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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Lochung SÜDSCHLESWIG"? [] Eine Entgegnung auf den Antrag des Südschleswigschen Wählerverbandes auf Bildung eines selbständigen Landes "Südschleswig" [] VON MINISTERPRÄSIDENT HERMANN LÜDEMANN [] 25. August 1948 [] Am 5. August 1948 hat die britische Militärregierung den Südschleswigschen Wählerverband (SSW) als politische Partei in Schleswig-Holstein anerkannt. Zwei Tage später, am 7. August, hat diese neue Partei dem Ministerpräsidenten Lüdemann, in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des Ausschusses zur Überprüfung der Ländergrenzen, abschriftlich in englischer Sprache einen Antrag überreicht, der die Bildung eines selbständigen Landes Südschleswig fordert. Die Art, mit der die neue Partei auftritt, wird dadurch charakterisiert, daß dieser Antrag an die Oberkommandierenden der westlichen Besatzungszonen gerichtet und diesen unter Umgehung der Landesregierung Schleswig-Holsteins unmittelbar zugeleitet worden ist. In dem Antrag ist das eigentliche Ziel, Südschleswig aus dem deutschen Staatsverband auszugliedern, geschickt verschleiert. Die Begründung ist so haltlos, daß sich eine ernsthafte Erörterung eigentlich erübrigt. Bei der Bedeutung der Angelegenheit jedoch hält die Landesregierung eine knappe Darstellung der Südschleswig-Frage, wie sie sich seit dem Zusammenbruch 1945 entwickelt hat, für erforderlich. [] Im Mai 1945 verfügten die dänischen Organisationen im deutschen Schleswig insgesamt über wenige tausend Mitglieder, den Bestand der alten dänischen Minderheit, wie er seit 1920 im wesentlichen konstant geblieben war. Der bedeutendste unter diesen Vereinen war die seit 1920, zuletzt mit Kreisorganisationen in Flensburg (Stadt und Land), Südtondern, Husum, Eiderstedt, Schleswig, Eckernförde und Rendsburg-Nord bestehende Schleswigsche Vereinigung (Slesvigsk Forening). Unter dem Druck der deutschen Not setzte alsbald ein starker Zulauf aus der bisher deutschgesinnten Bevölkerung ein. Der Schleswigsche Verein, dem dieser Zulauf offenbar selbst nicht geheuer war, verhängte zunächst eine Aufnahmesperre, die er am 1. Januar 1946 wieder aufhob. An diesem Tage betrug seine Mitgliederzahl 11801. Sie stieg bis zum 1. April auf 27581, bis zum 1. Juli auf 16849 und bis zum 1. Oktober auf 60558. [] In der Zwischenzeit waren Verhandlungen mit der Militärregierung aufgenommen worden mit dem Ziel, eine gesicherte Rechtsgrundlage für die dänische Organisationsarbeit zu erhalten. Sie hatten das Ergebnis, daß am 15. November 1946 die "Südschleswigsche Vereinigung", "Sydslesvigsk Forening", (SSV), als einzige anerkannte Organisation der dänischen Minderheit konstituiert werden konnte. Die zahlreichen, bisher selbständig nebeneinander bestehenden Vereine wurden in diese Vereinigungüberführt, die durch ihre Satzung, unter ausdrücklicher Ausschließung jeder politischen Betätigung, auf die Vertretung der kulturellen Interessen ihrer Mitglieder beschränkt wurde. Die SSV hatte am 1. Januar 1947 rund 66000 Mitglieder. Dann verlangsamte sieh das Tempo des Wachstums. Am 1. Juli 1948 war eine Mitgliederzahl von 75373 erreicht. [] Obgleich die Vereinigung zur Wahl von Vertretern in die örtlichen Vertretungskörperschaften innerhalb ihres Organisationsbereichs (Südschleswig bis zur Eider) zugelassen war, obgleich sie auch an den Landtagswahlen sich beteiligen konnte, hat sie gleichwohl vom ersten Tage an eine besondere politische Organisation neben der kulturellen