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Postwurfsendung an alle Haushaltungen [] Ein persönliches Wort [] Wir leben in einer verworrenen Zeit. [] Jeder von uns leidet darunter und sucht einen Ausweg. [] WILLY MÜLLER [] Mitglied des Bundestags [] WORMS, Lortzingstr. 12 [] Wählerinnen UND Wähler! [] Durch Ihr Vertrauen wurde ich am 14. August 1949 für den Wahlkreis Worms-Alzey-Oppenheim in den Deutschen Bundestag gewählt. Ich bin erneut als Kandidat für den nächsten Bundestag aufgestellt worden, so daß ich mich veranlaßt sehe, mich mit einigen Worten an Sie zu wenden. [] Soweit Sie mich in öffentlichen Versammlungen noch nicht kennengelernt haben, möchte ich mich Ihnen hiermit vorstellen und zu meiner Person darauf verweisen, daß ich am 10. 10. 03 in Laufen, Kanton Bern (Schweiz), geboren bin. (Evangelisch.) Ich besuchte das Realgymnasium sowie die Staatliche Fachschule für Wirtschaft und Verwaltung in Berlin, erlernte den Kaufmannsberuf und war von 1925 bis 1933 Geschäftsführer im Gewerkschaftsbund der Angestellten. 1933 wurde ich aus politischen Gründen entlassen. Ich trat in die Mühlenindustrie ein und wurde 1943 zum Wehrdienst eingezogen. Im Jahre 1945 wurde ich Einzelprokurist der Nibelungenmühle in Worms, später deren Direktor und persönlich haftender Gesellschafter. [] Im politischen Leben stehe ich seit 1922. Damals trat ich als Mitglied dem Reichsbund Deutscher Jungdemokraten bei, dessen Bundesvorstand ich seit 1925 angehört habe. Ich war außerdem Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei sowie des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold. Am 1. Januar 1946 habe ich mich der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angeschlossen, weil ich in ihr den wichtigsten Garanten für den Aufbau und die Festigung der Demokratie in Deutschland erblicke. [] Ich beabsichtige nicht, Sie mit langen politischen Ausführungen zu befassen. Das werden Sie alles durch Presse, Rundfunk und unsere Lautsprecherwagen sowie in den öffentlichen Versammlungen erfahren. [] Mit meinen Zeilen will ich Sie lediglich davor warnen, Schlagworten oder verallgemeinernden Redensarten Ihr Ohr zu leihen. Achten Sie bitte darauf, weiche Argumente die Vertreter der verschiedensten Parteien in diesem Wahlkampf vorbringen und was sie Ihnen persönlich zu sagen haben. Vor allem möchte ich Ihnen empfehlen, nicht irgendwelchen Stimmungen und Gefühlen zu erliegen. So sehr ich davon überzeugt bin, daß Politik mit einem heißen Herzen betrieben werden muß, so meine ich doch, daß alles gezügelt und geläutert werden sollte durch den Verstand. [] Ich weiß daß meine Partei in diesem Wahlkampf allzugern als die Partei der Neinsager bezeichnet wird. Wo wir aber "nein" gesagt haben, geschah es aus Verantwortung gegenüber unserem Volk, dessen weltpolitische Lage wir gewichtiger einschätzen als die Bundesregierung es tut. Wer uns als Verneiner bezeichnet, verkennt bewußt die sachliche Arbeit, die meine Freunde und ich im Parlament geleistet haben. [] Ich darf darauf verweisen, daß ich beispielsweise im Außenhandelsausschuß und im Ausschuß für Ernährung und Landwirtschaft tätig war. In dem einen befaßte ich mich mit den Fragen der Exportwirtschaft und im anderen habe ich am Zustandekommen der landwirtschaftlichen Marktordnungsgesetze mitgewirkt. Dabei war meine Arbeit nicht immer leicht, weil meine Freunde und ich oft gezwungen waren, uns gegen die Regierungsparteien durchzusetzen. Niemand jedoch wird in diesem Wahlkampf gegen mich den Vorwurf erheben können, daß ich eine unsachliche Politik getrieben hatte. Ich habe stets Wert darauf gelegt, in gerechter Weise für das Wohl der Allgemeinheit einzutreten und darüber hinaus dafür zu wirken, daß wir in der Bundesrepublik Deutschland eine gesellschaftliche und soziale Ordnung entwickeln, von der die Menschen das Gefühl haben können, daß die soziale Gerechtigkeit oberstes Gebot des politischen Handelns ist. Hier hat es viele Widerstände gegeben! Diese Widerstände in der Zukunft zu vermindern, liegt mit in Ihrer Hand. [] Mit aller Leidenschaft wende ich mich gegen die Vergiftung des politischen Meinungskampfes. Ich respektiere meine politischen Gegner und lehne persönliche Verunglimpfungen ab. Ich stehe aber auch auf dem Standpunkt, daß die Religion nicht in den politischen Tageskampf hineingezogen werden sollte. Ich bin für die Freiheit der Kirchen und der Weltanschauungen und bitte zu bedenken, daß die Geschichte Kirchenverfolgungen nur in solchen Zeiten verzeichnet, in denen es keine Sozialdemokraten gab, oder sie selbst zu den Verfolgten gehörten. Ich bin für die Freiheit der Religionsausübung und für unbedingte Toleranz in weltanschaulichen Fragen. Außerdem meine ich, daß die Religion nicht dazu herhalten sollte, eigensüchtige politische Ziele zu tarnen. Die Menschen sollte man weniger beurteilen nach dem was sie sagen, als nach dem, was sie tun und was sie sind. [] Es wäre für mich eine besondere Genugtuung, wenn Ihre Überlegungen Sie veranlassen könnten, mir auch für den zweiten Deutschen Bundestag Ihr Vertrauen entgegenzubringen. Ich will Ihnen keine großen Versprechungen machen, aber ich will Ihnen die Versicherung abgeben, daß ich mit der mir zur Verfügung stehenden Kraft eintreten werde: [] für eine gerechte, soziale und wirtschaftliche Ordnung, [] für eine glückliche Zukunft unserer Jugend, [] für ein geeintes Deutschland in einem friedlichen Europa und in einer freien Welt. [] Mit freundlichen Grüßen [] Ihr Willy Müller [] Bundestagskandidat der SPD
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