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Manifest des 1. Westdeutschen Flüchtlingskongresses in Karlsruhe 30. September 1951 [] [] Flüchtlinge! Ausgewiesene! Deutsche Bürger! [] [] Wir Vertrauensleute und Sprecher von Hunderttausenden haben uns in einer Stunde höchster Not zum Westdeutschen Flüchtlingskongreß zusammengefunden. [] Wir rufen zur Tat! [] Der Krieg eines verbrecherischen Systems hat bittere Not über uns gebracht. Vor Jahren kamen wir ins Land, zu unseren deutschen Brüdern und Schwestern. Wir hatten gehofft, hier eine neue Heimat zu finden. Bis heute hat man sie uns nicht gegeben. [] Seit Jahren werden wir mit billigen Reden und Versprechungen abgespeist. Was wir brauchen, um wieder zu einem normalen Leben zu kommen, Arbeit, eine menschenwürdige Wohnung und ausreichende Fürsorge für die Schwachen, alles das wird uns vorenthalten. Alle unsere Vorschläge und Wünsche, die wir mit großer Geduld immer wieder den verantwortlichen Stellen unterbreitet haben, blieben unbeachtet. Uns trifft die Arbeitslosigkeit am härtesten. Uns läßt man in den Dörfern verbannt, wo kaum Aussicht auf eine neue Existenz besteht. Uns läßt man bei Hungerrenten vegetieren. Viele von uns leben seit Jahr und Tag in Bunkern und Baracken ein freudloses graues Dasein. Unsere Männer und Frauen verzweifeln. Unsere Jugend ist ohne Hoffnung. Unsere Greise leben wie die Bettler. [] Das Vertrauen, das wir in die Herren von Bonn gesetzt hatten, wurde bitter enttäuscht. [] [] Unsere Geduld geht nun zu Ende. Wir haben erkannt: Nur wenn wir uns einig zum entschlossenen Kampf gegen die Verantwortlichen unseres Elends zusammenfinden, nur dann sind wir die gewaltige Kraft, die sich durchsetzt. [] Aber eine neue, noch größere Gefahr hat sich vor uns erhoben, es werden heute bereits Milliarden, die so bitter nötig wären zur Behebung unserer Not, die der Hitlerkrieg hinterlassen hat, bereitgestellt für neue Rüstungen. Milliarden für Besatzungskosten, Milliarden für Kasernen und Truppenübungsplätze, Milliarden für neue Divisionen, für Panzer und Schießeisen. [] Das ist kein Ausweg aus dem Elend! Das ist der Weg in den Tod! Gewissenlose Spekulanten und Rüstungsinteressenten bauen darauf, daß sie uns Flüchtlinge und Ausgewiesene als Kanonenfutter in einem neuen Krieg mißbrauchen können. Sie bauen darauf, daß wir lieber in die Soldatenstiefel steigen als ewig arbeitslos zu bleiben. [] Schon erheben sich wieder solche Abenteurer wie Herr von Bismarck und rufen uns zu: "Gegen Ostland sollt ihr reiten". [] Wir Flüchtlinge und Ausgewiesene, die das Grauen des Krieges und dessen Folgen bis zur Neige ausgekostet haben, denen der Krieg Besitz und Heimat nahm, wir erklären feierlich: Wir lassen uns nicht mehr mißbrauchen! Wir lehnen mit Entschiedenheit Aufrüstung, Kriegspropaganda und Völkerverhetzung ab. [] Der Krieg ist kein Ausweg, der Krieg löst keines unserer Probleme. Wir wollen nicht in einem neuen Krieg sterben, wir wollen im Frieden leben! Unsere Jugend will keine Kasernenhöfe, sie will Lehrstellen, Bildungsmöglichkeiten und eine glückliche Zukunft. Nur wenn der Friede erhalten bleibt, kann auch das Flüchtlingsproblem gelöst werden. [] Der Friede aber kann nur erhalten werden, wenn unser Volk nicht länger Spielball fremder Mächte ist. Darum sind wir der Überzeugung, daß wir Deutsche unser Schicksal in die eigenen Hände nehmen müssen. Ost und West müssen sich zusammenfinden, müssen sich verständigen, müssen die Grundlage schaffen für den baldigen Abchluß [!][Abschluß] eines Friedensvertrages für ganz Deutschland, für ein einiges, deutsches Vaterland, frei von Besatzungsmächten, frei von Kriegsangst; ein Vaterland, in dem wir ruhig leben und arbeiten können. Wir verkünden nachstehend unsere Forderungen, für deren Verwirklichung wir gewillt