Liebe Wählerin! Lieber Wähler! . Die am 6. September auch von Ihnen zu treffende Entscheidung setzt voraus, [...]

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Postwurfsendung an alle Haushaltungen [] GÜNTER MARKSCHEFFEL [] Chefredakteur [] Kandidat der SPD für die Bundestagswahl 1953 [] im Wahlkreis Mainz - Bingen [] MAINZ [] Untere Zahlbacher Straße 28 [] Tel.: Priv.: 4985 - Dienstl.: 4576 [] Lieb...

Full description

Bibliographic Details
Main Author: Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 06.09.1953
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/2B4A0EF6-5595-4703-A772-1C0671899D23
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Postwurfsendung an alle Haushaltungen [] GÜNTER MARKSCHEFFEL [] Chefredakteur [] Kandidat der SPD für die Bundestagswahl 1953 [] im Wahlkreis Mainz - Bingen [] MAINZ [] Untere Zahlbacher Straße 28 [] Tel.: Priv.: 4985 - Dienstl.: 4576 [] Liebe Wählerin! [] Lieber Wähler! [] Die am 6. September auch von Ihnen zu treffende Entscheidung setzt voraus, daß Sie den Abgeordneten, den Sie wählen wollen, auch näher kennen. Deshalb erlaube ich mir, Ihnen diesen Brief zu schreiben und mich vorzustellen. [] Ich bin der Wahlkreiskandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands im Wahlkreis Mainz-Bingen. Günter Markscheffel, 45 Jahre, evangelisch, verheiratet. Als Sohn des Obermusikmeisters Julius Markscheffel wurde ich in Gleiwitz (Oberschlesien) geboren. Nach dem Besuch des Gymnasiums lernte ich das Zeitungsgewerbe von der Pike auf und wurde 1930 Redakteur in Hirschberg (Riesengebirge). Als Hitler die deutsche demokratische Presse zum Schweigen verurteilte, weigerte ich mich, meinen Beruf unter der Diktatur auszuüben. Natürlich mußte ich das teuer bezahlen. Verfolgung und Verhaftung waren die Folge. Dank eines glücklichen Zufalls gelang es mir, den Schergen zu entgehen. Im fremden Land, fern von der Heimat, wurde ich Arbeiter. Zuerst Landarbeiter, dann Eisenbahnstreckenarbeiter und schließlich Metallarbeiter. Mit Zähigkeit lernte ich einen neuen Beruf. Ich wurde Monteur und konnte dadurch die schlimmsten Jahre überstehen. [] Sofort nach Kriegsschluß rief mich die SPD wieder zur Aufnahme meiner Berufstätigkeit. Aber zunächst waren wichtigere Probleme zu lösen. Dank meiner Sprachkenntnisse und der Verbindung mit Freunden der Sozialistischen Partei Frankreich, durfte ich sofort nach dem Zusammenbruch die ersten Beziehungen zum Ausland anknüpfen mit dem Ziel, jene unselige Legende von der "Kollektivschuld des deutschen Volkes" zu zerstören, die so viel Unheil angerichtet hat. Meine Hauptaufgabe bestand darin, um Verständnis für unsere Kriegsgefangenen zu werben. Das war nicht leicht. Trotzdem konnte manch schöner Erfolg erzielt werden. In steten Eingaben, Vorsprachen und Auseinandersetzungen mit den zuständigen Stellen konnte dank der Hilfe von Männern wie Leon Blum, S. Grumbach und anderen manch schlimmes Kriegsgefangenenschicksal erleichtert werden. [] Dann begann eine neue Tätigkeit mit dem Ziel, offizielle französische Stellen auf die übergriffe einzelner Besatzungsangehöriger hinzuweisen. Es galt, unberechtigte Beschlagnahmen, Demontagen usw. abzuwenden. [] Als sich die -Verhältnisse etwas normalisiert hatten, begann ich 1947 in Mainz mit dem Aufbau unserer Zeitung " Die Freiheit". Aus dem Nichts heraus, ohne technische und kapitalmäßige Grundlage wurde der heute beachtliche Druckereibetrieb in der Neubrunnenstraße zu Mainz entwickelt. Dieser Betrieb nimmt, wie Ihnen bekannt sein dürfte, jetzt im Wirtschaftsleben unserer engeren Heimat eine nicht unbeachtliche Stellung ein. Die Zeitung selbst, deren redaktionelle Leitung mir übertragen wurde, führt eine lebendige Sprache im Sinne des sozialen und kulturellen Fortschritts. In schwierigen Situationen hat sie sich ungeachtet betrieblicher Nachteile für die Interessen der Bevölkerung eingesetzt. Einmal, als "Die Freiheit" nach Auffassung der Besatzungsmacht zu scharf die damals uns allen noch bekannte schlechte Ernährungslage in der französischen Zone