Streit im Bundestag - muß das sein ?

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Streit im Bundestag - muß das sein? [] [Das im Original hier abgedruckte Wortprotokoll ist nicht durch OCR erfassbar] [] Wer das hier abgedruckte genaue Wortprotokoll der Sitzung vom 23. 9. 1970 liest, der wird uns zugeben: die Sprecher der O...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Werbeagentur ARE (Harry Walter), Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Bundesvorstand, Druckhaus Deutz GmbH, Köln
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 23.09.1970
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/EF2CB9CB-B45F-40D5-B7BE-3AEC9B499504
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Streit im Bundestag - muß das sein? [] [Das im Original hier abgedruckte Wortprotokoll ist nicht durch OCR erfassbar] [] Wer das hier abgedruckte genaue Wortprotokoll der Sitzung vom 23. 9. 1970 liest, der wird uns zugeben: die Sprecher der Opposition, Stoltenberg und Haase (Kassel), haben mit ihren Zwischenrufen jedes Gefühl für Fairneß verletzt. Wer diese bisher von der Opposition der Öffentlichkeit verschwiegenen Zwischenrufe kennt, wird zumindest verstehen, daß Bundesfinanzminister Möller entsprechend geantwortet hat. [] Die Regierung läßt sich nicht alle Pöbeleien gefallen [] Die Zwischenrufe und die dadurch provozierte Äußerung von Bundesfinanzminister Möller sind in dem im Bulletin vom 24. 9. 1970 abgedruckten Text der Rede nicht enthalten. [] Abdruck aus der "Frankfurter Rundschau" vom 8.10.1970: [] Alex Möller und die historischen Tatsachen [] Ein grandioser Akt politischer Empfindlichkeit der Unionsparteien [] Von Imanuel Geiß [] "Diejenigen, die diese beiden Weltkriege und die darauffolgenden Inflationen zu verantworten haben, stehen Ihnen geistig näher als der SPD." Dies sagte Bundesfinanzminister Alex Möller am 23. September im Bundestag während der Haushaltsdebatte. Die CDU/CSU verließ daraufhin empört den Plenarsaal. Inwieweit Möllers Ausspruch aber nun den historischen Tatsachen entspricht, untersucht der Autor dieses Berichts. Er ist Dozent für mittlere und neuere Geschichte am historischen Seminar der Hamburger Universität und gehört außerdem dem Gründungssenat der Bremer Universität an. [] Red. [] Seit der Strauß-Affäre 1962 hat keine Äußerung eines Ministers so große Erregung in der Öffentlichkeit hervorgerufen, wie Alex Möllers spontanes Wort, die Kräfte, die für zwei Weltkriege und Inflationen verantwortlich sind, stünden der CDU/CSU geistig näher als der SPD. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion fand wieder einmal Gelegenheit zum spektakulären Auszug aus dem Parlament und hat sogar einen Mißtrauensantrag gegen den Bundesfinanzminister auf die Tagesordnung des Bundestages setzen lassen. [] Bei ruhiger Überlegung kann man sich über die aufgeregte Reaktion der Unionsparteien und der Öffentlichkeit nur wundern, denn Möller hat natürlich absolut recht. Er hat sogar sicherlich fast die gesamte jüngere bundesdeutsche Geschichtsschreibung, vermutlich den größten Teil der Politologen und ganz einfach die schlichten Fakten auf seiner Seite. [] Mit seinem improvisierten Ausbruch hat Alex Möller das heikle Problem der Kontinuität in der modernen deutschen Geschichte angesprochen. Man kann ihn höchstens bewundern, mit welcher Präzision und Zurückhaltung er 70 Jahre deutscher Geschichte und zehn Jahre einschlägiger Forschung im In- und Ausland resümierte. Die Haltung der CDU/CSU grenzt schon an intellektuelle Unredlichkeit oder politische Schizophrenie: Ein Vierteljahrhundert lang ging sie als konservative Partei mit dem Pathos der traditionsbewahrenden Kraft auf Stimmenfang, appellierte erfolgreich an nationalkonservative Ressentiments und Vorurteile (z. B. Emigrantenhetze), verketzerte