An Alle!

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An Alle [] geht unser Ruf! Mitbürger, Männer und Frauen, ohne Unterschied der Parteien, tretet neben die Angehörigen, stimmt ein in unseren Ruf nach Befreiung unsrer Bruder in Feindesland, [] protestiert in Massenkundgebungen [] gegen den [] S...

Full description

Bibliographic Details
Main Authors: Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener, Volksbund zum Schutze der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen, Bund deutscher Frauen zur Befreiung der Gefangenen
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 16.11.1919
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/E48ED3F5-24D4-440F-83EB-292502CDBB5B
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals An Alle [] geht unser Ruf! Mitbürger, Männer und Frauen, ohne Unterschied der Parteien, tretet neben die Angehörigen, stimmt ein in unseren Ruf nach Befreiung unsrer Bruder in Feindesland, [] protestiert in Massenkundgebungen [] gegen den [] Seelenmord an den Gefangenen! [] Die Kundgebungen finden statt: [] Sonntag, den 16. November, mittags 1/2 12 Uhr, [] Folgende Säle sind vorgesehen: Lehrervereinshaus, Börse, Brauerei Königstadt, Sing-Akademie, Bözow-Brauerei, Volksbühne, Krieger-Vereinshaus, Chausseestr. 94, Unionsbrauerei, Spichernsäle, andere werden noch bekanntgemacht. [] Reichsvereinigung ehemaliger Kriegsgefangener [] Volksbund zum Schutze der deutschen Kriegs- und Zivilgefangenen. [] Bund deutscher Frauen zur Befreiung der Gefangenen. [] Was sie von der Heimat verlangen. [] Aufruf der deutschen Kriegsgefangenen in Frankreich an das deutsche Volk. [] Landsleute! Seit fast einem Jahr ist der Krieg beendet, seit 4 Monaten der Friede unterzeichnet. Vor kurzem ist er ratifiziert worden und in Kraft getreten. Dennoch haben wir keinerlei Gewißheit über unser Schicksal. Von Monat zu Monat hat man uns über unsere Heimsendung vertröste, ohne daß sich das Geringste an unserer Lage geändert hat. Wie lange soll dieser Zustand noch dauern? Der Winter, der Schreck eines jeden Gefangenen, steht vor der Tür. Sollten wir auch diesen noch hier verbringen? Nochmals Weihnachten hinter dem Stacheldraht? Wir sind der Verzweiflung nahe! Helft und helft schnell! Laßt euch durch keinerlei Nachrichten beeinflussen, so werden doch Monate vergehen, bis wir alle daheim sind. Darum tut, was in euren Kräften steht, um unsere Heimsendung möglichst zu beschleunigen. Wir vertrauen auf euch. [] . Die Gefangenen der Komp. Nr. 989 in La Perte Milon, den 21.10.1919. [] Was sie empfinden, wenn die Erlösung naht. [] "Der Dampfer ist da!"-------"In einer halben Stunde Abmarsch!" [] Ein ungeheures Glücksgefühl erhebt sich in uns, und doch will es seiner glauben. [] Und siehe da, dort liegt er, dort liegt der Dampfer "Orokawa"!! Ein deutscher Dampfer! [] Glaubt ihr, wir hätten etwas sagen können? Glaubt ihr, wir wären fähig gewesen, auch nur einmal Hurra zu rufen? Die Freude krampfte unser Herz zusammen, und unsere Stimme wurde von innerem Jubel erstickt. Nur unsere Augen weiteten sich. [] Wie wir auf das Schiff gekommen sind - wir wußten es nicht. Erst langsam, ganz langsam, als der Dampfer schon lange in voller Fahrt war, löste sich das Schwere, das fünf Jahre auf uns gelastet hatte. [] Ja, wir sind unterwegs nach der Heimat! "Merkst Du es noch immer nicht, Kamerad?" "Bald sind wir zu Haus!" Nein, niemand scheint es so recht zu verstehen. Keiner! Sie können es alle noch nicht glauben. - - [] "Siehst Du es, Bruder?" Ja, alle sehen es, alle trinken es mit den Augen, trinken die Heimat, das geliebte deutsche Heimatland. [] Da liegt das Land! Der Hafen! Ob das wohl Menschen sind, die auf uns warten? [] "Hörst du es, Bruder? Es gilt uns!" [] "Was sagt er?" "Wir haben Euch erwartet, wir freuen uns, daß Ihr wieder da seid, wir haben für Euch gekämpft, bis wir Euch wieder hatten?" "Höre ich recht?" "Ja, es gilt uns, es ist Tatsache!" "Heimat, wie konnten wir glauben, daß du uns vergessen hast?" Es ist nicht wahr, wir sehen es ja. [] Mit einem Schlag hast du uns einen großen Teil der Leiden vergessen gemacht, die wir hinter den Stacheldrähten verleben mußten! [] "Bruder, laß