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An alle Wählerinnen und Wähler der Kreise Bergheim und Euskirchen [] Weil ich als Bundestagskandidat mich nicht jedem vorstellen kann, aus Zeitmangel (ich muß genau so wie Sie jeden Tag meiner Beschäftigung nachgehen), will ich mich auf diesem Wege mit Ihnen bekannt machen. Die Menschen in meiner erftländischen Heimat kennen mich von meiner Tätigkeit als ehemaliger Landrat. Aus den folgenden Zeilen sollen die Menschen, denen ich gewissermaßen ein Fremdling bin, sehen, wes Geistes Kind ich bin, und es ist durchaus möglich, daß Sie beabsichtigten, am Wahltage Ihr Kreuz nicht hinter meinen Namen zu setzen. Ich hoffe jedoch, wenn Sie die folgenden Worte durchgelesen und, was weit wichtiger ist, durchdacht haben, daß Sie Ihre Ansicht ändern und mir, d. h. richtiger gesagt, der Sozialdemokratischen Partei Ihre Stimme geben. Nicht weil ich Sie überredet habe, sondern einfach, weil Sie überzeugt wurden. Sehen Sie, darin mag ich mich schon von meinen anderen Kandidatenkollegen unterscheiden, daß ich von Ihnen verlange, daß Sie über das, was ich schreibe, nachdenken sollen. Vielleicht sind die anderen Kandidaten froh, wenn Sie Ihren Worten glauben, um darin hinterher vielleicht enttäuscht zu werden. [] Ich möchte aber keinem Menschen eine Enttäuschung bereiten. [] Was ich jedoch will, das ist, den Wählerinnen und Wählern klarzumachen (soweit sie es noch nicht wissen sollten), daß es notwendig ist, kritisches Denken zu üben, nicht nur in alltäglichen Dingen des Lebens, sondern insbesondere auch vor Wahlen, um sich darüber klarzuwerden, welcher Partei man seine Stimme gibt. Wenn man über die Arbeit und ihre Auswirkungen im vergangenen Bundesparlament nachdenkt, muß man zu dem Schluß kommen, daß eine Opposition nicht nur zweckmäßig, sondern sogar, um das Richtige für die Bürger zu finden, unbedingt notwendig ist. Das werden mir wohl alle Familienväter bestätigen, denn in der Familie ist es ja nicht anders. Die Opposition, die in der Familie jedoch meistens von der Frau geführt wird, hat noch immer ihr Gutes für uns Männer und damit am Ende auch für unsere Familie gehabt. (So ist es doch, meine verheirateten Wähler?) Deshalb sollten wir unseren Frauen für diese Opposition dankbar sein. In der hohen Politik ist das leider nicht so. Dort kennt man keine Dankbarkeit für eine gute und mit Umsicht geführte Opposition, sondern man ist ihr noch böse, weil sie nicht tut, wie der Führer der Regierung es haben möchte. Sie sind wohl mit mir der Ansicht, daß das schließlich zu einer mehr oder weniger starken Diktatur führen kann. Das hat sich als nicht gut für uns Deutsche erwiesen, und nicht nur für uns, sondern sogar die Nachbarvölker leiden am Ende darunter, wenn in irgendeinem Lande eine Diktatur durch eine Partei errichtet wird. Wir sehen es heute noch in Rußland. Die Entwicklung vor 1933 von der Demokratie zur Diktatur müßte uns doch eigentlich genügend Warnung sein. Zu Anfang, wenn noch alle Parteien vorgeben, demokratisch zu sein, geht die Entwicklung langsam, aber plötzlich ist das Unglück da, und dann wundert man sich. Nein, lieber vorbeugen als heilen, d. h. [] Männer in den Bundestag, die aus Überzeugung Demokraten sind, nicht aus Zweckmäßigkeit. [] Uns droht nämlich sonst noch eine andere Zwangsjacke, das ist die Macht des Beamten und Angestellten im Staate, die sich unter allen Umständen dann auswirken muß, wenn der Staatsbürger die ihm durch die Demokratie eingeräumten Rechte nicht wahrnimmt. Nur wenn der Bürger sich seines Staates annimmt, behalten wir eine Demokratie. Es gibt noch viele Beamte und Angestellte, die keine guten Demokraten sind. Je mehr aber alle Beamte und Angestellte in der Verwaltung gute Demokraten würden, um so mehr wäre auch hier durch die Verwaltung die Garantie gegeben, daß uns die Demokratie erhalten bliebe. Man stellt u. a. die Frage an mich, welche Politik ich im Bundestag betreiben wolle. Dazu möchte ich sagen, ich bin der Ansicht, daß es gar nicht möglich ist, meinetwegen eine reine Arbeiterpolitik oder Landwirtschaftspolitik oder eine reine Mittelstandspolitik usw. zu betreiben. [] Ich meine, daß jeder Stand im Volkskörper notwendig ist und seine Daseinsberechtigung haben muß, [] wenn nicht ernste Störungen das gesamte Gefüge des Volkskörpers erschüttern sollen. Deshalb kann man nicht einseitig nur einen Stand oder eine Gruppe bevorzugen, wie es manchmal in der Arbeit verschiedener Parteien, lies Interessengruppen, zum Ausdruck kommt. Gerade wir SPD-Männer kämpfen für den sozialen und gerechten Ausgleich, wobei wir uns natürlich klar darüber sind, daß der "gerechte Ausgleich" von jedem anders ausgelegt wird. Aber man soll doch in dieser Hinsicht das möglichste versuchen. Lassen Sie mich zum Schluß noch sagen, daß ich nicht auf dem Standpunkt stehe, daß gegensätzliche Anschauung persönliche Feindschaft bedeutet. Dafür bin ich schon zu alt, um nicht zu wissen, daß wir alle bloß Menschen sind. Ich glaube auch nicht, daß die Politik den Charakter des Menschen verdirbt, sondern ich habe vielmehr in meiner immerhin langjährigen kommunalpolitischen Arbeit festgestellt, daß es durchaus möglich ist, daß schlechte Charaktere die Politik verderben. Deshalb ist es notwendig, daß Menschen mit anständiger Gesinnung in das Bundesparlament einziehen. [] Wenn Sie nun über meine Worte kritisch nachdenken, hoffe ich, daß Sie Ihre Stimme mir als dem Vertreter der Sozialdemokratischen Partei geben. [] Joh. Großmann [] 15. August 1953. [] Druck: Druckhaus Deutz
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