sind, unsere ganze Kraft einzusetzen: [] [] 1. Arbeit für alle [] Schaffung von Millionen neuer Arbeitsplätze durch Aufhebung aller Beschränkungen für die deutsche Friedensindustrie und den Außenhandel, durch Einstellung der Zwangsexporte deutscher Rohstoffe, insbesondere der Kohle.. Wir fordern die Beseitigung der Benachteiligung der Flüchtlinge bei der Eingliederung in den Arbeitsprozeß. Berufsrichtiger Arbeitseinsatz für alle Flüchtlinge, innerdeutsche Umsiedlung auf freiwilliger Grundlage unter Garantie von Wohnungs- und Arbeitsplatz. Förderung von Industrien, in denen die speziellen gewerblichen Fähigkeiten der Flüchtlinge Betätigung finden. Kredite zum Auf- und Ausbau gewerblicher Betriebe. Maßnahmen, die eine für die Flüchtlinge ungerechte Verschärfung des Konkurrenzkampfes ausschließen. Bereitstellung von Lehrstellen für Jugendliche. Gleichberechtigung der Flüchtlinge bei der Einstellung in die öffentlichen Dienste. Förderung der freiberuflichen Tätigkeit. [] [] 2. Ausreichender Wohnraum für alle [] Bereitstellung bedeutender Mittel durch Staat, Länder und Gemeinden für einen sozialen Wohnungsbau. Garantie erschwinglicher Mieten. Einstellung militärischer Bauvorhaben. Keinerlei Vertreibung zugunsten militärischer Objekte. [] [] 3. Boden für Flüchtlingsbauern [] Durchführung einer Bodenreform und Seßhaftmachung von 300000 bäuerlichen Flüchtlingsfamilien. Heranziehung alles militärisch genutzten Geländes. Bereitstellung billiger und ausreichender Kredite zum Aufbau neuer landwirtschaftlicher Betriebe, Durchführung der bereits bestehenden Bodenreformgesetze. Förderung von Stadtrandsiedlungen für Flüchtlinge. [] [] 4. Durchführung eines wirklichen Lastenausgleiches [] Entschädigung aller Verluste bis zu DM 10000 in voller Höhe. Heranziehung aller Großgewinner am Krieg und an der Währungsreform zur Tragung der Lasten. Entlastung der Schaffenden und der kleinen Betriebe von der Lastenverpflichtung. [] [] 5. Volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung [] Anerkennung der deutschen Staatsbürgerschaft für alle Flüchtlinge und Ausgewiesene. Gleichstellung der Pensions- und Rentenempfänger. Anerkennung der Altsparguthaben, Anerkennung der im Ausland abgelegten Prüfungen, ausreichende Stipendien für begabte Flüchtlingskinder, Schulgeld- und Lehrmittelfreiheit. [] [] Die Voraussetzungen dieser berechtigten Forderungen sind: [] [] 1. Einstellung jeglicher Aufrüstung [] Verwendung aller für die Rüstung bereitgestellten Mittel zur Behebung der Schäden des vergangenen Krieges, insbesondere zur Lösung des Flüchtlingsproblems. [] 2. Verwendung der Besatzungskosten zur Lösung unabdingbarer Forderungen der Flüchtlinge. [] 3. Aufnahme gesamtdeutscher Beratungen mit dem Ziel, freie Wahlen zu einer deutschen Nationalversammlung vorzubereiten und auf den Abschluß eines Friedensvertrages mit ganz Deutschland hinzuwirken. [] [] Wir richten an alle Menschen guten Willens, an alle Parteien und Organisationen den Appell, diese unsere Forderungen zu unterstützen und damit einen wirksamen Beitrag für die Lösung des Flüchtlingsproblems und damit für die Erhaltung des Friedens zu leisten. Wir richten unseren Ruf an alle Flüchtlingsorganisationen, wir erinnern sie an ihre große Verantwortung, der sie nur gerecht worden können, wenn sie sich für diese unsere elementaren Menschenrechte einsetzen. [] Wir rufen die Millionen der Flüchtlinge und Ausgewiesenen, für dieses Programm den Kampf aufzunehmen! [] Seid einig und stark in dem großen Bemühen um den Frieden, um die Freiheit und um die Freundschaft mit allen Völkern! [] Seid einig und stark im Kampf um euer Recht, um eure Zukunft und um die Sicherung einer friedlichen Heimat! [] [] Der westdeutsche Flüchtlingskongreß
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