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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD Warum zur SPD [] DR. DR. GUSTAV HEINEMANN [] Am 19. Mai 1957 wurde auf dem Parteitag der GVP in Essen die Auflösung der Gesamtdeutschen Volkspartei beschlossen. Gleichzeitig wurde den Mitgliedern empfohlen, der SPD beizutreten. Der Vorsitzende der GVP, Dr. Dr. Gustav Heinemann, Innenminister im ersten Kabinett Adenauer, begründete diese Aufforderung in einem Artikel des SPD-Pressedienstes. [] Die Gesamtdeutsche Volkspartei (GVP) hat sich aufgelöst und ihren Mitgliedern empfohlen, der SPD beizutreten. Die GVP entstand 1952, um der zweigeteilten Aufrüstung in Deutschland und der Eingliederung unserer Volksteile in entgegengesetzte Machtblöcke mit Entschiedenheit zu widerstehen. Sie wollte einer Wiedervereinigung unseres Volkes durch Verständigung nach West und Ost dienen. Zu parlamentarischen Erfolgen ist die GVP nicht gekommen, weil Sperrklauseln des Wahlgesetzes, Behinderung ihrer Propaganda (Rundfunk) und der Ausschluß von steuerfreien Geldspenden ihre Arbeit erschwerten. An der diesjährigen Bundestagswahl würde die GVP sich nicht beteiligt haben. [] Dieser Stand der Dinge legte eine Auflösung der Partei um so mehr nahe, als die SPD sich bündig gegen Atomrüstung in Deutschland ausgesprochen hat und aus der Einseitigkeit der bisherigen Bonner Europapolitik einen Ausweg sucht, welcher auch die Wiedervereinigung unseres Volkes wirklich zu fördern geeignet ist. Die Bundestagswahl 1957 muß endlich eine Wende in der Bonner Politik erbringen. Dazu ist ein Zusammenrücken verwandter Kräfte geboten. [] Wenn man mich fragt, ob meinem jetzigen Weg zur SPD nicht meine Zugehörigkeit zu leitenden Organen der Evangelischen Kirche entgegenstehe, so antworte ich, daß es nicht angeht, aus der Entfremdung weiter Teile unseres Volkes gegenüber der Botschaft der Kirche eine Anklage gegen die SPD zu machen. Bei dieser Entfremdung haben Ursachen mitgewirkt, die wahrscheinlich nicht zuletzt in dem politischen Verhalten der Kirche, etwa in einseitigen Bindungen an konservative Interessen und Gruppen zu suchen sind. An dem geistigen Zerbruch unseres Volkes ist das lange Kapitel "Thron und Altar" unserer Kirchengeschichte erheblich beteiligt. Die CDU hat die unselige Spaltung wieder aufgegriffen, seitdem sie sich als "christliche Einheitsfront" gebärdet, und eine Politik entwickelt, deren Bezeichnung als "christlich" einen Mißbrauch des Namens darstellt. [] Auch große Teile kirchlicher Gemeindeglieder lehnen die Politik der CDU als verhängnisvoll ab. Diesen Gemeindegliedern muß es möglich sein, in der Bundestagswahl 1957 ihre Stimme einer Partei zu geben, welche entschlossen ist, die CDU-Politik abzulösen. Manche von ihnen begegnen der SPD mit Zurückhaltung, weil die SPD, zumal in vergangenen Jahrzehnten, auf die konservative Gebundenheit der Kirche in einer verwirrenden Weise geantwortet hat. Daraus sind Vorbehalte erwachsen, welche die Entscheidung der Wähler gegenüber der Politik Dr. Adenauers unsachlich beeinflussen. Es gilt, diese Belastungen und Vorbehalte von beiden Seiten abzubauen und zu überwinden. Ein Doppeltes ist dazu erforderlich: Auf der einen Seite darf die Kirche nicht politischer Schleppenträger für irgendeinen Teil des Volkes und dessen einseitige Interessen sein. Die Evangelische Kirche ist in Erkenntnis ihrer Fehler bemüht, für alle da zu sein. Sie sollte es aber auch nicht zulassen, daß eine umstrittene Parteipolitik unter christlichem Vorzeichen betrieben wird. Auf der anderen Seite ist es nicht Sache einer politischen Partei, in Ersatzreligion zu machen. Hier kann ebenso ein Keil den anderen treiben, wie auch umgekehrt jede Seite zur Überwindung der alten Gräben beizutragen vermag. [] Mit der Auflösung der GVP ist der Übertritt vieler ihrer christlichen Mitglieder zur SPD verbunden. Sie wollen unserem Volk sowohl durch eine andere Deutschland- und Europapolitik zu seiner staatlichen Wiedervereinigung als auch durch Überwindung alter weltanschaulicher Gräben zu einem inneren Zueinanderfinden helfen. [] Die Mitarbeit evangelischer Christen in der SPD findet ihren Niederschlag u. a. in einem unregelmäßig erscheinenden Blatt "Politische Verantwortung", zu dessen Herausgebern neben Dr. Heinemann die Professoren Diem, Iwand, Kupisch und Ernst Wolf, die Bundestagsmitglieder Arndt und Metzger sowie Karl Immer (Duisburg), Hein Kloppenburg (Dortmund), Johannes Rau und Adolf Scheu gehören. Interessenten an diesem Beitrag zur politischen Willens- und Meinungsbildung wenden sich bitte an Johannes Rau, Wuppertal-Barmen, Riescheider Straße 14. [] Herausgeber: Vorstand der SPD Bonn [] Druck: Druckhaus Deutz [] Dr. Gustav Heinemann im Gespräch mit Studenten nach einem Vortrag Über das Thema "Wehrpflicht und Gewissen". [] Auch die Mitbegründerin der GVP, Frau Helene Wessel, trat der SPD bei. Frau Wessel kommt aus der katholischen Sozialarbeit und war jahrelang Partei- und Fraktionsvorsitzende der Zentrumspartei.
Published:19.05.1957