Enthüllungen des Probst Grüber über die Internierungslager in der Deutschen Demokratischen Republik

Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; handschriftlicher Vermerk: T 116<NZ>Lochung Enthüllungen des Probst GRÜBER über die Internierungslager [] in der Deutschen Demokratischen Republik [] Am Heiligen Abend 1949 und an den Weihnachtsfeiertagen haben die drei evangel...

Full description

Bibliographic Details
Institution:Archiv der sozialen Demokratie (AdsD)
Format: IMAGE
Language:German
Published: 12.1949
Subjects:
Online Access:http://hdl.handle.net/11088/317BBC05-A76B-48A6-A393-65182763CBCD
Description
Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; handschriftlicher Vermerk: T 116<NZ>Lochung Enthüllungen des Probst GRÜBER über die Internierungslager [] in der Deutschen Demokratischen Republik [] Am Heiligen Abend 1949 und an den Weihnachtsfeiertagen haben die drei evangelischen Geistlichen, der bekannte Bischof D. Dr. Dibelius, Superintendent Detert und der Berliner Propst Grüber im Lager Sachsenhausen Gottesdienste abgehalten. Der Berliner Propst Grüber ist bekannt geworden durch seine unbeugsame antifaschistische Haltung während der Hitlerzeit, die ihn auf mehrere Jahre ins Konzentrationslager Sachsenhausen brachte. [] Im Anschluß an ihre Besuche haben die beiden Geistlichen in der Öffentlichkeit Erklärungen über ihre Wahrnehmungen im Internierungslager Sachsenhausen abgegeben. Diese Erklärungen wurden von der gesamten westdeutschen Presse totgeschwiegen. Diese Tatsache beweist, daß es den an der Aufrechterhaltung der Spaltung Deutschlands interessierten reaktionären Kreisen nicht darum geht. sich für eine Beseitigung von KZ-Lagern überhaupt einzusetzen, sondern daß sie nur das Interesse haben, durch eine zügellose Hetze und Verbreitung von Lügenberichten über die tatsächlichen Verhältnisse in diesen Lagern billiges Material für eine Greuelpropaganda, für eine hemmungslose Antisowjethetze zu gewinnen. [] Vor seiner Erklärung wandte sich Propst Grüber insbesondere an den noch zahlreichen Kreis derjenigen gutgläubigen Deutschen, die den verlogenen reaktionären Rattenfängern noch immer ins Garn laufen. Er wies darauf hin, daß für die Abhaltung der Gottesdienstes im Internierungslager Sachsenhausen keine Manuskripte oder sonstige Angaben über die Art der Durchführung der Gottesdienste bei der Sowjetischen Kontrollkommission eingereicht zu werden brauchten. Die Genehmigung, das Lager betreten zu dürfen, die den Geistlichen durch Vermittlung der Regierung von den sowjetischen Militärbehörden erteilt wurde, war gleichbedeutend mit einer völligen Bewegungsfreiheit im Lager. "Von keiner Seite", betonte Propst Grüber, "wurde uns irgendein auch sonstwie geartetes Verlangen oder Ansinnen gestellt. Wir hätten, wäre das der Fall gewesen, auch sonst auf die Durchführung der Gottesdienste verzichtet. Die Bischöfe von Sachsen und Thüringen, die in den Lagern Bautzen und Buchenwald zu gleicher Zeit predigten, genossen dieselben Freiheiten wie wir." [] Propst Grüber wies weiter darauf hin, daß er die Gottesdienste bei den Frauen durchgeführt habe. Hierbei wären keine Wachmannschaften zugegen gewesen. Nach dem Abendmahl habe er jeder inhaftierten Frau, wie es gebräuchlich ist, die Hand gereicht und mit ihr vollkommen ungehindert Worte gewechselt [] Sachsenhausen 1940 und 1949 [] Über seine Erfahrungen im Internierungslager Sachsenhausen berichtete Propst Grüber dem Evangelischen Nachrichtendienst Ost wie folgt: [] Es waren gerade neun Jahre her, daß ich als Häftling in dieses Lager eingeliefert wurde. Die Schreckenstage und Grauensnächte traten wieder vor meine Seele. Der Stacheldraht und die bekannten Wachttürme ließen die Komplexe, die ich nun einmal gegen diese Einrichtungen habe, wieder wach werden. Vor uns stand das große Torhaus mit den Blockführerstuben, aus denen die Bestien so oft gekommen waren, um uns zu peinigen. Der große Appellplatz war unverändert mit den Baracken, die allerdings die höhnischen Aufschriften von damals nicht mehr tragen. [] Natürlich kann man bei einem flüchtigen Durchgehen kein Urteil über die Gesamtsituation eines Lagers abgeben, aber für einen Menschen, der mancherlei Lager