angestrebt und diese nunmehr im SSW erhalten. [] Das Programm der neuen Partei verschweigt gemäß den von der Militärregierung gestellten Bedingungen das separatistische Endziel; es beschränkt sich, ebenso wie die hier besprochene Eingabe, auf die Forderung eines selbständigen Landes Südschleswig in der britischen Zone Deutschlands. Es steht jedoch außer Zweifel - und führende Vertreter dieser Partei haben es gesprächsweise zugegeben - daß man die Bildung eines Landes, das als von vornherein lebensunfähig erkannt ist und gewollt wird, nur als Vorstufe anstrebt, um nach Entfernung (oder Entrechtung) der Flüchtlinge später die einheimische Bevölkerung über einen Anschluß an Dänemark abstimmen zu lassen. Diese weitreichenden, nicht ausgesprochenen Perspektiven sind es und nicht die der Eingabe beigegebenen, unschwer zu widerlegenden "Gründe", die es notwendig machen, die Gesamtfrage aufzurollen. [] Geschichtliche Entwicklung. [] Die "deutschen" Herzogtümer Schleswig und Holstein bildeten bis 1864 einen Teil des dänischen Gesamtstaates, der auch den Südteil Schwedens bis 1658 und Norwegen bis 1814 umfaßt hatte. Die schleswig-holsteinischen Stände wählten auf dem Landtage zu Ripen 1460 den dänischen König zum Herzog unter der Voraussetzung, daß "Schleswig und Holstein schoelen bliewen tosamen up ewig ungedeelt". Dieser Vertrag beruhte darauf, daß in beiden Herzogtümern gemeinsames Denken und gleiches Volkstum vorhanden waren. Die machtpolitischen Bestrebungen von dänischer Seite, Schleswig in eine engere staatsrechtliche Verbindung mit Dänemark zu bringen, wurden von Schleswig-Holstein abgewehrt, besonders deutlich seit 1834. Die getrennt tagenden Ständeversammlungen der Herzogtümer haben bei jeder Zusammenkunft die Zusammenlegung der beiden Versammlungen gefordert. Besonders lebhaft bestand dieser Wunsch in der schleswigschen Versammlung. Die Mehrheit der schleswigschen Ständeversammlung beantragte 1846 die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund, zu dem Holstein bereits seit 1815 gehörte. Damals zeigte sich in Schleswig-Holstein bis weit in das dänisch sprechende Nordschleswig hinein eine klare Hinwendung zu Deutschland. 1848 erhob sich Schleswig-Holstein gegen Dänemark. Als nach der Niederlage 1851 die Herzogtümer im dänischen Staatsverband blieben, lehnte die Mehrheit der schleswig-holsteinischen Bevölkerung diese Entscheidung ab. Besonders stark war der Widerstand in Friesland und im südlichen [] Schleswig, eine Tatsache, die der dänische Historiker Lauritzen erst kürzlich ausdrücklich hervorgehoben hat ("Hejmdal" vom 15.6.1948). Als die Herzogtümer 1864 von Preußen-Östereich [!] besetzt wurden, hoffte die Bevölkerung auf ein selbständiges Land im Deutschen Bund. Ihre Eingliederung in den preußischen Staat geschah gegen den Willen des Landes und wurde nicht nur in Schleswig, sondern auch in Holstein abgelehnt. Von einer Unterdrückung des Volkstums in den 60er und 70er Jahren kann jedoch nicht die Rede sein. So überließ Preußen im nördlichen Schleswig den einzelnen Kirchspielen die Entscheidung darüber, ob sie als Schulsprache Dänisch oder Deutsch einführen wollten. Tatsächlich ging eine größere Zahl von Gemeinden ohne Druck von außen von der dänischen zur deutschen Schul- und Kirchensprache über. Gleichzeitig gingen bei den Wahlen die dänischen Stimmen dauernd zurück: [] 1867 27000 dänische Stimmen [] 1871 18000 " [] 1887 12000 " [] Als Preußen 1888 dazu überging, den Gebrauch der dänischen Sprache in den Schulen Nordschleswigs zu verbieten, geschah