkzeug sowjetrussischer Staatsinteressen erwiesen? [] Die Kommunistische Partei befand sich bei ihrem ersten programmatischen Berliner Aufruf vom 11. Juni 1945, in einer verzweifelten Lage. Sie begeisterte sich für das Privateigentum und die freie Unternehmerpersönlichkeit, was gleichbedeutend ist mit einer gehorsamen Befolgung der sowjetischen Direktive, mit allen Mitteln so viel Reparationsleistungen wie nur irgend möglich aus Deutschland herauszuholen. In führenden kommunistischen Kreisen der Westzonen sind damals Formulierungen üblich gewesen wie die, daß es Unsinn sei in den nächsten zwanzig Jahren von Sozialismus zu sprechen! Um den Preis der wirtschaftlichen Stärkung Rußlands hätten die deutschen Kommunisten auch die Restaurierung des Kapitals akzeptiert. Sehr peinlich und schmerzhaft für diese Art revolutionärer Politik war die Tatsache, daß es der Sozialdemokratie gelungen ist, unter der Fahne des demokratischen Sozialismus große Massen des Volkes über den Kreis der Industriearbeiterschaft hinaus zu mobilisieren. [] Da die deutschen Souveränitätsrechte wahrscheinlich noch auf lange Zeit von den Besatzungsmächten ausgeübt werden, müssen wir uns in das Unabänderliche fügen, aber können wir trotzdem ein offenes Bekenntnis zur revolutionären Bewegung ablegen? [] Die Politik der Sozialdemokratie ist es, den Zwang zur sozial-ökonomischen und politischen Umgestaltung in legalen Formen zu verwirklichen. Schon die Stärkung der antidemokratischen Bewegungen, wie sie aus der Weimarer Demokratie in Erinnerung sind, durch den Großbesitz und seine intellektuelle Leibgarde an Hochschulen und anderen Stätten der Wissenschaft ist ein Versuch des Großbesitzes, den sozialistischen Konseguenzen der Demokratie zu entgehen. [] Gründe der Stagnation [] Man macht heute die Beobachtung, daß die Bevölkerung teilweise in hohem Maße politisch interessiert ist, wenn auch weniger realistisch denkend und mitarbeitend als vielmehr kritisierend und reflektierend, auf der anderen Seite aber "parteienmüde" erscheint. Hat das nicht darin seinen Grund, daß unser ganzes öffentliches Leben stagniert, und daß sich die Parteien zunehmend diskreditieren müssen, solange sich die Besatzungsmächte nicht auf eine bloße Kontrolle zurückziehen? [] Die Stagnation und die Resignation des öffentlichen Lebens rühren weitgehend von der Ohnmacht der deutschen Instanzen in ihrem Verhältnis zu den Besatzungsmächten her. Am mattesten ist natürlich das politische Leben dort, wo der Eingriff der Besatzungsmächte am weitesten geht und nur sehr dürftige Verbrämungen dieses Tatbestandes vorgenommen werden. In dieser Uebergangsperiode ist für das Verhältnis der Besatzungsmächte zu den Deutschen die Form der Behandlung der deutschen Institutionen und Einzelmenschen sehr kennzeichnend. Offenbart wird das dahinterstehende System vor allem aber durch das Verhalten der Besatzungsmächte gegenüber der politischen Willensbildung in den Parteien. Das Stück wiederaufkommender nationaler Freiheit, das dem deutschen Willen und den deutschen Wünschen am weitesten zugänglich ist, sind die politischen Parteien; denn sie genießen den Vorzug, daß sie nicht so durch die Notwendigkeiten des täglichen Lebens an die Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten gebunden sind wie die administrativen Institutionen auf jeder Ebene. [] Gewiß erscheinen auf den ersten Blick weite Kreise unseres Volkes parteienmüde. Aber es gibt keine beachtlichen Teile unseres Volkes, die aus eigener