Summary: | Bemerkungen: [] = Absatzmarken im Volltext des Originals; Herkunft: Nachlaß Herbert Wehner im AdsD
Das große Glück des Bundesrepublikaners GERD HOFF [] oder [] Das kleine Pech bei der Wahlpropaganda mit Jochen Höhne [] In vielen Briefkästen steckte eine hübsche Illustrierte mit dem Titel "Wir alle". Sie soll eigentlich 30 Pfennige kosten, wird aber gratis vergeben. Und wenn man in die Zeitung hineinschaut, weiß man auch, weshalb. Das Ding ist nämlich reine Wahlpropaganda, aufgemacht für den Geschmack von Lieschen Müller, mit dem Ziel, Lieschen Müller über unsere Bundesregierung in Entzücken zu versetzen und für Konrad Adenauer wie für Dieter Borsche schwärmen zu lassen. - Wie dieser Versuch wirken wird, entzieht sich unserer Kenntnis. Fest steht allerdings, daß die Bewohner der Röntgenstraße in Lübeck schallend gelacht haben, als sie die Zeitung genauer betrachteten. [] Und das kam so ... [] Vorn von der Titelseite strahlt uns das Lächeln eines Mädchens an, dessen Lieblichkeit zwischen Maria Schell und Romy Schneider liegt. Im Innern zeigt uns der Bundeskanzler sein vornehmstes Profil und der Wirtschaftsminister seine siegessicherste Zigarre. Daneben werden uns die Vertreter der Opposition als kümmerlich kleine Würstchen und in drohend roter Umrandung vorgeführt. Und der übrige Teil der Zeitung ist angefüllt mit lebensfrohen und hoffnungsvollen Bundesrepublikanern, mit Arbeitern und Angestellten, unter deren Bildern der volle Name steht und die mit direkten oder indirekten Worten das Glück preisen, das ihnen unter der derzeitigen Bundesregierung widerfahren ist. [] So lebt Gerd Hoff ... [] Auf der vorletzten Seite von "Wir alle" aber passiert nun die Geschichte, von der die Lübecker in der Röntgenstraße sagen: "Wir haben alle gelacht." Da wird nämlich in vier schönen Aufnahmen der Bundesrepublikaner Gerd Hoff gezeigt. Nanu, Sie kennnen Hoff noch nicht? Da ist er doch! Gerd Hoff mit seinem Töchterchen in der reizend möblierten Wohnung. Gerd Hoff mit seiner bildschönen Frau beim Aussuchen eines Baugeländes für das künftige Eigenheim. Gerd Hoff hinter der blitzenden Präzisionsmaschine im Werk. Gerd Hoff, wieder mit seiner Frau, beim Urlaub in den Bergen ("Heute schon können Millionen Menschen sich alljährlich eine Urlaubsreise leisten"). Und unten links auf der Seite "Unser Ziel", der Himmel auf Erden: eine Fotografie von Minister Erhards Volksaktie ... Wenn das Glück des Bundesrepublikaners Gerd Hoff noch nicht ganz perfekt sein sollte - mit der Volksaktie wird es das bestimmt werden! [] "Wie die Jungfrau zum Kind" [] Beim Betrachten dieser Bilder nun haben sich die Leute in der Lübecker Röntgenstraße die Augen gerieben. Gerd Hoff? Das war doch - richtig - das war doch Herr Höhne, der dpa-Reporter Jochen Höhne, der gleich links um die Ecke wohnt! Und mit dem Töchterchen, das stimmte wohl. Aber das war auch alles, was stimmte. Denn weder ist die Frau auf dem Bild Frau Höhne, noch will sich Herr Höhne ein Eigenheim bauen, er arbeitete in Wirklichkeit auch niemals am Metallschraubstock, war niemals in den abgebildeten Bergen und schielt vorläufig auch nicht nach der Volksaktie. Befragt, wie das möglich sei, soll Herr Höhne geantwortet haben, er komme zu der Sache wie die Jungfrau zum Kind. [] Montiertes Glück [] Und das ist des Rätsels Lösung. Ein Fotograf im Dienste der von der CDU/CSU-Regierung mit Eifer betriebenen Wahlpropaganda ist überall herumgerannt und hat, sozusagen mit hängender Zunge, "die" deutsche Wohlstandsfamilie gesucht, Und weil das gar nicht einfach war, eine zu finden, hat er sich einen alten Kollegen und ein Fotomodell geschnappt und hat sich mit Fotolinse, Leim und Schere ein Glück zusammengepappt, das die Leser dann womöglich für ernst nehmen - allerdings nur, wenn sie nicht in Lübeck in der Röntgenstraße wohnen. [] Herausgeber: Vorstand der SPD, Bonn - Druck: Bonn-Druck, Bonn
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