Andersdenkende als "national unzuverlässig", ohne sich von den alten Traditionen deutlich oder deutlich genug abzusetzen. Und jetzt gibt sie sich empört, weil jemand es wagt, sie auf die Konsequenzen festzunageln, die aus solcher Berufung auf Tradition und Kontinuität notwendig folgen. [] Massive Kontinuität [] Niemand würde der CDU/CSU Wilhelm II. oder Hitler zur Last legen, wenn die CDU/CSU nicht eine so massive Kontinuität, geistiger wie personeller Art, vom Zweiten über das Dritte Reich aufzuweisen hätte. Die Verantwortung der führenden Schichten des Deutschen Reichs für den Ersten Weltkrieg und die Inflation von 1923 ist schlechterdings nicht zu bestreiten. Kein ernstzunehmender Historiker würde es heute in Deutschland noch wagen, den überragenden Anteil Deutschlands am Ausbruch des Ersten Weltkriegs zu bezweifeln. Die Inflation von 1921/23 war nicht nur eine Folgeerscheinung des von Deutschland 1914 (so gut wie) begonnenen und 1918 verlorenen Kriegs, sie wurde auch von bestimmten Kreisen der Industrie planmäßig gefördert und beschleunigt, die von ihr profitierten. [] Die gleichen gesellschaftlichen Kreise - eben die führenden und damit politisch und moralisch verantwortlichen - unterstützten und finanzierten extreme Rechtsparteien, wie die Deutschnationalen und etwa ab 1930 die NSDAP, die gemeinsam das Ende der Weimarer Republik und den Sieg des Nationalsozialismus herbeiführten. In der Endphase der Weimarer Republik hat die überwiegend konservative Zentrumspartei, die an sich die tragende Mittelpartei der Republik war, mit ihrer prononcierten Rechtsschwenkung unter Kaas und Brüning im Frühjahr 1930 selbst die letzte parlamentarische Regierung, die Große Koalition unter Hermann Müller, zerstört und damit die Republik auf die schiefe Ebene zum Dritten Reich gebracht. [] Im Sommer 1932 beschleunigte das Zentrum den Abmarsch ins Dritte Reich, als ihr rechter Flügelmann Papen, abgedeckt durch den Präsidenten des Preußischen Staatsrats, Konrad Adenauer, sogar das nicht mehr parlamentarische Präsidialkabinett Brüning stürzte. Darauf plädierte die Gesamtpartei in einem Racheakt für eine Regierung der "Nationalen Konzentration", eine Art Super-Große Koalition, die von der SPD bis zur NSDAP einschließlich Hitler hätte reichen sollen. Als Vorleistung für eine sich im Sommer 1932 abzeichnende schwarz-braune Koalition wählte das Zentrum sogar im August Hermann Göring zum neuen Reichstagspräsidenten. Die Koalition NSDAP/DNVP vom 30. Januar 1933 firmierte daher auch als "Regierung der Nationalen Konzentration". Die Zustimmung aller bürgerlicher Parteien zum Ermächtigungsgesetz vom 23. März 1933 war nur noch konsequenter Abschluß eines Erosionsprozesses in den Parteien zwischen SPD und NSDAP. [] Daß das Dritte Reich Deutschland schnurstracks in den Zweiten Weltkrieg führte, ist wohl auch unbestritten. Man macht es sich jedoch zu leicht, die Verantwortung dafür nur auf Hitler abzuwälzen. Das außenpolitische Programm der Weimarer Republik lief mit der Wiedererrichtung einer deutschen Großmacht auf großdeutscher Basis früher oder später auf das gleiche Ergebnis hinaus. Die expansive Restaurations- und Machtpolitik aber wurde von Deutschnationalen, der nationalliberalen Deutschen Volkspartei und dem Zentrum getragen, vor allem aber von der Reichswehrführung, die eine besondere Affinität zu konservativen und nationalen Kreisen hatte. Nicht zufällig war General Seeckt, u. a. neben dem deutschen Kronprinzen, Industriellen, Hugenberg und Hitler, einer der prominenten Teilnehmer an der Harzburger Front vom Oktober 1931. [] 1945 knüpfte die neugegründete CDU/CSU, ähnlich wie die übrigen Parteien, im wesentlichen an 1931/33 an. Die Unionsparteien wurden zum Sammelbecken für die früheren bürgerlichen Parteien: Deutschnationale, Rechtsliberale, Zentrum, Bayerische