An die Reichstagswähler im Herzogthum Gotha

Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die [] Reichstagswähler im Herzogthum Gotha. [] Wähler in Stadt und Land! [] Nicht mehr lange kann es dauern, bis Ihr wieder berufen werdet. Euch einen Vertreter für den Reichstag zu wählen. Da gilt es denn, Umschau zu halten und z...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Sozialistische Arbeiter-Wahlkomitee, Conzert u. Ebner, Chur
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 27.10.1881
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/C71ACD2E-EC0D-410A-9E85-384E14AF69EF
Description
Summary:Bemerkungen: Fraktur; [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An die [] Reichstagswähler im Herzogthum Gotha. [] Wähler in Stadt und Land! [] Nicht mehr lange kann es dauern, bis Ihr wieder berufen werdet. Euch einen Vertreter für den Reichstag zu wählen. Da gilt es denn, Umschau zu halten und zu sehen, ob die Mehrheit im Reichstage Eure Interessen gewahrt hat. Wir sagen: Nein! [] Wähler! Der Reichstag soll die Vertretung des Volkes sein, die Volksrechte schützen und dem Volk neue Rechte erwerben. Das hat er nicht gethan! Stets ist er von der Regierung zurückgewichen, hat ihr nachgegeben, wenn es galt, ein Volksrecht zu Grabe zu tragen! Ihr wißt, daß eine große Partei in Deutschland, die Partei des arbeitenden Volkes, die Sozialdemokraten, unter einem Ausnahmegesetz stehen. Ihr seid vielleicht der Meinung, daß man gegen Sozialdemokraten mit besonderen Maßregeln vorgehen müsse. Nein! Mag jeder seine Ansicht vertreten, mag man ihn widerlegen, aber nicht mundtodtmachen. Das Gesetz gegen die Sozialdemokraten ist nicht gegen diese allein, sondern gegen das ganze arbeitende Volk, gegen jede Bestrebung nach Erweiterung politischer Rechte und Freiheiten für das Volk gerichtet, damit dieses nicht das Lied von seinem Leid singen kann. [] Und was wollen denn nun die Sozialdemokraten so Schlimmes, daß man dieselben mit so drakonischen Mitteln verfolgt? Die Gegner der Sozialdemokraten haben diesen, weil es ihnen an ehrlichen Mitteln sie offen zu bekämpfen mangelt, unterschoben, sie wollten "Theilen", "Weibergemeinschaft", "freie Liebe"; feiner sie wollten alle Ordnung über den Haufen werfen und au dessen Stelle ein unbekanntes und unmögliches Idealreich aufbauen u.s.w. Davon ist aber kein Wort wahr und unsere Gegner wissen das auch selbst - aber der Zweck heiligt das Mittel. - Unser Kandidat hat schon hundertmal in Versammlungen wiederlegt, daß dies gar nicht zu den Zielen der Sozialdemokratie gehört und daß er selbst ein entschiedener Gegner dieser Ansichten sei, auch nachgewiesen, daß es ein Unsinn ist, daran zu glauben. In diesen Versammlungen haben die Gegner unserem Kandidaten gegmüber noch nicht gewagt, solch dummes Zeug zu behaupten, weil sie sich dadurch unsterblich lächerlich gemacht hätten, desto mehr wird es bei den Wahlen versucht, um bei der ländlichen Bevölkerung Abneigung gegen uns zu erzeugen. Hört also ihr Wähler des gothaischen Landes, was der Kandidat, welchen wir Euch vorschlagen, will und wenn Euch die Gegner etwas Anderes sagen, so könnt ihr sie getrost Lügen strafen. [] "Die Arbeit ist die Quelle alles Reichthums und aller Kultur", und deßhalb verlangt unser Kandidat, daß der redlichen Arbeit und ihren Trägern der gebührende Einfluß und die gebührende Achtung in unserem Staatswesen eingeräumt wird, daß der - redliche Erwerb aus Arbeit - zu seinem Rechte komme und der - mühelose Erwerb - nicht mehr möglich sei. Um dieses zu erreichen, will derselbe jede Maßregel, welche dazu führt, nach Kräften fördern. [] An Stelle