dies gegen den ausdrücklichen Willen der Bevölkerung und der Regierungsstellen in Schleswig-Holstein. Zweifellos hat diese Maßnahme den Widerstand der dänischen Bevölkerung herausgefordert und schließlich bewirkt, daß Nordschleswig bei der Abstimmung 1920 verloren ging. [] Die Ergebnisse dieser Abstimmung sind: [] In der Ersten Zone (Nordschleswig) [] 75% für Dänemark 25% für Deutschland [] In der Zweiten Zone (Stadt Flensburg und die Landkreise Flensburg und Südtondern) [] 20% für Dänemark 80% für Deutschland. [] Die ursprünglich vorgesehene Abstimmung in der Dritten Zone wurde von Dänemark selbst abgelehnt. [] Der frühere dänische Ministerpräsident Prof. Neergaard hat dazu bemerkt: [] "Wir gingen mit der Grenze reichlich so weit nach Süden, als überhaupt dänischer Volksboden vorhanden war. Bereits vor dem Kriege von 1864 war die Bevölkerung in den Gebieten südlich dieser Linie" - (d.h. in dem heute umstrittenen Gebiet) - "klar und bewußt deutsch denkend und deutsch fühlend, zum größten Teil sogar von bitterem Haß gegen Dänemark erfüllt. Erst nachdem Deutschlands Niederlage klar war und nachdem es klar geworden war, welchen elenden Bedingungen Deutschland für die Zukunft entgegen ging, erst dann ist bei einzelnen dort unten der Wunsch lebendig geworden, nach Dänemark zu kommen." [] Wenn auch in den Jahren der Inflation die dänische Bewegung vorübergehend an Boden gewann, so schrumpfte sie doch nach 1924 schnell wieder zusammen, wie folgende Zahlen beweisen: [] Dänische Stimmen [] 1920 - Abstimmung - 12859 [] 1921 - Landtagswahl - 4723 [] 1924 - Reichstagswahl - 6761 [] 1928 " 2215 [] 1930 " 1671 [] 1932 " 1367 [] Daraus ergibt sich, daß in der Zeit des demokratischen Deutschlands bei völlig freiem Wahlrecht die Zahl der dänischen Stimmen ständig zurückgegangen ist, obwohl die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland sehr viel ungünstiger waren als im benachbarten Dänemark. [] Damit ist die oft und auch in der Eingabe des SSW aufgestellte Behauptung, die dänisch Gesinnten hätten erst seit 1945 die Möglichkeit der freien Entscheidung, widerlegt. [] Wenn nach 1933 die Zahl der dänischen Stimmen wieder leicht anstieg (auf 4600), so hatte das innerpolitische Gründe. Damals suchten linksgerichtete Kreise, die dem Nazismus feindlich gegenüberstanden, in den dänischen Vereinen Unterschlupf. Wer sich zur Minderheit bekannte, brauchte nicht den Hitlergruß auszuführen, nicht auf jeder Versammlung zu erscheinen und die Kinder nicht in die Hitlerjugend zu schicken. Die Verordnung der preußischen Regierung von 1928, in der der Grundsatz aufgestellt war: "Dänisch ist, wer will", wurde im wesentlichen auch von der Regierung Hitlers aufrechterhalten. Von einer besonderen Bedrückung der dänischen Minderheit kann darum nicht gesprochen werden. Die Behauptung, daß die Südschleswiger sich 1945 zum ersten Male seit 1864 frei gefühlt hätten, ist nicht einmal für die nationalsozialistische Zeit aufrechtzuerhalten. In der 1945 erschienenen Jubiläumsschrift "I faedres spor" (S. 40ff.) wird beispielsweise das Verständnis des Flensburger nationalsozialistischen Schulrats rühmend hervorgehoben und berichtet, daß man weder von der Regierung in Schleswig noch von Berlin etwas merke. Der nationalsozialistische Oberbürgermeister von Flensburg erfüllte den von dem dänischen Schulverein gehegten Wunsch, auch an die öffentliche dänische Schule Lehrer dänischer Volkszugehörigkeit zu berufen. [] Vor 1945 bestand somit ein südschleswigsches Problem nicht, es gab keine