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TATSACHEN UND DOKUMENTE [] Die Lage der deutschen Kriegsgefangenen [] A. In der Genfer Konvention Artikel 75 Absatz 1 heißt es: "Schließen die Kriegführenden einen Waffenstillstand, so, haben sie in diesen grundsätzlich Bestimmungen über die Heimschaffung der Kriegsgefangenen aufzunehmen. Wenn solche Bestimmungen in den Vertrag nicht aufgenommen werden konnten, haben die Kriegführenden gleichwohl so bald als möglich zu diesem Zweck miteinander in Verbindung zu treten. Auf alle Fälle hat die Heimschaffung der Kriegsgefangenen binnen kürzester Frist nach Friedensschluß zu erfolgen." [] In dem mit Deutschland abgeschlossenen Waffenstillstandsvertrag sind keine Bestimmungen über die Heimschaffung der Kriegsgefangenen enthalten. Die Kriegführenden sind unseres Wissens zu diesem Zweck bisher nicht miteinander in Verbindung getreten. Es ist noch kein Datum für einen Friedensschluß festgelegt, aber auch dann bleibt es den Alliierten überlassen, zu bestimmen, was sie für die "kürzeste Frist" halten. [] B. Ende Mai 1945 wurde die Zahl der deutschen Kriegsgefangenen in den Händen der Alliierten auf etwa 12 Millionen geschätzt. Heute sollen sich noch etwa 5-6 Mill. Deutsche in Kriegsgefangenschaft befinden. [] Eine Uebersicht zeigt folgendes Bild: [] Land Zahl der Kgf. Zahl der be- Laufende [] reits Entlass. Entlassungen [] Belgien 60000 (?) Einzelfälle Keine [] Frankreich 800000 Einzelfälle Keine [] GroßGroßbritannien [!] 100000* Monatlich 15000 [] 551927 3181900 Aus Aegypten [] z.Z. einmalig 2600 [] Polen Angaben fehlen [] Tschechoslowakei Angaben fehlen [] UdSSR 4000000 (?) 135000 Keine [] USA Einzelne Gruppen Restlose [] in Italien u. Entlassung [] Frankreich bis Mitte 1947 [] 3418100 zugesagt [] Insgesamt: 5661927 6735000 - [] * Angehörige der DG in der britischen Zone Deutschlands. [] C. Lage der Kriegsgefangenen: [] 1. Belgien: Von den in Belgien festgehaltenen Kriegsgefangenen sind etwa 40000 als Bergarbeiter eingesetzt. Verpflegung, Bekleidung und Postverkehr nach den letzten Meldungen befriedigend. Sanitäre Betreuung ausreichend, geistige Betreuung unzulänglich. Die belgische Regierung hat sich jetzt bereit erklärt, jeden Gefangenen, der hundert Tage im Bergwerk arbeitet und 80 Prozent der Leistung eines belgischen Bergarbeiters fördert, zu entlassen. [] 2. Frankreich: 50000 Kriegsgefangene arbeiten in Bergwerken, der Rest in Landwirtschaft, Industrie und beim Wiederaufbau. Verpflegung, Bekleidung und sanitäre Betreuung ursprünglich mangelhaft, Sterblichkeit und Krankenziffern hoch. (Versuch eines Massenausbruches deutet verzweifelte Lage an.) Die Verhältnisse haben sich in letzter Zeit gebessert. Geistige Betreuung unzulänglich, Postverkehr jetzt gut. Politisch einwandfreie Gefangene sollen nunmehr ausgesucht und geschult werden. Eine Zeitung für Kriegsgefangene ist vorhanden. [] Teile des ehemaligen Strafbataillons 999 werden in Französisch-Nordafrika festgehalten. Darunter viele Opfer des Faschismus. [] Bemerkenswert ist der Plan der französischen Regierung, eine gewisse Zahl von Kriegsgefangenen (200000?) eventuell in Frankreich anzusiedeln. [] 3. Großbritannien: [] a) England: Die auf der Insel festgehaltenen Gefangenen sindüberwiegend als Land- und Bauarbeiter eingesetzt. Verpflegung, Bekleidung und sanitäre Betreuung sind gut. Es erscheint eine eigene Zeitung der Kriegsgefangenen, Fortbildungs-, und Schulungskurse werden abgehalten. Die englische Regierung hat beschlossen, den Kriegsgefangenen erweiterte Freiheiten zu gewähren (Ausgangserlaubnis). [] b) Aegypten: In Aegypten werden etwa 60000 Kriegsgefangene festgehalten. Viele davon sind Angehörige des ehemaligen Strafbataillons 999. Die Opfer des Faschismus unter diesen sollen jetzt entlassen werden. Verpflegung für Nichtarbeitende soll nicht ausreichend sein. Dazu kommen klimabedingte Krankheitserscheinungen. Die geistige Betreuung der Gefangenen liegt in deren eigenen Händen: Arbeitsgemeinschaften, die unter Mangel an Literatur leiden. Die Stimmung der Kriegsgefangenen ist deshalb schlecht, weil bis jetzt keine Entscheidung über ihre Entlassung getroffen