Ueberzeugung an Stelle der Parteien andere politische Ausdrucksformen suchen würden. Den Besatzungsmächten sind die Parteien nicht immer sehr beguem - am unbeguemsten die Sozialdemokratische Partei, obwohl sie am reellsten ist. Sie bemüht sich jedenfalls, die gleiche Sprache gegenüber ihren eigenen Funktionären wie gegenüber den Besatzungsmächten zu sprechen. Ein sozialdemokratischer Dr. Semler ist nicht möglich. [] Es wird immer deutlicher, daß die Anti-Parteien-Kampagne mehr ist als eine intellektuelle Spielerei einiger schreibgewandter Leute. Das Echo in der Bevölkerung wird nicht gering zu veranschlagen sein, wenn man bedenkt, daß weite Kreise im natürlichen Parteienstreit noch etwas von jener Anrüchigkeit finden, die die Nazis dem Volk einredeten, um das demokratisch-parlamentarische System zu diffamieren. In welchen Kräften hat diese Kampagne ihren Ursprung? [] Der Kampf gegen die Parteien wird natürlich von sämtlichen antidemokratischen Faktoren in der deutschen Politik unterstützt. Man ist so blick- und talentlos, in verschiedenen Lagern davon zu sprechen, daß es jetzt gelte, an Stelle von Parteien "volksgemeinschaftliche" Bewegungen auf die Beine zu stellen. Nicht einmal die Hypothek der Nazis auf der deutschen Politik läßt diesen Akteuren die gefährliche Unsinnigkeit ihres Beginnens bewußt werden. Gerade die Parteien mit dem absoluten Herrschaftsanspruch tun überparteilich und volksgemeinschaftlich. Das zeigen am deutlichsten die Kommunisten, die sich bei ihrem Versuch, ganz Deutschland für die Sowjetrussen zu erobern, sogar zu der stupiden Phrase versteigen: "Unsere Partei heißt Deutschland." [] Aber die Kommunisten sind nicht die einzigen, die auf diesem Instrument der totalen Diktatur spielen. Aus dem hierarchischen Charakter der CDU, der sich vor allem auf die Prinzipien der Klassenherrschaft von oben stützt, ergeben sich ähnliche Konsequenzen. [] Der Ständestaat [] Als Ersatzlösung für die Parteien als die echten Träger politischer Willensbildung wird der sog. Ständestaat angeboten, eine Form, von der die Allgemeinheit nicht weiß, wieweit sie mit der Demokratie in Uebereinstimmung zu bringen ist. [] Der Ständestaat ist die propagandistische Formel der sozialen und politischen Reaktion. Er ist ein Versuch, dem Volke die politische Waffe der Demokratie gewaltlos aus der Hand zu winden. Wir wollen hier nicht untersuchen, inwieweit dabei die jahrhundertealten Traditionen der Katholischen Kirche zu politischen Tagesformeln umgemünzt werden. Wichtig ist aber der Hinweis darauf, daß dieser Ständestaat die Form des Kampfes gegen die Arbeiter und gegen die geistig kritischen Menschen überall in Europa und außerhalb Europas gewesen ist. In Italien und Polen, in Ungarn und Spanien und Portugal war der Staat, wie der von Dollfuß und seinen Anhängern im Februar 1934 in Oesterreich errichtete, der Staat der Unterdrückung des Geistes und der Arbeit zu ausdrücklichen Gunsten des, Klerus und der Produktionsmittelbesitzer. Der Ständestaat wirkt sich in seinen Folgen als eine faschistische Methode der Unterdrückung aus. Er führt immer zur Kollaboration mit dem Raubimperialismus. Unvergeßlich ist die Begrüßung des Hitlerschen Einmarsches in Oesterreich im März 1938 durch das gesamte österreichische Episkopat, vertreten durch den Kardinal Innitzer, der den Einmarsch nicht nur für richtig erklärte, sondern auch die Freiwilligkeit dieser Verbindung hervorhob. In Deutschland ist diese Wesensverwandtheit zwischen der ständestaatlichen