der jetzt regellosen kapitalistischen Produktion, aus welcher nur das Großkapital Nutzen zieht, der Kleinhandwerker und kleine Landwirth aber gänzlich ruinirt wird und die Arbeiter zu einem Leben voll Entsagung und Armuth verdammt, will derselbe die geordnete genossenschaftliche Produktion. Aus den heutigen Verhältnissen ziehen nur die Kapitalisten Vortheile, werden die Reichen immer reicher die unteren Volksschichten, welche 90 Prozent ausmachen, immer ärmer und abhängiger von den Reichen. [] Ferner ist derselbe für die Abschaffung aller Vorrechte und Privilegien, seien dieselben auf die Geburt oder die Macht des Geldes begründet, und an dessen Stelle für die volle Gleichberechtigung aller Staatsangehörigen. [] Gleiche Rechte und Pflichten und deßhalb gerechte Vertheilung der Staatslasten. Durch die indirekten Steuern auf Kaffee, Salz, Bier, Taback, kurz auf alle Produkte, welche die ärmeren Volksschichten zum Leben haben müssen, werden heute zu ¾ die Staats ausgaben gedeckt und nur ¼ durch direkte Steuern (Klassensteuern) aufgebracht. Dadurch werden die unteren Schichten des Volkes mehr belastet als die Wohlhabenden und Reichen, denn die indirekten Steuern betragen bei dem kleinen Mann fast 1/5 seiner Jahreseinnahmen. Was Ihr, die Unbemittelten, dadurch an Steuern mehr zahlt, das zahlen die Reichen weniger. An Stelle der indirekten Steuern soll eine einzige Steuer und zwar die Einkommensteuer, wodurch jeder nach seinem vollen Vermögen besteuert wird, treten. Von 5000 Mark Einkommen an aufwärts müßte bei jedem 1000 Mk. ein entsprechend höherer Steuerprozentsatz angenommen werden, weil eine Person, welche über ein so hohes Einkommen verfügt, die Steuer nicht so drückt wie den armen Mann, welcher nur soviel verdient, daß er das nackte Leben durchschlägt. [] Die Militärlasten wachsen von Jahr zu Jahr mehr, beinahe alles Geld wird für das Militär ausgegeben. Die Kriegsgefahr steigt, denn wenn die Völker immer in Waffen gerüstet stehen, bekommen sie Lust, sich zu bekriegen. Man läßt die Söhne der kleinen Beamten, Bauern, Handwerker und Arbeiter drei Jahre lang dienen, während die Kinder der Reichen dasselbe in einem Jahre lernen und dadurch sogar das Recht als Reserveoffizier erwerben. Die Ausgaben für das Militär betragen jedes Jahr vierhundertsechsundzwanzig Millionen Mark. Dazu sind in dem letzten Jahrzehnt noch der größte Theil der fünf Milliarden französische Kriegskosten für Militärzwecke mit verausgabt worden. Was nun, wenn dann der letzte Nickel verausgabt ist, dann müssen die jährlichen Militärausgaben steigen und das bedeutet neue Steuern. [] Wähler legt Euch die Frage vor: kann Deutschland diese Last auf die Länge der Zeit tragen, ohne daß das Volk verarmt und die Industrie, die Landwirthschaft darunter furchtbar leidet? Wir verlangen eine gut organisirte Volkswehr, wo Jeder, welcher fähig ist die Waffen zu tragen, damit geübt wird, daß die Knaben schon von Jugend auf in den Schulen im Exerzieren und theoretischen Militärunterricht ausgebildet und später im 20. Jahr mit einer sechs- bis achtmonatlichen Dienstzeit praktisch geübt werden. Dadurch würden wir den größten Theil der jetzigen Militärausgaben sparen und derselbe Zweck, "die Vertheidigung" des Landes wäre erreicht. Unsre Gegner wollen Euch weis machen, das sei nicht so und davon verstände das Volk nichts, aber große militärische Autoritäten, auf welche das deutsche Volk noch heute stolz ist, wie Feldmarschall Gneisenau, Scharnhorst, welche 1813 mit ihren Volkswehren Deutschland befreiten, haben offen den Volkswehren den Vorzug gegeben. Werden ja auch heute noch im Kriegsfall nach