An die Wähler des Zentrums und der polnischen Partei!

Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die Wähler des Zentrums und der polnischen Partei! [] Die am 29. Januar 1907 in Köln versammelten Vorsitzenden der Landes- und Provinzial-Ausschüsse der Zentrumspartei der Rheinprovinz, Westfalens, Hessen-Nassaus, des Grotzherzogtu...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Schmidt, Richard, Vorwärts Buchdruckerei und Verlagsanstalt Paul Singer & Co., Berlin
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 05.02.1907
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/6CE9218B-039F-4100-9EBB-67588B528584
Description
Summary:Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die Wähler des Zentrums und der polnischen Partei! [] Die am 29. Januar 1907 in Köln versammelten Vorsitzenden der Landes- und Provinzial-Ausschüsse der Zentrumspartei der Rheinprovinz, Westfalens, Hessen-Nassaus, des Grotzherzogtums Hessen und der Rheinpfalz sowie die Vertrauensmänner einiger anderer Bezirke haben beschlossen: [] Den Wahlkomitees der Zentrumspartei zu empfehlen, nur diejenigen Kandidaten zu unterstützen, welche sich verpflichten, einzutreten: [] 1. für Aufrechterhaltung des geltenden Reichstagswahlrechtes, gegen jede Beschränkung des Koalitionsrechtes, für Fortführung der sozialen Reformgesetzgebung, sowie gegen jedes Ausnahmegesetz auf politischem Gebiete; [] 2. für Sicherung der vollen Religionsfreiheit in allen deutschen Bundesstaaten im Sinne des Toleranzantrags und gegen jedes Ausnahmegesetz auf religiösem Gebiet. [] Köln, den 29. Januar 1907. [] Dr. Spahn, Dr. Karl Bachem, Cahensly, Fritzen-Düsseldorf, Gröber, Herold, Dr. Jäger, Müller-Fulda, Dr. Schmitt-Mainz, Trimborn. [] Pauli, der Kandidat der konservativen Partei und des Bundes der Landwirte, ist in der letzten Tagung des Reichstags vor wenigen Wochen für den Regierungsentwurf des Gesetzes über die Rechtsfähigkeit der Berufsvereine, der auch nach der ausgesprochenen Ueberzeugung der Zentrumspartei einen schweren Angriff auf das Koalitionsrecht unternimmt, eingetreten und hat sich damit als Anhänger einer Beschränkung des Koalitionsrechts bekannt. [] Die konservative Partei, die Partei Paulis, ist in zahlreichen Kundgebungen ihrer Führer in der Presse, im Reichstag und im preußischen Landtag bis in die letzte Zeit hinein, wie allbekannt, für eine Verschlechterung des Reichstagswahlrechts eingetreten. Der konservative Reichsbote forderte noch vor wenigen Wochen, daß das Wahlrecht von einer längeren Ansässigkeit am Wahlorte abhängig gemacht werde. Der einflußreiche Generaldirektor Ballin, der der konservativen Partei nahe steht, hat vor wenigen Tagen öffentlich eine "Ergänzung" des Reichstags durch eine berufsständische, nicht auf Grund des Reichstagswahlrechts gewählte Vertretung gefordert. [] Der konservative Pastor Schall hat am 10. Januar d. J. in einer Versammlung des konservativen Wahlvereins zu Spandau erklärt: [] "Er würde es lieber sehen, das Wahlrecht wäre ein öffentliches, denn die heimliche Klosettriecherei gefalle ihm nicht." [] Das ist nach dem konservativen "Spandauer Tageblatt" vom 11. Januar d. Js. mit "großem anhaltenden Beifall" der anwesenden Konservativen aufgenommen worden. Herr Pauli hat kein Wort des Widerspruchs dagegen gefunden, im Gegenteil: Der Vorsitzende, der konservative Abgeordnete Lüdecke, konnte feststellen, "daß durch den Beifall bewiesen sei, wie der verehrte Redner den Anwesenden allen aus dem Herzen gesprochen habe". Die geheime Stimmabgabe aber, die hiernach Herr Pauli und seine Anhänger beseitigt haben möchten, ist der wichtigste Bestandteil unseres Reichstagswahlrechts. [] Der Wahlaufruf der konservativen Partei fordert ausdrücklich eine "billigere", d. h. minder kostspielige, d. h. schlechtere Sozialpolitik, als bisher. [] Herr Pauli ist auch für die Ausnahmegesetze gegen unsere polnischen Mitbürger eingetreten. [] Die konservative Partei ist aber auch eine Gegnerin des Toleranzantrags. [] Die sozialdemokratische Partei hingegen entspricht in allen Punkten dem eingangs erwähnten Beschluß der Zentrumspartei. [] Die "Germania" schreibt denn nach dem 25. Januar 1907: [] "Es wäre gewissermaßen ein Gebot der Selbsterhaltung und der Aufrechterhaltung der parlamentarischen Machtstellung gewesen, wenn Zentrum und Sozialdemokratie von vornherein ein Bündnis der gegenseitigen Unterstützung abgeschlossen hätten oder jetzt ein solches für die Stichwahl schließen würden." Sie warnt weiter vor der Gefahr einer aus Konservativen und Nationalliberalen bestehenden Kartellreichstags-Mehrheit, die durch die Wahl des Herrn Pauli verstärkt werden würde. Das führende Zentrumsblatt sagt ferner: [] "Ein neuer Kartellreichstag würde nicht nur das Reichstagswahlrecht, sondern auch das Budgetrecht, er würde auch das Koalitionsrecht in Frage stellen. Eine der Regierung unbedingt ergebene Reichstagsmehrheit würde für alle möglichen uferlosen Pläne, wenn sie mit "nationalen" Mäntelchen behängt würden, zu haben sein und die Steuerlast ins ungemessene vermehren. Auch gegen Ausnahmegesetze würde dann kein sicherer Schutz mehr im Reichstag zu finden sein." [] Die bayerische Zentrumspartei hat denn auch beschlossen: [] "Die Sozialdemokratie gegen die reaktionären Parteien, besonders gegen die Konservativen, zu unterstützen." [] Und ähnlich hat die polnische Partei allgemein beschlossen, bei der Stichwahl zwischen Konservativen und Sozialdemokraten für die Sozialdemokratie einzutreten. [] Demnach ist es Pflicht eines jeden Zentrums- und polnischen Wählers, am 5. Februar mit allen Kräften einzutreten gegen Pauli und für den Rechtsanwalt Dr. Karl Liebknecht, [...unleserlich...] [] Verantwortlich: Richard Schmidt, Belten. - Druck: Vorwärts Buchdruckerei und Verlagsanstalt Paul Singer & Co., Berlin SW 68.
Published:05.02.1907