Ideologie und dem Faschismus mit rührender Naivität von dem früheren Reichstagsabgeordneten des Zentrums, Dr. Hackelsberger, betont worden, der sagte, daß [] zwischen der Wirtschaftsauffassung des Faschismus und den Grundideen der Enzyklika Quadragesimo anno kein Unterschied bestehe. [] Sind nicht bereits Anzeichen dafür vorhanden, ständestaatliche Bestrebungen zumindest in Westdeutschland in die Tat umzusetzen? [] Durchaus; man will für die deutsche Verfassung eine Art Erster Kammer auf ständischer Grundlage proklamieren, was gleichbedeutend ist mit dem Versuch, die Demokratie zu entwerten und den Produktionsmittelbesitzern wie den traditionellen Einrichtungen des religiösen Lebens eine Priorität zu verschaffen. Wie sich das heute in unserem Lande praktisch auswirken müßte, wo die Lebensmittelproduzenten und Sachwertbesitzer ein Dasein führen, das von dem der übrigen Teile des Volkes weiter entfernt ist, als jemals die Spanne zwischen arm und reich war, kann man sich ausmalen. [] Verzicht auf Parteien? [] Können und wollen denn die Propagandisten der Volksgemeinschaft auf ihre bestehenden Parteien verzichten, und wie setzt sich die Sozialdemokratie davon ab? [] Für die Kommunisten bedeutet ein Aufruf, sich über die Parteien hinwegzusetzen und im Rahmen der Volksgemeinschaft zu denken, gar nichts; denn sie bilden keine demokratische Partei, sondern eine Formation, die nach militärisch-wissenschaftlichen Regeln kommandiert wird. Die sentimentalen Emotionen der Massen sind ihnen ein Instrument, auf dem gespielt wird, aber keine Erscheinung, von der sie ihre Politik bestimmen lassen würden. Die Kreise, wie sie sich etwa in der CDU verkörpern, haben Ersatzinstitutionen in ihren Unternehmer- und landwirtschaftlichen Organisationen wie auch in großen Teilen der beiden Kirchen. Sie können also ihre Anhängerschaft politisch noch zum Funktionieren bringen, auch wenn sie für eine Zeit ihre Partei in den Hintergrund treten lassen. [] Die Partei aber, die nichts weiter ist als Demokratie, als rational und konkret politisch, ist die Sozialdemokratie. Sie kann auch durch andere Einrichtungen der Arbeiterbewegung wie z. B. die Gewerkschaften, schon deswegen nicht ersetzt werden, weil diese ja auf der Zusammenarbeit aller Arbeitnehmer, unabhängig von ihrer jeweiligen politischen Einstellung, beruhen. Die Sozialdemokratische Partei ist in ihrer Funktion die demokratische Institution par excellence. Ihre Resignation würde zur Stärkung anderer Richtungen führen, die aus dem inneren Zwang ihrer Handlungen antidemokratisch sein müßten. [] Christentum und Politik [] Beträchtliche Teile unseres Volkes lassen sich in der politischen Wohl von der Anziehungskraft bestimmen, die gerade heute von den sozialen und sozialistischen Tendenzen der christlichen Lehre ausgeht. Sie legen sich aber offenbar keine Rechenschaft darüber ab, ob die auf konservativem Boden stehende Kirche auch in einem sozialrevolutionären Sinne für die Interessen der Besitzlosen eintritt und ob die Partei, deren ideologischer Bestandteil das Christentum ist, auch nach dieser Lehre handelt ... [] Es ist nicht sichtbar, daß das Christentum Bestandteil einer politischen Partei ist. Deutlich sichtbar ist nur, daß das Ideengut des Christentums zu Zwecken der politischen Tarnung und der ideologischen Vernebelung von einer Partei ausgenutzt wird, wenn auch fraglos sehr viele politische Menschen in diesem Lager subjektiv ehrlich zu handeln vermeinen. Man kann, nicht übersehen, daß