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Liebe Wählerin! [] Lieber Wähler! [] [] Am 14. August wird in Westdeutschland darüber entschieden werden, welchen Weg unser Volk in der Zukunft gehen wird. Plakate, Transparente, Zeitungen und viele Redner weisen auf die Bedeutung dieser Wahl zum ersten Deutschen Bundestag hin. Parteien und Parteigruppen bewerben sich um die Stimmen der Wähler und werben für ihre Kandidaten. [] [] Sie mögen vielleicht von all diesen Dingen, von der "Politik", gar nichts mehr hören. Vielleicht halten Sie die Wahl und das ganze "Theater", das um Sie herum gemacht wird, sogar für überflüssig. Vielleicht meinen Sie, es sei für Sie gleichglültig [!], ob überhaupt gewählt wird und wie sich das Schicksal Deutschlands gestaltet. [] [] Aber gerade deswegen, liebe Wählerin und lieber Wähler, habe ich diesen Brief an Sie gerichtet, und es würde mich freuen, wenn Sie ihn in Ruhe aufmerksam lesen würden. [] [] Darf es uns, die wir hier in Altona und in den Elbgemeinden leben, wirklich gleichgültig sein, wie sich die deutschen Männer und Frauen am 14. August entscheiden? Und ist es wirklich egal, wie sich die Dinge in unserer Heimat hier an der Elbe, in unserem Deutschland, das leider noch getrennt ist, und schließlich auch, wie sich die Dinge in Europa entwickeln? Sehen Sie, auch wenn Sie vielleicht von der Politik nichts wissen wollen, wird es Ihnen ja nicht gleichgültig sein können, wie Sie und Ihre Familie leben und wie sich Ihr weiteres Leben entwickeln und gestalten wird. Und wenn Sie selbst vielleicht wegen der harten Schläge, die wir alle durch den unsinnigen Krieg und seine verheerenden Folgen erlitten haben, müde und resigniert geworden sind, geht es dann nicht immerhin um die Zukunft Ihrer Kinder, unserer deutschen Jugend? [] [] Darf ich Ihnen an einigen Beispielen anführen, wie sehr es uns alle angeht? [] [] Möchten Sie nicht, wenn Sie irgendwie Lohn- oder Gehaltsempfänger sind, endlich beginnen können, all die Dinge zu kaufen, die Ihnen seit den furchtbaren Kriegsjahren fehlen und die Sie so dringend benötigen? Möchten Sie nicht die furchtbare Unsicherheit um den Erhalt Ihres Arbeitsplatzes los werden? Ist es nicht bedrückend für Sie, immer damit rechnen zu müssen, vielleicht auch bald in das ständig ansteigende Heer der Arbeitslosen eingereiht zu werden? [] [] Ist für Sie, wenn Sie Beamte sind oder dem Mittelstand angehören, die "soziale Frage" schon gelöst? Bieten sich Ihnen als Handwerker, Gewerbetreibende und selbständig Schaffende nicht alltäglich neue Ungeklärtheiten in dieser wirtschaftlichen Ordnung? Ist es tatsächlich so viel "besser geworden", daß Sie wirtschaftlich gesichert dastehen und ohne Sorge der deutschen Entwicklung entgegensehen können? Gehören nicht schicksalsmäßig alle Kräfte einer sinnvollen Volkswirtschaft zusammen, haben alle im Grunde nicht die gleichen Interessen, nämlich einen gerechten Anteil in einer geordneten Wirtschaft zu erlangen? [] [] Finden Sie es nicht auch unverantwortlich, wenn in unserem Deutschland, in dem Millionenwerte zerstört sind, in dem Ruinen ehemaliger Wohnhäuser und Arbeitsstätten darauf warten, wieder hergerichtet zu werden, schon eineinhalb Millionen als arbeitslos von der Mitarbeit am Aufbau, die sie doch alle so gern leisten möchten, ausgeschlossen sind? [] [] Und sind Sie nicht daran interessiert, nicht noch einmal für den Krieg produzieren zu müssen, eingezogen zu werden, in Bunkern leben zu müssen und vielleicht über Nacht Ihr ganzes Hab und Gut, Angehörige und Freunde verlieren zu können? [] [] Haben Sie nicht oft den Krieg verflucht, wenn Sie, liebe Wählerin, immer wieder ihre Kinder aus dem Schlaf nehmen mußten, um einen Bunker aufzusuchen? [] [] Und weil alles, was Sie wünschen, daß es nicht wieder geschehen möge, und weil alles, was Sie für die Gegenwart und Zukunft als notwendig und erstrebenswert betrachten, nur in dem Maße geschehen kann, wie die zukünftige Führung Deutschlands, die wir alle am 14. August mitwählen sollen, die Dinge anpackt, darum geht auch Sie die Entscheidung am 14. August