mehrmöchentlicher Einübung die Rekruten in's Feld geführt. Die Gegner haben es früher sogar versucht, uns niedrige Absichten unterzuschieben, aber mit demselben Recht könnten wir auch sagen, daß sie uns nur deßhalb darüber so anfeinden, weil ihre Söhne und Verwandten als Offiziere und Militärbeamte fette Posten in der Armee innehaben. [] Eine weitere Forderung ist die unentgeltliche Justizpflege. In einem gerechten Staatswesen soll und muß Jeder ohne Ansehen der Person zu seinem Rechte gelangen, ohne erst eine Menge Gerichtskosten, Gebühren und Sporteln zahlen zu müssen. Die Advokaten sind mit einem entsprechenden Gehalt von staatswegen anzustellen und haben der Gesammtheit zu dienen, statt wie heute ihrem Privatbeutel. Dadurch würde mancher Prozeß unterbleiben, aber auch Tausenden ihre letzte Habe nicht für Prozehkosten abaeofändet werden und doch Jeder sein Recht erhalten können. [] Das Volksschulwesen soll die größtmöglichste Ausbildung erfahren und für arme wie reiche Kinder nur eine Schule bestehen. Nur die aus diesen Schulen hervorgehenden talentvollsten Schüler, gleichviel ob arm oder reich, dürfen das Recht genießen, auf Kosten des Staates zu studiren, was heute nur ein Privilegium der Wohlhobenden und Reichen ist. Wenn Euch Wählern erklärt werden sollte, daß der Staat hierzu keine Mittel habe, so ist zu bemerken, daß an gar vielen Posten im Ausgabebudget des Staates von Pfründen und Pensionen ganz bedeutende Summen gespart werden können. Mit einem Wort, was auch alle unsere Feinde uns nachsagen und unterschieben, wir verlangen nur geordnete und gerechte Zustände, und daß endlich auch die arbeitende Bevölkerung an den Segnungen unserer Kultur theilnehmen und ein derselben menschenwürdiges Los zu Theil wird. Weit entfernt, gegen den Reichen Haß und Verachtung zu predigen, verlangen wir nur gleiches Recht für Alle. [] Wähler! Arbeiter, Handwerker, Bauern und Kleinbeamte gebt deßhalb nur Eure Stimmen einem Kandidaten, welcher für diese Grundsätze eintritt, und das ist: [] Herr Schuhmacher Wilhelm Bock in Gotha. [] Derselbe erläuterte in einer Massen-Versammlung, welche von allen Schichten der Bevölkerung in Gotha besucht war, obiges Programm und erndete stürmischen Beifall. In dieser Versammlung wurde Herr Bock zum Kandidaten proklamirt. Ganz dasselbe geschah in großen Versammlungen in Ohrdruf und Waltershausen, sowie in zahlreichen Versammlungen auf dem Lande. Ueberall wo Herr Bock auftrat, erwarb er sich durch sein ernstes und besonnenes Auftreten die Sympathie der Wähler und wiederlegte die Vorurtheile und Irrthümer gegen unsere Bestrebungen. Obwohl in allen Versammlungen Gegner anwesend waren, wiederlegte doch keiner die klaren Ausführungen unferes Kandidaten. Wähler! Wenn nun trotzdem unsere Gegner vor den Wahlen es versuchen sollten, unsere Bestrebungen zu verdächtigen oder uns allerlei unsinniges Zeug anzudichten, so gebt am Wahltage die richtige Antwort darauf, daß Ihr einmüthig unseren Kandidaten, den schlichten Volksmann, erwählt, welcher weiß, was für Sorgen den armen Mann, den Bauer, Handwerker, Arbeiter und Kleinbeamten bei seiner kärglichen Existenz quälen. Hört weder auf die schönen Versprechungen unserer Gegner, Euch helfen zu wollen, noch auf deren Verdächtigungen, bedenkt, daß Alles dies nur darauf berechnet ist, daß der Mann aus dem Volke bei der Wahl unterliegt und ein Mann aus den bevorzugten Standen in den Reichstag gebracht werden soll.