Mobilisierung des Geistes

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD Mobilisierung des Geistes [] Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat in seiner Sitzung vom 14. Juni 1957 in Dortmund die nachfolgende Entschließung einmütig angenommen: [] Die Bu...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 14.06.1957
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/AD4A2422-5877-48BA-ADAA-5FCA8E835963
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD Mobilisierung des Geistes [] Der Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands hat in seiner Sitzung vom 14. Juni 1957 in Dortmund die nachfolgende Entschließung einmütig angenommen: [] Die Bundesregierung hat die großen Umwälzungen unserer Zeit nicht zur Kenntnis genommen und ist unfähig, sich mit ihnen auseinanderzusetzen. [] Alle Welt ist sich klar, daß der Einsatz nuklearer Waffen das Ende der Menschheit bedeutet. Keine Seite kann diese Waffen benützen, ohne sich selbst zu vernichten. Damit hört der Atomkrieg auf, ein Mittel der Machtpolitik zu sein. Die Auseinandersetzung zwischen der freien Welt und der totalitären Diktatur verlagert sich auf andere Ebenen. Es geht darum, den ideologischen, politischen und technischen Mitteln der bolschewistischen Herrschaft eine überlegene Leistung entgegenzusetzen. In geistiger und kultureller Freiheit muß der technische und zivilisatorische Fortschritt voll entfaltet werden. Eine neue Politik ist nötig, die aus dem nur militärischen Machtdenken herausfindet und bei der Auseinandersetzung mit dem Osten den Geist mobilisiert. Wissenschaftliche Forschung, Erziehung, politische Bildung und gerechte Gestaltung der sozialen Ordnung sind unaufschiebbare Aufgaben unserer Zeit, Kulturpolitik wird zur Staatspolitik. Politik und Wissenschaft treten damit in ein neues, engeres Verhältnis zueinander, denn politische Entscheidungen müssen die Ergebnisse wissenschaftlicher Forschung einbeziehen. [] Die Bundesregierung hat die Vorschläge der Sozialdemokratischen Partei zur Aktivierung der geistigen Kräfte beiseite geschoben. Sie gibt 9 Milliarden DM für Rüstungen aus, lehnt aber die 755 Millionen DM zur Förderung der Wissenschaft ab, die die Sozialdemokratie als große Gemeinschaftsleistung von Bund und Ländern gefordert hat. Sie erkennt nicht die verhängnisvollen Folgen für die Stellung Deutschlands in der Welt, die unvermeidlich sind, wenn die Wissenschaft, die Forschung und der Nachwuchs weiter vernachlässigt werden. Sie hat die Vorschläge zu einer engen Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern auf diesem Gebiet als Wahlmanöver bezeichnet und die Verhandlungen verschleppt. Der Bitte der Studenten und der Forderung der SPD-Fraktion um eine ausreichende Studienhilfe, wie sie in anderen westlichen Ländern längst üblich ist, wurde nur dürftig entsprochen. Die CDU/CSU hat die 250 Millionen DM für den Bau von Schulhäusern abgelehnt, obwohl es sich dabei um Kriegsfolgelasten handelt. [] Das von der Sozialdemokratie eingebrachte Gesetz über einen Deutschen Forschungsrat ist auf die Warteliste unerledigter Gesetze geschoben worden. In absichtlicher Mißdeutung der Beweggründe wurde der Forschungsrat als ein Instrument des Staatsdirigismus bezeichnet, während das Gegenteil, die unabhängige Meinungsäußerung der freien Wissenschaft, sein Aufgabengebiet sein soll. Hätte ein solcher Forschungsrat schon bestanden, dann wären die deutschen Atomforscher nicht gezwungen gewesen, ihre Gewissensnot in so dramatischer Form in die Öffentlichkeit zu bringen. [] England baut als Ergebnis jahrelanger Forschungsarbeiten für 11 Milliarden DM Atomkraftwerke, Frankreich für 6,5 Milliarden DM. In Deutschland ist noch immer keine Planung für den Kraftwerkbau im öffentlichen Rahmen erstellt worden. Die im Atomplan der SPD geforderte großzügige Initiative ist ausgeblieben. [] Die Entschlußlosigkeit der Bundesregierung nötigt die Sozialdemokratie zu verstärkten Bemühungen um die Mobilisierung des Geistes. [] Der Parteivorstand appelliert daher an die gesamte Partei, diese Auseinandersetzung mit allen geeigneten Mitteln und auf allen politischen Ebenen zu führen. [] Die Bundestagsfraktion sollte das Versagen der Bundesregierung bei der Mobilisierung der geistigen und politischen Kräfte des deutschen Volkes vor Beendigung der Arbeiten dieses Bundestages noch einmal klar herausstellen. [] Die Landtagsfraktionen werden gebeten, für die stärkste kulturpolitische Aktivität der Länder Sorge zu tragen und jede Möglichkeit auszuschöpfen, diese Ziele zu fördern. [] Die sozialdemokratischen Ministerpräsidenten und Staatsminister sollten dahin wirken, daß die Verhandlungen mit der Bundesregierungüber das vorgelegte Verwaltungsabkommen zur Errichtung einer Deutschen Kommission zur Förderung der Wissenschaft energisch vorangetrieben werden und daß die Wissenschaft bei den Entscheidungen der Kommission verantwortlich beteiligt wird. [] Der Parteivorstand fordert die Landtagsfraktionen auf, der Aufstellung der kulturellen Bedarfspläne der Länder größte Aufmerksamkeit zu schenken. Neben den Naturwissenschaften müssen auch die Geisteswissenschaften und hier vor allem die Wissenschaft vom Menschen und von der Gesellschaft Beachtung finden. [] Nicht die Zahl der Atombomben in Deutschland, sondern die geistigen, wirtschaftlichen und kulturellen Leistungen des deutschen Volkes werden über die Stellung eines wiedervereinigten Deutschlands in der Gemeinschaft der Völker entscheiden. [] Herausgeber: Vorstand der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Bonn
Published:14.06.1957