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Staatspräsident Wilhelm Pieck an Bundespräsident Prof. Dr. Heuß [] [] An den Präsidenten der Bundesrepublik, Herrn Prof. Dr. Heuß, Bad Godesberg, Viktorshöhe [] [] Sehr geehrter Herr Präsident! [] In einer für unser Volk überaus entscheidungsschweren Zeit wende ich mich an Sie. Die Entscheidungen der Regierung Adenauer in diesen Tagen und Wochen beeinflussen das Schicksal der deutschen Nation in der verhängnisvollsten Weise. Sie führen dazu, die Spaltung Deutschlands noch weiter zu vertiefen. Mit der durch die Washingtoner Beschlüsse beabsichtigten Eingliederung der Bundesrepublik in den aggressiven Atlantikpakt und der Remilitarisierung wächst die Gefahr, daß Deutschland zum Schauplatz eines unvorstellbar verheerenden Krieges gemacht und das ganze deutsche Volk sein Opfer wird. [] Aus diesen Erwägungen heraus hat die Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik dem Bundestag vorgeschlagen, eine gesamtdeutsche Beratung abzuhalten, um die Durchführung freier, gesamtdeutscher Wahlen mit dem Ziel der Bildung eines einheitlichen, demokratischen und friedliebenden Deutschland und die dringend notwendige Beschleunigung des Abschlusses eines Friedensvertrages mit Deutschland zu erörtern. [] Die Ablehnung aller Vorschläge der Regierung und der Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik durch die Regierung Adenauer und die Mehrheit des Bundestages läßt die Absicht erkennen, jede Verständigung zwischen Ost- und Westdeutschland zu verhindern. [] Daraus erwächst den Präsidenten beider Teile Deutschlands entsprechend ihrer hohen Verantwortung gegenüber dem Volke die Pflicht, dafür zu sorgen, daß nicht fremde Entscheidungen über die Schicksalsfragen Deutschlands angerufen werden, sondern in erster Linie eine Verständigung der Deutschen untereinander erfolgt. [] Ich mache Ihnen daher den Vorschlag zu einer Zusammenkunft, in der wir erörtern, wie der Weg gebahnt werden kann zur Einberufung einer gesamtdeutschen Beratung, um eine friedliche Einigung Deutschlands herbeizuführen und den zwingend notwendigen Abschluß eines Friedensvertrages mit Deutschland zu beschleunigen. [] Was die Überprüfung der Voraussetzungen für die Durchführung freier Wahlen betrifft, so teile ich Ihnen mit, daß die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik mit der Überprüfung in allen Teilen Deutschlands einverstanden ist. Sie ist aber der Meinung, daß eine solche Überprüfung am besten von den Deutschen selbst durchgeführt werden könnte durch eine aus Vertretern Ost- und Westdeutschlands zusammengesetzte Kommission unter der Viermächtekontrolle von Vertretern der UdSSR, der USA, Englands und Frankreichs. [] Ich habe die Hoffnung, daß meine Beweggründe auch für Sie, Herr Präsident, maßgebend sein werden. Als Ort für die Zusammenkunft schlage ich Ihnen Berlin, die Hauptstadt Deutschlands, vor. Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir einen möglichst kurzfristigen Termin für die Zusammenkunft mitteilen würden. [] Berlin-Niederschönhausen, den 2. November 1951 [] Mit vorzüglicher Hochachtung! [] Wilhelm Pieck
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