Südschleswig-Frage. [] II [] Volkstum und Sprache. [] Die Behauptung, daß der größte Teil der eingeborenen Bevölkerung dänischer oder friesischer Herkunft sei, ist in dieser Form nicht aufrecht zu erhalten. Vielmehr hat sowohl eine dänische Einwanderung aus dem Norden wie eine deutsche aus dem Süden stattgefunden. Kein ernsthafter Wissenschaftler wird daher die Bevölkerung des Landes in der Zusammensetzung von 1939 als dänischen Ursprungs bezeichnen. Man kann auch nicht die Bevölkerung blutsmäßig aufteilen und klar scheiden, wer zu dem einen oder anderen Volk gehört. Ebensowenig lassen sich in der Gegenwart Grenzen nachziehen, die zu irgendeiner früheren Zeit verschiedene Länder voneinander getrennt haben. Auch der immer wieder behauptete Gegensatz zwischen Schleswigern und Holsteinern ist nicht vorhanden. [] Die Sprache der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung ist in Schleswig wie in Holstein Plattdeutsch. Die plattdänische Sprache wird nur in der Umgebung von Flensburg und unmittelbar an der neuen Grenze von schätzungsweise 7000 Personen gesprochen. An der Westküste wird Friesisch neben Plattdeutsch gebraucht. Diese ihrem Ursprung nach westgermanische Sprache ist stark im Rückgang begriffen. Nach den unbeeinflußten Angaben der Bevölkerung bei der Volkszählung 1946 gaben als ihre Muttersprache an: 98,5% der Bevölkerung Deutsch, 1,12% Dänisch. Die frisisch [!] [friesisch] sprechende Bevölkerung ist zahlenmäßig nicht erfaßt, sie ist in den 0,32% derjenigen Bewohner Schleswigs enthalten, die eine andere Sprache als die deutsche oder dänische als ihre Muttersprache bezeichneten. Diese Zählung erfaßte die gesamte Bevölkerung, also einschließlich der Flüchtlinge. Wenn man sie nur auf die einheimische Bevölkerung bezieht, beträgt der dänische Anteil auch nur höchstens 21/2%. Bei den Zusammenkünften der Südschleswigschen Vereinigung wird fast ausschließlich Hochdeutsch oder Plattdeutsch gesprochen. Die Wahlplakate sind in deutscher Sprache abgefaßt. Bei dieser Sachlage kann die Forderung nach Gleichberechtigung, der drei Sprachen kaum ernst genommen werden. [] III [] Die Demokratie in Schleswig-Holstein. [] Die Klagen über undemokratische Methoden der Kieler Regierung sind abwegig. Die schleswig-holsteinische Landesregierung ist eine rein sozialdemokratische. Echt demokratische Verhältnisse zu schaffen, ist für sie selbstverständliche Aufgabe. In Übereinstimmung mit ihren demokratischen Grundsätzen hat sie deshalb auch der Minderheit gegenüber weitherziges Entgegenkommen bewiesen, besonders in der Schulfrage. [] Die Genehmigung von Schulen der dänischen Minderheit (SSV-Schulen) hatte sich zunächst die Militärregierung selbst vorbehalten. Erst seit dem 1.8.1941 ist das dänische Schulwesen durch Verordnung der Landesregierung geregelt. Danach können auf Wunsch der Elternschaft private dänische Schulen überall für mindestens 10 Kinder errichtet werden. Das Land trägt 60% der Personalkosten. Die auf Grund dieser Verordnung gestellten Anträge hat die Landesregierung. bisher ausnahmslos genehmigt. Die Zahl der privaten dänischen Schulen in Südschleswig ist seit 1945 von 9 auf 63 gestiegen, die Zahl der Schulkinder von 800 auf 14500 und die Zahl der dänischen Lehrkräfte von 24 auf über 300. [] Ein gleich großes Entgegenkommen hat die Regierung in der Frage der Beibehaltung öffentlicher Schulen mit dänischer Unterrichtssprache bewiesen. Obgleich im dänischen Nordschleswig alle öffentlichen Schulen mit deutscher Unterrichtssprache haben schließen müssen, hat