die CDU in Deutschland ein Stück internationaler kirchenpolitischer Planung darstellt. Das wird sichtbar bei Betrachtung der Verhältnisse in Ungarn, Oesterreich, Italien und Frankreich, wie auch in den Benelux-Staaten. Ueberall trifft ebenso wie in Deutschland konsequent die Eigentumsverteidigung mit klerikaler Machtpolitik zusammen. Die christliche Idee in der Politik ist nicht möglich, weil ihr durch die katholische Idee widersprochen wird, die von sich aus den Anspruch auf alleinige Allgemeingültigkeit erhebt. Vom Religiösen und Christlichen her ist ein protestantischer CDU-Anhänger absurd und ideenmäßig funktionslos. [] Kampf gegen Hunger und Sterben [] Der Wert der politischen Parteien. die das Christentum für sich mit peinlicher Totalität zu okkupieren versuchen. ist national, menschlich und christlich - jetzt auf eine entscheidende Probe gestellt. Jede Partei hat aus dem Wesen und den Interessen ihrer Mitglieder und Wähler bestimmte Verpflichtungen. Die Sozialdemokratie hat die Aufgabe, den Arbeitswillen der körperlich und geistig Schaffenden zu erhalten und zu entwickeln. Sie kann dieser Verpflichtung aber nur nachkommen, wenn die nackte physische Existenz der Menschen gesichert ist. Die Christlich-Demokratische Union dagegen hätte aus ihrer Zusammensetzung heraus die Aufgabe, die Bauern und die Fabrikanten zu bewegen, sich von ihren gehorteten Vorräten zu trennen. Es, ist nicht zu verantworten, wenn man jetzt das Fachmannsgeraune verbreitet, daß auch bei der Ablieferung des letzten Gramms nicht alle Bedürfnisse befriedigt werden könnten. Um Hunger und Sterben zu verhüten, müßte die CDU an diese Kreise appellieren. Es kann nicht Aufgabe einer großen Partei, die die nationale Verbundenheit und christliche Verpflichtung in den Vordergrund stellt, sein, einzelne Produzentenkreise auf Kosten der Allgemeinheit stark zu erhalten und sie vor den Gefahren einer kommenden Wirtschaftsentwicklung durch Begünstigung einer Politik des Sichauspolsterns mit Sachwerten zu bewahren. [] Die CDU versagt durch ihr Schweigen ebenso wie die Kirchen selbst durch ihre zögernde Haltung. Die wirkliche Christenpflicht und die Aufgabe aller Deutschen, die sich ihrem Volk gegenüber zu verantworten haben, wäre es, bei jeder Gelegenheit, vor allem von den Kanzeln herunter, die Unmenschlichkeit und Unklugheit der Sachwertbesitzer zu bekämpfen und ihnen klarzumachen, daß hier Pflichterfüllung schließlich auch dem Sachwertbesitzer selber hilft. [] Die Währungsreform [] Mir scheint, daß diese Betrachtungsweise unserer politischen Situation geeignet ist, viele Mißverständnisse und Irrtümer aus dem Wege zu räumen - vorausgesetzt, daß man den Willen zu einer realistischen Beurteilung der Dinge hat und sich nicht, wie es leider so häufig geschieht, nur vom Gefühl leiten läßt, Es ist gefährlich, wenn das Volk jede Art politischer Meinungsverschiedenheit als störend empfindet oder sogar für überflüssig hält. Dann wird es zwischen Hoffnungen und Enttäuschungen hin- und hergerissen und gerät schließlich an die Quacksalber. Ein wichtiger Wendepunkt auf dem Wege, zum inneren sozialen Frieden wird die Währungsreform sein; denn hier ist der überwiegenden Mehrheit des Volkes wohl die Ueberzeugung eigen, daß sie im Zeichen des sozialen Ausgleichs und der sozialen Gerechtigkeit stellen muß. Auch wäre dies ein wichtiger Schritt, um die versäumte Revolution auf legalem Wege nachzuholen, aber man spricht schon, davon, daß sich die Besatzungsmächte auf das reine Finanztechnische beschränken wollen. [] Eine Währungsreform, die sich in einem finanztechnischen Akt erschöpfte, wäre zwecklos. