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Heuchelei mit "Leitsätzen" [] Als die bürgerliche Mehrheit des Frankfurter Wirtschaftsrates beschloß, die breiten Massen zum Objekt der ungehemmten Ausbeutung zu machen, erteilte sie gegen die Stimmen der SPD-Fraktion dem Direktor der Verwaltung für Wirtschaft die Vollmacht, die Preise freizugeben. Von dieser Vollmacht hat er sofort im Sinne seiner politischen Auftraggeber Gebrauch gemacht und damit eine Situation geschaffen, die durch eine gefährliche Steigerung der Preise gekennzeichnet ist. Die breiten Massen der Lohn- und Gehaltsempfänger, besonders auch die Sozialrentner, fühlen sich den Warenbesitzern schutzlos ausgeliefert, und schon ist es an verschiedenen Orten zu Notwehraktionen gegen den Preiswucher gekommen. Der große Raubzug der Warenbesitzer ist im Wirtschaftsrat nach erprobtem Rezept mit einem scheinheiligen Phrasenschwall eingeleitet worden - natürlich nur, um die wahren Absichten zu verschleiern [!] Die "Leitsätze" proklamieren den "Schutz des wirtschaftlich Schwächeren", die "Sicherung des öffentlichen Interesses", sie verbieten die "Ausnutzung einer Mangellage". Weiter heißt es: "Alle Preise - auch die freigegebenen - sind behördlich zu überwachen. Wer Höchstpreise überschreitet oder wirtschaftliche Ueberlegenheit oder ein im Verhältnis zur Nachfrage geringes Angebot mißbraucht, oder wer Waren zurückhält in der Absicht, die Preise zu steigern, ist streng zu bestrafen". [] Diejenigen, die das Bedürfnis hatten, solche Selbstverständlichkeiten feierlich als Gesetz zu proklamieren, setzten sich schon dadurch dem Verdacht aus, daß ihnen diese Grundsätze keineswegs selbstverständlich sind. Dieser Verdacht veranlaßte die SPD-Fraktion, dem Vollmachtsgesetz trotz der feierlichen Verkündung der - mindestens für die Sozialdemokratie - Selbstverständlichkeiten nicht zuzustimmen. Wie berechtigt der Verdacht war, daß die schönen Grundsätze nur verkündet wurden, um sie desto rücksichtsloser mißachten zu können, hat das Verhalten der von der CDU kontrollierten Verwaltung für Wirtschaft jeden Tag mehr bewiesen. Alle, was verhindert werden sollte, ist in vollem Umfange eingetreten. Die Warenhorter von gestern nutzen die von ihnen geschaffene Mangellage brutal aus; die Preise für alle Waren steigen ungeheuerlich. Selbst da, wo ein größeres Angebot zur Verfügung steht - z. B. bei Frühkartoffeln - werden die Preise hochgehalten. Wer früher nicht kaufen konnte, weil sein Geld nicht gut genug war, kann heute nicht kaufen, weil er nicht genug Geld hat. Die breiten Massen mit kleinem Einkommen sehen zugleich die Warenmengen, die ihnen durch die Hortung vorenthalten worden sind und die Unmöglichkeit, ihren bitteren Mangel an allen Lebensnotwendigkeiten zu beheben. Das neue, ehrliche Geld hat zunächst den arbeitenden Menschen neuen Mut gemacht und ihre Arbeitsleistung gesteigert, nun lähmt die Aussichtslosigkeit im Wettlauf mit den steigenden Preisen die [] Schaffensfreude. Aber nirgends zeigt sich eine ordnende Hand. Schutzlos sieht sich die breite Masse dem Preiswucher ausgeliefert. Nachdem am 24. Juni die schönen Grundsätze vom Schutz der Schwachen und der Kontrolle der Preise verkündet worden waren, sind in einer speziellen Anordnung vom 25. Juni beinahe alle Preisvorschriften - darunter auch solche für wichtige Lebensmittel - aufgehoben worden. Dadurch sind die Verbraucher den gewissenlosen Elementen rechtlos ausgeliefert. [] Das alles geschieht mit der ausdrücklichen Zustimmung der Parteien, die in Frankfurt die Mehrheit haben, der CDU/CSU mit ihrem Anhang der FDP, DP und dem Zentrum. Dieser Mehrheit haben die Sprecher der SPD in Frankfurt vorausgesagt, wohin die Reise gehen muß, aber das hat die Herren, die den Unterschied zwischen einer Volksvertretung und einer Aktionärversammlung nicht begreifen können, nicht davon abgehalten, diesen Kurs zu steuern. [] Auf seiner letzten Sitzung hat der Parteivorstand der SPD zu diesem Generalangriff auf die Lebenshaltung der breiten Schichten mit dem schmalen Einkommen Stellung genommen. Der Beschluß des Parteivorstandes drückt den Willen aus, dem CDU-Kurs nicht nur das sozialdemokratische "Nein" im Wirtschaftsrat entgegenzusetzen, über das die Mehrheit leichten Herzens hinweggeht. Die SPD wird darüber hinaus die ganze Kraft der großen Partei einsetzen, um das natürliche Recht der arbeitenden Menschen auf gerechte Verteilung der lebensnotwendigen Güter gegen den Egoismus der Sachwertbesitzer durchzusetzen. Sie wird sich dabei nicht auf parlamentarische Diskussionen mit den Leuten auf der Rechten beschränken. Wenn die Hausfrauen von ihrer wirtschaftlichen Macht gegen den Preiswucher Gebrauch machen, wie es notwendigerweise schon verschiedentlich geschehen ist, sollen sie wissen, daß die SPD auf ihrer Seite steht. [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Druck: Hannoversche Presse, Druck- und Verlagsgesellschaft m. b. H., Hannover
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