auf jeden Fall etwas an. Es wird für die zukünftige Regierung eine Fülle von Aufgaben zu erledigen geben, geht es vorrangig meiner Meinung nach vor allen Dingen aber darum: [] [] in Westdeutschland zu einer Vollbeschäftigung zu kommen. [] [] Wir brauchen Sie, weil wir bei der Not, die uns umgibt, auf die Mitarbeit aller, die guten Willens sind, nicht verzichten können. Wir brauchen aber die Vollbeschäftigung als wirtschaftliche und soziale Sicherheit für alle Menschen unserer Heimat. [] [] Es geht weiter darum, Deutschland frei von nationalistischen Tendenzen in eine Ordnung der europäischen Völker einzubauen, denn ohne eine gemeinsame Arbeit aller europäischen Völker werden wir neue Kriege und damit verbunden, furchtbares Elend - wenn nicht völligen Untergang überhaupt - nicht verhindern können. [] [] Und weil Sie, wie alle guten, willigen, sauberen ordentlichen und fleißigen Menschen vor allen Dingen doch dieses wollen, [] [] volle Beschäftigung, wirtschaftliche Sicherheit im Inneren, dabei gerechtes Verhältnis zwischen Löhnen und Preisen, [] [] damit alle, die als Angestellte, Beamte und Arbeiter, als Gewerbetreibende und Handwerker wirken, auch für den Ertrag ihrer Arbeit etwas kaufen können, und weil wir eine Zukunft in Freiheit und Frieden und jenseits von Furcht vor Krieg, Not und Elend wünschen, darum müssen wir alle am 14. August an der Entscheidung mitwirken. [] [] Noch ein Wort an Dich, junge Wählerin und junger Wähler! [] [] Es geht nicht nur um die Zukunft Deutschlands, es geht um Dich! Du wünschst Dein persönliches Leben aussichtsreich zu gestalten. Du möchtest neben wirtschaftlicher Sicherheit auch an den kulturellen Gütern, die unsere Heimat doch in so reichem Maße hat, beteiligt sein. Du möchtest die Sicherheit haben, auch einmal mit dem Menschen, mit dem Du Dich über die Freundschaft hinaus verbunden fühlst, eine Familie gründen zu können. Du möchtest dann, wenn auch bescheiden, das haben, was rein äußerlich die Voraussetzungen dafür sind, eine kleine Wohnung und was man, um sie heimisch zu gestalten, in sie hineinzustellen braucht. Aber mache Dir bitte klar, daß alle diese Wünsche nur erfüllt werden können, wenn nicht das Ganze darniederliegt. Du darfst deshalb nicht die Hände in den Schoß legen und die Gestaltung des deutschen Schicksals und damit Deines eigenen Schicksals, anderen Leuten überlassen. [] [] Als Kandidat der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, die in ihrer ganzen Geschichte für die Befreiung aller Menschen von wirtschaftlicher Unsicherheit und für die politische und kulturelle Freiheit eingetreten ist, bitte ich Sie deshalb alle, Wählerinnen und Wähler und ganz besonders die jungen Menschen unter Ihnen, sich durch Abgabe der Stimme am 14. August zu beteiligen. Sie tragen dazu bei, Ihr Schicksal mitzugestalten. Bekennen Sie sich mit uns, mit den Kandidaten der Sozialdemokratischen Partei, für Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit in Deutschland und für ein freies, einiges Europa zu Ihrem und zum Wohle unserer Kinder. [] [] Hans Leyding [] [] Kurzer Lebenslauf [] Hans Leyding, M. d. B.: Am 29. Mai 1913 in Hamburg geboren, viertes Kind einer Bauarbeiter-Familie. Besuch der Volksschule, Lehre als Industriekaufmann. Sechs Jahre Militärdienst und englische Kriegsgefangenschaft. Seit Herbst 1945 Sekretär der sozialistischen Jugendbewegung "Die Falken" und deren 1. Vorsitzender in Hamburg. Politisch und gewerkschaftlich organisiert seit 1928 (SAJ, Arbeiter-Sportbewegung, SPD). Deputierter der Jugendbehörde und ehrenamtlicher Mitarbeiter von übergeordneten Einrichtungen der Jugendorganisationen. Seit 1943 verheiratet, zwei Kinder, wohnhaft Hamburg 30, Kaiser-Friedrich-Ufer 18. [] [] Wahlkreis VII, Kandidat der SPD: Hans Leyding [] Ortsteile: Altona, Ottensen, Bahrenfeld, Othmarschen, Nienstedten, Flottbek, Osdorf, Lurup, Blankenese, Sülldorf und Rissen. [] [] Herausgeber: Hans Leyding, Hamburg 36, Gr. Theaterstr. 44 [] Druck: AUERDRUCK GmbH., EP 36, Hamburg 1, Pressehaus
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