die Landesregierung die Weiterführung der öffentlichen Schulen mit dänischer Unterrichtssprache in Flensburg und Schleswig über den in der Schulverordnung gesetzten Termin vom 1. April 1948 hinaus genehmigt. Sie hat sich sogar damit einverstanden erklärt, daß auch in diesenöffentlichen Schulen dänische Staatsbürger als Lehrer tätig sein können, obgleich im dänischen Nordschleswig kein reichsdeutscher Lehrer unterrichten darf. [] Im Jahre 1947 führte die SSV über 500 Veranstaltungen durch, die von Kräften aus Dänemark getragen wurden. Ungestört konnte sie ihre Jahresversammlungen abhalten. Um ein Weiteres zu tun, hat die Landesregierung an den deutschen Schulen im Grenzgebiet die dänische Sprache und im friesischen Sprachgebiet die friesische Sprache als Unterrichtsfach eingeführt. [] In keinem Fall hat die Landesregierung in die Tätigkeit der Selbstverwaltungskörperschaften eingegriffen. Sie ist vielmehr bestrebt, die Selbstverwaltung zu stärken und auszubauen. Daß sie zwei Schulräte nicht bestätigt oder entlassen hat, weil sie offen separatistische Gedankengänge vertraten und somit ihrer Amtspflicht gröblich zuwiderhandelten, kann ihr nicht zur Last gelegt werden. [] Es trifft also nicht zu, daß die "deutsche Herrschaft" Verbindungen zum nordischen Kulturkreis abgeschnitten hätte. Im Gegenteil! Seit 1945 ergießt sieh unter Ausnutzung der politischen und wirtschaftlichen Notlage Deutschlands ein gewaltiger Strom von Geld, Kulturgütern und Agitationsmaterial aus Dänemark nach Südschleswig. Zahlreiche reichsdänische Lehrer, Pastoren, Ärzte und Schwestern sind im Lande tätig. Tausende deutsche Schulkinder reisen jährlich nach Dänemark zur Erholung, um dadurch in dänisches Leben eingeführt zu werden. Die entsprechende Agitation durch Lebensmittelsendungen ist weltbekannt geworden. Der Gesamtaufwand an reichsdänischen Mitteln für diese Zwecke ist auf 30 Mill. Kronen jährlich zu veranschlagen. [] Es kann nach alledem nicht bestritten werden, daß die dänische und neudänische separatistische Bewegung in Südschleswig sich in voller Freiheit entfalten kann und entwickelt hat, während die deutsche Minderheit im dänischen Nordschleswig unter Bedingungen lebt, die auch nach dem Zeugnis angesehener Dänen bei weitem nicht so günstig sind. [] IV [] Ist "Südschleswig" lebensfähig? [] Diese Frage ist ohne weiteres zu verneinen. [] Mit etwa 5150 qkm Fläche und 670000 Einwohnern (vor dem Kriege etwa 380000) wäre es das kleinste der westdeutschen Länder. Ein Vergleich mit Bremen oder gar Luxemburg ist völlig abwegig, da diese eine wesentlich günstigere Wirtschafts- und Sozialstruktur aufweisen. Während es sich bei Bremen um eine Welthandelsstadt und bei Luxemburg um ein hochindustrialisiertes Gebiet handelt, ist "Südschleswig" reines Agrarland. In einer Zeit, die allgemein zur Entwicklung großräumiger Verwaltungseinheiten drängt, wäre die Bildung eines Zwerglandes geradezu widersinnig. [] Aber auch rein fiskalisch wäre "Südschleswig" nicht imstande, eine eigene Regierung und einen besonderen Verwaltungsapparat zu bezahlen. Jeder, der mit der Wirtschaft und Verwaltung vertraut ist, weiß, daß ein geschlossener Verwaltungsbezirk einen Mindestaufwand an persönlichen und sachlichen Ausgaben tragen muß, die von der Größe des Landes relativ unabhängig sind. Die Länder sind heute außerdem mit Zuständigkeiten ausgestattet, die die gegenwärtige Notlage bedingt und die nach unten nicht übertragen werden können, sondern in eigener Verantwortung von den Ländern verwaltend wahrgenommen