Aufruf an die Arbeiter u. Arbeiterinnen Braunschweigs

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Aufruf [] an die [] Arbeiter u. Arbeiterinnen Braunschweigs. [] Nur noch wenige Wochen trennen uns von dem Wiederbeginn der diesjährigen [] Konserven-Kampagne. [] Der am 13. März 1907 abgeschlossene Lohntarif, vereinbart Zwischen dem Verein de...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Die Ortsverwaltung des Verbandes der Fabrikarbeiter, H. Rieke & Co., Braunschweig / Paul Häußler, Braunschweig
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 23.02.1910
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/55C62B0D-FBBD-4C8F-8FB6-8012BEF8AF6A
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals Aufruf [] an die [] Arbeiter u. Arbeiterinnen Braunschweigs. [] Nur noch wenige Wochen trennen uns von dem Wiederbeginn der diesjährigen [] Konserven-Kampagne. [] Der am 13. März 1907 abgeschlossene Lohntarif, vereinbart Zwischen dem Verein der Konserven-Fabrikanten Braunschweigs und dem Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands, erreicht mit dem 13. März dieses Jahres sein Ende. [] Die gräßlichen Zustände von 1903 und 1906 dürften noch in lebhafter Erinnerung sein. Dieser Zustand droht nach dem Kampf des Tarifs wiederzukehren, denn verschiedene Anzeichen sprechen recht deutlich dafür. [] Darf die Braunschweiger Arbeiterschaft zugeben, dass in der Konserven-Industrie unsoziale Verhältnisse bestehen? Nein, das darf sie deshalb nicht, weil sonst die Gefahr der Übertragung in andere Industriezweige besteht. [] Die Arbeitnehmerorganisation hat den Tarif ordnungsgemäß gekündigt. Weshalb die Kündigung? Hierüber nachstehende Aufklärung. [] § 9 des Tarifvertrages lautet: [] Die reguläre tägliche Arbeitszeit beträgt 10 Stunden. Für Ueberstundenarbeit und Sonntagsarbeit wird ein Aufschlag von 2 Pfg. pro Stunde gewährt. [] Haben nun alle Fabrikanten der Tarifvereinigung diese Bestimmungen beachtet? [] Nein! Ein Seiltänzerstückchen hat man aufgeführt? um diese Bestimmungen zu umgehen. Für 2 Pfg. Aufschlag bricht man sein verpfändetes Ehrenwort. [] Obwohl § 9 die über Zehn Stunden hinaus geleistete Arbeitszeit klipp und klar als Überstundenarbeit bezeichnet, fand sich doch ein findiger Konservenfabrikant, der auf Jongleurkunststücke firm ist. [] Zunächst weigerte er sich, überhaupt den tariflichen Aufschlag zu gewähren; später auf diese Bestimmungen verwiesen, [] rechnete er nur die über 60 Stunden pro Woche geleistete Arbeitszeit als Ueberstunden an. [] Jedem Kenner der Konservenbranche ist es bekannt, daß Tage vorkommen, wo infolge Materialmangels die Arbeiterinnen früher nach Hause gehen müssen. [] Diesen armen Geschöpfen, die sonst bis zu 15 Stunden pro Tag arbeiten, raubt man also auf ganz findige Art die 2 Pfg. Ueberstunden-Aufschlag! [] Darf eine Arbeiter-Organisation dulden, daß mit seinen Mitgliedern [] schändlicher Raubbau [] getrieben wird? [] Beachten wir die Arbeitzeit etwas näher. Trotz aller Bestimmungen der Gewerbeordnung, wonach Arbeiterinnen der Konserven-Industrie pro Tag höchstens 13 Stunden beschäftigt werden dürfen, finden wir oftmals eine [] 96stündige wöchentliche Arbeitszeit. [] Dazu kommt noch, daß die 13 stündige tägliche Arbeit nur für 60 Tage von dem Bundesrate anerkannt ist, während in der übrigen Zeit die tägliche Arbeit 11 Stunden nicht überschreiten darf, ja, an den Vorabenden der Sonn- und Festtage darf die tägliche Arbeitszeit keine 10 Stunden überschreiten. [] Kontrollieren Sie die Betriebe nach, dann werden Sie finden, daß viele Fabrikanten auf alle gesetzlichen Bestimmungen pfeifen. [] Wenn irgendwie die Familie des Proletariers Zerstört wird, dann sicher durch die Konservenfabrikanten. Aber was schert es die Herren, ob das Familienleben ihrer Arbeitstiere zerrüttet wird, was fragen die Herren danach, ob Tausende Kinder unter solchen Zuständen verwahrlosen müssen? Es gibt ja Erziehungsanstalten genug, da braucht man seine Kinder nicht selbst zu erziehen. Wenn dann später Verbrechen begangen werden, dann liest man selbstverständlich in der Zeitung, arbeitsscheue Menschen, Trunkenbolde usw. Die längere [] Ausbeutung der Frauen und Mädchen [] ist ihnen viel lieber, als das unendliche Elend dieser Familien zu lindern. Ob die [] Frauen frühzeitig geistig und körperlich ruiniert [] werden, diese Gewissensfragen finden bei den Konservenfabrikanten kein Gehör. Der Profit einzelner Fabrikanten verlangt das, er soll höher stehen, wie das Wohl tausender Arbeiterfamilien. [] Aber nicht nur diese Zustände haben dem Verband zu der Tarifkündigung Veranlassung gegeben. [] Wir verlangen eine klare, bündige Fassung des Tarifs. Wenn der Tarif mit dem "Verein der Konservenfabrikanten Braunschweigs" abgeschlossen wird, dann können wir auch verlangen, daß sämtliche dem Verein angehörende Firmen den Tarif anerkennen. Das ist in den letzten Zwei Jahren nicht geschehen und deshalb unsere Kündigung. [] Arbeiterinnen und Arbeiter Braunschweigs! Die diesjährige Tarifbewegung liegt nicht nur im Interesse der im Fabrikarbeiter-Verbände organisierten Arbeiterinnen, sondern im Interesse der Braunschweiger Arbeiterschaft im allgemeinen. Deshalb richten wir an Sie die Bitte, unterstützen Sie uns, damit wir endlich für die Konserven-Industrie menschenwürdige Zustände schaffen können. [] Alle Konservenfabrik-Arbeiterinnen und -Arbeiter, die es mit sich selbst und mit ihrer Familie ernst nehmen, die weiter bestrebt sind, menschenwürdige Zustände mitzuerkämpfen, müssen sich im Verband der Fabrikarbeiter Deutschlands Organisieren und besuchen die [] Konservenarbeiter-Versammlung [] am Dienstag, den 23. Februar, abends 8 Uhr, im Gemeinschaftshause. [] Tagesordnung: [] 1. Bedarf der jetzt gültige Lohntarif einer Verbesserung? [] Referent: Geschäftsführer Paul Häussler. [] 2. Freie Aussprache. [] Auf zur Versammlung! [] Hinein in die Organisation! [] Die Ortsverwaltung des Verbandes der Fabrikarbeiter. [] Verlag von Paul Häußler; Druck von H. Rieke & Co., beide in Braunschweig.
Published:23.02.1910