<NZ>Je toller unsere Gegner die Wahrheit auf den Kopf stellten und je mehr von Euch Wählern darauf hineinfielen, desto mehr lachen sich die Herren im stillen nach der Wahl ins Fäustchen über Euere Thorheit und machen ihre schlechten Witze über den "beschränkten Unterthanenverstand". [] Wähler zeigt, daß Ihr die großen Aufgaben unserer Zeit begriffen habt, und weder durch süße Versprechungen, Täuschungen und elende Verdächtigungen von Eurem Wege Euch abbringen laßt. Das ruhige und besonneneöffentliche Auftreten unferes Kandidaten Herr Schuhmacher Wilhelm Bock ist Euch Bürgschaft, daß er nur Euer Bestes will, und hat sich derselbe dadurch die Achtung aller unparteiischen Männer erworben. [] Darum noch einmal, wählt bei der nächsten Reichstagswahl, welche im Oktober stattfinden wird, nur einen Volksmann, den Schuhmacher Herrn Wilhelm Bock, nur für ihn tretet ein. Auf zur Wahl! [] Es werden gedruckte Wahlzettel in Stadt und Land von uns vertheilt. Wer keinen solchen Zettel erhalten sollte, aber für unsern Kandidaten stimmen will, schreibe selbst deutlich den Namen und Vornamen, Stand und Wohnort unseres Kandidaten, genau so wie oben angegeben, auf ein Stück reines, weißes Papier. Die Wahlzettel sind so zusammenzufalten, daß man außen den Namen des Kandidaten nicht erkennen kann. Jeder Deutsche, welcher bis zum Wahltage das 25. Lebensjahr erreicht hat, ist wahlberechtigt, ob er Millionär oder Ackerknecht ist, ob er Steuern zahlt oder nicht. [] Jeder Wähler achte genau darauf, daß der Wahlvorsteher die Wahlzettel uneröffnet in die Wahlurne lege, denn es ist bei Gefängnißstrafe bis zu 3 Jahren verboten, ein unrichtiges Ergebniß der Wahl herbeizuführen. Ferner machen wir darauf aufmerksam, daß wenn Vorgesetzte ihre Untergebenen oder Fabrikanten ihre Arbeiter durch Drohungen hindern wollen, zu wählen, solche Handlung strafbar ist. [] § 107 des Strafgesetzbuches lautet: [] "Wer einen Deutschen durch Gewalt oder durch Bedrohung mit einer strafbaren Handlung verhindert zu wählen oder zu stimmen, wird mit Gefängniß nicht unter sechs Monaten oder mit Festungshaft bis zu 5 Jahren bestraft." [] Jeder Wähler ist nach § 9 des Wahlgesetzes berechtigt, im Wahlzünmer die Wahlhandlung zuüberwachen. - Jeder Stimmzettel darf nichts weiter als den Namen, Beruf und Wohnort des Kanlndaten enthalten. In dem Zimmer, in welchem die Wahlhandlung stattfindet, dürfen weder Wahlzettel vertheilt, noch geschrieben werden. Jede wahrgenommene Unregelmäßigkeit wolle man schleunigst dem Herrn Schuhmacher W. Bock in Gotha mittheilen. Ebenso hat Niemand zu fragen, wen Ihr wählen wollt, oder gar durch Versprechen oder Gaben von Getränken Eure Stimmen zu kaufen; denn der § 109 des Strafgesetzbuchs bestimmt: "Wer in einer öffentlichen Angelegenheit eine Wahlstimme kauft oder verkauft, wird mit Gefängniß von einem Monat bis zu zwei Jahren bestraft. [] Die Wahl findet von Vormittag 10 Uhr bis Abend 6 Uhr statt. Vor und nach dieser Zeit dürfen keine Stimmzettel abgegeben weiden. Jeder Wähler muß felbst wählen. Ganz besonders machen wir die Wähler darauf aufmerksam, daß, sobald die Wahllisten öffentlich zur Einsicht ausliegen, was regelmäßig in jedem Ort 14 Tage vor der Wahl stattfinden muß, jeder Wähler Einsicht nimmt, ob sein Name auch in die Wahlliste eingetragen ist, denn wessen Name nicht in der Lifte steht, darf auch nicht wählen. Steht der Name eines Wählers nicht darin, so hat die Ortsbehörde auf Veranlassung des Betreffenden den Namen sogleich nachzutragen. [] Darum, Männer aus dem Volke, Arbeiter, Handwerker, Beamte, Bauern, fehle keiner auf dem Platz, opfere jeder gerne eine Stunde dieser wichtigen Handlung, bedenkt, daß oft nur wenige Stimmen den Sieg entscheiden, dann wird der Sieg des Volkes nicht ausbleiben! [] Das sozialistische Arbeiter-Wahlkomitee. []
Published:27.10.1881