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Extrablatt [] Mißbrauch der Demokratie! [] Verhöhnung der Volkssouveränität! [] Am 5. Juni hat eine kleine Mehrheit von nur 13 Stimmen im Landtag von Nordrhein-Westfalen die Annahme der Verfassung erzwungen. [] Diese Mehrheit wurde nur ermöglicht durch die der CDU günstigen Bestimmungen des Landeswahlgesetzes. In Wirklichkeit standen am Tage der Bundestagswahl, am 14. August 1949, nur 45,9 Prozent der Wähler (nicht der Wahlberechtigten, sondern nur der Wähler!) hinter CDU und Zentrum, die also nur eine, wenn auch starke, Minorität in Nordrhein-Westfalen vertreten. [] Einer der besten Grundsätze der Demokratie fordert daß die Mehrheit nicht achtlos oder gar terroristisch über die Auffassung einer starken Minderheit sich hinwegsetzen darf, sie vielmehr bei wesentlichen Entscheidungen achten soll. Deshalb verzichtete die englische Labour-Regierung nach ihrem knappen Wahlsieg von nur wenigen Mandaten bewußt auf die weitere Durchführung der Sozialisierung in England, weil nur eine breite Mehrheit eines Volkes zu so grundlegenden Entscheidungen berechtigt sei. [] Was tat der Block von CDU und Zentrum in Nordrhein-Westfalen bei dem wichtigsten Gesetzgebungswerk eines Landes? Er setzte sich rücksichtslos und bedenkenlos über alle noch so berechtigten Einwände einer fast ebenso starken Minderheit gewaltsam hinweg [] und versuchte damit der Mehrheit der Bevölkerung in Nordrhein-Westfalen den einseitigen Willen der Minderheit aufzuzwingen. [] Deutsches Volk an Rhein und Ruhr, [] wehre dich gegen dieses undemokratische Vorgehen durch dein entschiedenes Nein! [] Weshalb geschah diese Majorisierung durch eine nur scheinbare und unechte Landtagsmajorität? Weil der Block der CDU und des Zentrums befürchtete, nach den Landtagswahlen nicht mehr diese unechte Majorität zu haben und nicht mehr in der Lage zu sein, seinen einseitigen Willen durchzusetzen. [] Aber mehr noch! [] Das Volk soll überrumpelt worden [] und in einem Volksentscheid am 18. Juni diesen politischen Streich einer Minderheit des Volkes durch sein Ja sanktionieren. [] Niemand kennt die Verfassung [] mit ihren 91 schwerwiegenden, komplizierten und folgenschweren Artikeln, durch die die Gesetzgebung des Landes für alle Zeiten weitgehend festgelegt wird. Wenn man sagt, daß eine achttägige Frist angemessen sei und genüge, eine solche Verfassung so gründlich durchzuarbeiten und kennenzulernen, daß jeder Wähler, jede Wählerin sich ein eigenes Urteil über dieses Landesgrundgesetz bilden und eine Entscheidung aus eigener Verantwortung durch Ja oder Nein auf dem Volksentscheidszettel am 18. Juni abzugeben vermag, dann sagen wir, daß das für die überwiegende Mehrzahl der Wahlberechtigten nicht möglich und daß deshalb diese Behauptung nicht wahr ist. Bei viel einfacheren Entscheidungen, die dem Volk zum Volksentscheid vorgelegt werden, wird eine Mindestfrist von zwei Monaten für angemessen gehalten und gesetzlich festgelegt. In einer solchen Zeit ist eine gründliche Auseinandersetzung mit dem Verfassungswerk möglich, in einer geringeren Zeit keinesfalls. [] Trotzdem zwingt man das Volk zur überhasteten Entscheidung, zu einem Sprung ins Dunkel. Das ist ein Mißbrauch der Demokratie, eine Verhöhnung der Volkssouveränität [] Um der Demokratie willen, [] rufen wir deshalb mit Entschiedenheit und aus politischer Verantwortung die Wahlberechtigten auf, eine solche Zumutung und Ungeheuerlichkeit mit einer klaren Ablehnung der Verfassung, [] mit einem klaren Nein zu