mich allein, sieh mich nicht an, sonst muß ich weinen!" [] Was die Gefangenen litten, leiden und von der Heimat verlangen [] Ich klage an! [] Die tiefergreifenden Aufzeichnungen des Stabsarzt Brausewetter über die Leiden der deutschen Gefangenen in Frankreich stammen aus dem Jahre 1915-16, sie sind in einem Buch: "J'accuse" (Ich klage an) zusammengefaßt. Die nebenstehende Abbildung ist ein Teil des Original-Manuskriptes des Buches "J'accuse". Das Manuskript wurde von Kameraden in Stiefelsohlen verborgen nach Deutschland gebracht. [] Wie sie leiden. [] Auszüge aus in allerletzter Zeit eingetroffenen Briefen. [] (Original-Briefe in der Geschäftsstelle des Volksbundes) [] Es war im August, kurz nach dem Tag des Friedensschlusses. Das Leben war zum Verzweifeln. Die Kost schlecht, die Strafen streng. Post, Löhnung und Kantine gab es überhaupt nicht. Die einzige Lösung war: Freiheit suchen! [] Das haben unsere Freunde R. S. und W. D. getan. Es war am 8. August 3 Uhr nachmittags, als unsere Freunde das Lager mit dem Kohlenkasten verließen. Sie waren kaum fünf Minuten weg, da griffen schon die Posten zu den Gewehren und die Verfolgung ging los. Zehn Minuten später kamen sie wieder zurück mit der Meldung: "Sie sind erledigt." Der Sanitäter und einige Kameraden wurden sofort nach der Unglücksstelle beordert, aber was nutzte das noch? Mein Freund hatte einen Schuß. Einen in den Unterleib und einen ins Herz. Er war sofort tot. Dem anderen Kameraden hatten sie das Knie zerschossen. Man brachte sie angeschleppt, D. unverbunden auf der Bahre, St trug man auf dem Rücken, einer trug die Füße, damit sie nicht auf dem Boden schleppten. Es war ein Anblick, den ich Euch nicht schildern kann. Und die Franzosen lachten, johlten und freuten sich, daß sie einen "Boche" erschossen hatten. Den Mörder beglückwünschten sie von allen Seiten, und man schüttelte ihm fortwährend die Hände. Unser Kamerad blieb liegen, der Arzt kam, machte aber keine Anstalt, ihm eine Einspritzung zu geben. Was war das Ende: Wundstarrfieber. Er ist dann 14 Tage später gestorben. In Deutschland wäre er in 14 Tagen vollständig geheilt gewesen. [] 28.10.1919. [] O, wie bedürfen wir der Aufmunterung und des Trostes der peinvollen Ungewißheit, die uns umgibt. Man muß an verschiedenen Anzeichen schließen, daß Frankreich die Rückgabe der Gefangenen ständig hinausschieben will. Wie wäre es sonst zu erklären, daß noch jetzt Mannschaften aus Arbeitsfähigkeit untersucht werden, wenn sie nicht für die Arbeiten im Norden den Winter über bestimmt würden. - Diese furchtbare Ungewißheit über unsere Lage drückt uns mit bleierner Wucht darnieder und zermürbt uns vollends. "Wann werden wir heimkommen?" "Wann?" Diese Frage brennt auf allen Lippen, ist der Angelpunkt, um den sich die täglichen Gespräche drehen. Mit gierigem Blick wird jeden Tag die Zeitung durchforscht, werden die aus der Heimat anlangenden Briefe verschlungen, um die Antwort auf das inhaltsschwere Wörtchen "Wann?" zu finden. Durch diese Ungewißheit wird uns Kriegsgefangenen eine grausame Folter bereitet. Uns wird nicht die Wohltat zuteil wie dem büßenden Verbrecher, der Tag und Stunde berechnen kann, die ihm die Tore der Freiheit wieder öffnen. [] 21.10.1919 [] Im Lager Epinoh werden die Gefangenen mit Stacheldrahtpeitschen vom Lagerkommandanten auf das Schwerste mißhandelt, in den Leib getreten, in Senkgruben und in Keller gesperrt, wobei sie aus Qualsucht bei strengem Frost und noch so nackend ausgezogen wurden; auch sonst robuste Mißhandlung tagtäglich allgemein üblich. [] 12.10.1919 [] Wir reinigen verschlammte Wiesengräben. In den sieben Monaten unseres Hierseins haben wir vielleicht drei Monate kein Fleisch, zwei Monate kein Fett und einen Monat kein Salz bekommen. Neuerdings bekommen wir manchmal einen Hering täglich, der als Fleisch- und Fettersatz zugleich dient. Der Kommandoführer erklärte, daß es von seinem Belieben abhänge, was er uns an Lebensmitteln zumesse. Also keine Befolgung irgendwelcher Regierungsvorschriften. - [] Wer das liest und nicht mitempfindet, ist mitschuldig an dem Verbrechen an unseren Brüdern. Lest auch die andere Seite!
Published:16.11.1919