werden müssen. Dazu gehören namentlich die örtlich nicht gebundenen Zweige der Gesundheitspflege, des Finanzwesens, der Bau- und Straßenverwaltung, der Kultur- und Sozialpolitik sowie der Rechtspflege. [] Für "Südschleswig" würden aber noch zusätzlich hohe Finanzbeträge erfordernde Aufgaben hinzukommen, insbesondere die umfangreichen Wasserschutz- und Landgewinnungsarbeiten an der Westküste. Schließlich wären noch erhebliche Mittel für die Bezahlung einer besonderen Besatzungsregierung erforderlich. [] Schon das jetzige Schleswig-Holstein ist ohne erhebliche Zuschüsse nicht in der Lage, die Landesregierung und ihre Aufgaben zu finanzieren. Ein Land "Südschleswig" wäre dazu noch viel weniger imstande. Im Rechnungsjahr 1946 betrug das Aufkommen an Reichssteuern in Schleswig nur etwa 140,- RM gegen 200,- RM in Holstein. Wenn man die Ausgaben und Einnahmen des Landeshaushalts nach dem Stande vom 1. April 1948 auf die beiden Landesteile Schleswig und Holstein aufteilt, ergibt sich für Schleswig ein noch ungünstigeres Bild. Das zeigen deutlich folgende Zahlen: [] Auf Grund dieser Finanzlage ist das Land gezwungen, einen internen Finanzausgleich zu Gunsten der schleswigschen Kreise zu Lasten der holsteinischen ständig durchzuführen. [] Zwar behauptet die Denkschrift des SSW, die jetzige Landesregierung sei personell weit übersetzt, für "Südschleswig" werde sie eine kleine, billig arbeitende Regierung aufbauen, die das Land finanzieren könne. Diese Behauptung läßt sich schon mit dem Hinweis auf das Gesetz der festen Mindestausgaben widerlegen. Es fehlt ihr aber noch aus einem anderen Grunde die Beweiskraft. Der SSW pflegt nämlich die dänische Verwaltung als vorbildlich und nachahmenswert hinzustellen. Es läßt sich aber beweisen, daß die schleswig-holsteinische Verwaltung sparsamer und billiger ist als die dänische. Während die Zahl der im öffentlichen Dienst beschäftigten Personen in Schleswig-Holstein, Post und Eisenbahn eingeschlossen, gegenwärtig 83000 beträgt, was auf die dänische Bevölkerungszahl umgerechnet rund 120000 ergeben würde, beschäftigt Dänemark nach den unvollständigen Angaben des Statistisk Aarbog 1947 118000 öffentlich Bedienstete. Dabei sind aber verschiedene Sparten, z.B. das gesamte Gesundheitswesen, nicht erfaßt, so daß die Gesamtzahl 120000 weit übersteigt. [] Abgesehen von diesen fiskalischen Erwägungen sind Schleswig und Holstein wirtschaftlich so stark aufeinander angewiesen, daß eine Verselbständigung Schleswigs für beide Gebiete, besonders aber für "Südschleswig", schwerste wirtschaftliche Nachteile mit sich bringen müßte. Hier sei nur an die ungünstige Verkehrslage Schleswig-Holsteins, insbesondere an seine Revierferne, erinnert. Ferner sei auf die enge Verzahnung der gewerblichen Wirtschaft hingewiesen. Dasselbe gilt von der Wasserwirtschaft, die beispielsweise im Eidergebiet durch zwei Landesregierungen nicht ordnungsmäßig durchgeführt werden konnte, von der Kraftversorgung, dem Straßenbau und vielem anderen. Die Eidergrenze würde eine natürliche wirtschaftliche Einheit willkürlich auseinanderreißen. [] Aus allem diesem folgt, daß "Südschleswig" als selbständiges Land nicht lebensfähig wäre. Es müßte sich nach Norden oder Süden wirtschaftlich eng anlehnen. Nach der ganzen Tendenz des Antrages, und des SSW kann kein Zweifel bestehen, daß eine Anlehnung an Dänemark erstrebt wird. [] V [] Die Flüchtlingsfrage. [] Als entscheidenden Gesichtspunkt für die Verselbständigung von "Südschleswig" führt der SSW die starke Belastung mit Flüchtlingen