beantworten. [] Vorsicht! [] Wer sich beim Volksentscheid der Stimme enthält, ermöglicht dadurch die Verfassung, da eine einfache Mehrheit der Abstimmenden zur Annahme der Verfassung genügt. [] Enthalte dich nicht der Stimme! [] Gebrauche dein Mitbestimmungsrecht in der Politik! [] Stimme im Volksentscheid mit Nein! [] Landesgrundgesetz für die FDP unannehmbar! [] Der Landesverband Nordrhein-Westfalen der FDP faßte in der Sitzung seines Gesamt-Vorstandes am 8. Juni in dieser Sache folgende Entschließung: [] Die Düsseldorfer Regierung der schwarz-roten Koalition hat es in drei Jahren nicht fertiggebracht, dem Landtag einen Verfassungsentwurf vorzulegen, der die Zustimmung einer großen Mehrheit des Landtags hätte finden können. Die Verfassung ist in letzter Stunde überhastet durchgepeitscht und mit einer Mehrheit von nur 13 Stimmen erzwungen worden. Dieses Landesgrundgesetz ist für die FDP unannehmbar, vor allem aus folgenden Gründen: [] 1. Die Schulartikel zerstören die Einheit des deutschen Schulwesens. Wir fordern nach wie vor die christliche Gemeinschaftsschule, deren christlicher Charakter nach unserem Willen in der Verfassung verpflichtend festgelegt werden soll. Wir sind bereit, neben der christlichen Gemeinschaftsschule konfessionelle Volksschulen dort zuzulassen, wo die Eltern es wollen und ein geordneter Schulbetrieb auch bei der Aufteilung der Schulen möglich ist. Die weltliche Schule lehnen wir ab. [] Die Schulartikel der Verfassung drohen, das wohlaufgebaute öffentliche Schulwesen zu zerstören, indem sie allen möglichen privaten Gemeinschaften das Recht geben, auf Kosten der Allgemeinheit Privatschulen einzurichten, ohne daß dem Staate ausreichende Aufsichtsrechte gegeben würden. [] Die Schulartikel sind von einem erschreckenden Mißtrauen gegen den deutschen Lehrer getragen, der bisher seine Pflicht in vorbildlicher Weise erfüllt und in freier Verantwortung den Schülern auch die hohen Lehren des Christentums vermittelt hat. Er soll nunmehr dieser freien Verantwortung beraubt werden. [] 2. Die Bestimmungen der Verfassung über Sozialisierung und gleichberechtigtes Mitbestimmungsrecht greifen in das Gesetzgebungsrecht des Bundes ein, untergraben die Grundlagen der sozialen Marktwirtschaft und bedrohen die kraftvolle Ausdehnung der Produktion, welche die Voraussetzung einer besseren Lebenshaltung unseres Volkes ist. [] 3. Die Bestimmungen über die Richteranklage vernichten die Unabhängigkeit der Gerichte und tragen die Politik in die Rechtsprechung hinein, wie in der nationalsozialistischen Zeit. [] 4. Es ist ein Hohn auf die Demokratie, daß das Landesgrundgesetz so kurzfristig einer Volksabstimmung unterbreitet wird, ohne daß die Bevölkerung sich mit einem so wichtigen, umfangreichen und komplizierten Verfassungswerk vertraut machen könnte. [] 5. Es ist Verrat an der Demokratie, daß die Mehrheit der Abstimmenden, also eine Minderheit der Stimmberechtigten, über die Verfassung entscheiden soll, daß aber die späteren Abänderungen der Verfassung von der Zustimmung der Mehrheit der Stimmberechtigten abhängig gemacht werden. [] Wir fordern die Wähler und Wählerinnen auf, diese Verfassung abzulehnen, dafür aber ihre Bemühungen zu verdoppeln, die Freie Demokratische Partei zum ausschlaggebenden Faktor des Landtages zu machen, um weiteres Unheil zu verhüten. [] Landesverband Nordrhein-Westfalen der FDP [] Dr. Middelhauve [] Erster Vorsitzender [] Buchdruckerei und Verlag Hermann Bösmann G.m.b.H., Detmold
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