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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; An die Sozialdemokraten Berlins! [] Genossinnen und Genossen! [] Von der Verschleppungstaktik zum Ueberraschungsmanöver, vom Ueberraschungsmanöver zur Abstimmungssabotage - das ist der Weg, den der "demokratische" Zentralausschuß der SPD seit dem 1. März einzuschlagen beliebte. [] Der am 28. März im "Volk" veröffentlichte Aufruf des Zentralausschusses strotzt von Unwahrheiten, Verdrehungen und Entstellungen, mit denen eine Instanz, die jeden Vertrauenskontakt mit der breiten Masse der Berliner Mitgliedschaft verloren hat, in letzter Stunde Verwirrung in die Massen zu tragen versucht. [] Die Funktionärkonferenz vom 1. März, die beschlossen hat, die Berliner Mitgliedschaft zur Urabstimmung über die Frage der sofortigen Verschmelzung von SPD und KPD aufzurufen, war nicht "zufällig zusammengesetzt". Es hatten im Gegenteil alle Berliner Funktionäre vom Kreisvorsitzenden bis zum letzten Gruppenleiter der einzelnen Abteilungen zu dieser Konferenz ungehinderten Zutritt und volles Stimmrecht. Sämtliche Funktionäre besaßen ihr Mandat erst seit den Neuwahlen der Abteilungs- und Kreisvorstände im Laufe des Monats Januar 1946 und versammelten sich infolgedessen als die berufenen Vertreter der Berliner Mitgliedschaft. Von dieser im wahrsten Sinne des Wortes demokratisch zusammengerufenen Konferenz ist der Beschluß gefaßt worden, wenigstens die Berliner Sozialdemokraten in dieser Lebensfrage durch eine allgemeine, geheime und freie Abstimmung entscheiden zu lassen. [] Im Gegensatz zu dieser Konferenz stammten die "gegenteiligen Beschlüsse anderer, noch stärker besuchter Berliner Funktionärversammlungen" von Körperschaften, zu denen der Zutritt nur durch besondere Ausweise, die ausdrücklich nur an eindeutige Anhänger einer sofortigen Verschmelzung ausgegeben wurden, möglich war. [] Nicht von den sogenannten "Gegnern der Einheit" ist eine sachliche Aussprache in der Berliner Mitgliedschaft verhindert worden, sondern Fechner vom Zentralausschuß eröffnete im Januar, als eine "Berliner Opposition" noch gar nicht bestand, die "sachliche Aussprache" mit einem Artikel, in dem alle diejenigen, die den offiziellen Standpunkt zur Verschmelzungsfrage nicht teilten, als Brunnenvergifter, Saboteure und Separatisten bezeichnet wurden. Die von den entrüsteten Mitgliedern eingesandten Antworten und Richtigstellungen zu diesem Artikel sind von der Redaktion des "Volk" nicht einmal mit einem Sterbenswörtchen bestätigt, geschweige denn veröffentlicht worden. [] Obwohl zu dieser Zeit die unsachlichen und gehässigen Angriffe gegen Ablehner der sofortigen Verschmelzung in Presse, Radio und Versammlungen mehr und mehr zur Methode wurden, hat die Funktionärkonferenz am 20. Januar dennoch eine Resolution des Zentralausschusses angenommen und ihm damit indirekt das Vertrauen ausgesprochen. In dieser Entschließung hieß es u. a.: [] 1. Keine organisatorische Vereinigung beider Arbeiterparteien im Bereich von Bezirken, Provinzen, Ländern oder einer Besetzungszone. [] 2. Die Herstellung der organisatorischen Einheit kann nur durch den Beschluß eines Reichsparteitages erfolgen. [] 3. In logischer Konsequenz daraus treten beide Parteien bei etwaigen Wahlen mit getrennten Listen auf. [] Unter Mißachtung dieser von ihm selbst formulierten Grundsätze, unter Mißachtung aller Entschlüsse zahlloser Abteilungs- und Kreis-Mitgliederversammlungen, in denen die Bedenken und Proteste der Berliner Mitglieder gegen eine sofortige Vereinigung deutlich genug zum Ausdruck gebracht wurden, hat Otto Grotewohl am 11. Februar bei der Delegiertenkonferenz des FDGB ohne jedwede Bevollmächtigung durch die Berliner Organisation die Vereinigung