an. Die Eingabe verlangt Verminderung des Flüchtlingsdrucks für Südschleswig. Das gleiche Ziel verfolgt die Landesregierung für ganz Schleswig-Holstein. Alsbald nach der Kapitulation setzten die Unablässigen Bemühungen um einen gerechten Flüchtlingsausgleich innerhalb der Westzonen ein. Dies ist so bekannt, daß der kurze Hinweis genügt. Auch amtliche britische und dänische Stellen haben diese Bestrebungen anerkannt. Insoweit stößt die Forderung des SSW offene Türen ein. [] Vom SSW und von dänischer Seite werden nun aber Behauptungen aufgestellt, die nicht unwidersprochen bleiben dürfen. Man erklärt, die besonders starke Belegung Südschleswigs sei absichtlich herbeigeführt, um die dänische Bewegung zu unterdrücken; die Kreise an der Grenze seien bedeutend stärker mit Flüchtlingen belegt als Holstein. Die der Eingabe beigefügte Übersicht zeigt für Südschleswig eine Bevölkerungszunahme von 96,7%, für Holstein eine solche von 86,3%. Um aber eine vergleichbare Grundlage zu erhalten, ist es nötig, die großen Städte Holsteins, Kiel, Neumünster und Lübeck, die unter den Zerstörungen des Krieges besonders gelitten haben, aus der Berechnung herauszunehmen. Geschieht das, beschränkt man also den Vergleich auf die allein aufnahmefähigen Landkreise, so ergibt sich eine stärkere Belegung der holsteinischen Kreise. Holstein verzeichnet dann gegenüber 1939 eine Bevölkerungszunahme von 92%, Schleswig von 85%. Von einer absichtlichen Benachteiligung der nördlichen Kreise Schleswigs kann also keine Rede sein; um so weniger, als der Landesregierung jeder Einfluß auf die Zahl der eingeschleusten Flüchtlinge und ihre Verteilung entzogen war. Dies regelte die Militärregierung in ausschließlicher Zuständigkeit. [] So berechtigt die Forderung auf Entlastung von Flüchtlingen ist, so verwerflich ist es, diese Forderung auf Südschleswig zu beschränken. Die Flüchtlingsnot ist gesamtdeutsche Not. Die Forderung nach gerechter Verteilung der Flüchtlinge auf die Westzonen ist eine Forderung ganz Schleswig-Holsteins und nicht nur "Südschleswigs". Es besteht somit zwischen der Flüchtlingsfrage und der angestrebten Bildung eines Landes "Südschleswig" kein Zusammenhang. [] Die Forderung entbehrt aber auch der moralischen Berechtigung. Wenn der Nationalsozialismus für den Krieg verantwortlich ist, dann hat auch die Bevölkerung Südschleswigs an dieser Verantwortung teil. Kein deutscher Landesteil zeigte unmittelbar vor und nach der Machtübernahme Hitlers einen so hohen nationalsozialistischen Stimmenanteil wie "Südschleswig". [] Es wurden für die NSDAP abgegeben (in % der abgegebenen gültigen Stimmen): [] am 31. 7. 32 am 5. 3. 33 [] Reichsdurchschnitt 37,3% 43,9% [] Holstein 49,8% 50,9% [] Schleswig 61,6% 63,1%. [] In einzelnen Ortschaften Südschleswigs gaben schon 1932 100% der Wahlberechtigten ihre Stimme für Hitler ab. In den gleichen Orten gaben dieselben Leute bei den Wahlen nach 1945 ihre Stimme der SSV! Angesichts dieser Umstände kann die Forderung auf Verminderung des Flüchtlingsdrucks nur als Widerspruch zur politischen Moral bezeichnet werden. [] Nach allem steht fest: [] Eine Südschleswig-Frage gibt es nicht. [] Die Bildung eines von vornherein lebensunfähigen Landes "Südschleswig" wäre nur die Vorstufe für die von namhaften Mitgliedern des SSW offen erstrebte Angliederung an Dänemark. [] Die Forderung wird von Kreisen unterstützt, die die Katastrophe von 1945 mit herbeigeführt haben und die sich jetzt ihren Folgen entziehen wollen. [] LD 10000 DF 321 10.48
Published:25.08.1948