aller Art gesehen hat, drängt sich der Unterschied zwischen den KZs der Nazis und diesem Lager unmittelbar auf. Schon rein äußerlich fiel es auf, daß die Menschen nicht Nummern waren, sondern Individuen. [] Damals [] lief eine verschüchterte grau-blaue Masse durcheinander - es durfte ja keiner im Lager Schritt gehen oder gar herumstehen -, alle trugen damals die grau-blau gestreifte Sträflingskleidung, kurz geschnittenes Haar und Holzpantinen. Das einzige Unterscheidungsmerkmal war der Winkel und die Nummer. Die Nummer und nicht der Name war das Wesentliche. [] Jetzt [] standen hier Menschen in zwangloser Unterhaltung herum, gut angezogen jeder trug seine eigenen Sachen gut gepflegt und normal ernährt. Die Frauen hatten allerhand Verschönerungskünste angewendet. Es fehlte sogar bei den Jüngeren nicht die rote Farbe auf den Lippen. Die ganze Haltung war, soweit das in einem Lager möglich ist, ungezwungen. [] Es stellte sich heraus, daß die Gottesdienstbesucherinnen auch regelmäßige Hörerinnen meiner Morgenfeiern im Berliner Rundfunk waren, und manche konnten noch ganze Sätze wiederholen, die mir selbst längst entschwunden waren. Auch daß Verhältnis zu den Wachmannschaften war, soweit ich feststellen konnte, kein verängstigtes. Das haben mir auch die früher entlassenen Häftlinge immer bestätigt, daß mehr Schwierigkeiten durch die Mitgefangenen als durch die russischen Wachmannschaften entstanden. [] Hitlers KZs waren Folterhöhlen [] Propst Grüber setzte fort: Ich darf wiederholen: Es liegt mir nichts ferner, als das Lager und sein Leben zu beschönigen oder die Einrichtung von Lagern als einen Idealzustand hinzustellen. Ich habe als erster öffentlich zu den Lagern der vier Besatzungsmächte Stellung genommen in einem ökumenischen Gottesdienst im Oktober 1946. Ich habe weiterhin den sowjetischen Behörden immer wieder die Wünsche auch der evangelischen Kirche vorgetragen. Aber es ist ein unverzeihliches Unrecht, dieses Lager von heute mit den KZs Hitlers in einem Atemzug zu nennen oder gar zu sagen" genau wie bei den Nazis, vielleicht noch schlimmer". Lagerleben bleibt immer Freiheitsentzug, aber bei Hitler war es eine planmäßig und systematisch durchgeführte Grausamkeit. Hier handelt es sich um eingesperrte Menschen, bei Hitler um ständig mißhandelte und gequälte Menschen. Hier hält man Menschen vom Leben fern, aber man macht ihnen das Leben nicht unnötig schwer. Weder durch Arbeitsüberlastung noch durch Ausgesuchte Torturen wurden die Menschen hier systematisch "liquidiert". Wir denken noch mit Grausen daran, wenn die Arbeitskommandos abends einrückten, vor allen Dingen von den berüchtigten Klinkerwerken, und die Toten mit hereinschleppten, oder wenn gerade auch während der Feiertage die angetrunkenen Wachmannschaften zu ungeahnten Grausamkeiten gegenüber den hilflosen Häftlingen sich hinreißen ließen. Jeder, der Sachsenhausen bei Hitler kennengelernt hat, weiß, daß es ein Unding gewesen wäre, daß ein [] Geistlicher im Ornat durch das Lager gegangen wäre und mit den Häftlingen gesprochen hätte. Aber die Massierung von Menschen, das Abgeschlossensein vom Leben ist ja nicht nur eine körperliche Qual, sondern auch eine seelische Pein, und es entwickelt sich immer eine Art Lagerpsychose. Ich habe sämtliche Flüchtlingslager in Dänemark gesehen, die wirklich Musterlager waren, mit einer Verpflegung, wie sie in Deutschland nicht geboten werden konnte. Ich kenne die englischen "Musterlager", vor allem das Northern Camp. Überall war die Lagerpsychose gleich groß. Dagegen weiß ich nur ein Mittel, das ist das Wort, das der Apostel Paulus als Gefangener schrieb und das mir in der langen KZ-Zeit geholfen hat, und das ich in jedem Lager anbringen lasse: "Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich euch: freuet euch! Eure Lindigkeit [!] lasset kundtun allen Menschen. Der Herr ist nahe." [] Aber das ändert nichts daran, daß Lagerbrot bitter schmeckt und daß Stacheldraht eines der unwürdigsten Mittel ist. Ein Lager in dieser Form ist eine ungeeignete Art des Strafvollzugs. Kein Lager bietet eine Möglichkeit der erzieherischen Einwirkung, vor allen Dingen nicht für Jugendliche. Wir haben gerade von der Kirche aus mehrfach