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warum [] Helmut Schmidt [] wurde am 23. Dezember 1918 in Hamburg geboren. Nach dem Abitur wurde er Soldat und geriet kurz vor Kriegsende als Batteriechef in Gefangenschaft. Nach Hamburg zurückgekehrt, studierte er Staatswissenschaften und trat 1946 der SPD bei. Seit 1949 war er in leitender Stellung in der Behörde für Wirtschaft und Verkehr tätig. 1953 in den Bundestag gewählt, machte er sich zunächst als Verkehrs- und später als Wehrexperte einen Namen. 1961 übernahm er das Amt des Innensenators in Hamburg und trat besonders bei der Bekämpfung der Flutkatastrophe im Frühjahr 1962 hervor. Von Willy Brandt in die Regierungsmannschaft der SPD berufen, ging Helmut Schmidt 1965 wieder in den Bundestag, wo er im März 1967 als Nachfolger von Fritz Erler Vorsitzender der SPD-Fraktion wurde. Seit dem Parteitag 1968 ist Helmut Schmidt Stellv. Vorsitzender der SPD. [] ... bin ich Sozialdemokrat [] Im Jahre 1933, als Hitler an die Macht kam, war ich 14 Jahre alt. Wie den meisten Angehörigen meines Jahrgangs so hat auch mir bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges niemand gesagt, wie ein Staat und wie eine Gesellschaft eigentlich beschaffen sein sollten. Zwar war uns klar, daß die höhnische Herabsetzung der westlichen Demokratien durch das "Dritte Reich" nicht richtig sein konnte. Aber eine positive Vorstellung von der Demokratie und von der Ordnung eines Rechtsstaates hatten wir kaum. Als ich im Frühjahr 1945 in Kriegsgefangenschaft geriet, war ich 26 Jahre alt. Ich war längst zur Verneinung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft gelangt. Aber aus diesem Dilemma heraus - einerseits zu wissen, so kann und darf es nicht bleiben in Deutschland, andererseits aber nicht genau zu wissen, wie es denn statt dessen sein sollte - ergab sich jene Wißbegierde, die unter uns Kriegsgefangenen dann zu endlosen Diskussionen geführt hat. Dort in der Gefangenschaft hat sich meine erste positive Vorstellung gebildet, wie ein Staat wohl sein sollte. Unter dem Einfluß älterer Offizierskameraden bin ich dort auch Sozialdemokrat geworden. [] Dabei ist neben vielem, was man neu und erstmalig lernte, auch eine alte Erfahrung maßgebend gewesen: Ich meine das Erlebnis der Kameradschaft, das unter den vielen schlimmen Erfahrungen des Krieges einer der wenigen Werte war, die ich glaubte bewahren zu müssen. Der Maxime der Kameradschaft liegt - und das entdeckte ich gemeinsam mit vielen meiner Kameraden _ die gleiche sittliche Grundhaltung im Verhältnis zum anderen zugrunde wie dem Solidaritätsprinzip der Sozialisten. [] Nach der Rückkehr haben viele ältere Sozialdemokraten uns ehemaligen Kriegs-Offizieren zunächst nicht ganz abnehmen wollen, daß wir uns innerlich für die Sozialdemokratische Partei engagierten; da gab es anfangs gelegentlich auch Hänseleien und böse Bemerkungen. Als man aber merkte, daß der "Neue" es ernst meinte mit seiner politischen Mitarbeit, hat sich das bald erledigt. [] Das Vorbild eines Mannes hat mir 1946 besonders geholfen, bei solchen unfreundlichen Reaktionen nicht gleich die Flinte ins Korn zu werfen. Es war dies Kurt Schumacher, dem es wohl zu allermeist zu verdanken ist, daß in dem politischen und geistigen Chaos der Nachkriegszeit wir Deutschen unsere Identität als Nation nicht auch gleich mit auf den Kehrichthaufen der Geschichte geworfen haben, daß wir die Idee des Rechtes auf Freiheit und Selbstbestimmung unseres ganzen Volkes nicht verloren. Später bin ich dann beim Studium der Geschichte meiner eigenen Partei und der deutschen Demokratie auf Julius Leber und Theo Haubach und auf andere vorbildliche Männer gestoßen, die ums Leben gekommen waren. [] Unter Schumachers geistiger Führung hat die Sozialdemokratische Partei Deutschlands bewußt jene Entwicklung fortgesetzt, die in manchem einzelnen Sozialdemokraten schon in der Weimarer Zeit angefangen hatte, bei vielen anderen während des "Dritten Reiches", in den Konzentrationslagern, in der Emigration und auf manche Weise während des Krieges auch bei Leuten, die vordem gar nicht zur Sozialdemokratie gehört hatten, und die dann schließlich 1959 in das Godesberger Programm eingemündet ist. Dieser geistige Prozeß innerhalb meiner Partei fiel für mich mit dem bewußten Erkennen der Ideale und Überzeugungen zusammen, die sozialdemokratischer Politik seit über einhundert Jahren zugrunde gelegen haben, die aber zwischenzeitlich durch einen Wust von ideologischen und soziologischen Doktrinen und durch mancherlei scheinbar wissenschaftliche Erkenntnisse für den Außenstehenden zum Teil überlagert und oft sogar verdeckt worden waren. Ich meine die grundlegenden sittlichen Ideal der Freiheit und der Menschenrechte, der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität gegenüber Schutzlosen und Schwachen und die zentralen politischen Prinzipien der Demokratie und des Rechtsstaates. [] Die innere Entwicklung einer Partei, deren Geschichte zugleich die Geschichte des Kampfes um einen demokratischen Staat in Deutschland schlechthin ist, hat in unserem Volke schon große Resonanz gefunden. Das sozialdemokratische Bekenntnis zum sittlichen Ideal der Toleranz zum Beispiel hat uns Deutschen in den letzten Jahren deutlicher als früher die Tatsache vor Augen geführt, daß wir als Volk, eben aus Katholiken und Protestanten und Juden und Freidenkern zugleich bestehend, uns zur Freiheit des Glaubens, der Verkündigung und des Gewissens bekennen müssen, nicht aus Bequemlichkeit oder religiöser Gleichgültigkeit, sondern aus der Achtung vor der Würde des Mitmenschen. Wir haben uns wenige Jahre nach dern Godesberger Programm durch die Mahnung zur Toleranz, die von Johannes XXIII. ausging, sehr bestätigt gefühlt - auch diejenigen unter uns, die, wie ich selbst, nicht Katholiken sind. [] Aber es war nie die politisch-sittliche Grundhaltung allein, die meinen eigenen Lebensweg mit dem der Sozialdemokratie verkoppelt hat; es war zugleich auch immer die Möglichkeit, Nützliches für das Ganze tun zu können. Leidenschaft und Ehrgeiz, für das offentliche Wohl zu arbeiten, haben mich in den Bundestag, in die Landesregierung meiner Vaterstadt Hamburg und wieder zurück in den Bundestag geführt. In der Politik werden wir immer wieder vor neue Aufgaben gestellt, immer wieder müssen wir nach neuen Lösungen suchen und neue Gedanken denken. Dabei bleiben unsere sittlich-politischen Ideale stets dieselben; sie werden auch für die nächste Generation von Sozialdemokraten gelten - auch wenn wir sie niemals ganz erreichen. [] [Unterschrift: Ihr Helmut Schmidt] [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn
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