An die katholischen Wählerinnen und Wähler!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD An die katholischen Wählerinnen und Wähler! [] Auf die Werke achten - nicht auf die Worte [] Das Zentralkomitee der Katholiken hat einen Aufruf veröffentlicht, den die Sozialdemokratische Partei Deuts...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Druckhaus Deutz, Köln
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 15.09.1957
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/CCC74CA3-1794-4CCD-B59A-83728DB4925C
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD An die katholischen Wählerinnen und Wähler! [] Auf die Werke achten - nicht auf die Worte [] Das Zentralkomitee der Katholiken hat einen Aufruf veröffentlicht, den die Sozialdemokratische Partei Deutschlands begrüßt. Denn es war immer auch ihr besonderes Anliegen, die Wahlentscheidungen auf die konkreten politischen Aufgaben zu gründen, vor die das deutsche Volk in den nächsten Jahren gestellt ist. [] Der Wähler soll, wie das Zentralkomitee sagt, "nach dem Spruch seines Gewissens entscheiden"- und sich bei der "Prüfung der Parteien mehr an die Werke als an die Worte halten". [] Unzählige katholische Frauen und Männer haben das seit langem getan. Der Stimme ihres Gewissens und ihrer politischen und menschlichen Erfahrung folgend, sind sie Wähler und sehr oft Mitglieder der Sozialdemokratischen Partei geworden. Das hat sie keineswegs ihrem Glauben entfremdet, denn der Sozialdemokratischen Partei, die Menschen aller Weltanschauungen in sich vereinigt, ist die Toleranz, die Achtung der Überzeugung des Andersgläubigen höchstes mitmenschliches Gebot. Wohl aber haben sie gefunden, daß für die Sozialdemokraten die Bemühungen um größere soziale Gerechtigkeit mehr bedeuten als ein Wettrennen um einen materiellen Lebensstandard, sondern daß hier Grundlagen geschaffen werden sollen für die Achtung der Menschenwürde und die Freiheit der Person, dieser Wesensmerkmale auch einer christlichen Auffassung von einer menschenwürdigen Gesellschaft. [] Die Entwicklung der Wirtschaft in der Bundesrepublik ist einem Zuge gefolgt, den schon Papst Leo XIII. in seiner Enzyklika Rerum novarum (1891) und Papst Pius XI. vierzig Jahre später, 1931, in der Enzyklika Quadragesimo anno tief beklagten und verurteilten: dem der ungerechten Bereicherung kleiner, aber mächtiger Schichten. Schon damals sagten die Päpste: [] "Darum ist mit aller Macht und Anstrengung dahin zu arbeiten, daß wenigstens in Zukunft die neugeschaffene Güterfülle nur in einem billigen Verhältnis bei den besitzenden Kreisen sich anhäufe, dagegen in breitem Strom der Lohnarbeiterschaft zufließe." [] Das war vor 66 Jahren. Ist diese Forderung überholt? Der katholische Bischof Dr. Rusch von Innsbruck macht in seinen Anmerkungen zum Sozialhirtenbrief der Bischöfe Österreichs darauf aufmerksam, daß von dem neuen Reichtum, der in der Bundesrepublik seit 1948 erarbeitet wurde, "93 vH an nur 15 vH der Bevölkerung gekommen" sind. Der katholische Sozialwissenschaftler Paul Jostock nennt diese Verteilung einen "Skandal", und der Jesuitenpater Prof. Oswald von Nell-Breuning sagt zu diesem Urteil, es sei "hart, aber gerecht". Auch heute also kann man bei der neuen "Güterfülle" nicht davon reden, daß sie den verschiedenen Schichten "in einem billigen Verhältnis zufließe". Auch heute ist der in Abhängigkeit arbeitende Mensch weitgehend von einer Vermögensbildung ausgeschlossen. Hier wollen die Sozialdemokraten eingreifen. Sie wollen nicht "das Eigentum abschaffen", wie man ihnen wider besseres Wissen oft nachsagt. [] Aber sie wollen einen Wohlstand für alle. Sie wollen, daß die Wirtschaft als ein Dienst am Volke aufgefaßt wird, daß "Eigentum verpflichtet" und daß es sich nicht [] "wider alles Recht eine gesellschaftliche Herrschaftsstellung anmaßt, die von Rechts wegen gar nicht dem Eigentum, sondern der öffentlichen Gewalt zukommt", [] wie Papst Pius XI. eindeutig feststellt. Der Papst weist auch