ist. In verschiedenen Lagern kam es zu Streiks. [] c) Deutschland: Die Angehörigen der Dienstgruppen in der britischen Zone Deutschlands sind als Transport-, Straßenbau-, Holzfäll-, Nachrichten- und Minensuchgruppen eingesetzt. Die Verpflegung ist besser als die der Zivilbevölkerung, die Bekleidung ist gut. Dienstgruppenangehörige verfügen über verhältnismäßig viel persönliche Freiheiten (Ausgang, Urlaub. Seit kurzem Erlaubnis der Mitgliedschaft in politischen Parteien). Sie unterstellen jedoch ehemaligen Offizieren (Wehrmacht-Disziplinar-Strafordnung, Entlöhnung nach ehemaligen Dienstgraden). Ihre Unzufriedenheit wächst. Sie fordern Entlassung gemäß dem Verfahren, das für die Kriegsgefangenen in England gilt, und Auffüllung der Dienstgruppen mit Freiwilligen. [] d) Dominien und Kolonien: In verschiedenen britischen Dominien und Kolonien befinden sich etwa 8000 deutsche Kriegsgefangene. Kanada und Australien werden die dort lebenden Gefangenen (5700) Anfang 1947 entlassen. [] 4. Jugoslawien: Genaue Zahlenangaben fehlen. Wahrscheinlich ursprünglich 150000 deutsche Kriegsgefangene. Verpflegung ist, in letzter Zeit, vor allem für arbeitende Kriegsgefangene, ausreichend. Postverkehr mangelhaft, Bekleidung unzureichend. Es erfolgt durch politische Komitees eine geistige Betreuung der Gefangenen mit politischen Zielen. [] Einmalige Aktion "Fünf-Kilo-Pakete für deutsche Kriegsgefangene in Jugoslawien", vor allem zum Versand von Wäsche und Winterkleidung, ausnutzen! Pakete an DRK Hamburg senden. [] Möglichkeit der Entlassung für bewährte Antifaschisten soll bestehen. Bisherige Erfolge unbekannt. [] 5. Polen: Angaben fehlen. [] 6. Tschechoslowakei: Angaben fehlen. [] 7. UdSSR: Genaue Zahlen fehlen (4000000?). Postverkehr unzureichend. Verpflegung und Bekleidung siehe Rückkehrer. Krankheits- und Sterblichkeitsziffern hoch. Politische Schulung angeblich in einigen Lagern. Besonderheiten: 1. Bevorzugte Stellung der ehemaligen Offiziere (bessere Verpflegung, mehr Rauchwaren, keine Arbeit). 2. Rußland ist das einzige Land, in dem noch Frauen festgehalten werden (ehemaliges Wehrmachtsgefolge und Zivilistinnen, die von der seinerzeit in Deutschland einmarschierenden Sowjetarmee abtransportiert wurden). Genaue Zahlen fehlen, Einzelheiten über ihr Schicksal sind nicht bekannt. [] Nach russischen Aeußerungen sollen größere Entlassungen erst dann begonnen werden, wenn die Gewähr dafür vorhanden ist, daß die Demokratisierung Deutschlands durchgeführt ist! [] 8. USA: Nach den letzten vorliegenden Meldungen sollen die verhältnismäßig wenigen deutschen Kriegsgefangenen, die noch in amerikanischen Lagern festgehalten werden, nunmehr zur Entlassung kommen. Darüber hinaus haben die USA die Regierungen von Frankreich, Belgien, Holland und Luxemburg aufgefordert, jene Gefangenen zu entlassen, die diesen Ländern seinerzeit aus amerikanischen Lagern zur Verfügung gestellt wurden. [] D. Stellung der SPD zu der Frage der deutschen Kriegsgefangenen. [] Die deutsche Sozialdemokratie hat immer wieder darauf hingewiesen, daß sie im Namen der Menschlichkeit die Durchführung folgender Punkte für erforderlich hält: [] I. Sofortige Entlassung aller Frauen, die als Kriegsgefangene in alliierten Händen sind. [] II. Verbesserung der materiellen Lage und der geistigen Betreuung der Kriegsgefangenen. [] III. Angemessene Bezahlung der arbeitenden Kriegsgefangenen. [] IV. Sofortiger Beginn mit Entlassungen aus allen Ländern, unter besonderer Berücksichtigung der Jugendlichen, Kranken und antifaschistischen Kriegsgefangenen. [] Die SPD ist der Meinung, daß die deutschen Kriegsgefangenen nicht Träger, sondern Opfer des Hitler-Faschismus sind. Besondere Aufbauarbeiten in fremden Ländern sollen von Nazi-Aktivisten und Kriegsverbrechern durchgeführt werden. Sechs Millionen Deutsche fehlen beim politischen und wirtschaftlichen Neubau Deutschlands. Der Glaube an die Gerechtigkeit der Alliierten und an die Demokratie in Deutschland ist erschüttert. Nur eines kann uns und aller Welt helfen, diesen Glauben zu erhalten: Die sofortige Freilassung aller Kriegsgefangenen!
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