kritisierte, erhielt ich ein Berufsverbot. Noch in jüngster Zeit, als es galt, die Werbung für die französische Fremdenlegion anzuprangern, stand "Die Freiheit" an der Spitze der deutschen Zeitungen. [] 1951 wurde ich in den Landtag Rheinland-Pfalz gewählt. Hier setzte ich mich besonders für die [] Erhaltung der christlichen Gemeinschaftsschule [] in Rheinhessen und die Förderung der Belange unserer heimischen Landwirtschaft ein. [] Wenn Sie nun meine Meinung über das, was uns in Deutschland not tut, kennenlernen wollen, beachten Sie bitte folgendes mit Aufmerksamkeit. [] Die arbeitenden Menschen in Deutschland - ganz gleich, ob sie nun Arbeiter, Bauern, Angestellte, Beamte, Gewerbetreibende, Handwerker oder ähnliches sind - haben in keinem Verhältnis zu ihrer Arbeitsleistung an den Gütern dieses Lebens und an dem was man das sogenannte deutsche "Wirtschaftswunder" nennt, teil. Dank der gemeinsamen Leistung der arbeitenden Menschen in Deutschland und dank der Marshall-Hilfe hat sich die deutsche Wirtschaft nach dem Zusammenbruch erholen können. [] Es ist unfair, wenn die Bonner Regierung die aus Arbeitsleistung und Marshall-Hilfe resultierende Steigerung der Produktion als ihr Verdienst bezeichnet. [] Es ist leider eine Tatsache, daß eine bestimmte Schicht von Profitjägern unverhältnismäßig hohe Gewinne erzielt, während die überwiegende Mehrzahl unseres Volkes wirtschaftlich schwer zu kämpfen hat. Über 200 neue Millionärsfamilien sind seit der Währungsreform in der Bundesrepublik entstanden. [] Eine unübersichtliche und ungerechte Steuergesetzgebung [] belastet die Wirtschaft und hemmt besonders die Initiative der selbständig Schaffenden. [] Der kleine und mittlere Bauer muß erleben, daß die von ihm erzeugten Produkte mit Verdienstspannen bis zu 300 Prozent auf den Markt kommen. Es fehlt gerade auf diesem Gebiet an einer vernünftigen Marktordnung und Preisgestaltung, die dem Produzenten einen seiner Leistung entsprechenden Verdienst sichert. [] Unvorstellbar groß ist trotz des "Wirtschaftswunders" die Not der Rentner und Unterstützungsempfänger aller Kategorien. Das Sozialversicherungswesen ist unübersichtlich und entspricht in keiner Weise heute noch den Erfordernissen eines modernen sozialen Staates. [] Die Mehrheit des bisherigen Bundestages - also CDU, FDP und DP - ist allen Verbesserungsvorschlägen der SPD aus dem Wege gegangen. Der bisherige Bundestag hat in keiner Weise eine Lösung der sozialen Probleme gebracht. [] Weder die notwendige große Steuerreform, noch die Reorganisation des Sozialversicherungswesens und die Neuordnung der Altersversicherung wurden in Angriff genommen. [] Wie ich meine Aufgabe sehe [] Sie sehen schon, verehrte Wählerin, verehrter Wähler, aus diesen wenigen kritischen Feststellungen, in welcher Richtung sich meine Tätigkeit im kommenden Bundestag entwickeln wird. [] Daß ich meine ganze Energie einsetzen werde, um in den Fragen der Kulturpolitik einen Beitrag zur Überwindung der Spannungen zwischen den Religionen zu leisten, versteht sich von selbst. Es ist ein Unglück für Deutschland, daß eine bestimmte politische Partei sich so aufführt, als habe sie das Christentum für sich allein gepachtet. Es gibt gute und weniger gute Christen in allen Parteien! Es ist aber nicht sehr ehrenvoll für ein Kulturvolk, daß man religiöse Fragen zum Gegenstand politischer Auseinandersetzungen macht. Deswegen werde ich mich auch als Bundestagsabgeordneter dafür einsetzen, daß die religiösen Fragen aus der politischen Auseinandersetzung fernbleiben und daß besonders in unserer Heimat jener unseligen Politik ein Ende bereitet wird, die die Trennung der Schulkinder nach Konfessionen zum Ziele hat. [] Rheinhessen ist stolz auf die religiöse Toleranz seiner Bevölkerung, und so soll es bleiben! [] In außenpolitischen Fragen vertrete ich die Meinung, daß die bisherige Bundesregierung unter Führung von Dr. Adenauer einen großen Fehler beging, als sie die Bundesrepublik durch ein fragwürdiges Vertragssystem, das uns Deutschen nicht die Gleichberechtigung mit den anderen