auf die segensreichen kulturellen Folgen einer gerechten Eigentumsbildung hin. Der Arbeiter soll Eigentum haben, sagt der Papst, [] "gewiß nicht, damit der Arbeiter von der Arbeit ablasse ..., sondern damit er mit größerer Leichtigkeit und Sicherheit die Familienlasten bestreite und, der Daseinsunsicherheit enthoben, nicht bloß den Wechselfällen des Lebens gerüstet gegenüberstehe, sondern noch über dieses Leben hinaus die beruhigende Gewißheit habe, daß seine Hinterbliebenen nicht ganz unversorgt dastehen." [] Hier liegen also auch gewichtige Grundlagen einer menschenwürdigen Familienpolitik. Familiengerechte Wohnungen, Eigenheime zu erschwinglichen Preisen und ein sozialer Wohnungsbau sind weitere Hilfen, die die Sozialdemokratie den Familien und den vor der Familiengründung stehenden jungen Menschen bisher gegeben hat und weiter geben wird. [] Dies alles kann nur politisch verwirklicht werden. Den Forderungen der Gerechtigkeit und der Menschenwürde, wie sie auch den Erklärungen der Päpste und der katholischen Soziallehre entsprechen, stehen starke Interessen und mächtige Organisationen entgegen. Der "Herrschaftsanspruch des Eigentums" wird nach wie vor erhoben - der Kampf um das Kartellgesetz, das eine Kontrolle übermächtiger Wirtschaftsverbände ermöglichen soll, ist ein Beweis dafür. Von welcher Seite diese Interessengruppen sich Hilfe versprechen, das zeigen ihre steuerbegünstigten Millionenspenden an bestimmte Parteien. [] Die mächtigen Wirtschaftsgruppen scheuen keine Mittel, ihre Vorrechte aufrechtzuerhalten und auf Kosten der übrigen Bevölkerung zu erweitern. Nicht umsonst hat der Familienminister Dr. Wuermeling seine Partei darauf aufmerksam gemacht, daß sie sich überlegen müsse, ob sie ihr Familienprogramm verwirklichen oder den Interessengruppen folgen wolle. [] Es ist also wirklich wichtig, was das Zentralkomitee fordert, sich an die Werke der Parteien und nicht an ihre Worte zu halten. Wie nötig das ist, zeigt eine weitere Feststellung des Papstes in der Enzyklika Quadragesimo anno: [] "Ja, selbst das findet sich, daß man gerade die Religion vorzuschützen sucht als Wandschirm, hinter dem man mit seinen ungerechten Machenschaften sich verstecken und durchaus gerechten Forderungen der Arbeiterschaft sich entziehen will." [] Leider ist auch dies nicht anders geworden, ebensowenig wie die unbillige Verteilung der neuen Güter". [] Der demokratische Sozialismus hat, wie alle weltlichen Bewegungen, im Laufe seiner langen Geschichte Wandlungen durchgemacht. Dies trifft insbesondere zu auf bestimmte Wesenszüge, die von den Päpsten mißbilligt wurden. Unverrückbar aber ist und bleibt das sozialdemokratische Grundanliegen: die soziale Gerechtigkeit, die Respektierung der Menschenwürde und der Frieden. [] Der Frieden ist in größter Gefahr. Es kommt darauf an, das Wettrüsten und die fürchterlichen Atomwaffen abzubauen und nicht die Bundeswehr mit Atomwaffen auszurüsten. Denn andere Völker werden der Bundesrepublik darin nicht nachstehen wollen, und die Gefahr eines Atombombenkrieges wächst mit der Zahl der Staaten, die die Atombombe besitzen. [] Die Sozialdemokraten wollen deshalb eine aktive Unterstützung der Abrüstungspolitik, einen Verzicht auf Atomwaffen für die Bundeswehr und eine Unterstützung aller Bemühungen, die Atombombenversuche einzustellen. Auch in diesem letzten Punkt weiß sie sich eins mit Papst Pius XII., der erst in jüngster Zeit eine aufrüttelnde Warnung vor diesen Versuchen ausgesprochen hat. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands wird in einer Atmosphäre friedlicher Verhandlungen möglich sein - im Zustand des Wettrüstens niemals! [] Katholische Wähler Deutschlands! [] Halten Sie sich an die Werke und nicht an die Worte! [] Entscheiden Sie sich für Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit! [] Wählen Sie die Sozialdemokratische Partei Deutschlands! [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn - Druck: DRUCKHAUS DEUTZ
Published:15.09.1957