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre sie sogar der Beginn einer neuen Inflation. Die Preisentwicklung nach der Währungsreform in Oesterreich und Sowjetrußland zeigt die hier bestehenden Gefahren auf. Wenn die Besatzungsmächte sich auf bloße Finanztechnik beschränken, nehmen sie eine künstliche Trennung des Problems vor. Nachfolgende Gesetze, die von den Deutschen zum Besitz- und Lastenausgleich geschaffen würden, wären dann immer noch der Zustimmung der Mächte bedürftig und daher indirekt von ihnen beeinflußt. [] Der Besitz- und Lastenausgleich gehört mit der währungstechnischen Reform unbedingt zusammen; andernfalls träte ein sozialer und politischer Zustand ein, bei dem aus der Tatsache des geballten Besitzes eine Ansaugung politischer Macht erfolgen würde. Die dann auftretenden Kontraste zwischen Sachwertbesitzern und besitzlosen Normalverbrauchern würden zu Zuständen treiben, deren absolut notwendige Auseinandersetzungen nur noch durch die Waffen der Besatzungstruppen gezügelt werden könnten. Gewiß werden die Besatzungsmächte nicht den ganzen Komplex von sich aus regeln können, aber sie müssen mit der ersten Entscheidung richtungweisende Schritte im Sinne der sozialen Gerechtigkeit tun. [] Die wirkliche Gefahr [] Merkwürdig, daß unser Volk das westöstliche Kräftespiel mit höchster Wachsamkeit beobachtet, die Gefahren, die ihm von der totalitären Seite drohen, wohl erkennt und sich doch durch die gegenwärtigen Unzulänglichkeiten der materiellen Existenz etwas irritieren läßt ... [] Es ist schon so, wie die Sozialdemokratie meint: Nicht der Kommunismus oder das Vorbild des östlichen Totalitarismus sind, für den deutschen Arbeiter eine faszinierende und verführerische Erscheinung, sondern die falschen und halben Maßnahmen der westlichen Alliierten und ihre oft an strukturelles Unvermögen grenzende Blicklosigkeit sind die Gefahr. [] Was bedeutet der gegenüber der Sozialdemokratie häufig erhobene Vorwurf, daß auch sie "total" sei? [] Die Sozialdemokratische Partei ist eine Partei, die keine Favorisierung und Privilegisierung wünscht und die auch von sich aus keine Neigung zur Totalität haben kann. Da sie um das Vertrauen möglichst großer Massen kämpft, versuchen die Fälscher der Öffentlichen Meinung, ihr dies zu unterstellen. Es sind die gleichen Kreise, die sich schon vor 1933 um die Zerstörung der Demokratie bemüht und in ihrem Kampf gegen die politischen Parteien eigentlich immer nur die Sozialdemokratie gemeint haben. Die Geste der geistig Ueberlegenen, die die Partei auf ihre Persönlichkeit zugeschnitten heben möchten ist erschütternd komisch. Man weiß ja, welche klägliche Rolle dieselben Leute nachdem sie die Sozialdemokratie diffamiert hatten, um die Weimarer Republik zu unterwühlen, dann im "Dritten Reich" spielten. [] Wir leben in einer Zeit großer Umwälzungen. Nicht die Artikel und Rundfunkkommentare der Leute, die alles besser zu wissen glauben, weil sie nichts wissen, werden dabei für das deutsche Volk von Bedeutung sein, sondern die Entwicklung seiner Parteien. Denn Parteien wird es stets geben, solange es Ideen und Interessen gibt, die es wert sind, für oder gegen sie Partei zu nehmen. Voraussetzung dabei ist: die Demokratie. Wir Sozialdemokraten wollen sie. [] Herausgeber: Vorstand der SPD [] Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover
Published:ca. 1948