den Besatzungsbehörden klargemacht, daß für die Jugendlichen, die straffällig geworden sind, andere Formen der Sühne gefunden werden müssen. Junge Menschen massiert einzusperren, führt zu großen Schädigungen der körperlichen und seelischen Entwicklung. [] Wir wissen auf der anderen Seite, daß wir als Deutsche den Besatzungsmächten, vor allem auch der russischen gegenüber, keine Forderungen aufzustellen haben. Wir sind ja alle mitschuldig geworden an dem großen Leiden, dasüber diese Völker gekommen ist. Gerade, als ich in Sachsenhausen an den Baracken 9 und 10 vorbeiging, wurde in mir die Erinnerung an die Augusttage 1941 wieder wach, wo in diesen Baracken Tausende von russischen Kriegsgefangenen eingepfercht waren, die dann nachts auf dem Industriehof auf die grausamste Weise "umgelegt" wurden. Es bleibt dies für mich die dunkelste Stunde und die Sünde meines Lebens, mit der ich bisher noch nicht fertig geworden bin. [] Das darf sich nie mehr wiederholen [] Anschließend erklärte Propst Grüber: [] Wir standen damals alle ohnmächtig und sahen dem Geschehen zu, wir ballten unsere Faust hinter dem Rücken, manche haben abends die Hände gefaltet für diese armen Menschen, aber keiner von uns Häftlingen hatte den Mut aufzuschreien, so wie Pfarrer Schneider es in Buchenwald bei ähnlicher Gelegenheit getan hat: "Das ist Mord, und wir klagen an." Wir wußten, daß ein solcher Aufschrei und ein solches Bekenntnis uns das Leben gekostet und vielleicht auch noch die Wut der Wachmannschaften gesteigert hätte. Aus diesem Grund unterblieb das Zeugnis der Wahrheit, zu dem wir verpflichtet waren. Wir denken auch weiter an die mehr als grausame Behandlung der Juden und Polen, die oft willkürlich aufgegriffen und erschossen wurden. Wir können als Christen nur das sagen, was uns nach Gottes Willen geboten erscheint, aber als Volk und Glieder des Volkes müssen wir uns bescheiden. Erst recht können keine Menschen in diesen Fragen mitsprechen, die während der Nazizeit geschwiegen haben. Wir lehnen es daher auch ab, über diese Fragen mit solchen Deutschen in eine Diskussion einzutreten, die glauben, jetzt mit demselben Eifer reden zu müssen, wie sie früher geschwiegen haben. Auch ich selbst bin nicht gewillt, Belehrungen in diesem Punkt anzunehmen von Menschen, die nicht den Beweis erbringen, daß sie durch persönliche Einsatzbereitschaft sowohl bei den Nazis als auch seit 1945 mehr Menschen Leben und Freiheit gerettet haben als ich. [] Wenn ich gefragt würde, was ich an den Lagern auf jeden Fall geändert sehen möchte, wenn sie, etwa unter deutscher Leitung, weiterbestehen bleiben, dann würde ich vor allen Dingen ersuchen, daß alle Insassen einem öffentlichen Gerichtsverfahren unterzogen würden, sowie eine regelmäßige Durchführung der Korrespondenz mit den Angehörigen und eine regelmäßige seelsorgerische Betreuung fordern. Vor allen Dingen würde ich für die Jugendlichen eine besondere Durchführung der Haft wünschen. Was die Unterbringung, Verpflegung und sanitären Einrichtungen des Lagers angeht so übertrifft dieses viele der Flüchtlingslager in der Westzone, die ich gesehen habe. [] Neben der Sorge um die Beseitigung der Lager in der Ostzone überhaupt muß die größere Sorge uns bewegen, daß nicht durch ein Wiederaufleben der Ideologie, aus der die Konzentrationslager Hitlers erwachsen sind, dieser Zustand verewigt wird. Wir wollen als Deutsche nicht wieder mitschuldig werden an der grausamen Vernichtung von Menschen und ganzen Völkern." [] Zu diesen Ausführungen von Propst Grüber gab D. Dr. Dibelius folgende Erklärung ab: [] "Die vorstehenden Äußerungen von Propst Grüber entsprechen meinen eigenen Wahrnehmungen, obwohl ich einen Vergleich mit den nationalsozialistischen Konzentrationslagern aus eigener Kenntnis nicht anstellen kann und infolgedessen auch in der Öffentlichkeit einen solchen Vergleich nicht angestellt habe. Die Unterstellung, daß die evangelischen Bischöfe und ihre Begleiter für die Erlaubnis zu den Gottesdiensten irgendwelche Bedingungen eingegangen und daß ihre Berichte bestellte Arbeit seien, ist so ungeheuerlich böswillig, daß ich mit keinem Wort darauf einzugehen vermag." [] Liz. Nr. 399 - Druckerei 36
Published:12.1949