im Zonenmaßstab proklamiert. [] Erst in diesem Augenblick haben sich führende Funktionäre der Berliner Organisation, getragen von dem Vertrauen ihrer Mitglieder, in ernster Sorge um das Schicksal der Sozialdemokratie veranlaßt gesehen, dem praktisch unkontrollierbaren Fortgang dieser zentralistischen und autokratischen Linie wenigstens für den Bereich von Groß-Berlin entgegenzutreten: Nicht um die Partei zu spalten, sondern um zunächst einmal die Einheit der SPD zu sichern, die die wichtigste Voraussetzung für eine wirkliche künftige Einheit aller Werktätigen in ganz Deutschland ist. [] Aber auch damit war durchaus keine "Fraktionsarbeit", keine Tendenz zur Parteispaltung verbunden. Durch den Beschluß einer baldigen Urabstimmung sollte den Mitgliedern nach den Gesetzen der echtesten und unverfälschtesten Demokratie Gelegenheit gegeben werden, ihre Stimmabgabe ohne lauten Wahlkampf, in einer Atmosphäre der Neutralität, nur ihrem eigenen Gewissen verantwortlich, zu vollziehen. [] Der Zentralausschuß hat auf dieses letzte und umfassendste Angebot einen sauberen demokratischen Ausgleichs damit geantwortet, daß er einen in der Geschichte der Sozialdemokratie unerhörten Nervenkrieg gegen seine Berliner Mitglieder organisierte. Unter völliger Entmachtung des für die Durchführung der Urabstimmung zuständigen Bezirksvorstandes wurde der Termin bis zum 31. März hinausgeschoben, eine ungeheuere und kostspielige Propaganda organisiert und ein Überwachungsdienst für alle Kreise und Abteilungen geschaffen, um den für den Geschmack des Zentralausschusses zu einheitlichen demokratischen Willen der Mitglieder zu verwirren, zu unterminieren und zu spalten. [] Gegen diese beispiellose Auslegung von "Demokratie" haben wir uns nun allerdings energisch zur Wehr gesetzt Der Zentralausschuß hat mit Parteiausschlüssen und Auflösungen von Kreisvorständen geantwortet. Als auch diesen Mittel nicht verfing, um die Sozialdemokratie Berlins zu spalten, hat man in aller Heimlichkeit eine gemeinsame Funktionärkonferenz von SPD und KPD inszeniert, in der die Urabstimmung für überflüssig erklärt wurde. Nach dem Scheitern dieses letzten demagogischen Manövers versucht der Zentralausschuß, die Urabstimmung dadurch zu Fall zu bringen, daß er zur Abstimmungssabotage aufruft. [] Genossinnen und Genossen! Wir fragen Euch: Warum diese Angst vor der Urabstimmung, wenn es dem Zentralausschuß mit seinen demokratischen Beteuerungen ernst ist? [] Wir fragen Euch: Wo steht der eigentliche Spalter der Partei? Sind wir die Spalter, die für die organisatorische Einheit der SPD kämpfen, oder der Zentralausschuß, der alles daran setzt um diese Einheit zu zerreißen? [] Sozialdemokraten Berlins! Durch eure Urabstimmung am Sonntag entscheidet ihr über die Zukunft der Berliner Organisation der Sozialdemokratie, entscheidet ihr über Sein oder Nichtsein des demokratischen Sozialismus, wie er von Marx, Engels, Liebknecht und Bebel proklamiert wurde, wie wir ihn in der Zeit des Nationalsozialismus als höchstes Ziel erstrebten! [] Kein für Berlin zuständiger Bezirksparteitag kann sich über das Ergebnis der Urabstimmung hinwegsetzen, ohne seine demokratische Legitimation vor Euch zu verlieren. Der Bezirksparteitag ist lediglich Euer Willensvollstrecker und hat aus Eurer Stimmabgabe die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. [] Für Freiheit, Demokratie und Sozialismus! [] Für die Einheit der Berliner SPD! [] Für die künftige Einheit aller Werktätigen! [] Geht in Massen zur Urabstimmung, nutzt Euer Stimmrecht entscheidet Euch gegen eine sofortige Verschmelzung von SPD und KPD. [] Im Namen der Sozialdemokratie Berlins [] Im Namen des Wahlausschusses zur Urabstimmung [] Dr. Schulz [] Germer [] Nr. 2965. 3.46.
Published:31.03.1946