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Summary:Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD Professor Dr. Karl Bechert [] Bundestagskandidat der SPD [] Im August 1957 [] Sehr geehrter Herr! [] Sehr geehrte gnädige Frau! [] Sicher haben Sie sich schon viel Gedanken und Sorgen für die Zukunft Ihrer Kinder gemacht. Wissen Sie, daß die durchdringende, für uns unsichtbare Strahlung aus den Atomwaffenversuchen ständig uns alle trifft, daß sie Krankheit, frühen Tod und Schädigung der Kinder bewirken kann, die wir oder unsere Nachkommen haben werden? Der angesehenste Erbforscher der Vereinigten Staaten, Professor Muller, hat die Zahl der erbgeschädigten Kinder der jetzt lebenden Amerikaner auf 80000 geschätzt, Kinder, die Erbschäden erlitten haben, weil die Atomwaffenversuche stattfinden! Die Erbforscher sagen, daß es 30 - 40 Generationen dauern wird, also etwa 1000 Jahre, bis alle Erbschäden in der Menschheit deutlich zum Vorschein gekommen sind, die durch die bisherigen Atomwaffenversuche erzeugt worden sind. Nach dem Nobelpreisträger Pauling haben von den jetzt auf der Erde lebenden Menschen etwa 1 Million den Tod zu erwarten als Folge der Bestrahlung und radioaktiven Verseuchung aus den Atomwaffenversuchen. Es gibt christliche Wissenschaftler, wie Herr Pascual Jordan (der jetzt CDU-Bundestagskandidat wurde), und Politiker, die sogar aus ihrem Christentum politisches Kapital schlagen wollen, die sagen: 1 Million ist wenig, verglichen mit den 21/2 Milliarden Menschen auf der Erde, es trifft nur jeden 21/2-Tausendsten. Glauben Sie, daß es für diejenigen, die es trifft, ein Trost ist, daß es die anderen nicht getroffen hat? Was sagen Sie dazu, daß die Zahl der Kinder mit schweren körperlichen [] Mißbildungen, die als Folge der Atomwaffenversuche geboren werden überall auf der Erde, mit 200000 geschätzt wird? Wenn Ihr Kind eine solche Mißbildung bekommt, sind Sie dann auch der Meinung dieser "christlichen" Wissenschaftler und Politiker, daß 200000 wenig ist verglichen mit der Gesamtzahl der Menschen auf der Erde? Ist es nicht beschämend, daß 2000 Jahre nach Christus solche Meinungen von führenden Menschen in unserer Gesellschaft noch vertreten werden können, ohne daß sich ein Sturm der Entrüstung erhebt? [] Wissen Sie, daß die Bundesregierung vom Bayrischen Senat aufgefordert worden ist, bei den Großmächten und den Vereinten Nationen geeignete Schritte zu unternehmen, damit die Großmächte über die Einstellung der Atomwaffenversuche verhandeln, und daß die Bundesregierung bisher nichts dergleichen getan hat, ja, daß sie jetzt auf der Londoner Konferenz die fränzösischen [!] Wünsche unterstützt hat, die verlangen, daß die Atomwaffenversuche weitergehen? Sind Sie der Meinung, daß eine Regierung, welche sogar diesen geringen Schritt einer Bitte an die Großmächte um Einstellung der Tod und Verderben bringenden Atomwaffenversuche nicht tun will, ihre Sorgfalts- und Beschützerpflicht gegenüber dem deutschen Volk getan hat? [] Eine Abschußrampe für Atomraketen - und wir haben nicht wenige in der Bundesrepublik - wird im Krieg mit den stärksten Waffen, mit Wasserstoffbomben bekämpft werden. Man kann nicht verhindern, daß sie fallen. Sie zerstören alle Häuser in einem Umkreis von etwa 35 km Durchmesser und verseuchen ein Gebiet von 240 km Durchmesser tödlich, so daß es von der Bevölkerung geräumt werden muß. Glauben Sie, daß diese Art Schutz durch Atomabschußrampen für uns von Interesse ist, wenn wir dabei zugrunde gehen? Kein Land innerhalb des Atlantikpaktes, auch nicht die Bundesrepublik kann gezwungen werden, den Bau solcher Atomabschußrampen zuzulassen, das sagte Lord Ismay, einer der führenden Männer der Atlantikpaktorganisation. Die Bundesregierung hat aber den Bau solcher Rampen und die Lagerung von Atomwaffen zugelassen! Ist das Schutz für die Bevölkerung? Weder die Russen noch die Amerikaner können zu irgend etwas gezwungen werden durch Drohung mit Atomkrieg, denn ein solcher Krieg vernichtet den Angegriffenen und den Angreifer. Eisenhower, England und Rußland wollen jetzt verhandeln, das zeigt die Londoner Abrüstungskonferenz deutlich. Unsere Bundesregierung aber unterstützt die französischen Wünsche, die darauf ausgehen, daß auch andere Staaten Atomwaffen haben sollen und daß die Atomwaffenversuche weitergehen. Wir müssen eine Regierung haben, welche ernsthafte Friedensbemühungen der Amerikaner, Engländer und Russen unterstützt, nicht stört. [] Darum keine Stimme für Adenauer und seine Mitarbeiter! [] Die SPD ist für Aufhören der Atomwaffenversuche und gegen Atomrüstung. [] IHRE STIMME DER SPD! [] Bechert [] Herausgeber! Vorstand der SPD, Bonn - Druck: DRUCKHAUS DEUTZ
Published:15.09.1957