Volkspartei. Hinzu kamen - nach wenigen Jahren politischer Karenzzeit - eine Fülle von nicht so offensichtlich belasteten NSDAP-Mitgliedern aus dem zweiten, dritten oder vierten Glied, die elastisch genug waren, sich rasch auf die neue politische Situation umzustellen. Die personelle Kontinuität von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik ist zumindest bei der Gründergeneration der CDU/CSU mit Händen zu fassen: Robert Lehr, Schlange-Schöningen (Deutschnationaler), Ernst Lemmer (Demokraten), Simpfendörfer, Paul Bausch (Christlich-Sozialer Volksdienst, eine linke Absplitterung von den Deutschnationalen), Adenauer (Zentrum), Fritz Schäffer (Bayerische Volkspartei), Kiesinger, Globke, Oberländer (NSDAP) - sie stehen repräsentativ für die Masse der Parteimitglieder und Wähler der Unionsparteien nach 1945. Gewiß sind viele von ihnen inzwischen aus der Politik ausgeschieden, aber auch in der jüngeren Politikergeneration ist leider keine entschiedene Absage an die überkommenen Traditionen zu erkennen. [] Die politisch-geistige Kontinuität offenbart sich unter anderem im Festhalten konservativer Denkklischees, angefangen von der Betonung von Eliten, Hierarchien und Autoritäten bis zur nur leicht modifizierten Machtpolitik. Zumindest bis 1965 agitierten prominente Sprecher der CDU/CSU (Gerstenmaier, Strauß) noch mit der Kriegsunschuldlegende von 1914, ganz in Stil und Ton der 20er und 30er Jahre, Gerstenmaier, über ein Jahrzehnt unbestrittener Chefideologe der CDU, plädierte noch vor wenigen Jahren für die Restaurierung des Deutschen Reichs. Kein Wunder, daß die CDU am verbissensten an den Symbolen des alten Reichs festhält, vom Reichsadler in ihrem Parteiwappen bis zu Bundestagssitzungen im restaurierten Reichstagsgebäude in der fiktiven Reichshauptstadt Berlin. [] Es gibt auch andere Kräfte [] In ihrer Konsequenz würde die Deutschland- und Ostkonzeption der CDU/CSU (plus ihren offiziell nie abgelegten Forderungen nach bundesdeutschen Atomwaffen) zu einer nur europäisch frisierten Neuauflage deutscher Machtpolitik führen. Seit dem Auftreten der NPD appellierten CSU und CDU offen an rechtsextreme Wähler, die CDU/CSU als die Union aller nationalen und konservativen Kräfte gegen die Linke zu stärken. Das ist unbestritten die Konzeption zumindest der CDU in Niedersachsen, der CSU in Bayern und läßt sich auch im Bundestagswahlkampf von 1969 verfolgen. [] Es gibt auch andere Kräfte in der Union, und niemand will mit solchen Feststellungen die CDU/CSU ungerechtfertigt in eine "rechte Ecke" abdrängen.- sie selbst hat sich dort seit Jahren angesiedelt. Es läge an ihr, endlich daraus herauszukommen und zu beweisen, daß Demokratie und Parlamentarismus für sie mehr ist als nur eine Form, an die Macht zu kommen und sich dort zu behaupten, sollte sie dort wieder hingelangen. [] Mit einem grandiosen Akt politischer Empfindlichkeit will die CDU/CSU nur verschleiern, daß sie tatsächlich überwiegend die große nationalkonservative Partei ist, zusammengesetzt im wesentlichen aus den gleichen Kräften, die 70 Jahre lang in Deutschland unter wechselnden Verfassungsformen die Politik machten oder ermöglichten. Abgesehen von einigen Jahren, standen sie stets "in der politischen Verantwortung", wie es so schön heißt, und sie haben daher auch dafür vor der Geschichte und dem deutschen Volk für die unangenehmen Aspekte ihrer Machtausübung geradezustehen. Wenn sie sich nicht länger dem Vorwurf aussetzen wollen, sie spekulierten auf die nationalkonservativen Ressentiments und historische Uniformiertheit weiter Bevölkerungskreise, so müßte die CDU/CSU schon sehr deutlich einen unübersehbaren Bruch mit ihrer konservativen Vergangenheit vollziehen. [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn - Druck: Druckhaus Deutz GmbH
Published:23.09.1970