freien Völkern gibt. Politisch und militärisch einseitig zu binden versuchte. Und das für die Dauer von 50 Jahren; also bis über das Jahr 2000 hinaus! [] Der Vertrag, (EVG), durch den wir verpflichtet werden sollen, 12 Divisionen aufzustellen und 11,2 Milliarden DM jährlich zu zahlen, ist unmoralisch, weil er die deutsche Einheit gefährdet, Deutschlands Gleichberechtigung und Sicherheit aber nicht gewährleistet. Die Montan-Union (Schuman-Plan) nimmt uns Deutschen das Verfügungsrecht über unsere Kohle, das Eisen und den Stahl, die wichtigsten Grundlagen unserer Wirtschaft. Das Saargebiet mit seinen deutschen Menschen und seiner starken Industrie wurde unter der Regierung Adenauer von Deutschland abgetrennt. Adenauer stimmte zu, daß das Saargebiet eigene Vertreter in den Europarat nach Straßburg sandte und hat damit völkerrechtlich die Abtrennung gebilligt. Dieses von der CDU, FDP und DP befürwortete Vertragssystem birgt die Gefahr der endgültigen Spaltung Deutschlands und Europas in sich. Es erhöht die Spannungen zwischen Ost und West und verschärft damit die ohnehin schon schwierige Situation unseres Vaterlandes. [] Deshalb werde ich als Abgeordneter dafür eintreten, daß eine zukünftige Bundesregierung ihre ganze Kraft zuerst für die [] Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit [] einsetzt. Ich werde mich jedem Versuch widersetzen, eine für die Entspannung des Ost-West-Konfliktes notwendige und baldige Viermächte-Konferenz zu verzögern. [] Die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit ist die beste Garantie für die Erhaltung des Friedens in Europa. In dieser Frage darf es keine Winkelzüge geben, denn sie ist die Lebensfrage des deutschen Volkes. [] Mit der gleichen Entschiedenheit habe ich mich und werde mich immer gegen den Ungeist des Kommunismus wenden. Die Sozialdemokratische Partei hat schon 1945 unter Führung von Kurt Schumacher den Zusammenschluß mit den Kommunisten abgelehnt und damit in Deutschland das erste Bollwerk gegen den Bolschewismus errichtet. Damit haben wir Sozialdemokraten den entscheidenden Beitrag für die Erhaltung der Demokratie in unserer Heimat geleistet. [] Die Beseitigung von Not und Elend, die Beseitigung der sozialen Ungerechtigkeit, die Hilfe für die Millionen Kriegsbeschädigten, Rentner und Witwen ist das Mittel, das die Radikalisierung der Massen ausschaltet. Nur durch das Zusammenstehen aller arbeitenden Menschen in Stadt und Land, in den Fabriken, in den Kontoren, in den Werkstätten und hinter dem Pflug kann Gerechtigkeit und ein lebenswertes Dasein für alle gesichert werden. [] Wir Sozialdemokraten lehnen die Willkür des Großkapitals und die hemmungslose Profitjägerei ebenso entschieden ab, wie die staatliche Zwangswirtschaft. Wir erstreben eine vernünftige und gerechte Ordnung, in deren Mittelpunkt der Mensch steht und nicht die Maschine oder das Kapital. [] Selbstverständlich kann ich in diesem kurzen Brief nur einige wenige der brennendsten Probleme anschneiden. Deshalb möchte ich Sie bitten, gelegentlich eine meiner öffentlichen Versammlungen zu besuchen, in denen ich viel ausführlicher auf diese Fragen eingehen kann. [] Abschließend möchte ich der Hoffnung Ausdruck geben, daß Sie zu der kommenden Wahl mit kühlem Verstand gehen und sich nicht durch irgendwelche nebensächlichen und meist künstlich erzeugten Gefühlsregungen ablenken lassen. Bei der Bundestagswahl wird die Entscheidung darüber gefällt, ob Deutschland auch in Zukunft wieder von Generaldirektoren und Generalen regiert werden soll oder von Frauen und Männern, die aus dem Volke kommen und ihr Ohr am Herzen des Volkes haben. [] In diesem Sinn habe ich Ihnen meine Gedanken zu den kommenden politischen Entscheidungen dargelegt. Gemeinsam mit der Bundestagsfraktion der großen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands wird es meine vornehmste Aufgabe sein, im neuen Parlament die Interessen der schaffenden Bevölkerung unserer Heimat zu vertreten. [] Hochachtungvoll! [] G. Markscheffel [] Kandidat der SPD - Liste 2
Published:06.09.1953